Übergewicht in Deutschland

In den vergangenen Wochen hat eine Studie das Land bewegt, aus der die Deutschen als fetteste Europäer hervorgingen: „Deutschland fett an der Spitze„. Das Robert-Koch-Institut bezweifelt nun, „ob die Daten, die in den EU-Mitgliedstaaten getrennt und zum Teil mit unterschiedlichen Methoden und in unterschiedlichen Jahren erhoben wurden, überhaupt vergleichbar sind und sich in einer Rangliste darstellen lassen. Zu Verbreitung und Entwicklungstendenzen von Übergewicht und Adipositas und zu den Daten der IASO-Studie ist im Epidemiologischen Bulletin 18/2007 ein Beitrag veröffentlicht.“

Zu den Einwänden zählt unter anderem, dass verschiedene Altersgruppen miteinander verglichen werden. In Deutschland gingen die 25 – 69-Jährigen mit Daten aus dem Gesundheitsmonitor 2003 der Bertelsmannstiftung in die Bewertung ein. Zu den Stichproben anderer Länder gehörten dagegen auch 18 – 24-Jährige, die seltener übergewichtig sind.

Deutschland, fett an der Spitze

In den letzten Tagen bekamen wir Deutschen wieder mal unser Fett ab bzw. unser Fett wurde uns vorgehalten: Die Deutschen sind laut einer neuen Auflistung der IASO (International Association for the Study of Obesity) die am stärksten Beleibten in den 25 EU-Nationen. 3 von 4 deutschen Männern und 3 von 5 Frauen seien entweder übergewichtig oder gar fettleibig. Der Sturm im Blätterwald nahm zwischenzeitlich Orkanstärke an, erst die Berliner Zeitung erlaubte sich gestern einen etwas differenzierteren Blick: Wie die Kilos in die Statistik kommen. Und klar: Bei so einem Thema fährt auch der Minister Seehofer Trittbrett.

Der IASO-Tabelle liegen die Kriterien der WHO zugrunde, nach denen ein jeder übergewichtig ist, der im Verhältnis seines Körpergewichts zum Quadrat seiner Größe in Metern, dem so genannten Body-Mass-Index (BMI), einen Wert von 25 oder höher erreicht. Als fettleibig gelten jene mit einen BMI von 30 und mehr. Je höher der BMI, so die Lehrmeinung, desto höher das Risiko zuckerkrank zu werden, das Herz-Kreislauf-System zu schädigen oder insgesamt früher zu sterben.

In der aufgeregten Debatte wird geflissentlich übersehen oder unterschlagen, dass die WHO-Schwellenwerte viel zu weit gefasst sind: Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2001 kommt zu dem Schluss: Im Bereich BMI 25 – 27 gibt es kein erhöhtes Risiko für die oben genannten Erkrankungen. Eine Bevölkerungsstudie in den USA entdeckte eine höhere Sterblichkeit unter den Normalgewichtigen (BMI 18,5 – 24,9) verglichen mit den Übergewichtigen (BMI 25 – 29,9). Eine Arbeit im Journal of Epidemiology („The epidemiology of overweight and obesity: public health crisis or moral panic?“) hält den linearen Zusammenhang von BMI und Gesundheit für nicht belegt und Interessen geleitet.

Zweifellos sind Fehlernährung, Bewegungsmangel und ein ansonsten ruinöser Umgang mit dem eigenen Körper mächtige Probleme, die selbstverständlich auch zu einem früheren Tod führen können. Doch welchen Interessen dient es, ohne Not weite Teile der Bevölkerung krank zu reden und zu stigmatisieren? Vielleicht kommt der nächste Präventionsminister auf die Idee, den Krankenversicherungsbeitrag über den BMI zu berechnen – und verkauft uns das auch noch als Gesundheitsvorsorge…

PS.: Selbstverständlich gehöre ich auch zu den Übergewichtigen in diesem Land. Mein BMI pendelt zwischen 24,9 und 26,6, aktuell 26,3.