Der neue heiße Scheiß – ChatGPT

Die im Beta-Status freigelassene Chatumgebung ChatGPT (Chat Generative Pre-Trained Transformer) von OpenAI hat auch mich in den Bann gezogen. Seit ich mich Mitte der 1990er Jahre erstmals via Telnet mit dem Chatterbot ELIZA ausgetauscht habe, faszinieren mich responsive Umgebungen, die (nahezu) unvorhersehbar reagieren.

ELIZA war in den 1960ern von Joseph Weizenbaum gecodet worden, um seinen Informatikstudierenden das Objekt-orientierte Programmieren näher zu bringen. Dass er damit einen beziehungsfähigen Algorithmus erschuf, war anfänglich nicht mal Weizenbaum selber klar. Immerhin räumte er ein, dass der gesprächspsychotherapeutische Ansatz, wie er von Carl Rogers entwickelt worden war, als Blaupause für die Responsiveness von ELIZA gedient hatte. Den Turing-Test allerdings konnte ELIZA nicht bestehen.

Zu der Zeit in den 1990ern waren auch so genannte Multi-User Dimensions (MUDs) ein großer heißer Scheiß, auf die sich die Nerds der Zeit stürzten: Welten bauen, Figuren erschaffen, Rollen spielen. Alles auf ASCII, die Bilder entstanden zwischen den Ohren. Umgebungen, in denen Rollenspielcharaktere text-basierte Phantasiewelten erschufen. Figuren bewegen, die Gesetze der Physik außer Kraft setzen und andere User mit Tricks, Zauberwerkzeugen oder Rätseln in der Umgebung halten. Die Grundlagen des Metaversums und der Avatare wurden unter anderem in den MUDs entwickelt. Neal Stephenson lieferte 1992 die Textgrundlage: „Snow Crash“.

Social Media haben uns das Spielen von Rollen weiter erleichtert. Und die Umgebungen mit ihren Algorithmen ziehen uns magisch hinein in ihre Welten. Die Aufmerksamkeit zu fesseln, gehört zur DNA der rasanten digitalen Umwälzung, von ELIZA bis Facebook und TikTok.

Nun also ChatGPT.

Geht damit Wissenschaft? – meine Frage heute, über die Responsiveness hinaus. Turing könnte das Ding vielleicht schaffen, aber ich zweifele.

Fünf erste Erkenntnisse zu ChatGPT:

1. Ein Zeitgrab.
2. Don’t trust – das Ding erfindet doi und url, wenn der Nutzer solche Links anfordert.
3. Das Ding ist eine Über-KI, die auch Heuristiken und Schätzungen zu den eigenen Chatverläufen abgibt, anstatt sie einfach sortiert zusammenzufassen.
4. Die KI ist kreativ, aber for sure keine Suchmaschine (was auch niemand je behauptet hat, der an der Entwicklung beteiligt war).
5. Um die Bot auszuprobieren, sollte ein Thema gewählt werden, mit dem die User sich einigermaßen auskennen. Dann fällt die Verschleierungsmasche eher auf – bzw. das Ergebnis der eingebauten Höflichkeit, möglichst häufig eine Antwort Im Sinne der User zu produzieren.

Alles in allem: Wer sich darauf einlässt, hat viel Spass und kann einiges lernen, aber Zeit braucht der Konversation auf jeden. Zwar ist die Beziehung zu ChatGPT kaltstartfähig, aber der Bezug zu den inneren Werten eröffnet sich auch hier erst im Laufe der Zeit.

Qualität im Gesundheitsjournalismus – das Buch

Bei SpringerVS erscheint dieser Tage ein Buch, das sich der Berichterstattung über Gesundheit und Krankheit in den Medien (Print, TV, Radio, soziale Netzwerke) widmet. Zusammengestellt hat das Werk eine Arbeitsgruppe rund um Volker Lilienthal, den Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für die Praxis des Qualitätsjournalismus am Hamburger Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft.

Titel-Qualitaet-GesundheitsjournalismusIm einleitenden Kapitel benennen und erläutern die Herausgeber die verschiedenen Rollen, die der Gesundheitsjournalismus in den Medien zu erfüllen hat: Das Genre dient als Ratgeber und erfüllt die Funktion der Krisenberichterstattung (EHEC, Vogelgrippe). Gleichzeitig sind Gesundheitsthemen Teil des politischen Journalismus, wenn über politische Entscheidungen, Gesetzgebungsprozesse und den medizinisch-industriellen Komplex (Pharmaindustrie, Krankenhäuser, Ärzteschaft) berichtet wird. Natürlicherweise ist der Gesundheitsjournalismus  auch in den WIrtschaftsressorts verankert, denn für Gesundheitsleistungen werden in Deutschland jährlich ca. 300 Milliarden Euro umgesetzt. Schließlich sind es ethische Fragen, die der Gesundheitsjournalismus zu bearbeiten hat –  von der aktiven Sterbehilfe über das Embryonenschutzgesetz bis zur Präimplantationsdiagnostik.

Der Sammelband vereint Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft (u.a. Volker Lilienthal, Holger Wormer, Marcus Anhäuser, Joachim Trebbe) und Praxis (u.a. Martina Keller, Werner Bartens, Volker Stollorz) – entsprechend der Gliederung in die beiden großen Themenkomplexe: Gesundheitsjournalismus und Wissenschaft sowie Gesundheitsjournalismus und Praxis.

Auch ich bekam die Gelegenheit, einen Beitrag zu leisten: „Garbage in – garbage out“ – wenn die journalistischen Quellen vergiftet sind“. Darin zeige ich die Schwierigkeiten auf, denen Journalistinnen und Journalisten begegnen, wenn ihnen gezielt und absichtsvoll vergiftete Quellen zur medialen Verwertung angeboten werden. Dazu gehören bspw. Fachaufsätze in renommierten Zeitschriften, in denen die Industrie ihre Rolle als Auftraggeber verschleiert. Zu diesem Panoptikum zählen Medikamenten-Hersteller, die durch planvolles Verschweigen verhindern, dass bspw. der gesamte Umfang eines Medikamenten-Nebenwirkungsprofils bekannt wird. In dieser Reihe stehen aber auch Forscherinnen und Forscher, die Daten erfinden oder unangemessene Auswertungsstrategien verwenden, um ihre Ergebnisse in besserem Licht erscheinen zu lassen.

Ich habe ein paar ältere Blogbeiträge verlinkt, die thematisch mit dem Buch-Beitrag verbunden sind:

https://blog.zettmann.de/2007/02/08/anti-dementiva-was-haben-wir-gelernt/

https://blog.zettmann.de/2007/02/11/gelber-curry-und-das-gedachtnis/

https://blog.zettmann.de/2008/02/08/pseudoscience/

https://blog.zettmann.de/2008/03/24/was-kostet-es-medikamente-zu-vermarkten/

https://blog.zettmann.de/2008/04/24/alzheimer-drugs-the-evidence-is-still-not-convincing/

https://blog.zettmann.de/2008/04/25/studien-zu-alzheimer-medikamenten-und-die-studien-autoren/

https://blog.zettmann.de/2012/04/13/nochmal-vergiss-alzheimer/

https://blog.zettmann.de/2013/04/01/novartis-verliert-patentschutzstreit-in-indien/

Geschlechterneid im 21. Jahrhundert

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 28: Neid zwischen den Geschlechtern
Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen
Teil 31: Gebärneid – Frauen können Leben geben
Teil 32: Sexuelle Macht und sexuelle Potenz
Teil 33: Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit
Teil 34: Weiblicher Neid auf Männer
Teil 35: Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?
Teil 36: Netzwerke und Seilschaften der Männer
Teil 37: Körperliche Kraft und Selbstsicherheit der Männer

Insgesamt scheinen die Frauen besser mit dem gesellschaftlichen Wandel umzugehen als die Männer. Das ist nicht verwunderlich, denn viele dieser Veränderungen gehen auf weibliche Initiative zurück. Manche Männer sehen eher die Nachteile, die sich für sie aus dem Abbau ihrer Privilegien ergeben. Während Frauen ihren Neid auf die Männer bis auf wenige Ausnahmen verringern können, wächst der (Abstands-)Neid der Männer auf die Frauen – zumindest bei jenen Männern, denen es schwer fällt, die Gleichberechtigung der Geschlechter anzuerkennen.

Mancher Mann sehnt sich zurück nach den einfachen Zuschreibungen der Vergangenheit („Du hier im Haus, ich dort weit draußen“). Parallel dazu ergreifen Frauen ihre Chancen, nutzen die neuen Gelegenheiten, die sich ihnen bieten, die eigenen Talente zu entfalten. Männer beklagen noch zu häufig, das ihnen abhanden gekommene, „geordnete“ Gestern. Frauen begrüßen die ungleich größeren Chancen der Gegenwart und wünschen sich doch sehr, auch die Männer kämen mit auf die Reise – ohne den Ballast beengender Rollenhierarchien und biologisch verankerter Begrenzungen. Viele Männer können noch nicht erkennen, welcher Vorteil sich daraus für sie ergibt, ihr altes Rollengewand abzustreifen und zu einer neuen männlichen Identität zu finden. Infolgedessen verläuft der Umbruch zwischen den Geschlechtern gegenwärtig in verschiedenen Geschwindigkeiten. Mit entsprechenden Folgen für die Liebe und unsere Partnerschaften.

Aufgrund biologischer und sozialer Unterschiede, aber auch aufgrund verschiedener Bedürfnisse und Interessen werden Männer und Frauen zukünftig zwar gleichberechtigt, aber deswegen keinesfalls gleich sein. Deswegen wird das Verhältnis der Geschlechter ein steter Quell von Spannungen bleiben. Konflikte, Krisen und Konfrontationen, die sich insbesondere rund um Kinder, Küche und Karriere entfalten, liegen nahe. Geschlechterkonkurrenz und Geschlechterneid stellen also auch übermorgen noch einen wichtigen sozialen Umstand dar. Die damit verbundene Herausforderung sollten wir annehmen, um sie konstruktiv und kreativ zu nutzen.

Neid in Partnerschaften: Literatur

Körperliche Kraft und Selbstsicherheit der Männer

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 28: Neid zwischen den Geschlechtern
Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen
Teil 31: Gebärneid – Frauen können Leben geben
Teil 32: Sexuelle Macht und sexuelle Potenz
Teil 33: Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit
Teil 34: Weiblicher Neid auf Männer
Teil 35: Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?
Teil 36: Netzwerke und Seilschaften der Männer

Schließlich gibt es bei manchen Frauen doch eine Form neidischen Erlebens, die auf biologische Unterschiede zurückzuführen ist: Neid auf die größere körperliche Kraft und die daraus resultierende größere Selbstsicherheit der Männer.

Bei der Überlegenheit der Männer, wie bei der größeren sexuellen Potenz der Frauen, handelt es sich allerdings um eine unabänderliche Tatsache, die sich auch durch Übung oder kreativen Umgang nicht wirklich aus der Welt schaffen lässt.

Allerdings wirken sich die Tatsachen sehr unterschiedlich aus: Der Mann fühlt sich allenfalls in seinem Selbstwertgefühl geschwächt, wenn er die Frau sexuell so potent erlebt. Für die Frau hingegen besteht Gefahr an Leib und Leben, wenn ein körperlich überlegener Angreifer ihr zu nahe tritt. Dieser weibliche Neid auf den Mann speist sich also auch aus der Sehnsucht, dem Mann mit adäquater Kraft die Stirn bieten zu können, wenn dieser die Frau angreift.

Umgekehrt heißt das: Verhielten sich Männer Frauen gegenüber anders, so bräuchten diese diesbezüglich nicht neidisch zu sein. Solange das nicht der Fall ist, helfen Selbstverteidigungskurse, um zumindest das subjektive Sicherheitsempfinden zu steigern. Der Neid selbst wird dadurch jedoch nicht verschwinden.

Teil 38: Geschlechterneid im 21. Jahrhundert

Neid in Partnerschaften: Literatur

Netzwerke und Seilschaften der Männer

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 28: Neid zwischen den Geschlechtern
Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen
Teil 31: Gebärneid – Frauen können Leben geben
Teil 32: Sexuelle Macht und sexuelle Potenz
Teil 33: Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit
Teil 34: Weiblicher Neid auf Männer
Teil 35: Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?

Aus der lange währenden Bevorzugung des Mannes lassen sich andere Anlässe ableiten, aus denen Frauen neidisch auf Männer reagieren. Über die besseren Karrierechancen und die bessere Bezahlung habe ich schon in diesem Kapitel gesprochen. Nachholbedarf haben Frauen auch hinsichtlich der Entwicklung von Netzwerken und Machtgeflechten, mit deren Hilfe sie sich gegenseitig Wege in die Zentren gesellschaftlicher Macht bahnen. So manche Frau blickt neidisch auf jene Männer, die seit Jahrhunderten Studentenverbindungen und Clubs wie Rotary oder Lions oder auch mehr oder weniger geheime Logen wie Opus Dei, P2 oder die Freimaurer nutzen, um sich zu ihrem eigenen Vorteil zu verbinden und sich wechselseitig zu fördern.

Doch nicht nur diese überregional bekannten Seilschaften sorgen dafür, die männliche Macht zu erhalten und auszubauen: Auch auf lokaler Ebene dienen Honoratiorenclubs, Tennis- und Schützenvereine oder die Freiwillige Feuerwehr dazu, informelle Verbindungen zwischen den Männern zu knüpfen und aufrechtzuerhalten, um sich gegenseitig zu fördern oder anderweitig zu begünstigen. Die Kultur der Männerbünde beeinflusst gesellschaftliche Belange weiterhin stark. Mit deren Auswirkungen wiederum müssen sich auch Frauen auseinandersetzen. Deshalb und weil der Neid auf die Männer dadurch kleiner wird, ist einigen Frauen daran gelegen, dem ein weibliches Gegengewicht entgegenzusetzen.

Teil 37: Körperliche Kraft und Selbstsicherheit der Männer
Teil 38: Geschlechterneid im 21. Jahrhundert

Neid in Partnerschaften: Literatur

Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 28: Neid zwischen den Geschlechtern
Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen
Teil 31: Gebärneid – Frauen können Leben geben
Teil 32: Sexuelle Macht und sexuelle Potenz
Teil 33: Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit
Teil 34: Weiblicher Neid auf Männer

Mittlerweile gehört es zum Selbstverständnis auch der Psychoanalyse, nicht mehr das Organ selbst als den Auslöser dieses weiblichen Neids zu betrachten, sondern die mit dem Besitz des Organs verbundene Macht und gesellschaftliche Anerkennung. Angesichts der Ungleichheiten, die Männer qua Geschlecht bevorzugen und Frauen aus demselben Grund benachteiligen, verwundert es nicht, wenn Frauen darauf neidisch reagieren. Der Neid der Frauen auf die Männer resultiert also nicht aus der biologischen Verschiedenheit der Geschlechter, sondern aus der sozialen.

Deshalb nennt Karen Horney, ebenfalls Psychoanalytikerin, das, was Freud verkürzt als „Penisneid“ in die Geschlechterdiskussion einbringt, „Männlichkeitskomplex“. In ihm drückt sich aus, was die Frau vermisst, wenn sie erlebt, wie ihr systematisch Dinge verwehrt sind, die Männer jederzeit zugestanden werden. In diesem Komplex äußert sich die Sehnsucht der Frau, ebensolche Entwicklungschancen zugestanden zu bekommen wie der Mann – und nicht nur auf die Rolle als Hausfrau und Mutter festgelegt zu werden. Horney schreibt:

Soweit bei diesen Männlichkeitswünschen der Neid auf den Mann im Vordergrund steht, äußern sie sich wie jeder andere Neid auch, also in diesem Fall in einem Ressentiment gegen den Mann, in einer inneren Erbitterung gegen ihn als den Bevorzugten, wie sie etwa der Arbeiter gegen den Unternehmer hat; in einer geheimen Feindseligkeit, die gleichsam darauf lauert, ihm eine Niederlage zu bereiten, oder ihn mit den tausend Mitteln des täglichen Kleinkrieges seelisch zu erlahmen. Kurz wir sehen das Bild, wie es sich in zahllosen Ehen auf den ersten Blick zeigt.

Die von Horney skizzierten Auswirkungen des weiblichen Neids allerdings erscheinen etwas zu einseitig und zu pessimistisch. Sie sieht nur die gegen den Mann gerichteten Auswirkungen und kolportiert auf diese Weise ein Frauenbild, dem viele Männer zustimmen werden, wenn sie an die unzufriedene Ehefrau in den eignen vier Wänden denken. Außen vor bleibt in Horneys Darstellung, dass Frauen durchaus andere Wege gehen, ihren Neid zu bewältigen – kreative, herausfordernde Wege. Diese suchen die Frauen auch ganz deutlich nicht gegen den Mann, sondern für sich.

Horney unterschätzt damit die Motivation der Frauen, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen – und anzufangen, sich zu nehmen, was ihnen zusteht, ohne länger um Erlaubnis zu bitten. Das verläuft nicht konfliktfrei, denn keine Frau erwartet, dass jemand, der so lange von einem Besitzstand profitiert hat, diesen freiwillig herzugeben bereit ist. Frauenquoten, Frauenbeauftragte und Frauenförderprogramme gehören genau aus diesem Grund zu den gesellschaftlichen Mitteln, die systematische Benachteiligung abzubauen.

Horney, K.: Die Psychologie der Frau, Frankfurt/M.: Fischer 1984

Neid in Partnerschaften: Literatur

Weiblicher Neid auf Männer

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 28: Neid zwischen den Geschlechtern
Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen
Teil 31: Gebärneid – Frauen können Leben geben
Teil 32: Sexuelle Macht und sexuelle Potenz
Teil 33: Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit

Die Geschichte des weiblichen Neids auf den Mann beginnt mit dem so genannten Penisneid: Das kleine Mädchen beginnt im Alter von etwa zwei, drei Jahren seinen Körper bewusst zu entdecken und dabei geschlechtsspezifisch wahrzunehmen. Das Mädchen stellt fest, durch Vergleich mit dem Vater, dem Bruder oder anderen männlichen Bezugspersonen, dass ihm ein wesentlicher Körperteil fehlt. Aus dieser Beobachtung nun schließt das Mädchen auf einen Mangel, fühlt sich zurückgesetzt und zu kurz gekommen – und empfindet Neid.

So weit die Theorie und die damit verbundene Unterstellung. Für den Erfinder des Penisneids, Sigmund Freud, mag die psychosexuelle Entwicklung des Mädchens so abgelaufen sein – und es finden sich bestimmt auch noch heute einige (wenige) Mädchen, bei denen Erkenntnis, keinen Penis zu haben, zu psychischen Verwerfungen führt. Doch aus heutiger Sicht spiegelt sich im Freudschen Gedankengang jener Blick auf die Welt, welcher den Mann zum Zentrum hat: „Wäre ich eine Frau, dann wäre ich neidisch darauf, keinen Penis zu haben.“ Freud erkennt im Laufe seines Lebens selbst, dass ihm die Frau der „dunkle Kontinent“ geblieben ist, der sich ihm nicht erschließt. Er hat ihren

Körper und ihre Sexualität nur als etwas begreifen können, dem es an etwas mangelt. Er hat es nicht verstanden, den eigenen männlichen Horizont zu überwinden.

Doch sosehr Freud seiner Zeit voraus war, sosehr ist er auch ein Gefangener seiner Zeit und der bürgerlichen Normen geblieben, die Anfang des 19. Jahrhunderts herrschten. Und die postulierten die gesetzmäßige Überlegenheit des Mannes über die Frau. Der Mythos von der Erschaffung Evas aus Adams Rippe fand hier seinen gesellschaftlichen Ausdruck.

Teil 35: Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?

Neid in Partnerschaften: Literatur

Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 28: Neid zwischen den Geschlechtern
Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen
Teil 31: Gebärneid – Frauen können Leben geben
Teil 32: Sexuelle Macht und sexuelle Potenz

Für viele Männer gelten Frauen als schwatzhaft, als redselige Tratschtanten. Sie blockieren das Telefon, erzählen sich stundenlang bis in die kleinsten Details die größten Unwichtigkeiten. Und doch halten Frauen auf eine Weise Kontakt zu den Vertrauten ihrer Umwelt, um die jene Männer sie beneiden, die nicht über diese Fähigkeit verfügen. Doch ist die männliche Abwertung des weiblichen Kommunikationsverhaltens tatsächlich eine neidische Reaktion?

Wahrscheinlich muss man mit ja antworten, die häufig feindseligen Reaktionen auf weibliche Gesprächsbedürfnisse sprechen jedenfalls dafür: Ratschtante, Klatschbase, Schwatzliese, Quasselstrippe – die Liste der Wörter ist lang, die eine Frau charakterisieren, die zunächst nur viel zu erzählen hat. Da Männern eher nachgesagt wird, sie seien die großen Schweiger, fällt es ihnen schwer zu verstehen, worüber sich Frauen immerzu austauschen können. So neiden die Männer ihnen wohl auch nicht das Gespräch an und für sich, sondern die daraus resultierenden sozialen Bindungen: Frauen kennen im Schnitt mehr Menschen als Männer, denen sie sich vertrauensvoll zuwenden können, wenn sie das Bedürfnis danach haben. Gerade in krisenhaften Situationen sehen sich Frauen stabiler eingebettet als Männer. Während sie nämlich zumeist eine beste Freundin haben, verfügen weitaus weniger Männer über einen Freund, mit dem sie sämtliche Freuden, aber auch Sorgen und Nöte teilen können.

Der männliche Neid auf die weibliche Kommunikationskultur und die Vielfalt der sozialen Bindungen kommt auch in den Interviews mehrfach zur Sprache. Da blicken die Männer neidisch auf ihre Frauen, weil sie sämtliche Einladungen der Familie erhalten oder sich verabreden können, wann sie Zeit und Lust dazu haben. Die Tatsache, nicht eingeladen oder nicht angerufen zu werden, signalisiert den Männern, dass sie sich weniger großer Beliebtheit erfreuen als ihre Frauen: Niemand denkt an sie. Niemand verspürt das Bedürfnis, sich mit ihnen zu unterhalten. Da sie an ihren Frauen sehen, wie wichtig diese Art des Austausches für das allgemeine Wohlbefinden sein kann, wird ihnen der Mangel erst recht bewusst – und legt die Grundlage für ihren Neid.

Die andere Gesprächskultur der Frauen führt zu einem weiteren Vorteil: Sie stärkt die sozialen Kompetenzen. Frauen lernen dadurch besser verstehen, wie soziale Beziehungen funktionieren. Durch die Erfahrungen jener Menschen, mit denen sie reden, verschaffen sie sich ein breiteres Hintergrundwissen über zwischenmenschliche Zusammenhänge. Der Wissensfluss, an dem Frauen dadurch teilhaben, beruht auf praktischer Anwendbarkeit und ist damit meist weniger abstrakt als das Wissen der Männer, die ihre Kenntnisse über die Welt häufiger als Frauen aus Büchern und anderen Medien beziehen.

Teil 34: Weiblicher Neid auf Männer
Teil 35: Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?

Neid in Partnerschaften: Literatur

Sexuelle Macht und sexuelle Potenz

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 28: Neid zwischen den Geschlechtern
Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen
Teil 31: Gebärneid – Frauen können Leben geben

Neidisch reagiert der Mann jedoch nicht nur auf die Leben schaffende Kraft der Frau. Auch die sexuelle Macht und die sexuelle Potenz der Frau wecken neidische Gefühle beim anderen Geschlecht. Frauen steuern die Beziehungsanbahnung und treffen die Entscheidung, welchen Partner sie an ihrer Seite sehen möchten. Sosehr sich Männer als Verführer betrachten, sosehr sind es die Frauen, die das Spiel bestimmen. Biologisch ist das auch sinnvoll, da die Sexualität der Fortpflanzung dient und die Frau das Kind austrägt. Frauen sichern sich mit der sexuellen Macht die Kontrolle darüber, welchem Mann sie potenziell die Möglichkeit geben, mit ihnen ein Kind zu zeugen. Die sexuelle Macht leitet sich damit folgerichtig aus den weiblichen Fähigkeiten ab, gebären und stillen zu können.

Da der Mann also relativ wenig Kontrolle rund um die Partnerwahl ausübt, fühlt er sich zurückgesetzt und reagiert neidisch auf diese Macht. Um diese Gefühle auszugleichen, übernimmt der Mann nach der Partnerwahl die Kontrolle: Weil er von der Frau gewählt wird und weil er Angst davor hat, die Frau könnte ihn wieder abwählen, versucht er nun innerhalb der Beziehung die Führung zu übernehmen – und die Frau akzeptiert es meist, denn sie ist auch an einem Ausgleich dem Neider gegenüber interessiert.

Zwar gilt die Ehefrau heute nicht mehr als Besitz des Mannes, die nicht einmal einer Arbeit nachgehen darf, ohne dass der Ehemann zustimmt. Doch noch immer nimmt die Ehefrau bei der Hochzeit mehrheitlich seinen Nachnamen an. Sie bleibt zu Hause, um die Kinder zu versorgen. Sie nimmt die allermeisten Elternzeit-Monate in Anspruch. Sie kocht und erledigt den größten Teil der Hausarbeit. Im Rahmen ihrer neuen Wahlfreiheit beanspruchen manche Frauen die Rolle als Hausfrau und Mutter allerdings auch als Teil eines von ihnen selbstbestimmten Lebens.

Die Macht der Frauen zeigt sich nicht nur in der Partnerwahl, sondern auch in der Sexualität. Weibliche Erregungskurven verlaufen physiologisch anders als männliche. So braucht die Frau im Schnitt länger als der Mann, um das sexuelle Feuer in sich zu entfachen. Der Mann nähert sich schneller dem Orgasmus und muss anschließend in der Regel eine Zwangspause einlegen, bevor die Erregung zurückkehren kann. Die Frau hingegen kann ungebremst von einem Höhepunkt zum anderen fliegen. Diese starke orgiastische Kraft der Frau löst ein ungleich stärkeres Kontrollbedürfnis des neidischen Mannes aus als die sexuelle Macht allein.

Dieses Kontrollbedürfnis drückt sich auf zweierlei Weise aus: Zum einen wird der weibliche Körper zum Projektionsfeld männlicher Phantasien: In bildender Kunst, Literatur, in Film und Fernsehen, in Kirche und Religion – immerzu beschäftigen sich vornehmlich Männer mit dem weiblichen Körper und seiner Wirkung auf Männer. Männer grenzen ein, was moralisch gerechtfertigt und was sündhaft, was erlaubt und was verboten ist. Männer bestimmen, was schön ist und was hässlich. Sie definieren das weibliche Körperideal. Damit entscheiden Männer über den Wert des Körpers einer Frau. Sie gestalten und formen ihn, und sie stellen ihn aus.

Auf indirektem Wege erlangt der neidische Mann so die Kontrolle über die Leidenschaft des weiblichen Körpers zurück. Dabei wird dieser Körper manchmal mythisch überhöht und manchmal als schwach abgewertet. Einmal gilt die Frau als Heilige und ein anderes Mal als Hure, einmal als Männer verschlingendes Monstrum, ein anderes Mal als brave Hausfrau und Mutter ohne jede Sexualität. Es scheint, als könnten (heterosexuelle) Männer zumindest aus kulturhistorischer Sicht kaum einen „normalen“ Bezug zum weiblichen Körper entwickeln.

Zum anderen äußert sich das Kontrollbedürfnis des neidischen Mannes während des sexuellen Aktes selbst: Viel weiblicher Frust in den Betten entsteht durch die mangelnde Bereitschaft des Mannes, sich auf die verschiedenen Erregungskurven einzulassen. Er achtet gemeinhin nicht nur zu sehr auf seine eigene Befriedigung, sondern verweigert der Frau häufig auch jenen Teil der Befriedigung, zu der ihr Körper sie natürlicherweise in die Lage versetzt: mehrfache Orgasmen. Die stärkere sexuelle Potenz bedroht das fragile männliche Selbst so sehr, dass der Mann sie am liebsten ignoriert. Weil der Mann sich biologisch im Nachteil und seinen Selbstwert angegriffen sieht, missgönnt er der Frau ihren Vorteil. Kurzfristig bewältigt er seinen Neid durch das Ausblenden der weiblichen Bedürfnisse. Die langfristigen Folgen allerdings für die sexuelle Lust des Paares bleiben unbedacht.

Teil 33: Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit
Teil 34: Weiblicher Neid auf Männer
Teil 35: Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?

Neid in Partnerschaften: Literatur

Gebärneid – Frauen können Leben geben

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 28: Neid zwischen den Geschlechtern
Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen

Männlicher Neid auf die Frauen existiert aber nicht erst seit den Umbrüchen der 1960er-Jahre. Die Tatsache, dass Frauen Kinder bekommen und sie nähren können, treibt den Mann seit Menschengedenken um: Der neidische Impuls auf die weibliche Fruchtbarkeit drückt sich in einer Verkehrung der Wirklichkeit schon im biblischen Schöpfungsmythos aus. Eva entspringt Adams Rippe, gerade so, als habe der Mann die Fähigkeit, Leben zu erzeugen. Rolf Haubl (2001, S.181) schreibt dazu:

Wenn die Geburt Evas aus Adam die Herrschaft des Mannes über die – durch die Geburtsszene immer auch zum Kind gemachte – Frau rechtfertigen soll, dann mag das die tröstende Entstellung einer ängstigenden Realität gewesen sein: dass die Frau als Gebärende Gewalt über den Mann besitzt, werden doch alle Männer von Frauen geboren.

Das neidische Schielen der Männer auf die Gebärfähigkeit lässt sich als eine Art Rebellion gegen die eigenen biologischen Grenzen verstehen. Für viele Theoretiker der Psychoanalyse (Karin Horney, Erich Fromm, Bruno Bettelheim) ist dieser Neidimpuls das zentrale Motiv für den übergroßen männlichen Schaffensdrang – außerhalb der Kernfamilie.

Der Neid der Männer auf die Frauen sei Triebfeder für männliche Kreativität. Durch ihn erzeuge der Mann seit Jahrtausenden einen Großteil des so genannten wissenschaftlich-technischen Fortschritts. In seiner aggressiv- destruktiven Ausdrucksform inszeniere er Kriege, ergehe sich in Zerstörungslust und Eroberungs- beziehungsweise Unterwerfungsphantasien.

In ihrem Essay Geschlechterneid aus dem Sammelband Neidgesellschaft diskutiert Miriam Lau auch das Human Genome Project unter dem Aspekt des Gebärneids. Wie die Reproduktionsmediziner arbeiten die Genetiker an einem Programm, das nur ein Ziel zu kennen scheint: die Zeugung und Reifung des Kindes bis zur „Geburt“ – und zwar komplett außerhalb des Körpers der Frau. Die Fortschritte sind in der Tat beträchtlich. Befruchtete Eizellen können immer später in den weiblichen Körper verpflanzt werden. Frühchen haben schon ab der 24. Schwangerschaftswoche eine Überlebenschance. Die beiden Prozesse nähern sich allmählich an.

Doch Lau (2001, S. 126) warnt vor voreiligen Schlüssen: Bezogen auf die Entschlüsselung des menschlichen Genoms werden womöglich Diabetiker, Unfruchtbare und Krebskranke vom Gebärneid der Männer profitieren – „wie wir uns überhaupt mit dem Gedanken befreunden sollten, dass der Neid zwischen den Geschlechtern eine hochproduktive Angelegenheit ist, mit der die Menschen ihre konstitutionelle Bisexualität nicht nur einklagen, sondern auch in die Tat umsetzen“.

Aus dieser Sicht setzen die Männer das „Ich will auch“ seit vielen Jahrhunderten mit sehr großer Produktivität in die Tat um. Der Neid der Männer auf die Gebärfähigkeit wirkt sich also gewinnbringend auf die gesamte menschliche Entwicklung aus. Dies manifestiert sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch: Wir gehen mit „einem Gedanken schwanger“. Wir behaupten, eine Problemlösung sei „eine schwere Geburt“. Oder wir fragen uns, wessen „Geistes Kind“ dieser oder jener Mensch eigentlich sei …

Literatur:
Haubl, R.: Neidisch sind immer nur die anderen. Über die Unfähigkeit, zufrieden zu sein, München: Beck 2001
Lau, M.: „Geschlechterneid“, in: Die Neidgesellschaft, Berlin: Rowohlt 2001

Teil 32: Sexuelle Macht und sexuelle Potenz
Teil 33: Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit
Teil 34: Weiblicher Neid auf Männer
Teil 35: Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?

Neid in Partnerschaften: Literatur