in Ihrem Leitartikel vom 02.02.2012 über Rudi Assauer und die Krankheit Alzheimer, die den 67-jährigen offenbar ereilt hat, holen Sie schäumend zum großen Rundumschlag aus: Ihre ignoranten Mitmenschen, tatenlos zuschauende Politiker und unfähige bis desinteressierte Wissenschaften – alle werden von Ihnen abgewatscht. Irgendwie schade, wie Sie Ihre Chance vertun, den wichtigsten Kommentar auf Seite 4 der SZ für ein paar kluge und besonnene Anmerkungen zu einem wichtigen gesellschaftlichen Thema wie Alzheimer zu nutzen.
Schon der Einstieg, der zu „Ausgerechnet Assauer!“ führt, zeigt auf welch schwache Argumente sich ihr Text stützt, der vielleicht aufrüttelnd gemeint war, leider aber sein Ziel krass verfehlt. „Gerade Assauer!“ hätte da stehen sollen. Gerade einer wie er vereint einige wichtige Risikofaktoren auf sich: Gesoffen, geraucht, tonnenweise Fleisch verzehrt. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, ein paar Risikofaktoren für degenerative Gedächtnisentwicklungen sind der Wissenschaft durchaus bekannt.
Außerdem: Wie kommen Sie nur auf die bizarre Idee, die Deutschen würden lieber wegschauen, wenn es um diese Krankheit geht? Genau das Gegenteil ist der Fall. In den letzten zehn Jahren haben die Menschen in Deutschland angefangen, viel zu genau hinzuschauen. Oder woraus sollte sonst die Alzheimer-Angst entstehen, von der sie zurecht schreiben. Es gibt Bücher, Filme, Reportagen auf Papier, in Funk und Fernsehen – die gesamte mediale Armada ist inzwischen gegen die Krankheit und gegen deren Ignoranz in Stellung gebracht worden.
Dazu kommt die Frage, ob es sich überhaupt um eine Erkrankung handelt? Oder warum sind Sie erstaunt, dass es noch immer keine Medikamente dagegen gibt? Bzw. welches technokratisch-mechanistische Verständnis vom Leben offenbaren Sie, wenn Sie davon sprechen, es persifliere unsere Machtlosigkeit, dass es noch keine Arznei gibt. Denken Sie wirklich, wir werden es schaffen, uns alle Varianten des Lebendigen irgendwann vollständig unterzuordnen – und damit die Formel für ewige Gesundheit, das ewige Leben finden?
Wie wäre es damit, wenn wir die Ich-Fixierung etwas lockerten, nicht so selbst-zentriert und ego-lastig auf die Welt und das Leben blickten? Angst vor Alzheimer kann nur haben, wer glaubt etwas verlieren zu können. Klar, ich weiß ja, unser ganzes westliches Leben dreht sich um kaum etwas anderes, als das eigene Ich aufzupumpen – mit beruflichem Erfolg, Geld, Macht, schönen Klamotten, Fernreisen, einer Wohnumgebung, die uns angemessen ist – ingesamt einer Philosophie, die uns vorgibt, wir mögen uns bitteschön selbst verwirklichen. Haben wir uns selbst verwirklicht (Assauer!) kommt der Alzheimer – und zerstört dieses schöne, aufgepunpte Ich wieder. Welche Tragik!
Wenn das nicht ein mephistophelisches Werk ist, dem mit Faustischen Mitteln zu begegnen wäre! Vielleicht würde es jedoch genügen, den Lebensbogen sich schließen zu sehen, sich zu verabschieden in eine eigene Welt und dabei respektvoll behandelt zu werden, egal ob im Pflegeheim oder zuhause, ganz egal, wie das Ding heißt, was uns ereilt: Alzheimer, Parkinson, Depression.
Und schließlich: Zu wenig Langzeitstudien? Wovon sprechen Sie?
Es gibt inzwischen Dutzende von Langzeitstudien in vielen Ländern, unter anderem auch in Deutschland. An einer arbeite ich zufällig mit. Es gibt das Kompetenznetz Degenerative Demenzen (KNDD). Und es gibt das DZNE, das Deutsche Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen. Jährlich 60 Millionen Euro werden hier verbraten. Was wollen Sie mehr?
Ich glaube, Frau Frank, Sie sind da massiv Ihrer eigenen Angst erlegen und die Chefredaktion hat es Ihnen durchgehen lassen. Es ist völlig legitim, die kommentierenden Autorinnen und Autoren über Dinge schreiben zu lassen, mit denen sie stark identifiziert sind. Aber in der Regel gelingt es den Schreibenden, das Thema zu transzendieren und damit allgemeingültiger zu besprechen.
Das hätte ich mir bei Ihrem Beitrag auch gewünscht. – Mal abgesehen von Ihrer ansonsten wenig fundierten Argumentation.