Nochmal: Vergiss Alzheimer!

Ich habe die Rezension dieses Buches von Cornelia Stolze schon einmal angefangen, kann sie aber nun erst verbessern und vervollständigen:

Endlich ein aufklärerisches Werk zu Alzheimer, das sich wunderbar ergänzt mit meinen Erfahrungen als Untersucher im Kompetenznetz Degenerative Demenzen (KNDD). Ein Buch, wie ich es gerne selber geschrieben hätte, :-). Ich wünsche mir, es öffnet vielen Leuten die Augen, lässt Ängste kleiner werden und hilft, die Dinge des Alterns gelassener zu nehmen. Schön wäre auch, wenn dadurch die Versprechungen von Industrie, Wissenschaft und denen, die sich als Mietmäuler zur Verfügung stellen, an jenen abperlen, die insbesondere als Angehörige mit dem Phänomen der nachlassenden Gedächtnisleistung und der nachfolgend eingeschränkten Alltagskompetenz ihrer Lieben zu tun haben.

Ich habe in der AgeCoDe-Kohorte des KNDD bisher ca. 1500 Interviews zur Erkennung von Alzheimer und anderen Demenzen gemacht. Ich besuche alte Menschen (seit 2003, damals >75 Jahre alt) zu Hause, inzwischen das 6. Mal – und ich schließe, nach all den neuropsychologischen Tests, den Gesprächen und Eindrücken aus dem Umfeld der Menschen: Es kann sich bei Alzheimer kaum um eine „richtige“ Erkrankung handeln, gut abgrenzbar von anderen Zuständen bspw. Allenfalls handelt es sich um einen Komplex von Symptomen: Entweder gehören sie zum normalen (Hirn)-Alterungsprozess oder sie treten als sekundäre Phänomene auf, verursacht vielleicht durch einen oder viele kleine Schlaganfälle, eine Depression, eine Schilddrüsenunterfunktion oder durch schlichten Wassermangel, weil alten Menschen das Durstgefühl abhanden kommt. Dass die halbe Welt Angst hat vor Alzheimer, ist ein gelungener Fall von Wissenschaftsmarketing – und darüber schreibt Stolze.

Wertvoll ist dieses Buch auch deswegen, weil die Journalistin nicht davor zurückschreckt, Namen und Adressen der ins Geschäft verwickelten zu nennen. Wiltfang, Hampel, Möller, Bayreuther – einschlägig bekannte Größen der Alzheimer-Forschung in Deutschland werden zitiert und direkt befragt, und entlarven sich dabei häufig selber. So wird öffentlich (auf der Webseite des KNDD) und in anderen Patientenmitteilungen beschönigt, wie gut die Erkrankung inzwischen diagnostiziert werden kann und wie Medikamente bspw. die Heimeinweisung verzögern. Aber in den Forschungsanträgen wird immerzu geklagt, wie wenig wir doch noch über die Ursachen wissen, wie unsicher die bisherigen diagnostischen Verfahren seien, wie wenig wirksam die bisher zur Verfügung stehenden Medikamente…

Insgesamt fasst Frau Stolze das Thema Alzheimer angenehm weit, schaut sich die Sache mit den Alzheiner-Medikamenten an, analysiert die Lobbyarbeit der wissenschaftlichen Fachgesellschaften und benennt Unsauberkeiten hinsichtlich der Verwendung und Vermarktung von Blutproben, die den Patienten im Rahmen wissenschaftlicher Studien abgenommen werden. Wie gesagt: Wertvoll!

Schließlich ein paar kritische Anmerkungen: Das Buch hätte ein etwas besseres Lektorat verdient. Die Autorin wiederholt sich an manchen Stellen. Das scheint ohne Absicht zu geschehen, denn die verschiedenen Stellen sind nicht bezogen aufeinander. Schließlich hätten ein Glossar, ein Stichwort- und ein Namensregister dem Buch zu noch mehr Wert verholfen.

Insgesamt ein wichtiges Buch, denn der Bedarf, die Hintergründe in diesem Bereich etwas auszuleuchten, ist groß.

Cornelia Stolze: Vergiss Alzheimer!

Mein aktuelles Lieblingsbuch.

Endlich ein aufklärerisches Werk zu Alzheimer, das sich wunderbar ergänzt mit meinen Erfahrungen als Untersucher im Kompetenznetz Degenerative Demenzen (KNDD). Ein Buch, wie ich es gerne selber geschrieben hätte, :-). Ich wünsche mir, es öffnet vielen Leuten die Augen, lässt Ängste kleiner werden, die Dinge des Alterns gelassener nehmen.

Ich habe in der AgeCoDe-Kohorte bisher ca. 1400 Interviews zur Erkennung von Alzheimer und anderen Demenzen gemacht. Ich besuche alte Menschen (seit 2003, damals >75 Jahre alt) zu Hause, inzwischen das 6. Mal – und ich schließe, nach all den neuropsychologischen Tests, den Gesprächen und Eindrücken aus dem Umfeld der Menschen: Es kann sich bei Alzheimer auf keinen Fall um eine Erkrankung handeln, sondern um einen normalen Alterungsprozess des Gehirns, der den einen früher trifft und einen anderen später.

Meine Hypothese: Wenn wir alle 120 Jahre alt würden, degenerierten alle unsere Hirne so, dass von außen jemand das Alzheimer-Etikett drauf kleben könnte.

Cover Vergiss Alzheimer

Pflegegesetz hilft bei eingeschränkter Alltagskompetenz

Ich besuche seit über sieben Jahren alte Menschen zu Hause, um Sie zu Ihrem Gedächtnis zu befragen. Da ich seit sieben Jahren alle 1,5 Jahre immer zu denselben Leuten gehe, kriege ich natürlich mit, wenn sie – zunächst einmal aus meiner Sicht – in die Hilfsbedürftigkeit rutschen. Bei den Hausbesuchen fällt mir auf, wie wenig das Pflegesystem von den Betroffenen genutzt wird. Obwohl gerade das neue Pflegegesetz aus dem Jahr 2008 viele Möglichkeiten, für Betroffene und Angehörige, bietet, Hilfe zu organisieren. Doch das Wissen darüber ist nicht allzuweit verbreitet.

Das beginnt mit der Unwissenheit über die neutrale Beratung zu Pflegefragen durch die Pflegestützpunkte. Und es setzt sich fort mit der Unwissenheit über die Chancen, Pflegegeld für einen Familienangehörigen zu bekommen, dessen Alltagkompetenz durch einen deutlichen Gedächtnisabbau stark beeinträchtigt ist.

Um vielleicht etwas Licht in das Dunkel zu bringen, schreibe ich mal die Fragen auf, die der Medizinische Dienst der Krankenkassen bei der Begutachtung beantwortet, wenn es darum geht, den Betreuungsbedarf bei Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz (bspw. Demenzkranke) einzuschätzen. Der Katalog steht so in §45a SGB XI:

1. Unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereichs (Weglauftendenz)
2. Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen
3. Unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährlichen Substanzen
4. Tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation
5. Im situativen Kontext inadäquates Verhalten
6. Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen
7. Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung
8. Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigung des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben
9. Störungen des Tag-/Nacht-Rhythmus
10. Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren
11. Verkennen von Alltagssituationen und inadäquates Reagieren in Alltagssituationen
12. Ausgeprägtes labiles und unkontrolliert emotionales Verhalten
13. Zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression

Im zitierten Paragrafen steht zu den Bewertungsrichtlinien: „Die Alltagskompetenz ist erheblich eingeschränkt, wenn der Gutachter des Medizinischen Dienstes bei dem Pflegebedürftigen wenigstens in zwei Bereichen, davon mindestens einmal aus einem der Bereiche 1 bis 9, dauerhafte und regelmäßige Schädigungen oder Fähigkeitsstörungen feststellt.“

Zu den berechtigten Personen zählen einerseits Menschen, die sowieso schon die Pflegestufen 1, 2 oder 3 attestiert bekommen haben. Zudem aber auch jene Menschen, „die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe 1 erreicht“, Menschen also mit „demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen“.

Viele Anspruchsberechtigte verzichten bis heute auf Unterstützung, weil Sie von diesen Möglichkeiten gar nicht wissen. Die schon erwähnten Pflegestützpunkte sind die ersten Anlaufstellen, um sich beraten zu lassen, unabhängig und neutral.

Link:
Informationen der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz zu Pflegestützpunkten in Hamburg

Zentrum für Demenzforschung eröffnet

Jetzt ist es so weit. Frau Schavan hat rechtzeitig vor der Bundestagswahl eines ihrer Bilanzprunkstücke offiziell eröffnet, das Deutsche Zentrum für Neurodegenrative Erkrankungen.

Angekündigt zunächst als Nationales Demenzforschungszentrum, dann aus dem Hut gezaubert als Zentrum für alle neurodegenerativen Erkrankungen.

Ankündigung und Beschluss haben einige Fragen aufgeworfen. Mit denen habe ich mich in diesem Beitrag beschäftigt: Wenn Frau Schavan Forschungsgeld verteilt….

Demenz: Krankheit oder Teil des normalen Alterns?

Die Zeitschrift Neurology veröffentlichte vor ein paar Tagen eine Studie, die endlich einmal über die Häufigkeit von Demenzen in der Altersgruppe über 90 Jahre berichtet. Noch ist nämlich eher unklar, wie sich Gehirn und Gedächtnis bei den ältesten Alten tatsächlich entwickeln.

Ist das Alter weiter der größte Risikofaktor, also je älter, desto größer das Risiko eine Demenz zu entwickeln? Oder erreicht die Krankheitshäufigkeit in der Altersgruppe eine Art Plateau? Nimmt sie also nicht weiter zu, wie das für alle Altersgruppen unter 90 Jahren bestens belegt ist?

Die Gruppe der über 90-Jährigen wird in den kommenden Jahren stetig größer. Deswegen ist es nicht unwichtig zu wissen, ob der Anteil von Menschen mit Demenz gleich bleibt oder zunimmt.

Der Arbeitsgruppe der Universität von Irvine, Kalifornien, gelang es, immerhin 911 Senioren (701 Frauen und 210 Männer) über 90 Jahre für die Studie zu gewinnen und Informationen zu deren Gedächtnisstatus zu sammeln. Die Forscher haben die Teilnehmer entweder persönlich besucht, ein Telefoninterview gemacht oder einen Angehörigen interviewt.

Die wichtigsten Ergebnisse: Bei Frauen liegt der Anteil Demenzen in dieser Stichprobe bei 41,2%, bei Männern liegt er bei 27,6%. Bei Frauen variierte der Demenz-Anteil zwischen 27% bei den 90-Jährigen und 71% bei den knapp Hundertjährigen. Bei den Männern blieb der Anteil relativ konstant und variierte über diesen Altersbereich nur zwischen 21% und 33%. Während Bildung bei Frauen das Risiko einer Demenz verkleinert, spielt der Faktor bei Männern in dieser Stichprobe keine Rolle.

Die Plateau-Hypothese steht also eher auf wackeligen Füßen. Aber nur mit ihr ließe sich die Idee aufrecht erhalten, Demenz sei eine eigenständige, eingrenzbare Erkrankung. Wenn wir nämlich am Ende des Lebens alle eine Demenz bekämen, wenn wir bspw. alle 120 Jahre alt werden würden, dann wäre die Degeneration des Gehirns eben doch eine zwar unheimliche, aber dennoch “normale” Alterungserscheinung, keine Krankheit – außer wir beginnen, das Alter bzw. das Altern an sich als Krankheit zu verstehen. Allerdings kann auch diese Studie eine endgültige Antwort nicht geben, denn es handelt sich um eine Querschnittsbefragung. Außerdem ist nicht klar, wann sich die Demenz bei den Betroffenen (erstmals) gezeigt hat.

Leider fehlen belastbare Zahlen zur Neuerkrankungsrate in dieser Altersgruppe. Dazu wäre es notwendig, 90-Jährige zu befragen, deren Gedächtnis zunächst unbeeinträchtigt ist, um dann herauszufinden, wie viele von ihnen in den folgenden Jahren eine Demenz entwickeln. In der AgeCoDe-Studie (pdf), die seit 2003 in Deutschland läuft und in der ich von Beginn an Patienten befrage, haben wir vielleicht Glück und genügend Patienten, die älter werden als 90 Jahre. Im Moment sind noch etwas mehr als 2000 Patienten im Alter von 80 bis 95 dabei. In fünf Jahren wissen wir mehr!

Studien zu Alzheimer-Medikamenten und die Studien-Autoren

Ich lese gerade Aufsätze zur Akte Vioxx, veröffentlicht im Journal of the American Medical Association (JAMA). Vioxx ist jenes Rheumamittel, das die Firma Merck 2004 vom Markt nehmen musste, weil sich die Todesfälle durch Schlaganfälle und Herzinfarkte bei Vioxx-Patienten häuften. Die internen Dokumente von Merck belegen, wie die Firma systematisch Daten unterschlagen hat, auch gegenüber der Zulassungsbehörde FDA. Außerdem engagierte Merck Ghostwriter, um die Forschungsergebnisse Firmen- und PR-gerecht aufzubereiten. Anschließend bezahlte das Unternehmen willfährige Wissenschaftler, damit sie Ko-Autorschaften der Aufsätze übernahmen.

Ist Merck eine Ausnahme? Leider wohl nur hinsichtlich der Veröffentlichung interner Firmenpapiere. Schadenersatzprozesse machen es möglich.

Gestern habe ich (auf Englisch) darauf hingewiesen, dass die Beleglage für die Wirksamkeit der Alzheimer-Medikamente Aricept, Exelon und Reminyl weiterhin eher schwach ist – und dass die Industrie es bisher noch immer versäumt hat, unabhängigen Forschern ihre Daten rauszurücken, um eine Meta-Analyse mit Originaldaten zu ermöglichen. Erst dann liessen sich die Wirksamkeits-Behauptungen aus den veröffentlichten Studien tatsächlich untermauern oder eben widerlegen. Antidepressiva wurden vor kurzem auf der Basis ihrer Zulassungsdaten untersucht – mit wenig glorreichen Ergebnissen zugunsten der Medikamente.

Heute ergänze ich unsere Kritik an den veröffentlichten 22 Alzheimer-Studien um eine kleine Auszählung der Autorenschaften in den Studien:

– 18 der 22 Studien sind durch die Industrie gefördert
– Von 144 genannten Autoren (Mehrfachnennungen möglich) sind 44 Angestellte der Pharma-Firmen Novartis, Pfizer, Eisai, Shire, Janssen-Cilag.
– Mitarbeiter des Pharmaunternehmens, dessen Wirkstoff geprüft wird, sind entweder Erstautor, verantwortlich für die statistische Auswertung oder überarbeiten die Manuskripte.
– In drei weiteren Studien mit einem direkten Vergleich (head-to-head-trial) zwischen Aricept, Exelon oder Reminyl gewinnt immer das Präparat des Unternehmens, das die Studie bezahlt hat.
– In den Danksagungen verschiedener Studien erscheint PPS International Communications (Worthing, UK). Auch Oxford Clinical Communications hilft beim Schreiben.

All das kann natürlich Zufall – und auch die Autoren der Unternehmen können integre Fachleute sein. Aber ist diese Art der Forschung glaubwürdig? Zumal wenn die Gruppenunterschiede zwischen Medikament und Placebo eher klein sind und die methodische Qualität der Studienauswertung eher schlecht ist?

Alzheimer drugs – the evidence is (still) not convincing

In 2005 our research group (Institute for Primary Medical Care, Center of Psychosocial Medicine, University Medical Center Hamburg-Eppendorf, Hamburg) published a highly controversial paper in the British Medical Journal: Cholinesterase inhibitors for patients with Alzheimer’s disease: systematic review of randomised clinical trials.

We analyzed the evidence of 22 published trials on the drugs donepezil (marketed as Aricept), rivastigmine (marketed as Exelon) and galantamine (marketed as Reminyl) and concluded, „the scientific basis for recommending donepezil, rivastigmine, or galantamine as preferred treatment for patients with Alzheimer’s disease is questionable because minimal benefits were measured on rating scales and the methodological quality of the available trials was poor.“

Our review stood in strong contrast to the reviews of the Cochrane Library of Systematic Reviews. As these reviews are usually seen as the „Gold standard of reviews“, our paper drew a whole lot of attention. Hence, this spring the debate is carried forward in the journal International Psychogeriatrics.

We were invited by the editor of the journal, David Ames, to debate the issue and to reflect once again our point of view. Mr. Ames also invited Jacqueline Birks, one of principal investigators of the Cochrane reviews on donepezil and rivastigmine, to explain the readers her conclusions.

This time we summed our paper as follows:
1. We need to develop better methods of quality assessment of clinical trials.
2. Trial data from industry should be accessible for research purposes.
3. Further research directed at the recognition of high responders before initiation of therapy with cholinesterase inhibitors is needed.
4. Against the background of the disappointing results of the trials, we need clear rules concerning initiation, evaluation and termination of therapy.

Demenz, Schlaganfall, Qualität der Versorgung

Unter dem Titel „Den Schwerkranken das Leben erleichtern“ erschien heute im Hamburger Abendblatt eine Zusammenfassung unserer Arbeit hier am Institut für Allgemeinmedizin, Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf.

Wir arbeiten an wichtigen Zukunftsthemen (Ich verstehe mich sowieso als Zukunftsforscher!) wie der Versorgung von Schlaganfallpatienten, der Versorgung und der Lebensqualität von Menschen mit Demenz, all das aus Patientensicht, aus Sicht der versorgenden Hausärzte, der Pflegedienste, der Angehörigen. Dafür haben wir Mittel in zweistelliger Millionenhöhe eingeworben, die Personalstärke vervierfacht in den vergangenen fünf Jahren.

Ein Laden, der brummt, der Themen setzt und vorantreibt. Ein Laden, zu dem ich gerne gehöre, :-).

Neues Pflegegesetz – was haben Demenzkranke davon?

Am 14.03.08 verabschiedete der Bundestag ein neues Pflegegesetz – das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesetzlichen Pflegeversicherung. Dessen Eckpunkte habe ich hier zusammengefasst. Ausführlich stellt das Bundesgesundheitsministerium die Veränderungen in diesem Dokument dar.

Heute fasse ich zusammen, wie sich die Versorgungssituation für Menschen mit Demenz zukünftig verändert.

1. Zu Beginn einer Demenzerkrankung erfüllen die betroffenen Menschen meist die Kriterien nicht, die an die Vergabe einer qualifizierten Pflegestufe (1-3) verbunden sind. Häufig ist zunächst die Alltagskompetenz beeinträchtigt. Dafür ist die Pflegestufe 0 vorgesehen. Für den damit verbundenen, erhöhten Betreuungsaufwand stehen ab 01.07.08 jährlich bis zu 2400 Euro zur Verfügung. Je nach Aufwand schüttet die Pflegekasse einen Betreuungsbetrag von 100 oder 200 Euro monatlich aus.

2. Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz haben halbjährlich Anspruch auf einen Beratungsbesuch durch einen Pflegedienst bzw. eine neutrale, unabhängige Beratungsstelle zu Lasten ihrer Pflegeversicherung.

3. In den letzten Jahren haben sich neue Wohnformen etabliert. Demenz-Wohngemeinschaften sind entstanden. Menschen, die sich für diese Art des Zusammenlebens entscheiden, können nunmehr ihre Leistungsansprüche „poolen“. D.h., mehrere Versicherte nehmen gemeinsam bspw. eine oder mehrere Pflegekräfte in Anspruch, die sich um sie kümmern. So lassen sich Ansprüche auf grundpflegerische und vor allem auf hauswirtschaftliche Versorgung bündeln.

4. Pflegeheime mit vielen Demenz-Erkrankten können nun Personal einstellen, um für Menschen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf zusätzliche Angebote, so genannte Betreuungsassistenzen anzubieten. Die Finanzierungspflicht liegt in vollem Umfang bei den gesetzlichen und den privaten Pflegekassen.

Allerdings: Die Leistungsverbesserung und -ausweitung in der Pflegeversicherung hat ihren Preis. Der allgemeine Beitrag steigt deswegen um 0,25% des Bruttoeinkommens. Für Kinderlose von 1,95% auf 2,2%, für alle anderen von 1,7% auf 1,95%.

Demenz, Würde und eine Walter-Jens-Homestory mit fadem Beigeschmack

Diese Woche gibt Inge Jens im STERN einen tiefen, zu tiefen Einblick in das Leben mit ihrem Demenz-erkrankten Ehemann, dem Tübinger Geisteswissenschaftler und Schriftsteller Walter Jens. Dessen gesamtes professionelles Leben gründet auf Text und Sprache, auf Kommunikation, auf Schreiben und Lesen. Doch dieser Teil seiner Identität ist durch die Erkrankung ausgelöscht.

Das Interview ist sicherlich aufrichtig. Aus Frau Jens sprechen Verzweiflung und Hilflosigkeit, aber auch Kälte und Distanz. Dennoch bleibt das Motiv dieser Bloßstellung vollständig im Dunkeln. Was will uns Frau Jens verdeutlichen? Dass es jeden treffen kann? Dass Demenz ganz und gar furchtbar ist, vor allem für die Angehörigen? Oder gibt es in der Familie offene Rechnungen? Was auch immer das Motiv sein mag, aus dem Interview lässt es sich nicht erschließen. Den alten Mann so vorzuführen, scheint mir doch arg unwürdig.

Neulich schrieb Tilman Jens in FAZ: „Meine Mutter, mein Bruder und ich sind uns einig, wir wollen, wir werden sein Leid nicht verstecken.“ Das lässt sich auch als Drohung verstehen.

Denn nun ist diese STERN-Geschichte dabei rausgekommen, weil die Familie das Leid des Professors nicht verstecken will. Warum will sie das nicht? Warum geht die Familie mit dem Leid des Alten hausieren?

Und: Grenzt es nicht an Mißbrauch von Einverständnisunfähigen, wenn solche Bildstrecken wie die im STERN veröffentlicht werden?