Sprachliches Aufmarschgebiet

Manchmal erschrecke ich, wenn ich mich zu unserem Sohn reden höre: Vorsicht! Achtung! Aufpassen! Heiß! Füße heben! Augen auf! Psst! Und wieder: Achtung! In neun von zehn Fällen nützt der Befehlston nix. Das Kind rennt trotzdem gegen die Tür, stolpert über Spielsachen oder die eigenen Füße und holt sich Beulen.

Dennoch kann ich meine Versuche, Gefahren und Schaden vom Kind (oder anderen…) abzuwenden, nicht unterdrücken. Impulsartig schiessen die Imperative aus mir heraus – und ich warte darauf, dass das Kind mich damit aufzieht. Schon heute schmeißt er etwas auf den Boden, legt den Finger auf die Lippen und sagt „Psst!“…

Mapa und Pama

Eines der erklärten Ziele unseres elterlichen Wirkens ist es von Beginn an, keine zu starren Rollenbilder im Kind zu erzeugen. Ob wir das Essen zubereiten, die Wäsche waschen, die Windeln wechseln, das Auto fahren, Einkaufen, das Kind zu Bett bringen, Trösten oder mit ihm Spielen: Wir halten uns beide für gleichermaßen zuständig.

Wie gut es uns gelungen ist, diese Rollenunschärfe zu leben, bestätigt das aktuelle kindliche Sprachspiel: Zwar weiß Söhnchen durchaus zwischen Mama und Papa zu unterscheiden, aber wahlweise zeigt er auch mit dem Finger auf uns und gebraucht seine Wortschöpfungen „Mapa“ oder „Pama“.

Ich Mama, Du Pinguin

Ich trage aus alter Gewohnheit ein inzwischen ziemlich verwaschenes T-Shirt mit Tux, dem Linux-Pinguin, auf der Brust. Heute morgen gefiel es unserem Sohn, auf den Pinguin zu zeigen und zu sagen: „Papa.“

Im Zuge von Identitätsfindung und Selbstentwicklung kommt es im Augenblick noch zu einer anderen Ver(w)irrung. Fragt ihn jemand: „Wo ist Mama?“ zeigt er auf sich selber und sagt: „Mama“. Klarer Fall von Modelllernen. Die Mama richtet ja den Finger auf sich, wenn sie anzeigen will, wer Mama ist, wenn sie sagt: „Ich bin die Mama.“ Und so versteht es das Kind. Mama ist diejenige, die auf sich selber zeigt und „Mama“ sagt.

Lernen, rasant!

Fasziniert betrachte ich meinen knapp eineinviertel Jahr alten Sohn. Ich reibe mir die Augen wie dynamisch und rasant er lernt, wie er – von Rückschlägen unbeeindruckt – zwanghaft-programmatisch und klar nachhaltig seine Welt und sich selber erkundet.

Erst wenige Schritte. Dann der Gang durch den Flur. Einige Tage später längere Ausflüge in alle Zimmer der Wohnung inklusive ersten Gepäckstücken. Bis hin zur Fähigkeit in der Gehbewegung die Knie anzuwinkeln und ohne innezuhalten, fasst fließend, etwas vom Boden aufzulesen – und weiterzugehen.

Das Lernen gipfelte gestern darin, das der Junge (ohne Aufforderung) Wäsche aus der Trommel im Schlafzimmer klaubte und sie in die Küche brachte. Dort steckte er sie in der Waschmaschine. Eine verlorene Socke sammelte er beim zweiten Gang auf – und hatte sichtlich einen Riesenspass.

So fasziniert ich bin, so sehr frage ich mich natürlich, auf welche Weise ihm diese Freude erhalten bleiben kann…