Wenn die Kassenärztin Kasse macht

Immer wieder kommt es vor, dass niedergelassene ÄrztInnen ihre PatientInnen dazu drängen, eine Leistung in Anspruch zu nehmen, für die dann eine Privatrechnung ausgestellt wird.

Da sind zum einen individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), gerne angeboten von UrologInnen (PSA-Test zur Früherkennung von Prostata-Krebs bei beschwerde-freien Männern mittleren Alters), AugenärztInnen (Augeninnendruck-Messung zur Früherkennung des Grünen Stars). Auch ein 3D-Farbfoto des Embryos im Bauch der werdenden Mutter ist eine solche Leistung – im Angebot in Frauenarzt-Praxen.

Ärztliche Waren dieser Art können angeboten werden. PatientInnen zahlen ja auch für Reiki-Heiler, HeilpraktikerInnen oder OsteopathInnen.

Nur ließe sich von einer funktionierenden, weil vertrauensvollen Arzt-Patient-Beziehung erwarten, dass Sinn und Unsinn beim Namen genannt werden. Dann wüssten PatientInnen, dass diese Untersuchungen nicht ohne Grund so nicht im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen stehen: Hätten Männer Beschwerden bspw. beim Wasserlassen, wird der PSA-Test von der Kasse bezahlt. Doch warum sollte die Kasse bei Beschwerdefreiheit zahlen?

Der Augeninnendruck kann in Kombination mit anderen Untersuchungen (Sehnerv, Gesichtsfeld) ein sinnvoller diagnostischer Parameter sein. Aber für sich genommen ist die Messung nur Geldschneiderei. Schließlich: Die Krankenkassen zahlen das 2D-Schwarzweiß-Ultraschall-Foto des Embryos. Wer dennoch ein buntes Bildchen des Nachwuchses in 3D haben möchte, der möge es extra bezahlen, sagen die Kassen zurecht. Wer aber 3D bezahlt, ohne darüber aufgeklärt sein, dass es das 2D-Bild inklusive gibt, wird über den Tisch gezogen.

Genauso verhält es sich bei einer so genannten „Komfortsprechstunde“ oder auch „Selbstzahlersprechstunde“. Hier verticken KassenärztInnen ihre Zeit an GKV-PatientInnen für 40, 50 oder 60 Euro, denen sie zuvor gesagt haben, dass sie reguläre, kostenfreie Termine erst in sechs Wochen wieder anbieten können. Das mag am Budget und sämtlichen anderen Ungerechtigkeiten liegen, die das KV-System den ambulanten ÄrztInnen auferlegt. Dafür bei Kassen-PatientInnen zu kassieren, ist dreist. Schnellerer Zugang zum Arzt für Kohle – das ist Abzocke von Schutzbefohlenen.

Um zu wissen, woran wir bei alledem sind, lohnt es sich, ins Sozialgesetzbuch 5 zu schauen. Dort steht in § 128, Satz 5a: „Vertragsärzte, die unzulässige Zuwendungen fordern oder annehmen oder Versicherte zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflussen, verstoßen gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten.“

PolitikerInnen sollten diesen Geschäftsmodellen bald dicke Riegel vorschieben. PatientInnen sollten hellhörig werden, wenn ÄrztInnen etwas verkaufen wollen – und nicht sofort einem Geschäft zustimmen, in das sie mit süßer Stimme hineingelockt werden.

Vergesst Arzt-Wartezeiten-„Studien“!

Oder nehmt den privaten Versicherungsgesellschaften die Möglichkeit, Vollverträge für Krankenversicherungen abzuschließen! Überlasst den Privaten das Zusatzgeschäft, die gesetzlichen Kassen übernehmen das Vollversicherungsgeschäft ALLER. Das wäre die Lösung, um das Wartezeiten-Problem abzuschaffen.

Klar, Zusatzverträge könnten dann abgeschlossen werden, die einen bevorzugten (privilegierten) Zugang zur Ärztin möglich machten. Heute sind Krankenhaus-Chefarzt-Zusatzpolicen auch eine schöne Geldquelle für alle Chefärztinnen und Versicherungen, die von den Patientinnen gespeist wird.

Doch handelt es sich überhaupt um ein Problem, wenn der eine länger wartet als die andere?

Oder um ein Symbol dafür, wie grob ungleich sich das deutsche Gesundheitssystem gegenüber gesetzlich versicherten und privat versicherten Patientinnen verhält?

Seit Jahren, angefangen mit der methodisch bedenklichen Arbeit der Arbeitsgruppe um den (damals wie heute als MdB beurlaubten) SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, wird die Wartezeit von GKV- und PKV-Patientinnen als Indikator hochgejazzt – für, ja, wofür überhaupt? Für Karl Lauterbachs Zwei-Klassen-Medizin-Hypothese?

Inzwischen gibt es Umfragen von den Grünen, der AOK Rheinland/Hamburg, eine Stichprobe der Tageszeitung „Die Welt“. Alle verkünden mit derselben Inbrunst den billigen Schluss: Bei nicht-akuter Terminvergabe kommen Privatpatientinnen schneller dran. Leider wird hier der Geschmack von Äpfeln gegen den Geschmack von Bananen aufgewogen. Ein Apfelbaum (GKV) kann keine Bananen (PKV) produzieren.

So what? Ist das schlimm? Ist das ein Grund, sich schlechter zu fühlen? Ist das schon Medizin zweiter Klasse?

Dem entgegne ich: Wer solche Probleme hat, braucht sich vor nichts mehr zu fürchten.

Niemand der Wartezeiten-Instrumentalisierer hat einen Beleg geliefert, dass Kassenpatientinnen eine schlechtere Behandlung (im Sinne eines medizinischen Outcomes) erfahren hätten. Hier werden marktwirtschaftliche Hyperventilations-Reize (Warte-Zeiten! Warten-Schlangen! Mangelwirtschaft! Sozialismus!) für preiswerte Stimmungsmache eingesetzt.

Massenmedial und parteipolitisch unterfüttert werden anti-aufklärerische Schimären durchs Dorf getrieben, um die Wut der Leute auf die vermeintlich besser Gestellten zu inszenieren. – Und mit den Wartezeiten wird eine dämliche Debatte inszeniert und befeuert, die denjenigen, die es sich leisten können suggeriert: Kommt zur PKV, hier müsst ihr nicht lange warten. Die Linke inszeniert den Volkszorn, die PKV freut sich über die angenehme Stimmungsmache pro-Privatversicherung.

Richtig grob wird der Unfug, wenn der alte Mythos recycled wird, erst die bessere Vergütung der PKV sorge für viele Versorgungsangebote, von denen dann auch gesetzlich Versicherte profitieren. Ein niedergelassener Arzt möge mir ein Leistung zeigen, die er abrechnen kann mit seiner kassenärztlichen Vereinigung, die er nicht abrechnet, nur weil er vielleicht keine Privatpatienten zu versorgen hat. Was ein Blödsinn!

Ob in einen Apparat oder eine andere Leistungsausweitung des eigenen Angebots investiert wird, hängt doch klar von der arzteigenen Kalkulation ab: Schafft er einen Apparat an, kann er damit entweder die GKV-Patienten abrechnen, weil das Angebot zum Leistungskatalog der GKV gehört. Die PKV-Leute sind dann ein Zubrot. Oder aber er kann den Apparat nur mit den Privaten abrechnen und vertickt die Leistungen auf private Rechnung auch an Kassenpatientinnen.

Das Niveau der Debatte ist erschreckend. Und ich wünschte mir, die gesetzlich Versicherten würden endlich anfangen, die Idee der solidarischen Versicherung besser zu verstehen.

Minister Bahr im Lobby-Modus

Endlich haben wir mal wieder etwas von Gesundheitsminister Daniel Bahr gehört. Und der hat gleich einen richtigen Treffer gelandet.

Er hat der Rhein-Zeitung gesagt, er wolle, „dass alle Menschen selbst entscheiden können, wie und wo sie sich versichern wollen. Das ist meine Vision. Notwendig ist, dass jeder die Grundleistung versichert hat„.

Nun ja, Herr Bahr, mit Visionen ist das so eine Sache…

Das was uns hier vom amtierenden Minister so locker und leicht als Wahlfreiheit untergejubelt wird, ist weder wünschenswert für die Versorgung der Kranken noch umsetzbar, ohne die Krankenversorgung für viele schlechter zu stellen.

Es wäre der endgültige Abschied von einem solidarischen Gesundheitssystem. Es würden junge und gesunde Menschen mit gutem Erwerbseinkommen mittels Lockvogeltarifen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in eine private Police gelockt. In der GKV verblieben dann Rentnerinnen, Hartz4-Bezieherinnen, die Niedrigeinkommensklassen und die Kranken, die den Risikocheck der privaten Krankenversicherung (PKV) nicht bestehen – und deren Tarife entsprechend unbezahlbar wären.

Wahrscheinlich fänden sich ein paar Versicherte, die von der Bahr-Idee profitierten. Die eigentlichen Gewinner wären aber die privaten Versicherungsträger. Interessanterweise gilt Bahr als FDP-Fachpolitiker für das Gesundheitssystem. Das erscheint mir jedoch als ein Widerspruch: Entweder der Minister argumentiert dann wider besseren Wissens oder er hat am Ende doch keine Ahnung.

Schon manches Mal ist Bahr als Lobbyist für die Versicherungswirtschaft aufgefallen. Da wäre eine (private) Pflegetagegeldversicherung (Pflege-Bahr), die der Staat mit €5 monatlich bezuschusst, wenn der Versicherte €10 im Monat einsetzt und in Pflegestufe 3 mindestens €600 erhielte. Oder hier in einem Interview auf der PKV-Verbandsseite, wo er sein Programm bereits 2009 offenlegt: „Unser Ziel ist der private Krankenversicherungsschutz mit sozialer Absicherung für alle.“

Damit wollen Bahr und die FDP das Solidarsystems abschaffen. Wer das nicht will, kann durch eine klare Wahlentscheidung am 22.09. solche Pläne blockieren.

Brust zeigen für Gesetzliche Krankenversicherung

Der Chef der privaten Krankenversicherung Debeka, Uwe Laue, fordert die Politik auf, die Zugangshürden zur Privaten Krankenversicherung zu senken.

Ich will das nicht.

Ich finde es schon unerträglich genug, dass der Staat seinen Beamtinnen und Beamten erlaubt, sich der solidarischen Krankenversicherung zu entziehen.

Nun merkt auch die PKV, was Schwarz-Gelb will

Die Private Krankenversicherung (PKV), namentlich durch ihren Verbandschef Leienbach, hat der Berliner Zeitung am vergangenen Wochenende ihr Leid geklagt und die eigene Enttäuschung über die bisherige Arbeit der Koalition kundgetan. Unter anderem hätte die Regierung längst den Zugang zur PKV wieder erleichtern können. Außerdem passt den Privaten die ganze Richtung nicht: Mehr Steuergeld ins System. Diese GKV-Subventionen müssen nämlich die privat Versicherten (als Steuerzahler) ebenfalls mitbezahlen.

Hinter all dem steckt die Bedrohung des Geschäftsmodells der PKV: Kommt es zu einer Kopfpauschale mit Sozialausgleich aus Steuermitteln (subventionierte Kopfprämie nennt es Leienbach), gibt es für kaum einen abhängig Beschäftigten, der viel verdient, einen Grund die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zu verlassen und sich bei der PKV (voll) zu versichern. Deren Prämien wären nämlich nur bei den jungen, gesunden Männern konkurrenzfähig mit der Gesetzlichen. Insgesamt wäre selbst die höchste gegenwärtig diskutierte Kopfprämie (etwa €200) preiswerter als die regulären Tarife der Privaten. Selbstverständlich ist Leienbach der Ansicht, privat Versicherte hätten auch andere Gründe als die preiswerten (Einstiegs)-Prämien die GKV verlassen. Auch die bevorzugte Behandlung sei ein wichtiger Grund…

Doch: Einen Verbleib fast aller Beitragszahler in den GKV könnten sich die meisten politisch Verantwortlichen nur wünschen. Aber hat das auch schon jemand der FDP gesagt? Hat die CSU dem Koalitionsvertrag deswegen zugestimmt? Weil CDU und CSU den Privaten auf diese Weise das Wasser abgraben werden?

Oder stehen uns doch viel kältere Absichten ins Haus: Eine verpflichtende Grundsicherung für alle, und die in der GKV? Wahlweise Zusatzversicherungen in der PKV, und dann nur noch dort? Nix genaues weiß niemand über die wahren Absichten dieser Koalition. Wachsam bleiben, ist im Moment die einzige Chance. Und genau auf das Gejammer aus dem System selber zu hören. Im Moment jedenfalls scheint es nicht gut auszusehen für die PKV…

Erstaunlicherweise gibt der Verbandschef nun öffentlich zu, dass privat Versicherte bspw. fünfmal höhere Laborkosten verursachen als gesetzlich Versicherte. Zudem ruft er nach einem Verhandlungsmandat für die PKVen ähnlich dem der GKVen, die in der ambulanten Versorgung als Verbände mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über Leistungsmengen und Honorare verhandeln. Außerdem fordert er Öffnungsklauseln in der Gebührenordnung, damit nicht alles mehr so hochpreisig abgerechnet werden kann, wie das gegenwärtig der Fall ist – mit teilweise horrenden Auswirkungen auf die Beiträge der Versicherten.

Interessant das alles. Sehr interessant.

Unsinnige Kritik an der Kopfpauschale

Der vielstimmige Empörungskanon gegen die von der schwarz-gelben Koalition beabsichtigte Kopfprämie (aka Gesundheitsprämie, aka Kopfpauschale) verwendet ein Standardargument, das leider durch seine vielfache Wiederholung nicht richtiger wird: Angeblich wolle die Koalition, dass der Manager genauso viel Krankenkassenbeitrag bezahlt wie die Putzfrau oder wie sein Fahrer.

Gewerkschaften reden so, die Linke und manche selbst aus der CDU.

Wer auch immer das Argument in den kommenden Auseinandersetzungen erneut verwendet, erweist sich als schlechter Kenner der Gegebenheiten im Gesundheitssystem: Ein Manager oder ein Oberarzt, die Einkommen deutlich oberhalb der Versicherungspflichtgrenze (etwa 4000 Euro Brutto im Monat) kriegen, haben sich schon lange aus der Solidargemeinschaft verabschiedet. Die sind bereits privat versichert und zahlen weniger Beitrag als sie in der Gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichten hätten.

Erfindet die Koalition einen gescheiten Sozialausgleich, dann werden genau diese Leute, die sich aus der Solidarität verabschiedet haben, über das Steuersystem wieder eingefangen. Herr Rürup hat das für die CDU schon 2004 einmal durchgerechnet, woran ein Kommentar im Kölner Stadtanzeiger erinnert.

Dass sich der Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb oder Gelbschwarz, wie ich es nenne, eher wie ein Konjunkturprogramm für den medizinversicherungs-industriellen Komplex liest, steht auf einem anderen Blatt. Nur mit deutlich unsinnigen Argumenten sollte niemand dem darin enthaltenen Programm begegnen.

BVA bremst Kassen

Laut einem Bericht der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ versagt das Bundesversicherungsamt den gesetzlichen Krankenkassen, Tarife mit zusätzlichen Leistungen wie Chefarztbehandlung und Einzelzimmerzuschlag anzubieten.

Die privaten Krankenversicherungen (PKV) wehren sich vehement gegen die Konkurrenz aus den Reihen der gesetzlichen Versicherer. Bisher schließen nämlich die Privaten solche Verträge exklusiv mit den Versicherten ab – auch und gerade mit Versicherten, die regulär gesetzlich krankenversichert sind.