Die Hauptattraktion des mittelamerikanischen Landes ist ein Relikt aus kolonial-imperialen Tagen. Silvester 1999 verlassen die US-amerikanischen Kanalbetreiber das Land?
Am kommenden Monatg sind es 80 Jahre, seitdem der Panama-Kanal den Seeweg zwischen Atlantik und Pazifik um 8000 Seemeilen verkürzt und den Reederein bis 90% der Kosten, die bei einer Umschiffung von Feuerland anfallen würden, erspart.
Ekuadorianische Bananen, amerikanischer Weizen, koreanische Automobile, venezolanisches Erdöl, japanische Werkzeugmaschinen, chilenisches Salpeter, kanadische Baumstämme – 1993 wurden rund 150 Millionen Tonnen Güter durch die künstliche Wasserstraße transportiert, die Panama von Südwest nach Nordost auf einer Länge von 80 km durchschneidet. 500000 jährliche BesucherInnen machen den Kanal zur wichtigsten touristischen Attraktion des Landes.
Doch Panamas Hauptattraktion ist nicht nur ein technisches Wunderwerk, sondern ein Relikt aus kolonial-imperialen Tagen, als die aufstrebende Weltmacht USA alle Hebel in Bewegung setzte, eine durchgängig schiffbare Verbindung zwischen ihrer Ost-und Westküste zu schaffen, die gleichzeitig militärstrategisch so hervorragend plaziert war, daß die US-Army Mittel- und Südamerika völlig unter operativer Kontrolle hatte.
Festgeschrieben im Kanalvertrag von 1977, verlassen die amerikanischen Kanalbetreiber und ihr militärisches Schutzpersonal Silvester 1999, 12 Uhr Mittags, das mittelamerikanische Land. Panama erhält von den USA eine Dienstleistungsbehörde, die weltweit zu den wenigen administrativen Zweigen einer Regierung zählen dürfte, die effizient wirtschaften und den reibungslosen Ablauf ihrer Geschäfte vertraglich garantieren.
Panama übernimmt ein Logistikunternehmen, das in seinem 80. Jahr 1300 Schiffe durch den Kanal fädelte, 500 Millionen US-Dollar umsetzte, 150 Millionen davon in Wartung, Neukauf und Ausbildung investierte und dem panamesischen Finanzminister 90 Millionen Dollar auf seine Konten überwies. In den 15 Jahren seit Inkrafttreten des Vertrags, den der panamesische Volksheld Omar Torrijos und US-Präsident Carter aushandelten und unterzeichneten, stieg die Zahl der einheimischen Angestellten von 69% auf 88%. Durchweg alle 7500 Beschäftigten der US-Dienststelle ´Panama-Kanalkomission´ erhalten amerikanische Beamtenlöhne – der Traum von einem Arbeitgeber im krisengeschüttelten, wirtschaftsschwachen Panama.
„Wir haben das beste Berufsausbildungsprogramm in der Region“, ergänzt Willie Friar, Pressechefin der Kanalkommission, die Bilanz zum 80. „Der Kanal ist über das Jahr 2000 hinaus gerüstet für den weltweiten Wettbewerb im Gütertransport.“
Doch die Freude über den bevorstehenden Abzug der AmerikanerInnen hält sich in Grenzen. Ein Drittel der Bevölkerung Panamas findet, Amerika und seine Truppen müßten auf jeden Fall bleiben. „Die Leute haben gelernt, daß es keine große Sünde ist, die Amerikaner hier zu haben. Sie sind eine Wirtschaftsmacht und geben eine Menge Dollar aus“, ist Juan Blau überzeugt, der einer Kommission (ARI) vorsitzt, die herausfinden soll, wie die Kanalzone am besten genutzt werden kann.
Die kommende Entflechtung wirft Panama erstmals auf sich selbst zurück, denn Staat und Wassergraben sind ohne die Vereinigten Staaten bis heute undenkbar, wenngleich die ersten Kanalideen bis zur spanischen Conquistadora zurückreichen. Schon nachdem im 16. Jahrhundert der Eroberer Nunez de Balboa die Pazifikküste ´entdeckte´, faszinierte die Spanier die Idee einer künstlichen Wasserstraße. Ließ König Karl V. zuerst noch angetan das Land vermessen, so dekretierte er 1534 schließlich, der Mensch solle nicht teilen, „was Gott zusammengeführt habe.“
1848 belebte der kalifornische Goldrausch den Traum einer durchgehenden Schiffsverbindung zwischen Atlantik und Pazifik. Doch erst zu Beginn der 80er Jahre erlangten die französischen Suez-Kanalerbauer um den Diplomaten und Ingenieur Lesseps eine Konzession, in der kolumbianischen Provinz Panama einen Kanal auf Meereshöhe ausheben zu dürfen.
Lesseps‘ vom Suez-Kanal herüberhallender Ruhm als Generalauftragnehmer einer solchen Operation zerschmolz jedoch in der tropischen Glut. Nach neun Jahren, 22000 Malaria- und Gelbfiebertoten und der Pleite der französischen Kanalbaugesellschaft warfen die Franzosen das Handtuch.
Die letzte Chance der bankrotten Franzosen stellte das unveränderte amerikanische Interesse an einem Kanal dar. 1903 fragte schließlich Bunau-Varilla, Chefingenieur der reorganisierten Kanalgesellschaft, die kolumbianische Regierung, ob sie ihre Konzessionsanteile an die US-Regierung verkaufen dürften. Kolumbien verweigerte die Zustimmung.
Zu jenem Zeitpunkt vergrößerten Bürgerkriegswirren in Zentral-Kolumbien und die Rekrutierung panamesischer Wehrpflichtiger den Wunsch der Provinz nach Selbstständigkeit. Mit amerikanischer Unterstützung erklärte eine revolutionäre Junta das Land für unabhängig. 15 Tage nach der Anerkennung Panamas durch die USA unterzeichneten der frischgekürte Botschafter in Washington, Bunau-Varilla, und der amerikanischen Außenminister den ersten Kanalvertrag – gegen den Protest der offiziellen Verhandlungsdelegation Panamas, der die Knebelvereinbarung als inakzeptabel galt.
Die US-Regierung garantierte die staatliche Unabhängigkeit militärisch und erhielt hoheitliche Rechte über einen 16 km breiten Streifen des Landes und weitreichende Befugnisse, Panamas interne Angelegenheiten den eigenen Interessen entsprechend zu steuern. Bunau-Varilla erhielt 40 Millionen Dollar.
Truppenstationierungen, der festungsartige Ausbau der ´Panamakanalzone´ und ein generalstabsmäßiges Seuchenbekämpfungsprogramm gingen der Wiederaufnahme der Bauarbeiten voran. Nach der Entdeckung des Gelbfiebererregers konnte neben Malaria auch die andere tödliche Infektionskrankheit aus der Region verbannt werden.
Dann entschieden sich die neuen Bauherren für die Konstruktion eines Schleusenstufenkanals. Zehn Jahre und 387 Millionen investierte Dollar später durchquerte die USS ´Ancon´ am 15.08.1914 als erstes Schiff den transisthmischen Wasserweg.
Bevor ein Boot in die Kanalgewässer einfahren darf, muß eine in Panama-City registrierte Agentur die Transitgebühr an die Kanalkomission überwiesen haben. Ein Lotse übernimmt das Kommando an Bord. In atlantischer und pazifischer Richtung heben oder senken jeweils drei Schleusenkammerpaare (330 m lang, 35,5 m breit, 16 m tief) die Boote in drei Stufen um insgesamt 27 Meter. Ein weitverzweigtes Röhrensystem flutet die Kammern mit Wasser aus dem Gatun-See, 27 Meter über dem Meerespiegel im Zentrum der kontinentalen Wasserscheide gelegen.
Das Flut- und Abflußsystem funktioniert auf Schwerkraftbasis. Die pro Transit benötigten 200 Millionen Liter Wasser fließen ohne Zuhilfenahme von Pumpen über die Kammern direkt ins offene Meer. Nichtendende Regenfälle in der gebirgigen Tropenlandschaft beiderseits des Kanals, aufgefangen im Gatun-Reservoir, versorgen die Schleusen mit der gewaltigen Wassermenge.
Prognosen von Umweltschützern, der weitere Raubbau an den tropischen Regenwäldern würde zu solch gravierenden Klimaveränderungen führen, daß dem Kanal in Zukunft Wassermangel drohe, weisen Studien der Kanalverwaltung als unbegründet zurück. Willie Friar verneint jeden Anlaß zur Sorge: „Die kontinentale Wasserscheide zwischen den beiden Ozeanen garantiert den unerschöpflichen Vorrat.“
Zusammen mit den Lotsen kommt eine qualifizierte Seilschaft an Deck, die das Schiff am Schlepper oder vor der Einfahrt in die Schleuse mit langsseits fahrenden Lokomotiven vertäut. Die tonnenschweren Zugmaschinen stabilisieren vor allem Schiffe der Panamax-Klasse (316m x 34m x 14m), die 27% der Passagen bestreiten und, mit 75cm Spielraum zwischen Kammerwand und Schiffsrumpf, ein Nadelöhr aus der Schleuse machen. Weil die Schiffe eigenangetrieben in das Becken hineinmanövrieren, unterstützen die Lokomotiven den Bremsvorgang und bringen die schwimmende Tonnage zum Stillstand.
Nach dem Ausschleusen aus der 3. Stufe auf pazifischer Seite erreichen die Schiffe den Gaillard-Cut. Benannt nach ihrem Chefkonstrukteur erinnert der 13 km lange Graben am ehesten an das Bild von dem der Natur abgerungenen, künstlichen Wasserweg. In den dichten tropischen Regenwald geschlagen, bestimmt die Gaillard-Enge den Verkehrsablauf, weil Sicherheitsbestimmungen den meisten Schiffen nur Einbahnverkehr bei Tageslicht erlauben.
Bei einer reinen Fahrzeit von 8 – 10 Stunden verlängert der Gaillard-Cut die Aufenthaltsdauer in den Kanalgewässern auf 24 Stunden. Durch einen Gebühraufschlag zugunsten der Kanalkommission können allerdings Reederein, die im Takt Termingüter transportieren, eine exakte Durchfahrtzeit vereinbaren. Seit 1992 vergibt die Kanalkommission Aufträge, die Enge für nächtlichen Zwei-Wege-Verkehr auszubauen.
Das politische Interesse der USA an einer reibungs- und vor allem ´politikfreien´-freien Abwicklung der Transitprozeduren führte 1977 zu einem Zusatz im Kanalvertrag: Beide Länder verpflichteten sich, die strikte Neutralität des Handelsweges unter allen Umständen zu gewährleisten, wenn nötig, auch mit militärischen Mitteln – ein Passus, der 1989 die ´Operation Just Cause´ und den Einmarsch in Panama-City begründete, um Manuel Noriega zu fangen. Bill Ormsbee, Sprecher des ´US-Southern Command´ und Zivilist betont mehrere Male fast trotzig: „Die meisten hier haben unsere Aktion als Befreiung von Noriega empfunden, und sind uns dankbar.“
Immerhin erlebte Panama in den fünf Jahren seit ´Just Cause´ politische Stabilität, wenngleich der mit großen Hoffnungen ins Amt eingesetzte Präsident Endara inzwischen sämtlichen Rückhalt in der Bevölkerung einbüßte und seine Partei bei den allgemeinen Wahlen am 08.05.94 verheerend verlor hat. Korruption, Drogengeldwäsche und fehlende Konzepte, die Wirtschaft anzukurbeln oder die Armut zu bekämpfen, ruinieren das Land wie zu Zeiten Noriegas.
Gegen den wachsenden Druck aus der Bevölkerung betont jedoch der neue Präsident Ernesto Perez ´El Toro´ Ballardares, daß die Truppen das Land dennoch termingemäß zu verlassen hätten.
Ob es dabei bleibt, steht dahin, denn wirtschaftlich trifft der Abzug der AmerikanerInnen Panama hart. Jedes Jahr pumpen 10000 Streitkräfte 300 Millionen US-Dollar in die Wirtschaft, 5000 Zivilbeschäftigte beziehen weitaus höhere Löhne als im Landesdurchschnitt und es existieren keinerlei schlüssige Konzepte, was aus den Anlagen wird, die das Militär hinterläßt. Eine militärische Verwendung ist ausgeschlossen, denn 1989 wurden kurzerhand die panamesischen Streitkräfte abgeschafft.
„17 Jahre nach der Vertragsunterzeichnung haben wir nichts Konkretes für die Zukunft vorzuweisen“, sagt Rogelo Alvarado, Wirtschaftsexperte einer Vereinigung panamesischer Industrieller.
Als Zauberlösung malen alle Beteiligten die touristische Verwendung der Liegenschaften an den Horizont, doch es fehlen konkrete Pläne. Außerdem existieren Ideen, die freiwerdenden Anlagen für leichtindustrielle Fertigung (Textilien) und Schiffbau und die Häuser als Wohnungen zu nutzen. Doch die ersten 400 übergebenen Gebäude verrotten bereits in der tropischen Schwüle. „Von dem, was bisher zurückging, wurde das meiste auseinandergerissen, gestohlen oder verschwand“, sagt Juan Blau.
Präsident Ballardares und seine parteiübergreifend gebildete Regierung stehen vor unüberwindbaren Problemen. Nicht nur, daß sein wirtschaftlicher Spielraum klein ist, in seiner Partei PDR tummeln sich genügend Noriega-Anhänger, die auf einen schwachen Präsidenten spekulieren. In Bezug auf die Zukunft des Kanals wird es schwer, Versuche abzuwehren oder Versuchungen zu widerstehen, mehr politisches und wirtschaftliches Kapital aus dem Kanal zu schlagen. Gewinne dürfen nur die AmerikanerInnen keine machen.
„Es gibt mittlerweile Alternativen“, sagt Willie Friar. „Werden die Gebühren zu hoch, bleiben die Kunden weg. So einfach ist das.“
Theoretisch sollte keine Schiffahrtslinie bemerken, wer im Jahr 2000 den Kanal betreibt und die Gebühren kassiert. Doch sowohl Willie Friar als auch ihr Pendant Bill Ormsbee von den amerikanischen Streitkräften verweigern eine Antwort auf die Frage, ob sie Panama zutrauen, den Transitverkehr so problemlos und effizient wie bisher zu gewährleisten.
Zweifel daran sind angebracht, aber sie überschatten nicht das 80. Betriebsjubiläum des Wassergrabens, der fast Synonym ist für das Land, das er teilt, der fast unersetzlich ist für das Land, das er versorgt.