Geruchsproben

Mag sein, dass derzeit die Reaktionen auf Maßnahmen der Sicherheitsorgane etwas hysterisch sind, wie der Bundesinnenminister meint.

Selbst wenn es also zum Ermittlungsalltag gehört, Geruchsproben von Verdächtigen zu nehmen, so braucht Schäuble nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen: Er selbst hat tatkräftig dafür gesorgt, dass diese hysterische Stimmung im Land entstanden ist. All seine Vorschläge zu Gesetzesveränderungen aus den letzten Wochen (Online-Durchsuchung, biometrische Erfassung der Bevölkerung) haben den Boden dafür bereit.

Wenn heute wegen der Geruchsproben und den Präventivmaßnahmen gegen G8-Protestler eine große Welle durch die Medien schwappt, dann ist das der Sensibilisierung geschuldet, die in den vergangenen Wochen stattgefunden hat. Die Leute gucken den Sicherheitsorganen etwas genauer auf die Finger. Und das ist auch gut so, unabhängig davon, ob die Reaktion im Einzelfall übers Ziel hinausschießt.

Passfotofahndung

Die TAZ berichtete gestern, dass die Regierung das Passgesetz ändern will, um der Polizei zu ermöglichen, automatisiert auf die digitalen Passfotos der neuen biometrischen Reisepässe zuzugreifen, die bei den Passbehörden erfasst sind. Heute legt die tageszeitung nach: Auch ältere Personalausweis- und Passbilder sollen auf diese Weise für die Polizei zugänglich gemacht werden.

Das widerspricht den Verlautbarungen und Beteuerungen, vor allem denen des damaligen Innenministers Otto Schily, rund um die Einführung des biometrischen Reisepasses im Herbst 2005. Damals behaupteten die Verantwortlichen, die digitalen Fotos würden ausschließlich zur Feststellung der Identität des Passinhabers verwendet. Im aktuellen Passgesetz steht in §16, Absatz 6: „Im Pass enthaltene verschlüsselte Merkmale und Angaben dürfen nur zur Überprüfung der Echtheit des Dokumentes und zur Identitätsprüfung des Passinhabers ausgelesen und verwendet werden.“

Hier greift die bewährte Salamitaktik: Erstmal einführen, Gefahren und Risiken abwiegeln, Grenzen setzen. Ein bisschen später dann erweitern, vergrößern, ergänzen, Grenzen wieder abschaffen. Da ab 01.11.2007 auch digitale Fingerabdrücke in die Pässe eingefügt werden, sind zumindest die technischen Möglichkeiten für den Überwachungsstaat schon sehr edel. Es müssen nur noch die Gesetze angepasst werden. Dafür ist nun Herr Schäuble unser Gewährsmann.

Der Innenminister im Datensammelwahn

Wolfgang Schäuble will jetzt alles:

  • Fingerabdrücke in Pässen und bei den Meldeämtern
  • Mautdaten zur Strafverfolgung nutzen
  • Rasterfahndung erlauben
  • Online-Durchsuchung von Computern ermöglichen
  • präventive Telefonüberwachung
  • den großen Lauschangriff wieder einführen
  • Kronzeugenregelung zurückholen
  • Überarbeitung §129 a StGB – Bildung einer terroristischen Vereinigung
  • Datenaustausch zwischen den Verfassungsschützern in Bund und Ländern verbessern

Vielleicht sollte der Verfassungsschutz anfangen, den Minister zu überwachen, der offenbar die Verfassung schleifen möchte – und den Umbau des „Rechtsstaates in einen Präventions- und Sicherheitsstaat“ plant, wie die Süddeutsche Zeitung diesen Katalog kommentiert.

Datenspuren

Ich verweigere Kundenkarten jeglicher Art, stehe nicht im Telefonbuch und nehme nie an Gewinnspielen teil. Ich bin gegen Vorratsdatenspeicherung und gegen Online-Durchsuchungen meiner Festplatte. Ich lehne biometrische Pässe und Ausweispapiere ab und halte Wahlmaschinen für demokratie-gefährdend bzw. wie ein holländischer Sicherheitsexperte es nannte: „Eine Nicht-Lösung für ein nicht-existierendes Problem“.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich trete hier nicht als IT-Verächter auf. Ja, ich vertraue sogar der Technik, die ich selber gebrauche (na ja, meistens). Aber ich vertraue den Leuten nicht, in deren Händen die große Verantwortung für die Großtechnik liegt. Die wirkmächtige, jedoch wenig durchdachte, wenig transparente Digitalisierung des Alltags (Überwachungskameras, Mautsystem, elektronische Patientenakte usw.) nervt. Hier paaren sich in den Köpfen der Entscheider rücksichtslose Fortschrittsgläubigkeit mit wahnhaften Kontrollbestrebungen.

Und trotzdem stelle ich täglich im Netz meine Gesinnung zur Schau… Ein Widerspruch?

Kaum. Warum sollte es mein Ziel sein, meine Datenspuren zu verwischen, wenn ich sie selber gestalten kann? Ich will ja gerade welche hinterlassen. Wenn schon Informationen von mir abgeschöpft werden, steht es mir frei, den Informationspool mit meinen Selbstsichten zu erweitern und zu bereichern. Hier allerdings speise/(schleuse?) ich Daten freiwillig in ein soziales Netzwerk. Dort zwingen mich die Großtechniken, Datenspuren in verschiedenen (intransparenten) Ablagesystemen zu hinterlassen. Ich als Zusammengesammelter jedenfalls ahne nicht, wer gerade was über mich durch welchen statistischen Wolf dreht – und welches Risikoprofil sich dabei entfaltet. Wobei ich natürlich hoffe, dass verhaltensaufällig und hochgefährlich herauskommt…

Meine Festplatte gehört mir!

In einem Urteil hat der Bundesgerichtshof heute festgestellt, die Strafprozessordnung erlaube es nicht, dass die Ermittlungsbehörden heimlich übers Internet private Computer durchsuchen. Es fehle die notwendige Ermächtigungsgrundlage, um auf diese Weise in den Datenverkehr einzugreifen. Durchsuchungen sind per se offene Ermittlungsmaßnahmen. Heimliches Schnüffeln auf den Festplatten anderer verstößt gegen dieses Offenheitsprinzip.

So sehr der Beschluss zunächst meine Festplatte schützt, so wenig wird er Bundesinnenminister Schäuble daran hindern, sich die entsprechenden Gesetzesänderungen zu besorgen, die er braucht, um Online-Durchsuchungen zu legalisieren. Die Gewerkschaft der Polizei unterstützt den Innenminister dabei.

Was bleibt ist die Notwendigkeit, wachsam gegenüber dem Innenminister zu sein. Außerdem möge der Benutzer Betriebssysteme verwenden, die weniger anfällig für „Bundestrojaner“ sind. Lässt sich das nicht ganz vermeiden, empfiehlt es sich erst recht, Email-Anhänge nicht zu öffnen, schon gar nicht jene, in denen das BKA im Betreff steht, :-).

Im Netz der Fahnder – Vorratsdatenspeicherung & Co.

Die Grünen-Politikerin Julia Seeliger scheint eine der wenigen Abgeordneten zu sein, die über Dinge reden, von denen sie etwas verstehen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung äußert sie sich kenntnisreich und engagiert zu Themen wie der geplanten Vorratsdatenspeicherung, zum Internet als öffentlichem Raum und der letzten Datensammelidee des Bundesinnenministers Schäuble. Ohne öffentlichen Aufschrei schlägt Schäuble vor, die Sicherheitsbehörden sollten sich die Schwachstellen in gängigen Betriebssystemen zu Nutze machen. Durch Hintertüren könnte der Staat dann trojanische Pferde oder andere Horch- und Guck-Programme auf diesen Rechnern installieren, um Daten abzuschöpfen.

Ja, wo leben wir denn? Was will der Innenminister? Will er vielleicht, dass wir die BRD irgendwann in Tütelchen schreiben, „BRD“ – die so genannte BRD, ein Land in der die bürgerlichen Freiheiten außer Kraft gesetzt sind? Schon mal was vom Fernmeldegeheimnis gehört? Weiß der Schäuble nicht, dass er an seinen Datenbergen ersticken wird, wie heute schon die CIA, die NSA oder damals das MfS? Soviel Data-Miner kann der Schäuble gar nicht anstellen, wie es Rechner mit sehr schlecht designten und damit fehleranfälligen Betriebssystemen gibt…

Eines allerdings muss ich Schäuble zugute halten. Er nutzt das vorbereitete Klima im Land, die Fahrlässigkeit der Bürger im Umgang mit ihren Daten. Deswegen bleibt auch ein Aufschrei aus. Dutzende Millionen Bürger überlassen ganz und gar freiwillig ihre Daten privaten Unternehmen. Kundenkarten, Rabattsysteme, Cookies in den Webbrowsern, Gewinnspiele, Online-Bestellsysteme. Überall hinterlassen wir unsere Datenspuren und denken nicht weiter darüber nach. Warum sollen wir dann nicht auch dem Staat die Möglichkeit gewähren, auf unseren Computern nach dem Rechten zu schauen?

Ein paar Linx:
Gemeinsame Erklärung zum Gesetzentwurf über die Vorratsdatenspeicherung
Intiative gegen Vorratsdatenspeicherung
Data Retention is no Solution
Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs