Heute beginnt die angekündigte kleine Serie zum Hamburger Wahlstift. Am Anfang steht die Frage nach der Verfassungsverträglichkeit.
Hamburger Verfassungsrechtler halten den digitalen Wahlstift für nicht verfassungskompatibel (Experten warnen: Digitaler Wahlstift verfassungswidrig). Der Wahlstift gefährde jene Grundsätze des Demokratieprinzips, nach denen Wahlen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim zu sein haben.
Diese fünf Grundsätze und deren (Spannungs)-Verhältnis zum digitalen Wahlstift erläuterte Stephanie Schiedermair, Juristin an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, in ihrem Vortrag auf der Veranstaltung der Patriotischen Gesellschaft (Wie sicher ist elektronisches Wählen):
Allgemeinheit und Unmittelbarkeit der Wahl: Ist das Wahlgerät so einfach zu bedienen, wie das Ausfüllen des Wahlzettels leicht ist, steht dem Grundsatz der Allgemeinheit nichts im Wege. Auch die Unmittelbarkeit (keine Instanz zwischen Stimmabgabe und Ergebnis, die das Ergebnis verfälschen könnte) ist nicht bedroht, so lange die Wahlgeräte ordnungsgemäß arbeiten – und niemand versucht, das Wahlgerät zu manipulieren.
Die freie Wahl: Die ist selbst durch gezielte Manipulation des Wahlgerätes nicht bedroht. So lange die Entscheidung, die Stimme für diesen oder jenen abzugeben, nicht eingeschränkt wird, ist die Freiheit der Wahl unangetastet. Manipulationen am Wahlgerät verändern eine Entscheidung im Nachhinein, nicht bereits im Vorfeld.
Die gleiche Wahl: Aus diesem Grundsatz leitet das Bundesverfassungsgericht „die Pflicht des Gesetzgebers ab, ein Verfahren zu schaffen, bei dem Zweifel an der Richtigkeit der Stimmauszählung überprüft und das Ergebnis gegebenenfalls korrigiert werden können“. Der Hamburger Wahlstift erfüllt diese Vorgabe des Demokratieprinzips genau dann nicht, wenn nur die digitalen Stimmen zählen – wie aktuell in Hamburg vorgesehen. Die (noch vorhandenen) Papierstimmen sind wertlos, wenn ein Nachzählen dieser Stimmen das Endergebnis nicht mehr korrigieren kann.
Die geheime Wahl: Dieser Grundsatz bedeutet, dass das Abstimmungsverhalten vor Dritten verborgen bleibt. Die Briefwahl verletzt diesen Aspekt des Wahlgeschehens deutlich, wird aber vom BVerfG als kleineres Übel hingenommen. Durch die Briefwahl nehmen mehr Stimmberechtigte am Wahlverfahren teil. Das stärkt die Allgemeinheit der Wahl – und das rechtfertigt eine mögliche Verletzung der geheimen Wahl. Allerdings vergrößert der Wahlstift durch seine Manipulationsanfälligkeit das Risiko, die geheime Wahl zu gefährden. Kostenersparnis und schnelle Verfügbarkeit eines Wahlergebnisses rechtfertigen den Einsatz eines digitalen Wahlgerätes jedoch nicht: „Sie bilden (im Gegensatz zur Briefwahl, Anm. durch Z.) keine tragfähigen verfassungsrechtlichen Gründe, die bei einer Abwägung der Gefährdung der geheimen Wahl gegenübergestellt werden könnten.“
Zusammengefasst heißt das: Zwei Grundsätze einer demokratischen Wahl (gleich, geheim) sind durch den Hamburger Wahlstift akut gefährdet. Deswegen ist das ganze System aus verfassungsrechtlicher Perspektive abzulehnen.
Zitiert ist das aus und nachzulesen ist all das ausführlich in der Juristenzeitung (JZ 4/2007, 162-171).
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