Ist die Kranken(voll)versicherung noch zu retten?

Kaum zu glauben, wie schnell sich die Dinge manchmal entwickeln. Hätte Karl Lauterbach wieder einmal gefordert, die private Krankenversicherung (PKV) abzuschaffen, wäre das für keinen Redakteur eine Nachricht gewesen.

Da diesmal die Versicherungskonzerne Allianz, Axa und Co., also Teile der privat organisierten Versicherungswirtschaft selber mit solchen Ideen in Verbindung gebracht werden, überschlagen sich die Reaktionen.

Die SPD freut sich, die Grünen begrüßen, die Union sieht sich “friendly fire” ausgesetzt – ausgerechnet die Privatversicherer wollen eine Einheitsversicherung! Die Bundesärztekammer distanziert sich, die gesetzlichen Krankenkassen lehnen es ab. Und die Versicherer? Spielen nur Reformszenarien durch: “Die Versicherer sehen sich jedoch in der Pflicht, den politischen Diskurs mit fachlichem Wissen und Rat zu unterstützen. Dazu gehört auch das interne Durchspielen möglicher Reformszenarien.”

Doch ist die PKV als System überhaupt zu retten? Schon heute arbeitet die Branche unter stark erschwerten Voraussetzungen. Die Gegner der PKV (Lauterbach und ein paar andere) haben gute Arbeit geleistet, den Unternehmen einerseits die Kunden vorzuenthalten und andererseits Pflichttarife von ihnen zu verlangen.

Zum einen dürfen seit der letzten GKV-Reform nur noch jene Angestellten in die PKV wechseln, deren Einkommen mindestens drei Jahre lang oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt. Zum anderen zwingt die Politik den Unternehmen einen risiko- und altersunabhängigen Basistarif auf, der allen privat Versicherten angeboten werden muss. Der Tarif enthält alle Leistungen, die auch in der GKV als Regelleistungen erbracht werden.

Schließlich sollen die Versicherten ein Wechselrecht erhalten, bei dem sie ihr angespartes Kapitel mit in die neue Versicherung einbringen können. Dagegen bringen sich die Unternehmen gerade mit einigem Erfolg in Stellung.

Dennoch: Langfristig sieht es nicht gut aus für die private Kranken(voll)versicherung. Genausowenig gut wie für die gesetzliche Kranken(voll)versicherung. Zwei Wege bieten sich an, die finanziellen Probleme anzugehen: Verbreiterung der Einnahmebasis, Verringerung des Leistungsangebots. Das System braucht mehr Geld (aus Steuern, Kapital, Beiträgen) und muss dennoch seine Leistungen für alle beschränken.

Weil die Möglichkeiten so vielfältig geworden sind, ja, weil die Medizin in Teilen so gut geworden ist, beansprucht sie zu viele gesellschaftliche Ressourcen. Deswegen könnte es ein Weg sein, einen möglichst umfassenden Grundkatalog zu erfinden und breit gesellschaftlich zu diskutieren – und einen Katalog vorzuhalten, der zusätzlich abgesichert werden müsste (Stichwort Risiko Unfälle: Skifahren, Fußball spielen, etc.)

Die Debatte zu beginnen, dafür wäre gegenwärtig der richtige Zeitpunkt.

Zukunft der Krankenversicherung

Die gestern angestoßene Debatte um die Zukunft der Privaten Krankenversicherung (PKV) entwickelt eine phänomenale Dynamik. Kaum reden Allianz, Axa & Co. von einer Einheitsversicherung, kommt der unvermeidliche Karl Lauterbach und begrüßt laut SPIEGEL Online die Idee zum Umbau der PKV vehement, wenn a) die PKV in den Gesundheitsfonds einzahlt und wenn b) die unterschiedlichen Arzthonorare von PKV und GKV angeglichen werden.

Die gesetzlichen Krankenversicherer zeigen sich eher reserviert bis ablehnend. So wird der Sprecher des IKK-Bundesverbandes von der Berliner Zeitung zitiert: “Das läuft darauf hinaus, dass die Konzerne für einen möglichst niedrigen Basistarif kämpfen, der vielleicht noch die Krankenhausleistungen und den Hausarztbesuch umfasst, damit sie teure Zusatzleistungen anbieten können.”

Zu einer interessanten Stellungnahme gelangt die Bundesärztekammer: “Der 111. Deutsche Ärztetag hat sich vor wenigen Wochen geschlossen gegen eine Angleichung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung gewandt. Von den privaten Krankenversicherungsunternehmen sollten wir im Interesse unserer Patienten dieselbe Geschlossenheit erwarten dürfen. Probleme der GKV lassen sich nicht durch eine Schwächung des PKV-Systems ausgleichen. Aus Sicht der Ärzteschaft steht PKV für Eigenverantwortung, Freiberuflichkeit, Individualität der Patientenversorgung und Innovationskraft der Gesundheitswirtschaft.”

Sehr überzeugend wie die Ärzteschaft ihren Umsatzrenner “PKV” verteidigt – gegen innere Aushöhlung und Uneinigkeit.

Private Krankenversicherung für alle?

Die Situation im Gesundheitssystem scheint günstig, um mal ein paar radikale Vorschläge unterzubringen: Die “Financial Times Deutschland” (Dienstagausgabe, leider online nicht verfügbar) berichtet, ein Arbeitspapier des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erwäge die Abschaffung der privaten Krankenversicherung (PKV) in ihrer jetzigen Form und plädiere für eine Grundversicherung mit Einheitsprämien unabhängig von Alter und Geschlecht.

Das Dementi des Verbandes der Privaten Krankenversicherer kam prompt.

Die Meldung ist perfekt platziert und erhält massive Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Reizvoll und diskussionswürdig ist der Vorschlag, die PKV abzuschaffen, allemal. Nur: Wie roh ist das Arbeitspapier? Gelang es zu früh an die Öffentlichkeit? Eine gezielte Indiskretion, um die Stimmung zu testen?

Wichtige Fragen bleiben offen: Wieviel Leistung umfasst die Grundversorgung? Private Zusatzversicherungen lohnen sich ja für die Versicherungswirtschaft nur, wenn viele Versicherte gezwungen sind, sie abzuschließen. Auf die Diskussion, was zur Regelleistung für alle gehört und was dazu gekauft werden muss, bin ich sehr gespannt. Und überhaupt, welche Rolle soll die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zukünftig spielen? Sollen sie agieren wie private Versicherer, von ihrer Rolle als öffentliche Gesundheitsanbieter entkleidet? Oder soll es eine staatliche Einheitsversicherung geben?

Da der Vorschlag aus der privaten Versicherungswirtschaft selber kommt, stehen eher neue Geschäftsfelder und -modelle im Mittelpunkt, nicht so sehr die Reform eines Systems, das an seine Grenzen stößt.

Immerhin: Es wird Zeit, das System neu zu erfinden. Der Gesundheitsfonds verschiebt die Debatte darüber in eine nicht näher benannte Zukunft. Dabei müssten wir bspw. über den Leistungsumfang der GKV sprechen – und einige Dinge mehr, wie die freie Arztwahl und die Arzneimittelversorgung oder die Verzahnung von ambulanter und stationärer Medizin.

Barmer Hausarztmodell endet

Die Barmer Ersatzkasse (BEK) lässt das vor Gericht gescheiterte Vertragsmodell zur hausarztzentrierten Versorgung zum Ende des Jahres 2008 auslaufen. Der Deutsche Hausärzteverband informierte seine Mitglieder per Rundschreiben über die bevorstehenden Veränderungen.

Die BEK beschloss auch, dass die eingeschriebenen Patienten ab dem 3. Quartal (01.07.08) die Praxisgebühr nicht mehr erlassen bekommen. Wie die Ärztezeitung berichtet, plant die Barmer allerdings eine Neuausschreibung dieser Art der Versorgung nach dem dafür vorgesehenen Paragrafen (§73b) im Sozialgesetzbuch V (SGB V).

Das Bundessozialgericht verwarf im Februar die Vertragskonstruktion der BEK, der hausärztlichen Vertragsgemeinschaft und des Apothekerverbandes. Sie erfüllte nicht die Kriterien, um die Leistungen der Hausärzte nach §140d SGB V Anschub zu finanzieren.

So scheitert ein Versuch der Beteiligten, die Gesetzeslage im SGB V kreativ zum eigenen Vorteil zu nutzen – und nährt den sowieso schlechten Ruf von Hausarztmodellen. Ob die Barmer und der Hausärzteverband mit einem neuen Versuch verloren gegangenes Vertrauen, insbesondere bei den Patienten, zurück gewinnen kann, bleibt dahingestellt.

Hausarztmodelle teuer und ohne Nutzen?

Im Augenblick ist die Stimmung für Hausarztmodelle bzw. hausarztzentrierte Versorgung in Deutschland nicht sonderlich gut: Anfang des Jahres stellte die Bertelsmann-Stiftung die Wirkung solcher Versorgungskonzepte in Frage. Dieser Tage verweisen die großen Kassentanker DAK und TK auf die zusätzlichen Kosten, die keineswegs verbesserte Versorgungsqualität und damit den fehlenden Nutzen für die Patienten.

Auch das (hausarztnahe) AQUA-Institut hat Hausarztmodelle untersucht. Einige Ersatzkassen (bspw. TK, DAK, KKH, HMK) stellten Routinedaten aus den Jahren 2005 und 2006 zur Verfügung. AQUA teilt die allgemeine Miesepetrigkeit nicht (nützt nix, teuer, Versorgung nicht verbessert) und findet einige Hinweise, die für Hausarztmodelle sprechen: Die Ausgaben für stationäre Versorgung, Heil- und Arzneimittel waren bei Versicherten im Hausarztmodell geringer als in der Vergleichsgruppe ohne Hausarztmodell. Dem stehen allerdings die ärztlichen Betreuungspauschalen gegenüber.

Eine wirklich fundierte Entscheidung, ob Hausarztmodelle sinnvoll und nützlich sind, lässt sich aus mehreren Gründen heute noch gar nicht treffen:

Bisher werden die Modelle von den Krankenkassen so umgesetzt, das am Ende nur Mehrkosten entstehen können und nur wenig Gutes zu berichten bleibt. An der Versorgung selbst verändert sich ja nichts. Die Hausärzte bekommen nicht mehr (vergütete) Zeit, sich um die Belange der Patienten zu kümmern. Die Betreuungspauschalen sind lachhaft. Eine echte Begleitung und Führung durch das System ist auf diese Weise nicht zu bewerkstelligen.

Deswegen sind die Patienten auch nicht zufriedener. Ja, so lässt sich auch der Bertelsmann-Befund erklären, dass Patienten im Programm weniger zufrieden sind als diejenigen außerhalb des Programms: Diese Patienten haben höhere Erwartungen an die Versorgung. Da sich aber nichts ändert, sind sie unzufriedener. Hoffnung macht der innovative Vertrag zwischen der AOK-Baden-Württemberg und dem dortigen Hausärzteverband. Neue Vergütungsideen, verbesserte Versorgungsangebote, eine echte Lotsenfunktion der Ärzte.

Ich warte gespannt auf den Start am 01.07.08 und den weiteren Verlauf.

Patientenautonomie und Wahlfreiheit

Schon lange vertrete ich die Auffassung, die freie Arztwahl von gesetzlich Versicherten solle eingeschränkt werden. Einen solchen empfindlichen Eingriff in Autonomie und Selbstbestimmungsrecht öffentlich zu fordern, steigert nicht gerade die eigene Beliebtheit. Gerade auch nicht in einem gesellschaftlichen Klima, das die Freiheitsrechte immer nur ausweiten und Fremdeingriffe (Staatsmedizin!) zurückdrängen möchte.

Deswegen werde ich in loser Reihenfolge ein paar Fragen beantworten, die in diesem Kontext unbedingt beantwortet werden müssen:

1. Ist die Einschränkung der Patientenautonomie und der Wahlfreiheit überhaupt zu rechtfertigen?

Zum Wohle des Patienten in einem intransparenten Gesundheitssystem durchaus! Aber warum?

Persönliche Freiheitsrechte sind nicht nur ein hohes Gut unserer Gesellschaft. Sie machen diese Gesellschaft überhaupt erst attraktiv. Dennoch sind Zweifel erlaubt, ob wir immer und zu jeder Zeit und in jedem gesellschaftlichen Subsystem in der Lage sind, unsere Freiheitsrechte auszuüben. An die Ausübung der Freiheitsrechte ist nämlich unbedingt gebunden, dass sich das System, in dem sie angewendet werden, offen und durchschaubar verfasst ist. Das System muss die Rahmenbedingungen liefern, um eine selbstbestimmte Entscheidung überhaupt treffen zu können. Und das ist beim Gesundheitssystem – zum Teil gewollt, zum Teil ungewollt – nicht der Fall.

Freiheitsrechte wie die freie Arztwahl führen in einem intransparenten System dazu, dass Patienten alleine gelassen werden, einsame, falsche und deswegen krankeitsverlängernde Entscheidungen treffen. Ich habe das hinsichtlich funktioneller Beschwerden bereits ausführlich belegt.

Ein viel gewichtigerer Aspekt ist jedoch die Ausgangslage eines Patienten: Die Not, der Schmerz, die Beschwerden, die dazu führen, einen Arzt in Anspruch zu nehmen. Das Gesundheitssystem ist für den Patienten in weiten Teilen intransparent und alles andere als ein Markt. Weder verfügt ein Nachfrager von Gesundheitsleistungen (Patient) über alle Informationen, noch sind die Anbieter (Ärzte) dem freien Spiel der Kräfte unterworfen (Stichworte: Sicherstellung der Versorgung, Behandlungspflicht). Darüber hinaus ist es für den Arzt aus behandlungsstrategischen Gründen (Placebo, finanzielles Eigeninteresse) häufig gar nicht wünschenswert, dem Patienten sämtliche Informationen zur Verfügung zu stellen.

Zudem handelt es sich bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um ein System, das auf solidarischem Ausgleich basiert: Leute, die wenig in Anspruch nehmen, finanzieren jene, die mehr Leistung bekommen. Auch deswegen ist es sinnvoll und zwingend, den Zugang zu kontrollieren. Wer die GKV als solidarisches System will und sie auch in Zukunft will, darf Wahlfreiheit einschränken. Die Patientenautonomie wird am Ende gestärkt, denn eine intelligente, transparente Begleitung durch das System führt auch zu besser fundierten Entscheidungen.

PS.: Wer unbedingt seinen Kardiologen zu seinem Hausarzt machen möchte, der sei in dieser Wahl zukünftig nicht mehr eingeschränkt. Egal wer, einer im System sollte der erste Ansprechpartner sein.

Kassenärztechef empfiehlt, die freie Arztwahl abzuschaffen

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung nimmt endlich eine alte Forderung von mir auf die politische Tagesordnung: Begleitung und Überweisung des Patienten zu Spezialisten ausschließlich durch den Hausarzt, damit Abschaffung der freien Arztwahl.

Ich bin entzückt, dass der Chef-Vertreter der ambulanten Ärzteschaft eine solche Debatte eröffnet. Sie ist notwendig, weil alle andere Steuerungsbemühungen innerhalb des Gesundheitssystems bisher fehlgeschlagen sind (Zuzahlungen, Praxisgebühr). So sehr dieser “Zwang”, zuerst einen Hausarzt zu sehen, ein Kulturschock für viele Patienten wäre, 75% aller Patienten gehen sowieso immer zuerst zum Allgemeinmediziner.

Warum also nicht die hausarztzentrierte Versorgung zur Pflicht für alle gesetzlich versicherten Patienten machen? Warum am ideologisch aufgeblasenen, alten Zopf “freie Arztwahl” festhalten?

Ich werde das Thema in den kommenden Tagen vertiefen, mit diesen Fragen:

1. Ist die Einschränkung der Patientenautonomie und der Wahlfreiheit zu rechtfertigen?
2. Welchen Nutzen haben Hausarztmodelle?
3. Gefährden Hausarztmodelle den Wettbewerb in der ambulanten Versorgung?
4. Gibt es Alternativen?

Bayerns Hausärzte bleiben im KV-System

Laut Meldung im Deutschen Ärzteblatt werden die bayerischen Hausärzte in absehbarer Zeit doch nicht kollektiv aus dem System der vertragsärztlichen Versorgung, organisiert durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV), aussteigen.

Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet. Vor allem der Hausarztverbandschef Hoppenthaller, der sein persönliches Schicksal an den Ausstieg aus dem System gekoppelt hat, steht nun blamiert da: Die Hausärzte wollten die Macht der anderen Facharztgruppen brechen, sie wollten den Honorarverteilungsschlüssel zu ihren Gunsten ändern, sie wollten an der KV vorbei die Versorgung der Patienten sicherstellen – nichts davon wird nun eintreten. Stattdessen stehen Bayerns Hausärzte schwächer da als je zuvor.

Womöglich ist der Abbruch der “Aktion Systemausstieg” am Ende doch keine Niederlage, sondern ein Sieg der Vernunft: Die Aussicht, auf diese Weise die eigenen Ziele durchzusetzen, hat wohl nie bestanden. Zu viele bayerische Hausärzte haben am Erfolg der Aktion gezweifelt und waren nicht bereit, die eigene Existenz auf diese Weise aufs Spiel zu setzen. Zu deutlich waren die Signale aus dem Sozialministerium, beim Ruin des KV-Systems eventuell die Krankenkassen mit der ambulanten Versorgung zu beauftragen.

Wie die Geschichte des Systemausstiegs ihren Lauf nahm, ist hier nachzulesen:

Fristverlängerung für GKV-Ausstieg der Hausärzte (07.03.08)
Hausarzt-Harakiri? (31.01.08)
Hausarztversammlung empfiehlt Systemausstieg (12.01.08)
Hausärzte raus aus der GKV?

Neues Pflegegesetz – was ändert sich für Pflegeheime

Ab 01.07.2008 gilt das “Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung“. In verschiedenen Beiträgen habe ich zusammengefasst, was sich für Angehörige und speziell für Menschen mit Demenz ändert.

Heute trage ich stichwortartig zusammen, was sich für Pflegeeinrichtungen verändert.

Vollstationäre Pflegeeinrichtungen (Dauer und Kurzzeit) haben einen Anspruch darauf, Personal speziell für Demenz-Kranke bzw. Menschen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf einzustellen. Diese Betreuungsassistenzen sind von den gesetzlichen und privaten Pflegekassen zu finanzieren.

Pflegeheime können ab Juli 2008 wieder Heimärzte anstellen, wenn die Versorgung nicht mit einer Kooperation von niedergelassenen Ärzten gewährleistet werden kann. Das wird vor allem in Regionen notwendig sein, in denen die niedergelassenen (Haus)-Ärzte gerade mal die ambulante Versorgung der Patienten in ihren Praxen sicherstellen können.

Pflegeeinrichtungen haben sich zukünftig einer Regelprüfung zu unterziehen. Ab 2011 werden sie einmal jährlich unangemeldet geprüft. Bis 2010 müssen alle Pflegeheime mindestens einmal durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) begutachtet worden sein. Werden aufgrund festgestellter Mängel Wiederholungsprüfungen notwendig, gehen die Kosten dafür zu Lasten der Pflegeeinrichtung.

Die Prüfberichte werden veröffentlicht, verständlich und verbraucherfreundlich. Ein Ampel-Schema (rot-gelb-grün) oder eine Sterne-System, in den Einrichtungen prominent platziert, soll das Bewertungssystem für die Kunden und ihre Angehörigen transparenter machen. Die verantwortlichen Verbänden der gesetzlichen und der privaten Pflegekassen sowie alle anderen Beteiligten sollen bis 31.12.2008 dafür ein Modell entwickeln.

Gerade für die letztgenannten Punkte fehlen die Durchführungsbestimmungen. Auch die entsprechenden Qualitätsstandards, nach denen Einrichtungen zu bewerten sind, müssen in den kommenden Monaten erst erarbeitet werden. Das große Problem dabei: Welche Qualitätskriterien halten einer wissenschaftlichen Überprüfung stand? Wie lässt sich Vergleichbarkeit zwischen den Einrichtungen herstellen, wenn deren Ausgangs- und Rahmenbedingungen sehr verschieden sind bspw. durch ganz unterschiedliche Bewohnerstrukturen, mal kränker, mal gesünder?

Oder auch am Beispiel Sturzprophylaxe: Eine Einrichtung hat null Stürze, weil in ihr alle Menschen fixiert werden. Ist die Sturzhäufigkeit ein Qualitätsmerkmal, schneidet die Einrichtung hervorragend ab. Aber wäre dies eine menschenwürdige Art der Betreuung?

All das wird noch für erheblichen Diskussionsstoff sorgen.

Hausärztliche Versorgung reloaded

In Baden-Württemberg haben die AOK, der Ärzteverbund Medi und der regionale Hausärzteverband einen Vertrag zur ambulanten Versorgung von AOK-Patienten nach § 73 b SGB V geschlossen.

Das geht an die Struktur des uns bekannten Versorgungssystems: Der bisherige Quasi-Monopolist für die ambulante Versorgung, die kassenärztliche Vereinigung (KV), ist nämlich von diesem Vertragswerk ausgeschlossen. Der Rest der Republik, alle Spieler im System werden genau beobachten, wie Patienten und Ärzte den Vertrag annehmen und mit Leben füllen. Gespannt sein dürfen wir vor allem, ob bei der AOK am Ende die Kasse stimmt.

Die Vergütungsangelegenheiten sind klar geregelt: Pro Jahr und eingeschriebenem Versicherten 65 Euro, unabhängig davon, ob der Versicherte den Arzt in Anspruch nimmt. Geht der Versicherte zum Arzt erhält der für das entsprechende Quartal weitere 40 Euro (allerdings für maximal 3 Quartale im Jahr). Der Krankheitsstatus wird gesondert abgegolten: Chronisch kranke Patienten werden mit zusätzlichen 25 Euro im Quartal vergütet, diesmal aber für alle vier Quartale.

Auch das ist umstürzlerisch – und die Beteiligten nehmen auch gleich die Bierdeckelmetapher für sich in Anspruch: Ein Vergütungssystem, das auf einen Bierdeckel passt. Die AOK hofft, die Mehrausgaben durch effizientere Versorgung auszugleichen: Weniger Doppeluntersuchungen, mehr preiswerte Medikamente, eine echte Lotsenfunktion der Hausärzte. Den Patienten wird eine Abendsprechstunde angeboten und eine Behandlungsgarantie bis zum Ende des Quartals gegeben. Die bei bisherigen Hausarztverträgen übliche Rückerstattung der Praxisgebühr ist nicht vorgesehen.

Die AOK erwartet etwa 5000 teilnehmende Hausärzte und rund eine Million Versicherte, die sich einschreiben.

Das Projekt startet am 01. Juli 2008.