Wahlstift-Nachrichten 4

Die gestrige Demonstration des Chaos Computer Club, wie leicht angreifbar der Hamburger Wahlstift ist, hat anstehende Entscheidungen zunächst einmal verzögert. Vorgesehen war gestern, dass sich der Verfassungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft trifft, um das endgültige Prozedere des Wahlablaufs und des Zählens festzulegen.

Daraus ist nichts geworden. Vielmehr stimmten die pro-Wahlstift argumentierenden SPD-CDU-Ausschussmitglieder einer Anhörung zu. Die wird am 09. November als Sondersitzung des Verfassungsausschusses stattfinden.

Etwas irritiert mich an der gestrigen Zusammenkunft: Es hätte nämlich eine Wahlstift-Entscheidung herbeigeführt werden sollen, bevor die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig den Stift als Wahlgerät zugelassen hat – eine Minimalvoraussetzung, um dessen Einsatz bei den Bürgerschaftswahlen zuzustimmen. Allerdings lässt die Zulassung auf sich warten. Das wiederum scheint manche Mitglieder des Verfassungsausschusses unruhig und ungeduldig zu machen. Durch die CCC-Aktion darf ab sofort verstärkt über Zählalternativen nachgedacht werden.

Bisherige Beiträge zum Thema:

Wahlstift-Nachrichten 3
Wahlstift: Verfassungskonform?
Wahlstift-Nachrichten 2
Wahlstift-Nachrichten
Hamburger Wahlstift

Chaos Computer Club hackt Wahlstift

Am 24. Februar 2008 soll in Hamburg mit einem digitalen Wahlstift die neue Bürgerschaft gewählt werden. Der Chaos Computer Club teilt nun mit, dass es gelungen sei, den Hamburger Wahlstift zu kompromittieren:

Zitat aus der Erklärung des CCC:

„Obwohl der Chaos Computer Club vom Hamburger Wahlleiter kein komplettes System für eine Analyse erhalten hat, konnten anhand der verfügbaren Informationen und durch Untersuchung der Basistechnologie des Wahlstifts, dem Anoto-Digitalstiftsystem, eine Reihe von schwerwiegenden prinzipiellen Mängeln identifiziert werden. Dabei wurde das grundlegende Problem computergestützter Wahlen – die mangelnde Überprüfbarkeit durch den Wähler – überdeutlich.

Der CCC hat zur beispielhaften Illustration der vielfältigen Angriffsmöglichkeiten gegen den Wahlstift für die Hamburger Bürgerschaft einen trojanischen Wahlstift entwickelt, der äußerlich nicht als solcher erkennbar ist. Solch ein Stift kann sowohl von Wählern als auch von an der Wahlvorbereitung und -durchführung beteiligten Personen unbemerkt ins Wahllokal mitgebracht und statt dem echten Wahlstift in die Auslesestation gesteckt werden. Der manipulierte Stift überträgt dann nicht nur digitale Stimmkreuze zum Auswertungscomputer, sondern agiert als ein sogenanntes Trojanisches Pferd zum Einschleusen von Schadsoftware. Sobald der Stift in die Auslesestation gesteckt wird, aktiviert sich ein Manipulationsprogramm, welches automatisch auf das Zielsystem übertragen und dort ohne Zutun des Bedieners ausgeführt wird. Das Programm kann nun problemlos Manipulationen auf dem Auswertungslaptop vornehmen, indem es z. B. die Position der digital gespeicherten Stimmkreuze verändert, das Endergebnis verfälscht, speichert und ausgibt.“

Damit dürfte der Wahlstift tot sein. Die Hamburgische Bürgerschaft wird sich gezwungen sehen, nach Alternativen zur Stimmerfassung zu suchen – oder zur Not mit der Hand auszuzählen.

HH-Bürgerschaft wirbt für Wahl

Die Hamburger Bürgerschaft startet dieser Tage eine Informationskampagne. Sie soll dazu motivieren, am 24. Februar wählen zu gehen, soll dem Volk das neue Wahlrecht erklären und für Vertrauen in den digitalen Wahlstift werben.

Letzteres mag vielleicht löblich sein, ist langfristig aber zum Scheitern verurteilt.

Wahlstift-Nachrichten 3

Laut NDR suchen die Hamburger Bürgerschaftsparteien nach einem Kompromiss beim digitalen Wahlstift. Gerade der notorische Wahlstiftverfechter von der CDU, Kai Voet van Vormizeele, wird mit den Worten wiedergegeben: Sollte sich die gesamte Opposition dagegen stellen, könne man das Ding einstampfen.

Gut so. Schnelligkeit und Effektivität der Auszählung sind kein Kriterium von Verfassungsrang. Aber die gleiche und die geheime Wahl sind Verfassungsrechte – und die sind durch die Wahlstiftgesetzgebung in Hamburg ernsthaft bedroht!

Auch die Welt Online berichtet von der Suche nach einem Kompromiss: Zukunft des digitalen Wahlstiftes ungewiss.

BigBrotherAwards 2007

Heute fand in Bielefeld die feierliche Gala zur Verleihung der BigBrotherAwards statt. Sie werden in Deutschland vom „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.“ (FoeBuD e.V.) vergeben.

Zu den Gewinnern gehören u.a. Datenkraken wie die Firma Novartis (Bespitzelung der im Unternehmen beschäftigten Arbeiter und Angestellten, Kategorie: Arbeitswelt), die Hyatt-Hotelkette (Sammeln von Kundendaten ohne deren Wissen, Kategorie: Verbraucherschutz) oder Bundesfinanzminister Steinbrück (Einführung einer lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer für alle Bundesbürger, Kategorie: Politik).

Auch die Hamburger Schulbehörde griff einen Preis ab:

„Der BigBrotherAward 2007 in der Kategorie „Regional“ geht an die Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch Alexandra Dinges-Dierig, Senatorin für Bildung und Sport, für die Einrichtung eines Schülerzentralregisters mit dem (Neben-) Zweck, ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren.“

Alle diesjährigen Preisträger auf einen Blick

Wahlstift: Verfassungskonform?

Heute beginnt die angekündigte kleine Serie zum Hamburger Wahlstift. Am Anfang steht die Frage nach der Verfassungsverträglichkeit.

Hamburger Verfassungsrechtler halten den digitalen Wahlstift für nicht verfassungskompatibel (Experten warnen: Digitaler Wahlstift verfassungswidrig). Der Wahlstift gefährde jene Grundsätze des Demokratieprinzips, nach denen Wahlen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim zu sein haben.

Diese fünf Grundsätze und deren (Spannungs)-Verhältnis zum digitalen Wahlstift erläuterte Stephanie Schiedermair, Juristin an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, in ihrem Vortrag auf der Veranstaltung der Patriotischen Gesellschaft (Wie sicher ist elektronisches Wählen):

Allgemeinheit und Unmittelbarkeit der Wahl: Ist das Wahlgerät so einfach zu bedienen, wie das Ausfüllen des Wahlzettels leicht ist, steht dem Grundsatz der Allgemeinheit nichts im Wege. Auch die Unmittelbarkeit (keine Instanz zwischen Stimmabgabe und Ergebnis, die das Ergebnis verfälschen könnte) ist nicht bedroht, so lange die Wahlgeräte ordnungsgemäß arbeiten – und niemand versucht, das Wahlgerät zu manipulieren.

Die freie Wahl: Die ist selbst durch gezielte Manipulation des Wahlgerätes nicht bedroht. So lange die Entscheidung, die Stimme für diesen oder jenen abzugeben, nicht eingeschränkt wird, ist die Freiheit der Wahl unangetastet. Manipulationen am Wahlgerät verändern eine Entscheidung im Nachhinein, nicht bereits im Vorfeld.

Die gleiche Wahl: Aus diesem Grundsatz leitet das Bundesverfassungsgericht „die Pflicht des Gesetzgebers ab, ein Verfahren zu schaffen, bei dem Zweifel an der Richtigkeit der Stimmauszählung überprüft und das Ergebnis gegebenenfalls korrigiert werden können“. Der Hamburger Wahlstift erfüllt diese Vorgabe des Demokratieprinzips genau dann nicht, wenn nur die digitalen Stimmen zählen – wie aktuell in Hamburg vorgesehen. Die (noch vorhandenen) Papierstimmen sind wertlos, wenn ein Nachzählen dieser Stimmen das Endergebnis nicht mehr korrigieren kann.

Die geheime Wahl: Dieser Grundsatz bedeutet, dass das Abstimmungsverhalten vor Dritten verborgen bleibt. Die Briefwahl verletzt diesen Aspekt des Wahlgeschehens deutlich, wird aber vom BVerfG als kleineres Übel hingenommen. Durch die Briefwahl nehmen mehr Stimmberechtigte am Wahlverfahren teil. Das stärkt die Allgemeinheit der Wahl – und das rechtfertigt eine mögliche Verletzung der geheimen Wahl. Allerdings vergrößert der Wahlstift durch seine Manipulationsanfälligkeit das Risiko, die geheime Wahl zu gefährden. Kostenersparnis und schnelle Verfügbarkeit eines Wahlergebnisses rechtfertigen den Einsatz eines digitalen Wahlgerätes jedoch nicht: „Sie bilden (im Gegensatz zur Briefwahl, Anm. durch Z.) keine tragfähigen verfassungsrechtlichen Gründe, die bei einer Abwägung der Gefährdung der geheimen Wahl gegenübergestellt werden könnten.“

Zusammengefasst heißt das: Zwei Grundsätze einer demokratischen Wahl (gleich, geheim) sind durch den Hamburger Wahlstift akut gefährdet. Deswegen ist das ganze System aus verfassungsrechtlicher Perspektive abzulehnen.

Zitiert ist das aus und nachzulesen ist all das ausführlich in der Juristenzeitung (JZ 4/2007, 162-171).

Hamburger Innenbehörde gehackt?

Diese Seite der Hamburger Bürgerschaft zur Landtagswahl am 24. Februar 2008 behauptet, die Hamburger vertrauen dem digitalen Wahlstift. Aber kann man den Autoren dieses Angebots vertrauen, wenn Sie am Ende Ihrer Seite einen Link (http://www.innenbehoerde.de) platzieren, der zu einer obskuren Seite führt (Domaininhaber laut Denic: Philippe M. aus Wentorf bei Hamburg), aber nicht zur Hamburger Innenbehörde.

Der Link liefert heute diese Meldung:

Hamburger Innenbehoerde gehackt

Das Weblog Magerfettstufe nahm den Link ernst und hat nun den Verdacht, die Seite der Innenbehörde sei gehackt worden. Da sämtliche Angebote der Stadt unter der Domain hamburg.de geführt werden, hätte sich der Blogger überzeugen können, dass die Seite der Innenbehörde durchaus erreichbar ist…

Den seltsamen Link auf der Bürgerschaftswebseite müssen deren Verantwortliche erklären. Oder ist denen der Link in einem Hack untergejubelt worden? Eine Bundestrojaner?

Wahlstift-Nachrichten 2

Heute erschien ein trefflicher Kommentar im Hamburger Abendblatt zum Wahlstift: Digitaler Wahlstift – Schnelligkeit vor Sicherheit. Der Text formuliert sehr pointiert das Unbehagen an einer Technologie, die nicht mehr überprüfbar, zu komplex und zu wenig transparent ist – zumindest für einen so zentralen Baustein der Demokratie wie Wahlen sie darstellen. Das Prinzip einer allgemeinen, unmittelbaren, freien, transparenten und geheimen Wahl, das einer Abstimmung in der repräsentativen Demokratie zugrunde liegt, ist durch den digitalen Wahlstift massiv verletzt.

Durch eine solche Technologie wird allenfalls das Misstrauen in parlamentarische Organisationsformen weiter gestärkt. Und sie ist an dieser Stelle, ich wiederhole mich, wenn ich Rop Gonggrijp zitiere, „eine Nicht-Lösung eines nicht existierenden Problems„.

Verwundert bin ich am Ende nur, dass sowohl die GAL (Parlamentsdatenbank Drucksache 18/4176), als auch die SPD gemeinsam mit der CDU (Parlamentsdatenbank Drucksache 18/4075) den Senat im Frühjahr 2006 aufgefordert haben, die Abstimmungserfassungswunderwaffe in Hamburg erstmals einzusetzen. Damals hat offensichtlich noch keiner die Tragweite erkannt und über die Konsequenzen nachgedacht. Die Abgeordneten scheint eher motiviert zu haben, noch am Wahlabend das Ergebnis zu erfahren. Doch Auszählgeschwindigkeit – neues, komplexes Hamburger Wahlrecht mit Kumulieren und Panaschieren hin oder her – ist kein schützenswertes Gut. Die allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl aber sehr wohl.

Wahlstift-Nachrichten

Das Hamburger Abendblatt nimmt sich derzeit intensiver dem Wahlstift an, der am 24.02.08 in Hamburg seine Weltpremiere haben soll.

Hier die Links zu den Artikeln seit dem 25.09.07:

Das Kreuz mit dem Wahlstift

Kippt die SPD den digitalen Wahlstift?

Zum Schaden der Demokratie

So funktioniert der Stift

Sicherheitsbedenken gegen den Wahlstift

Experten warnen: Digitaler Wahlstift verfassungswidrig

Holland wählt Papier

Eine sehr angenehme Meldung erreicht uns aus Holland: Das Niederländische Innenministerium entzieht beleglos arbeitenden, digitalen Wahlgeräten die Zulassung. Künftig wird in den Niederlanden wieder mit Papier und Stift abgestimmt. Nur zum Auszählen der Stimmen sollen digitale Geräte verwendet werden dürfen. Eine unabhängige Kommission, eingesetzt nach dem NEDAP-Hack im Herbst 2006, legte ihren Bericht vor, der auf heise.de so zusammengefasst wird:

„Ausgehend von den Grundanforderungen an demokratische Wahlen – genannt werden explizit die Freiheit, Gleichheit, Allgemeinheit, Geheimheit, Integrität, Transparenz und Verifizierbarkeit der Wahl – kommt die Kommission in ihrem jetzt an Innenministerin Anna Theodora Bijleveld-Schouten übergebenen Bericht zu dem Ergebnis, dass die gegenwärtige Generation von Wahlmaschinen diesen Anforderungen an den Wahlprozess nicht genüge. Sie empfiehlt die Beibehaltung der Papierstimmzettel, spricht sich jedoch für computergestützte Ausfüllhilfen sowie Stimmzettel-Scanner zur schnellen Auszählung aus.“

Der Chaos Computer Club, beteiligt an der Schwachstellenanalyse des niederländischen Wahlcomputers, hat eine Stellungnahme auf seine Webseite gestellt.