… habe ich die Seiten gewechselt und bin in der Nacht vom 18. auf den 19. März vom Osten in den Westen „rübergemacht“. Morgens angekommen auf dem Hauptbahnhof von Frankfurt am Main nach einem sehr tränenreichen Abschied abends um 22.37 Uhr auf dem Bahnhof Dresden-Neustadt, umgestiegen und weitergefahren ins Aufnahmelager in Gießen. Die eindrücklichste Erinnerung ist das Zugtelefon im Intercity, von dem aus ich den ersten Kontakt zu einem Bekannten im Saarland herstellen konnte. Als 21-jähriger Ossi kannte ich öffentliche Telefonzellen, aber eine Sprechverbindung bei Tempo 180? Sensationell.
Und ansonsten?
Ankunft in Gießen. Anmeldung, um dann alsbald frische Personaldokumente entgegenzunehmen. Begrüßungsgeld. Ein kurzes Gespräch mit der Hauptstelle für Befragungswesen, denen ich mit der gleichen Skepsis begegnete wie zuvor den Befragenden auf der anderen Seite. Einmal Einkleiden von Kopf bis Fuß mit (preiswerten), heute würde ich sagen Discounter-, Westklamotten. Nach zwei Tagen Abreise zu meiner vorläufigen Station in der Nähe von Karlsruhe.
Ich kann nicht behaupten, ich hätte mich gefreut, im Westen angekommen zu sein. Klar, alles war bunt, die Supermärkte, die Buch- und die Plattenläden waren grell und übervoll. Aber vermisst habe ich die Freunde und Freundinnen, die zurückgeblieben sind in diesem seltsamen, bizarren Land DDR, das mich ausgespuckt hatte – ohne Rückfahrkarte.
Die Sehnsucht blieb erhalten. Viermal habe ich in den folgenden Jahren versucht, von West-Berlin aus in die DDR einzureisen. Jeder mißlungene Versuch ist in meiner Stasi-Akte dokumentiert, die auch nach meiner Ausreise sauber weitergeführt wurde. Die Einreise gelungen ist mir erstmals am 13.11.1989.