Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?

Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen – kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren

Nein, ohne den sozialen Vergeich geht es nicht. Der amerikanische Sozialpsychologe Festinger hat in den 1950er-Jahren eine Theorie des sozialen Vergleichs entwickelt. Diese Theorie basiert auf drei Annahmen:

  • Wir möchten unsere Meinungen und Fähigkeiten bewerten, indem wir uns ein Bild davon machen, ob wir richtig liegen.
  • Wenn uns objektive Vergleichsmaßstäbe fehlen, ziehen wir die Meinungen und Fähigkeiten anderer Personen für die Bewertung heran.
  • Wir vergleichen uns nur mit jenen, deren Abstand zu unseren eigenen Meinungen und Fähigkeiten nicht allzu groß sind.

Da uns in den meisten Bereichen objektive Vergleichsmaßstäbe für eine Bewertung fehlen, ist die Neigung sehr groß, uns mit anderen zu vergleichen. Was wichtig und richtig ist für uns, wie wir dastehen in der Welt und wie selbstbewusst wir sein dürfen, legen wir auf der Grundlage eines Vergleiches fest, bei dem wir entweder gut oder schlecht abschneiden. Gerade Einstellungen zur Welt, zum Leben, zu Besitz, zu sich selbst oder auch Bewertungen von Fähigkeiten und gesellschaftlichen Entwicklungen hängen stark von Vergleichen mit Menschen ab, die für uns bedeutsam sind.

Natürlich werden wir die Informationen, wie wir unsere Bewertungen einzuordnen haben, nicht bei denen holen, die komplett konträre Anschauungen vertreten: Ein Befürworter des Schwangerschaftsabbruchs wird die eigenen ethischen Einschätzungen nicht auf der Basis der Einschätzungen eines strikten Abtreibungsgegners bewerten. Ein Elternpaar wird das emotionale Verhältnis zu den eigenen Kindern intern vergleichen (eine große Quelle für Neid!), aber auch den externen Vergleich suchen – allerdings mit einem Paar, das ebenfalls Kinder hat, nicht mit einem kinderlosen Paar. Das kinderlose Paar wird zum Vergleich erst dann herangezogen, wenn es beispielsweise um die Kostenseite des Kinderkriegens geht.

Neben dem Bedürfnis, unsere Meinungen und Fähigkeiten zu bewerten, lässt sich ein weiterer Grund erkennen, sich sozial zu vergleichen: Unsere soziale Identität beruht auf sozialem Vergleich. Identität entsteht im Kindesalter neben der früh entwickelten Fähigkeit, „ich“ zu sagen, auf der Basis verschiedener Zugehörigkeiten: zu einer Sprachgemeinschaft, zu einer ethnischen Gemeinschaft, zu den Jungen oder den Mädchen, zu einem Fußballverein, zu einer Glaubensgemeinschaft. Gefühle der Zugehörigkeit und damit der Identität entwickeln sich durch einfache Feststellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, die auf Vergleichen beruhen. Bin ich so wie dieser oder wie jener? Ich habe etwas, das der andere nicht hat! Ich sehe etwas an mir, das ich bei anderen nicht sehe! Mir fehlt etwas, das ich bei anderen sehe! Wenn der eine redet, verstehe ich, wenn der andere redet, verstehe ich nicht.

Durch das dauernde Erkennen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten, durch das immerwährende Vergleichen, wachsen Kinder in die Gemeinschaften hinein, zu denen sie sich zugehörig fühlen. Auf diese Weise stiften die Vergleiche Identität. Manche ihrer Anteile bleiben starr (die Gemeinschaft der Muttersprachler, die ethnische Zugehörigkeit, bis auf wenige Ausnahmen: das Geschlecht), manche Anteile können sich verändern (der Fußballverein, die Mode, der Glauben). Da es auch konkurrierende Gemeinschaften gibt und Vergleiche, die uneindeutig ausgehen, verläuft die Identitätsbildung selten reibungsfrei und komplikationslos.

Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren

Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen – kulturelle und psychologische Grundlagen

Diesen Gedanken auf eine Paarbeziehung anzuwenden, eröffnet interessante Einsichten. Das erklärt, warum sich vermeintliche Bewahrer (Hochzeit: Ja! Hausfrau: Ja!) und vermeintliche Veränderer (Hochzeit: Nein! Hausfrau: Nein!), wenn sie sich in einer Beziehung finden, so leicht gegenseitig blockieren können: Sie sind oft neidisch aufeinander, wissen es aber nicht, weil ihnen verschlossen bleibt, dass sie dem anderen jeweils das Bewahren oder das Verändern neiden.

Es erklärt aber auch, wie sich bei den Interviews im 4. Kapitel zeigen wird, weshalb genau jene Partnerschaften gut funktionieren, in denen beide sowohl bewahren als auch verändern. Zwar sind die Betroffenen hin und wieder von negativen Gefühlen erfüllt. Solange sich jedoch das Gleichgewicht zwischen ihnen wieder einstellt, bedroht der Neid die Beziehung nicht. Um allerdings einer Blockade zu entrinnen, ist entscheidend, dass sich das Verändern und Bewahren auf verschiedene Aspekte des gemeinsamen Lebens richtet. Um das bereits gewählte Beispiel zu variieren: Bewahrer (Hochzeit: Ja! Hausfrau: Ist mir egal!), Veränderer (Hochzeit: Ist mir egal! Hausfrau: Nein!).

Obwohl also dem Neid wichtige Funktionen zukommen, bleibt dennoch die Frage: Welchen Wert in unserem individuellen, emotionalen Spektrum hat ein Gefühl, dem niemand so richtig eine positive Seite abgewinnen kann oder will? Warum verschwindet der Neid nicht aus der menschlichen Kulturgeschichte? Warum bleibt er stattdessen, trotz seines schlechten Images, so weit verbreitet? Warum ist er jedem von uns so vertraut? Warum ist er nicht tot zu kriegen?

Für den Soziologen Schoeck handelt es sich beim Neid um eine „Kernfrage der sozialen Existenz, die vorgegeben ist, sobald sich zwei höhere Lebewesen miteinander vergleichen können“. Damit erkennt er im Neid eine Art Urinstinkt des höheren Lebewesens, der sich durch gesellschaftliche Ausgleichsmaßnahmen allenfalls eindämmen, aber niemals beseitigen lässt. Da es dem Neider prinzipiell gleichgültig ist, ob das begehrte Gut in großen Mengen zur Verfügung steht oder ob es rar ist, kann auch die fein justierte Gleichverteilung aller Güter an alle den Neid nicht abschaffen. Im Zweifelsfall fühlt sich der Beneidete mit dem Gut immer noch wohler als der Neider – selbst wenn dieser das Gut besäße. Und selbst wenn der Beneidete dem Neider das Gut überließe, wäre der Neider immer noch neidisch: nämlich auf die Großzügigkeit des Beneideten, der so einfach auf das Gut verzichten kann, das er selbst so heiß begehrt.

Den Neid aus der menschlichen Gemeinschaft zu verbannen, funktioniert also schon deswegen nicht, weil sich die Keimzelle des Neids, sein Ursprung nicht beseitigen lässt: der soziale Vergleich. Käme es nicht zu sozialen Vergleichen, so gäbe es keinen Neid zwischen den Menschen. Doch können wir ohne soziale Vergleiche leben?

Literatur: Schoeck, H.: Der Neid. Die Urgeschichte des Bo?sen, Mu?nchen/Wien: Herbig 1980

Teil 16: Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid in sozialen Beziehungen: Kulturelle und psychologische Grundlagen

Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht

Bisher habe ich eher über das breite Spektrum negativer Eigenschaften beschrieben, die mit Neid assoziiert sind. Damit habe ich zu begründen versucht, warum es durchaus verständlich ist, wenn wir nicht über den Neid auf den geliebten Menschen an unserer Seite sprechen möchten:

  • Wir schämen uns.
  • Wir sehen unsere Beziehung bedroht.
  • Wir fürchten die Verachtung des Partners.
  • Wir sind unzufrieden mit uns selbst.
  • Wir tappen im Dunkeln über den Ursprung unserer unangenehmen Gefühle dem Partner gegenüber.

Der hoffnungsvolle, stimulierende Aspekt, der auch im Neid steckt, wird leicht zugeschüttet von all den unangenehmen Regungen, die mit diesem Gefühl verbunden sind. Wir nehmen den Neid persönlich in dem Sinne, dass wir uns befleckt davon sehen. Das Gefühl schnürt uns die Kehle zu. Es lässt uns in unseren Augen minderwertig erscheinen. In einem solchen Gemütszustand ist es dann weder möglich, die stimulierende Seite zu entdecken, noch überhaupt auf unseren Partner zuzugehen und etwa zu sagen: „Ich fühle mich ausgebeutet wie der letzte Galeerensklave. In mir brodelt es. Ich koche vor Wut, seitdem ich weiß, dass du diesen Spitzenjob bekommen hast und ich hier leer ausgehe und das Kind hüte. Ich würde mich gern freuen für dich, aber es gelingt mir einfach nicht…“

Da wir uns durch den Neid beschmutzt fühlen, bleibt uns der direkte Weg verwehrt, und wir beginnen, andere Ventile zu öffnen. Weil wir nicht an den Pranger gestellt werden wollen dafür, dass wir unserer Freude nicht hinreichend Ausdruck verleihen, oder dafür, unseren Partner nicht genügend zu unterstützen auf seinem „schweren Weg“, suchen wir Lösungen, die uns zwar kurzfristig entlasten, aber langfristig den Neid aufrechterhalten: Wir essen zu viel oder zu wenig. Wir sind schlecht gelaunt, verweigern uns dem Liebesspiel, fangen an, den Partner zu kritisieren, seine langen Arbeitszeiten und all die Umstände, die mit dem neuen Job einhergehen.

Wir spüren den Neid, aber wir behalten ihn in der Regel für uns. Es ist schon schlimm genug, das Gefühl zu erleben, da möchten wir uns nicht noch die Blöße geben, uns auszuliefern. Wir sind mit der Ablehnung von Neid sozialisiert worden. Wir wissen um die Kritik der Eltern, wenn wir als Kinder „Futterneid“ entwickelten aus der Befürchtung, nicht genug zu bekommen. Schon in diesem Moment wird uns der Neid nicht erlaubt, weil sich die Eltern mit Bewertungen von Recht und Unrecht einschalten.

Doch nicht nur in unserer Kultur erfährt der Neider solch negative Reaktionen. Mit wenigen Ausnahmen wie dem alten Griechenland und manchen Entwicklungsländern steht der Neider rund um den Globus am Pranger, wie Helmut Schoeck in seinem Buch „Der Neid. Die Urgeschichte des Bösen“ zusammenfasst. Zwar brauche es laut Schoeck ein Minimum an Neid, um die Gesellschaft in Gang zu halten und wesentliche gesellschaftliche Vorgänge leisten zu können. Den Überschuss aber müsse das soziale System „verdauen“, denn er bedeute für eine Gesellschaft mehr Schaden als Nutzen.

Schoeck nennt eine Reihe von gesellschaftlichen Funktionen des neidischen Menschen. Zum einen nehmen sie eine Art inoffizielle Wächterfunktion für das Eigentum wahr: Sie missgönnen Räubern, Dieben und Hochstaplern ihre Beute und liefern sie den Behörden aus. Anonyme Anzeigen beim Finanzamt können also genauso neidmotiviert sein wie das öffentliche Brandmarken von Minister- oder Bankpräsidenten, wenn sie zu einem Segeltörn oder in ein Luxushotel eingeladen werden.

Darüber hinaus spielt Neid sowohl bei bewahrenden, hemmenden Anstrengungen als auch bei innovativen Unternehmungen eine Rolle: Wer im Namen der Tradition gegen die Neuerung eifert, weil er den individuellen Erfolg des Neuerers nicht ertragen kann, oder wer im Namen des Umsturzes aller Tradition gegen ihre Träger und Repräsentanten stürmt, ist oft von demselben Grundmotiv erfüllt. Beide ärgert, dass andere etwas haben, können, wissen, glauben, wertschätzen, besitzen, das sie selbst nicht haben, sich nicht vorstellen können.

Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Literatur: Schoeck, H.: Der Neid. Die Urgeschichte des Bo?sen, Mu?nchen/Wien: Herbig 1980

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Produktiver Umgang mit Neid erwünscht

Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen

Wenn ein Beziehungskonzept es erlaubt, den Neid zuzulassen, setzt es neue Kräfte frei. Das Paar kommt sich näher. Es kann so den Neid in die Partnerschaft integrieren und nach Alternativen suchen, die ihn langfristig eindämmen, ausdünnen, weniger notwendig machen können. Das verlangt vom Paar, die Unterschiede untereinander zu bejahen und doch die Ähnlichkeit anzuerkennen: Der andere ist mir ähnlich, ist mir nah, berührt mich. Nur deswegen ist es mir überhaupt möglich, mich mit ihm zu vergleichen.

Um eine Sprache für das tabuisierte Gefühl zu finden, bedarf es in der Liebesbeziehung zweier mutiger Menschen, die wissen, dass sie ihren eigenen Weg gehen (können), ohne damit den Zusammenhalt der Partnerschaft zu gefährden. Aus der Akzeptanz, den anderen hin und wieder um seinen Weg zu beneiden, entsteht eine stabilere Grundlage, den anderen eigene Wege gehen zu lassen, und selbst Dinge auszuprobieren oder Wege zu gehen, denen ohne den anspornenden Neid vielleicht die Motivation fehlt.

Wenn wir über Neid sprechen, dann steht sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum meist die feindselige, die missgünstige Seite im Mittelpunkt. Die anspornende, stimulierende, die dynamische Seite des Neids kommt eher selten zur Sprache. Die nächsten Kapitel dieses Buches helfen dabei, Worte und Wege zu finden, die unangenehme Seite des Neids nicht länger aus der Beziehungswirklichkeit auszublenden und die stimulierende Seite für sich und die Beziehung zu nutzen.

Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen – kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dassselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Neben seinen schon oft genannten negativen Seiten erschwert eine weitere Hürde den produktiven Umgang mit dem Neid: Nicht alle Güter oder Talente, die wir begehren und um die wir einen anderen beneiden, sind auch erreichbar. Ein Mann, der eine Frau um die Fähigkeit beneidet, ihr gemeinsames Kind zu stillen, wird vergeblich hoffen, dass ihm das auch irgendwann möglich ist. Umgekehrt kann eine Frau ohne Geschwister nicht damit rechnen, dass sich ihre Situation ändert, wenn sie auf die Brüder und Schwestern, die ihr Freund hat, neidisch ist.

Es gibt also zum einen Situationen, in denen sich der Neid auf Dinge richtet, die sich individuell beeinflussen lassen, wie zum Beispiel beim Neid auf den vertrauten Umgang mit den Kindern oder dem Neid auf das berufliche Fortkommen. Und es gibt zum anderen Situationen, in denen keinerlei Handlungsoptionen bestehen, das Ersehnte in irgendeiner Weise zu erlangen, wie die oben genannten.

Wenn wir nun des anderen Glück, Talente, Erfolge nicht oder nur widerwillig anerkennen und uns nicht miteinander darüber freuen können, erzeugt dies auf Dauer einen gravierenden Konflikt. Schließlich unterstellt der Neider dem Beneideten, dieser tue sich auf Kosten des anderen hervor. Derjenige nämlich, der zu kurz kommt, denkt häufig magisch kausal: Was den anderen aufwertet, wertet mich ab, denn es vergrößert den Abstand zwischen uns. Der Beneidete profiliert sich also in den Augen des Neiders, ohne dass der Beneidete mehr dazu tut, als das vom Neider Ersehnte zu besitzen.

Wie sich Neid und Konkurrenz auf die Paarbeziehung und die Zufriedenheit des Paares auswirken, hängt von den Antworten auf die folgenden Fragen ab:

  • Beruht Neid eventuell auf Gegenseitigkeit?
  • Kann das Paar darüber ins Gespräch kommen?
  • Kann das Paar den Konflikt über längere Zeit tragen, ohne sich zu weit voneinander zu entfernen?
  • Bringt das Paar die Geduld auf, einen Ausweg zu suchen und zu finden?
  • Kann der Beneidete verhindern, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln?
  • Kann der Neider verhindern, dem Partner feindselige Gefühle entgegen zu bringen?

Das Eingeständnis, den Partner zu beneiden, stellt einen ersten Schritt dar. Die daran anschließenden Gespräche, über das Wieso und Warum und das Wohin bedürfen einer offenen Atmosphäre. Der Neider darf nicht das Gefühl entwickeln, seine bloßgelegten Gefühle nun dauerhaft aufs Butterbrot gestrichen zu bekommen. Die aus Neid und Konkurrenz resultierenden Gegensätze können nur durch wechselseitige Versöhnungsleistungen ausgeglichen werden, bei denen keiner das Gefühl haben sollte, zugunsten des anderen zu verlieren.

Der Heidelberger Familientherapeut Helm Stierlin schreibt in seinem Buch „Das Tun des einen ist das Tun des anderen“, den einleitenden Satz:

„Jede anhaltende menschliche Beziehung verlangt von uns zweierlei: wir müssen uns einmal dem Partner öffnen, uns auf ihn einstellen, seine Bedürfnisse befriedigen und seine Weltsicht anerkennen; zum anderen müssen wir unsere Autonomie und Individualität bewahren und ihm gegenüber unseren Standpunkt und unsere Bedürfnisse vertreten. Diese Beziehung verlangt, mit anderen Worten, eine psychische Abgrenzungs- und Versöhnungsarbeit, die wiederum ein starkes Ich, in dem von Freud beschriebenen Sinne, voraussetzt.“

Wenn ein Beziehungskonzept es erlaubt, den Neid zuzulassen, setzt es neue Kräfte frei. Das Paar kommt sich näher. Es kann so den Neid in die Partnerschaft integrieren und nach Alternativen suchen, die ihn langfristig eindämmen, ausdünnen, weniger notwendig machen können. Das verlangt vom Paar, die Unterschiede untereinander zu bejahen und doch die Ähnlichkeit anzuerkennen: Der andere ist mir ähnlich, ist mir nah, berührt mich. Nur deswegen ist es mir überhaupt möglich, mich mit ihm zu vergleichen.

Um eine Sprache für das tabuisierte Gefühl zu finden, bedarf es in der Liebesbeziehung zweier mutiger Menschen, die wissen, dass sie ihren eigenen Weg gehen (können), ohne damit den Zusammenhalt der Partnerschaft zu gefährden. Aus der Akzeptanz, den anderen hin und wieder um seinen Weg zu beneiden, entsteht eine stabilere Grundlage, den anderen eigene Wege gehen zu lassen, und selbst Dinge auszuprobieren oder Wege zu gehen, denen ohne den anspornenden Neid vielleicht die Motivation fehlt.

Wenn wir über Neid sprechen, dann steht sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum meist die feindselige, die missgünstige Seite im Mittelpunkt. Die anspornende, stimulierende, die dynamische Seite des Neids kommt eher selten zur Sprache. Die nächsten Kapitel dieses Buches helfen dabei, Worte und Wege zu finden, die unangenehme Seite des Neids nicht länger aus der Beziehungswirklichkeit auszublenden und die stimulierende Seite für sich und die Beziehung zu nutzen.

Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht

Literatur: Stierlin, H.: Das Tun des Einen ist das Tun des Anderen. Eine Dynamik menschlicher Beziehungen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dassselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider

Die bisherige Schilderung deutet an, wie vielschichtig sich Neid in Liebesbeziehungen darstellt. Die damit verbundenen Gefühle sind weit komplexer, als die alles überlagernde unangenehme Regung vermuten lässt – eine Melange aus unerfüllten Wünschen, beeinträchtigtem Selbstwerterleben und einem Anteil Hoffnung auf eigenes Wachstum.

Doch der Anteil Hoffnung wird von weiteren unangenehmen Aspekten gedeckelt: Das neidische Gefühl widerspricht unserer Liebesvorstellung. Diese sieht uns eher mit dem Partner verschmelzen, als um Ressourcen, Entwicklung und Chancen zu konkurrieren. Wie können wir gegenüber dem Menschen feindselig sein, den wir lieben? Stellt der Neid nicht auch unsere Liebesgefühle in Frage? Zu alledem fehlen uns häufig die Worte. Am Ende erleben wir uns ziemlich allein gelassen mit unseren neidischen Gefühlen: Wir trauen uns nicht, dem Partner unsere Gefühle zu offenbaren. Wir erwarten Ablehnung, wo wir eigentlich Annahme erfahren sollten.

Aber: So verrückt es klingt, der Neid bietet dennoch Chancen. Zunächst gibt er uns die Möglichkeit, uns selbst besser zu verstehen. Versetzen wir uns in die Lage, das Signal der Zurücksetzung zu begreifen und alternative Wege zu finden, auf denen wir uns entwickeln können, so wird auch unsere Zufriedenheit wachsen. Da jeder von uns garantiert Vorzüge hat, auf die wir stolz sein können, sollten wir lernen, diese zu betonen, statt uns an unseren Schwächen und Benachteiligungen zu weiden.

Der Neid weist uns auch auf unsere Abhängigkeit vom Partner hin. Wollen wir dem Neid in unserem Leben weniger Raum geben, so müssen wir Wege aus dieser Abhängigkeit suchen. Nicht der Partner soll dann mehr der alleinige Maßstab sein, an dem wir uns, gebunden durch den Neid, orientieren. Stattdessen sollten wir beginnen, eigene Maßstäbe festzulegen, und uns an ihnen zu messen.

Einer Interviewpartnerin verdanke ich die Erkenntnis, dass der Neid auch dazu führen kann, die alles entscheidende Frage neu zu stellen: „Will ich tatsächlich besitzen, was ich so sehr begehre? Bin ich bereit, diesen oder jenen Preis dafür zu zahlen? Bin ich überhaupt diejenige, die mit dem Begehrten ausgestattet dann tatsächlich glücklich wird?“ Wenn es zu solchen Fragen kommt, hat der Neid bereits wertvolle Dienste geleistet.

Ob wir allerdings im jeweiligen Moment immer die notwendige Energie zur Veränderung der Perspektive haben, bleibt zunächst ungeklärt. Im „Ich will auch“ des Neids steckt allenfalls die Sehnsucht nach einer besseren Situation. Die Energie, die wir brauchen, uns weiter zu entwickeln, speist sich hingegen aus anderen Quellen: aus der eigenen Geschichte, Selbstvertrauen, Einschätzungen der Chancen, das Begehrte oder eine Alternative am Ende tatsächlich zu erreichen.

Darüber hinaus beeinflussen weitere Faktoren den Gang der Dinge: von der eigenen Tagesform bis hin zu den äußeren Rahmenbedingungen. Wenn beispielsweise die Verdienstmöglichkeiten eines Paares weit auseinander klaffen, verliert bei der Geburt eines Kindes zunächst derjenige seinen Job, der weniger Geld nach Hause bringt. Meist sind es dann die Frauen, die in die Abwärtsspirale geraten: aus dem Job, aus der Übung, aus dem Geschäft. Neid signalisiert irgendwann, dass es so nicht bleiben kann.

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid trägt viele Kleider

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dassselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge

Beschönigungen, Ausflüchte oder Versuche, den Beneideten abzuwerten, sollen es möglich machen, ein Ungleichgewicht in der Partnerschaft wiederherzustellen. Dies sind aber keineswegs die einzigen Ausgleichsmaßnahmen: Vermeintlich klar zuzuordnende Gefühle wie Wut, Ärger und Groll, aber auch Bewunderung oder selbstloses Handeln können Ausdrucksformen sein, in denen verkleidet der Neid in einer Beziehung rumort. Die Verbindung zum Neid muss dabei nicht sofort auf der Hand liegen. Wie im letzten Abschnitt beschrieben, ist unser psychisches System bemüht, den eigenen Selbstwert aufrechtzuerhalten. Abwehrmechanismen verschleiern den Neid und die deswegen empfundene Scham über das eigene Versagen. Abgespalten davon treten stattdessen Wut, Groll oder andere Ausdrücke unzufriedener Gemütszustände auf. Der Zusammenhang mit dem Neid ist nicht bewusst.

So kann auch eine helfende Hand eine Reaktion auf neidische Gefühle sein. Damit stärken wir nämlich die Selbstgewissheit, im Grunde unseres Herzens ein guter Mensch zu sein, der es nicht verdient hat, vom Leben benachteiligt zu werden. Nachdem zum Beispiel bei einem Paar sie eine Lohnerhöhung bekommen hat, er aber nicht, reagiert er ungewohnt: Plötzlich räumt er den Tisch ab, schafft die Mülltüten vor die Tür und bietet an, die Kinder einmal häufiger aus dem Kindergarten abzuholen – obwohl er vor zwei Tagen behauptet hat, absolut keine Zeit zu haben. Gegen die empfundene Zurücksetzung erhöht er auf diese Weise seinen Selbstwert – und schneidet im Vergleich nicht mehr so schlecht ab wie zuvor. Gleichzeitig vertritt er seine frische Selbstlosigkeit offensiv, betont immer wieder, wie anstrengend es sei, alles zu koordinieren – und versucht ihr ein schlechtes Gewissen zu machen.

Häufiger kommt es allerdings wohl zu wütenden oder feindseligen Ausbrüchen, die den Neid verbergen helfen. Kritisieren, Abwerten, Bagatellisieren oder das plötzliche Aufwärmen längst vergangener Ungereimtheiten sind Indizien für ein starkes Ungleichgewicht, für ein Gefühl der Unterlegenheit des einen Partners gegenüber dem anderen. Solange wir nämlich dem Geliebten immer ein „Ja, aber…“ entgegensetzen können, lässt sich auch der Neid im Zaum halten:

  • „Schön, dass du beruflich vorankommst, aber deine Hemdenwahl ist trotzdem gewöhnungsbedürftig.“
  • „Schön für dich, dass die Kinder dich endlich auch einmal ins Vertrauen ziehen, aber ich habe nächtelang an ihrem Bett gesessen, als sie krank waren.“
  • „Klar kannst du morgens ausschlafen, aber für die erste Million musst du schon früher aufstehen.“

Ressentiment und Antipathie versuchen, den scheinbar Überlegenen zu erniedrigen, zu entwerten und schließlich zu unterwerfen. Hier zeigt sich auch, wie stark die leidenschaftliche Seite des Neids ist: je intensiver das Gefühl, desto aggressiver die freigesetzten Reaktionen. Der Neider kann dann durchaus zu einer tatsächlichen, körperlichen Bedrohung für den Beneideten werden. Wir erlauben unserem Partner in einem solchen Moment nicht, uns „über den Kopf zu wachsen“. Wir bestrafen den Beneideten mit schlechter Stimmung, mit verbaler Herabsetzung, mit dem Versuch, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Wir reagieren auf der Basis von Anklagen und Anfeindungen, die in der Regel mit dem eigentlichen Anlass unserer Gefühle nichts mehr zu tun haben. Wir agieren den Neid verkleidet und auf einem Nebenschauplatz aus.

Aus den genannten Gründen lässt sich über all das im Zusammenhang mit Neid nicht sprechen. Wir wissen ja gar nichts von einem Nebenschauplatz. Um also darüber ins Gespräch zu kommen, müssen wir zuallererst beginnen, die Ursachen der Wut, des Grolls oder der anderen Gefühle zu erkunden. Diese Selbsterforschung eröffnet einen eventuell mühseligen Auseinandersetzungsprozess. Er wird früher oder später Antworten zutage fördern, warum das Beziehungsklima so gespannt ist. Manchmal braucht ein Paar in einer solchen Situation auch die Hilfe Dritter. Eine Perspektive außerhalb der Paardynamik hilft meist, das Geschehen besser zu verstehen.

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund

Das Märchen „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ der Gebrüder Grimm stellt die missgünstige Seite des Neids deutlich heraus: Es zeigt exemplarisch, welche Wege unversöhnlicher Neid geht. Es schildert zudem, wie ein Mensch, der ein begehrtes Gut nicht (mehr) erlangen kann, alles daran setzt, dass auch der beneidete Mensch nicht davon profitiert. Schließlich lehrt das Märchen, dass der Neid auf den Neidischen selbst zurückfällt: Die eitle Frau des Königs, Schneewittchens Stiefmutter, befragt den Spiegel, wer im Land die Schönste sei. Immer wieder erhält sie die Antwort, sie sei die Schönste dort. Allerdings sei Schneewittchen noch tausendmal schöner als sie.

Nach dem ersten Mal lässt die Stiefmutter das Mädchen im Wald aussetzen. Die Zwerge nehmen Schneewittchen auf. Nach dem zweiten Mal versucht die Königin, Schneewittchen mit einem Schnürriemen zu erdrosseln. Die Zwerge retten ihr das Leben. Nach dem dritten Mal soll ein vergifteter Kamm das Mädchen töten. Die Zwerge retten Schneewittchen erneut. Erst der vierte Versuch, Schneewittchen nach dem Leben zu trachten, gelingt: Die Königin überzeugt Schneewittchen, die vergiftete Hälfte eines Apfels zu essen. Danach gibt der Spiegel erstmals die erwünschte Auskunft, allein die Königin sei die Schönste im ganzen Land. „Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.

Aber genau diese Ruhe im Herzen währt nicht lange. Ein Prinz kommt am Haus der Zwerge vorbei und verliebt sich in das dort aufgebahrte Mädchen. Er überredet die Zwerge, ihm den leblosen Ko?rper zu überlassen. Als seine Diener mit dem Sarg stolpern, löst sich der Apfel, der nur im Hals stecken geblieben ist. Schneewittchen erwacht und verliebt sich ebenfalls. Das Paar verkündet, alsbald zu heiraten. Während der Vorbereitungen zu der Hochzeit, zu der auch sie eine Einladung bekommen hat, hört die Königin erneut vom Spiegel, Schneewittchen sei noch tausendmal schöner als sie. Voller Wut macht sie sich auf den Weg zum Fest. Dort stehen schon die eisernen Pantoffeln für sie bereit, in denen sie zur Strafe so lange über glühenden Kohlen tanzen muss, bis sie tot zusammenbricht.

Gebrüder Grimm – Schneewittchen

Mehr Wissenswertes zu Schneewittchen aus dem PM Magazin

Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen: Kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Sozialer Vergleich – Wurzel allen Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid: Beschädigter Selbstwert als Hintergrund

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion

Nicht nur gesellschaftliche Wertvorstellungen sind für das negative Bild des Neids verantwortlich. Auch der Neider selbst sieht sich kaum in einem guten Licht. Sein Neid weist den Betroffenen nämlich auf einen Mangel hin: Er signalisiert vermeintliche oder tatsächliche Unterlegenheit, eine verpasste Chance oder ungelebtes Leben. Er zeigt das Versagen an, etwas nicht erreicht zu haben, was ein anderer bereits hat – sei es ein Talent, eine Fähigkeit, ein geldwertes Ziel. Dieses Versagen geht mit Scham einher. Wir schämen uns dafür, so klein und minderwertig zu sein.

Allerdings wäre es schmerzhaft, dieses Schamgefühl zu ertragen und uns den Mangel bewusst zu machen. Um den Schmerz zu vermeiden, greifen in einem solchen Moment psychische Mechanismen, die einen Ausgleich herbeiführen sollen: Wir machen den Beneideten schlecht. Wir legen ausführlich dar, wie ungerechtfertigt und vor allem wie unverdient der Erfolg des Beneideten ist. Wir rechnen den Erfolg klein. Wir betonen die Mängel des anderen und rechnen sie gegen dessen Erfolg auf. Wir führen den lückenlosen Beweis, der Beneidete habe das begehrte Gut nur aufgrund äußerer Bedingungen erlangt. Im Zweifelsfall hat der Beneidete eben einfach Glück gehabt – was indes wiederum ein Anlass sein könnte, neidisch zu sein…

In der Liebesbeziehung piesacken uns die Vorzüge oder Vorteile, über die der andere verfügt, wenn die anfängliche Bewunderung für die reizenden Merkmale des Geliebten umschlägt. Wenn in uns der Eindruck entsteht, der andere habe dadurch mehr vom Leben als wir selbst, reagieren wir feindselig. Solange wir von den Talenten, dem Verhalten, dem Besitz und dem Erfolg, den Persönlichkeitsmerkmalen des geliebten Partners profitieren, sonnen wir uns gern in seinem Glanz. Manchmal säen wir gleichwohl unser Saatgut auf demselben Acker. Flugs kann es dann passieren, dass wir verstärkt darauf achten, wie gut unser eigenes Saatgut gedeiht – und dabei heimlich hoffen, die Saat des anderen möge verkümmern.

Die im Märchen beschriebene Variante des Neids, die Missgunst, lo?st erst recht schamhafte Abwehrreflexe aus. Fällt es uns schon schwer einzugestehen, unseren Partner zu beneiden, so ist es komplett unmo?glich einzuräumen, ihm das Begehrte am liebsten gleich entreißen zu wollen, damit er es nicht mehr genießen kann. Zu Recht wu?rde nämlich daraus eine massive Sto?rung des partnerschaftlichen Gleichgewichtes resultieren.

Und doch verhalten wir uns manchmal so. Etwa dann, wenn einer den Ruf und die gesellschaftliche Anerkennung des anderen hintertreibt: der Mann Dozent an einer Hochschule, die Frau Kindergärtnerin. Beide ziehen zusammen ein Kind groß und wechseln sich ab in der Erziehung. Es läuft nicht rund zwischen den beiden, weil sie sich in der Öffentlichkeit sehr unterschiedlich verhalten. Er kennt viele Menschen, ist viel unterwegs, wird eingeladen und gilt als guter Unterhalter. Er geht auch deswegen gern aus. Sie verkörpert das Gegenteil: Schüchtern und zurückhaltend, wie sie ist, fällt es ihr schwer in fremder Umgebung ins Gespräch zu kommen. Deswegen bleibt sie lieber zu Hause und hätte gern, dass ihr Mann es ihr gleichtut.

Da er das nicht immer ermöglichen kann, sondern auch Abendtermine, Sitzungen und auch mal einen Empfang wahr- nehmen muss, beginnt sie, sein öffentliches Ansehen zu schwächen. Zunächst leitet sie ihm Informationen nicht weiter, die sie telefonisch aufnimmt. Dann ist sie unpünktlich, wenn sie mit ihm zur Übergabe des Kindes verabredet ist. Schließlich treibt sie es so weit, dass sie verschwindet, wenn sie das Kind betreuen soll. Damit macht sie es ihm unmo?glich, seine Termine wahrzunehmen. Er gilt plötzlich als unzuverla?ssig, ja als unhöflich und überfordert. All seine Versuche, sich zu erklären, schlagen fehl. Denn er vermittelt immer den Eindruck, er wolle die Verantwortung auf seine Frau abwälzen.

Sie beruft sich auf Missverständnisse und anders lautende Absprachen. Sie wirft ihm seinerseits vor, seine Termine nicht zu halten, ständig unterwegs zu sein und sich nicht um sie zu kümmern. Nach außen sehen ihre Handlungen nicht nach einer mutwilligen Inszenierung aus. Im Effekt wirken sie aber so, denn den Schaden muss ihr Mann tragen. Selbst ihr Ehemann wird sich zunehmend unsicher, ob er nicht doch den Überblick verliert. Dem Paar ge- lingt es nicht, die Differenzen zu klären und zu einer Lösung zu finden, die das weitere Zusammenleben ermöglicht. Die Wahrnehmungsunterschiede sind nicht zu überbrücken: Sie habe sich nichts vorzuwerfen. Sie reagiert sehr wütend, als er nachfragt, ob sie in irgendeiner Weise neidisch auf sein Leben sei. Wie er denn auf die Idee käme und was er sich überhaupt einbilde. Eine Trennung lässt sich nicht mehr vermeiden.

Die Absicht hinter dem missgünstigen Verhalten müssen wir in der Regel vor uns selbst verbergen. Deswegen streiten wir ab, vorsätzlich so gehandelt zu haben. Zur Rede gestellt, weichen wir aus: „Das wollte ich nicht. Das ist mir so nicht klar gewesen. Das habe ich nicht so gemeint.“ Im Wissen um die Schwächen des Partners, seine wunden Punkte oder einfach nur seinen Tagesablauf verfügen wir über eine gewisse Macht. Diese setzen wir ein, wenn wir eine vermeintliche oder eine tatsächliche Verletzung korrigieren wollen: Ohne uns dessen immer bewusst zu sein, stabilisieren wir bei Gelegenheit den eigenen beschädigten Selbstwert, indem wir den Selbstwert des Partners zu beschädigen trachten.

Wie die Ehefrau im erwähnten Beispiel ertragen wir die Zurücksetzung nicht, gehen in die Offensive – und drehen den Spieß um. Wir setzen den Beneideten zurück – durch Schweigen, Vorwürfe, Kritteleien, durch gezielte Ablenkungsmanöver oder aktive Beschädigung.

Doch wie sollen wir dafür Worte finden, wenn wir uns so sehr schämen? Woher soll die Sprache kommen, die wir brauchen, um unsere Gefühle mitzuteilen? Wie sollen wir darüber reden, wenn wir – wiederum aus Scham – vor uns selbst verbergen (müssen), wie missgünstig wir handeln? Angesichts von Mangel, Zurücksetzung, Versagen und Scham, den Weg der Offenheit zu gehen, scheint eine schwer zu bewältigende Herausforderung.

Die wichtigste Voraussetzung, um zu neuer Offenheit miteinander zu finden, ist eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen den Partnern. Ohne Vertrauen werden wir uns nicht aus der Deckung wagen und unser Innenleben preisgeben. Keiner darf das Gefühl haben, sich mit den eventuell bloßgelegten Schwächen auszuliefern. Neben einem fruchtbaren Gesprächsklima in einer geschützten Umgebung brauchen wir für einen solchen Weg vor allem Zeit und Ruhe: einen Spaziergang im Wald, im Park, an einem See. Die Ortswahl ist am Ende nur abhängig von dem einen Ziel: Ins Gespräch zu kommen.

Zur guten Atmosphäre gehört auch, dass keine Termine nachdrängen und uns beschränken. Auch die Kinder sollten uns nicht unterbrechen und unsere Aufmerksamkeit beanspruchen. Damit erst schaffen wir den Raum, den wir angesichts des Konflikts brauchen. Nur so gelingt es uns langfristig, die einzelnen Schichten des Konflikts abzutragen und zu neuer Nähe zu finden. Nur so lassen sich Achtung und Respekt voreinander wiederherstellen.

Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft

Die Frage, ob es erlaubt ist, neidisch zu sein, und wie wir mit den Gefühlen angemessen umgehen, hat eine lange kulturhistorische Tradition. Schon in den antiken Tragödien von Aischylos, Euripides oder Pindar spielt der Neid eine wichtige Rolle. So erzählt Aischylos in seinem Drama Agamemnon von der Heimkehr des Troja-Eroberers und seiner Furcht, durch seine exponierte Stellung den Neid der Irdischen auf sich zu ziehen. Diese empfinden im Anblick seines Triumphes doppeltes Unglück: Einerseits müssen sie damit fertig werden, nicht so erfolgreich zu sein, andererseits haben sie mit anzusehen, wie der Erfolgreiche gefeiert wird.

Die Götter betrachten Agamemnons Bedenken, den Sieg auszukosten, mit Wohlwollen. Sie selbst nämlich reagieren dann neidisch, wenn die Menschen in anmaßender Selbstgefälligkeit Grenzen übertreten, die sie ihnen zuvor auferlegt haben. Missachtet der Mensch die ihm eigene Schwäche und maßt sich an, den Göttern gleichen zu wollen, reagieren sie mit „Abstandsneid“, wie der Psychologe Rolf Haubl diese Form des Neids nennt. Wer selbstgerecht handelt, um einen unangemessenen Vorteil daraus zu ziehen, wird dafür bestraft, um die göttliche Ordnung nicht zu gefährden.

Wie offen die griechische Demokratie dem Neid einen Platz einräumt, belegt auch die Volksversammlung: Sie beschäftigt sich einmal jährlich mit der Frage, ob ein Scherbengericht stattfinden solle. Dadurch kann ein Bürger, dessen Macht und Einfluss dem Wahlvolk zu groß zu werden schien, aus der Stadt verbannt werden. Entscheiden sich die Athener für eine solche Abstimmung, ritzen sie den Namen des zu verbannenden Kandidaten in die Scherben ein. Ein Areal auf dem Marktplatz nimmt die Scherben auf. Die einfache Mehrheit entscheidet. Das Scherbengericht entstand zunächst als eine Sicherheitsmaßnahme gegen zu großen politischen und sozialen Einfluss. In der weiteren Entwicklung dient es allerdings auch dem politischen Intrigenspiel. Gegner einer bestimmten Politik konnten auf diese Weise aus der Stadt gewiesen werden.

Des Volkes Strafe traf auch jene, die durch ihre Art zu leben den Neid der anderen wecken. Da konnte auch ein guter moralischer Ruf mit Verbannung belegt werden: Der Politiker Aristides ging einem Analphabeten zur Hand, der ihn bat, den Namen Aristides auf die Scherbe zu ritzen. Auf die Frage, ob jener Aristides ihm etwas getan habe, antwortet der Athener, er kenne ihn nicht einmal. Allerdings ärgere es ihn, dass Aristides überall als „der Gerechte“ gelte. Gerecht, wie man ihn eben nannte, ritzte Aristides seinen eigenen Namen in die Scherbe und reichte sie dem Mann.

Solchen Auswüchsen schiebt die christliche Religion einen Riegel vor: In unserem Schweigen und unserer Scham über den Neid spiegelt sich auch sein schlechtes gesellschaftliches Image wider. Wie zur Abschreckung sind schon in der Genesis die Kinder von Adam und Eva, die Brüder Abel und Kain, neidisch miteinander verstrickt. Beide bringen Gott ein Opfer dar. Doch Gott akzeptiert nur Abels Opfer und ignoriert Kains. In seiner Wut über diese Ungerechtigkeit erschlägt Kain seinen Bruder. Zur Strafe wird er mit dem Kainsmal auf der Stirn gebrandmarkt, damit alle ihn als Neider und Brudermörder erkennen können.

Der strafende Gott etabliert sich im Zuge von Kains Tat als neidlos und gerecht: Gott neidet Kain nicht, dass er sich göttliche Rechte angemaßt hat. Er neidet ihm nicht, dass Kain sich über den Abstand zwischen göttlicher Autorität und menschlicher Existenz hinweggesetzt hat. Er rächt sich nicht an Kain für das Übertreten dieser Grenzen, wie die griechischen Götter es noch getan haben. Und er lässt Kain das Leben, um seine Tat eigenhändig zu sühnen. Damit grenzt sich die Religion der Christen von den alten griechischen Mythen ab. Während die griechischen Götter noch voller Neid auf die Menschen herabschauen, ist der Christengott ohne Neid.

Die Gebote neun und zehn der „Zehn Gebote“ meißeln den Anspruch an die Menschen in Stein: Niemand dürfe seines Nächsten Hab und Gut begehren. Damit wird eine Orientierungshilfe geschaffen, auf der die christliche Wertegemeinschaft beruht, unter anderem getragen von der Hoffnung auf weitgehend neidfreie zwischenmenschliche Beziehungen. Später, im 6. Jahrhundert unter Papst Gregor I., findet der Neid als eine der sieben Todsünden Aufnahme in den offiziellen Negativkanon der Kirche. Seither gilt Neid als die Sünde wider des Nächsten Glück. Weil Neid als Quelle des Hasses, der Intrige und der Verleumdung ausgemacht war, wird er mit er ewigen Verdammnis belegt.

Literatur:
Rakoczy, T.: Böser Blick, Macht des Auges und Neid der Götter. Eine Untersuchung zur Kraft des Blickes in der griechischen Literatur, Tübingen: Narr 1996.
Haubl, R.: Neidisch sind immer nur die anderen. Über die Unfähigkeit, zufrieden zu sein, München: Beck 2001.

Auszug aus: Zimmermann T (2004). Schön für dich… Neid und Konkurrenz in der Liebesbeziehung. mvg-Verlag, Frankfurt/M.

Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben