Eine Patientin (85) sagte heute zu mir: “Ich habe es satt zu leben. Jeden Morgen wache ich auf und hoffe, heute ist es vorbei.”
Die Patientin ist gesund, sehr mobil, selbstständig, aktiv – aber sie hat von alledem genug. Sie ist es leid zu leben. Und sie leidet am desolaten Zustand der Welt, wie sie sagt. So greifbar ihr Lebensüberdruss ist, so wenig liegt ihr die Idee nahe, selber Hand an sich zu legen. Hat sie alles abgehakt.
Ich verwickle sie dennoch in ein Gespräch darüber und sage: “Na ja, Sie nehmen Medikamente gegen Bluthochdruck. Wenn Sie die wegließen, könnten Sie ihre Chancen auf einen Schlaganfall vergrößern.”
Sie antwortet: “Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Auch meine Freundinnen weisen mich darauf hin. Warum ich denn dann gesund bleiben wolle, wenn ich nicht mehr leben möchte… Aber es ist ja nicht sicher, dass der Schlaganfall gleich zum Tode führt. Da bleibe ich lieber gesund.”
So wie ich sie erlebe, findet die Patientin das Leben gar nicht so schlecht. Sie hat ja einen durchaus selbstironischen Zugang dazu, zumal sie schon seit fünf Jahren nicht mehr leben will. Sie fürchtet sich aber offenbar davor, irgendwann leiden zu müssen. Sie fürchtet die Abhängigkeit und das Siechtum. Ein schneller Tod über Nacht würde dieses Problem lösen.
Am Ende stellt sich die Frage: Wie gesund darf ich höchstens, wie krank muss ich mindestens sein, damit der Tod mich ereilt?