Als Bahnkunde neige ich inzwischen dazu, das Unternehmen gegenüber den anderen Fahrgästen zu verteidigen. Das ständige Gemotze, die Unzufriedenheit und die schlechte Laune der Mitfahrer geht mir zunehmend auf den Zeiger. Irgendwie scheint sich ein komplexes und vor allem intransparentes System wie die Bahn ausgezeichnet zu eignen, um Frust abzulassen.
Daran ist die Bahn selber schuld, denn gerade die wichtigen Bereiche Information und Kommunikation sind bis zur Lächerlichkeit schlecht aufgestellt. Beispiele dafür kennt jeder, der das Transportunternehmen nur einmal genutzt hat.
Weil es sich um ein Großsystem handelt, sind Entscheidungsketten und Verantwortlichkeiten nicht durchschaubar. Uns leuchtet nicht ein, warum mein Zug in Niedersachsen zu spät kommt, wenn in Thüringen ein Gewitter niedergeht, das die Oberleitungen beschädigt. Wir beschimpfen den Schaffner, wenn wir den Anschlußzug nicht kriegen, obwohl diese Entscheidungen in den Händen der Fahrdienstleitung liegen. Die Schienen können eben nur einmal befahren werden und wenn Strecken blockiert sind, staut es sich anderswo.
Das System lädt dazu ein, Dampf abzulassen. Die Bahn ist – bis auf wenige Ausnahmen – Monopolist. So jemanden beschimpfen wir gerne und machen ihn für alles Schlechte der Welt verantwortlich. Gäbe es in Deutschland eine Monopolfluglinie, wäre die Klage über Verspätungen, unfreundliche Stewardessen und schlechtes Essen mindestens so groß wie gegenwärtig bei der Bahn. So verteilt sich der Flieger-Frust auf viele Unternehmen, während das Kollektiv der Bahnfahrer einen gemeinsamen Gegner hat.
Erwartungsmanagement heißt das Zauberwort. Unsere Erwartungen an das Unternehmen sind zu hoch, wir sind zu anspruchsvoll: Selbstbewußt fordern wir billige Preise, schnelle und pünktliche Beförderung sowie jederzeit einen Sitzplatz. Sobald wir jedoch einen Zug besteigen, werden wir psychisch labil. Wir fühlen uns verletzlich, angreifbar, abhängig, weil wir uns diesem Moloch ausgeliefert haben. Und das zahlen wir dem Moloch und seinen Vasallen während der ganzen Fahrt heim. Und schimpfen auch nach der Fahrt noch über den Scheißladen.
Ohne uns klar zu machen, dass die Bahn mindestens vier natürliche Feinde hat (Frühling, Sommer, Herbst und Winter) werden wir weiterhin mit schlechter Laune in den Zügen sitzen und uns durch die Mehdorn-Bande verraten und verkauft fühlen.
Ich plädiere für abwartende Gelassenheit, etwas mehr Frustrationstoleranz – und für eine bahnweite Offensive, dem Service-Personal die Grundlagen von Information, Kommunikation und ein bisschen Konfliktmanagement beizubringen. Es nützt mir nichts, wenn ich fünf Minuten nach der geplanten Abfahrt des Zuges die Bahnsteigdurchsage vernehme, dass der Zug fünf Minuten Verspätung hat.