Pedro Almodovar: Volver

Alles, was zurückkehren kann, kehrt auch zurück: Geister, Erinnerungen – und manchmal auch Menschen, die man längst verloren geglaubt hat. Der Film variiert die Themen Verlust, Vergessen, Verschweigen in einem Plot, der wie meist bei Almodovar von Frauen getragen wird…

Raimunda lebt gemeinsam mit ihrem Mann Paco und ihrer Tochter Paula in Madrid. Paco, ein biertrinkender, bald arbeitsloser Nichtsnutz wirft seiner Teenager-Tochter begehrende Blicke hinterher, die Böses ahnen lassen. Aus den Blicken wird ein Belästigungsversuch, den Paco nicht überlebt. Raimunda findet ihre in Tränen aufgelöste Tochter und übernimmt die Verantwortung. – Sie beschließt, die Leiche zu beseitigen.

Raimunda muss also eine Entsorgungsaufgabe lösen. Unterdessen bekommt ihre Schwester Sole eine Versorgungsaufgabe: Eines Tages, nach der Rückkehr aus dem Heimatdorf in der La Mancha, steigt die Mutter der beiden Schwestern aus dem Kofferraum von Soles Auto. Obwohl sie ein paar Wochen zuvor bei einem Wohnhausbrand ums Leben gekommen ist. Nun nimmt die Reise in die Vergangenheit erst recht Fahrt auf.

Tatkräftig stellen sich die beiden Schwestern ihren Problemen und kommen dabei einem Familiengeheimnis auf die Spur, das plausibel macht, warum Raimunda ihre Tochter sofort zu entlasten sucht, nachdem sie den Vater getötet hat. Gekonnt choreographiert Almodovar seine Drei-Generationen-Geschichte, deren Protagonistinnen sich erst nach vielen Jahren einander öffnen, das Schweigen brechen, die erlebten Schmerzen benennen, das Erlebte nach außen holen, bevor es sie innerlich endgültig zerfrisst.

Florian Henckel von Donnersmarck: Das Leben der Anderen

Vor wenigen Tagen habe ich wieder einmal Das Leben der Anderen gesehen. Der Oscar-prämierte Film erzählt die Geschichte eines Stasi-Mannes, der vom tausendprozentigen Befürworter knallharter Ermittlungsmethoden im Dienste des Sozialismus zum Verteidiger/Beschützer eines Andersdenkenden wird. Der Film erzählt aber auch, wie Sehnsüchte zerstört werden, Vertrauen mißbraucht wird, Beziehungen zerrüttet werden, Menschen versagen, scheitern, zugrunde gehen, wenn sie ihren Halt, ihre innere Mitte verlieren und eben nicht mehr wissen, auf welcher Seite sie nun eigentlich stehen.

Mir ist jetzt noch klarer, warum der Film nicht nur in Deutschland funktioniert: Die Stasi-Geschichte, die uns die üblen Seiten der DDR näher bringt, ist nur die Folie, der Hintergrund für den viel größeren Stoff, den der Autor erzählt. Ja, im Grunde genommen ist die DDR und ihr Geheimdienst austauschbar gegen ein beliebiges anderes Land und dessen geheime Dienste. Jeden Tag werden noch heute rund um den Globus auf diese Weise Leben zerstört, in so genannten demokratischen Ländern genauso wie in Diktaturen. Aus Menschen werden Geständnisse heraus gepresst, Liebende werden aufeinander gehetzt, Abhängige werden noch abhängiger gemacht. Und all das meist im Namen einer guten Sache. Doch wer auf diese Weise an einer vermeintlich guten Sache beteiligt ist, kann selbst auf Dauer kein guter Mensch sein. Und: All das fällt irgendwann auf die vermeintlich gute Sache selbst zurück. HGW XX/7, Hauptmann Gerd Wiesler erkennt das nach und nach und beginnt, sich dem Bösen zu widersetzen. Da er ein Geheimer ist, sind ihm die Maßnahmen, die Verhaltensregeln, die Winkelzüge vertraut, um subversiv auf die Subversion zu reagieren. So nutzt er seine Chance, dem Bösen zu entkommen, dem er sich einst verschrieben hatte.

PS.: Mit der Sicht derjenigen, die nach 1990 ihre Stasiakten gesehen haben, beschäftigt sich dieser Beitrag: Das Leben des Anderen – Stasiakteneinsichten.

PPS.: Ich habe inzwischen meine eigene Akte veröffentlicht.

One in Four – Anti-Stigma-Video

Eine Kollegin, die im Projekt Entstigmatisierung von Gedächtnisstörungen arbeitet, entdeckte dieser Tage dieses bewegende Video gegen Ausgrenzung, Vorurteil und Stigmatisierung. Der Film wirbt für das Verständnis von Menschen (Einer von Vier), die anders sind, die in einer anderen Wirklichkeit leben, oder die im Alter anders werden, weil ihr Gedächtnissystem immer größere Lücken aufweist – bis hin zum Verlust der Persönlichkeit.

alejandro gonzález iñárritu: babel

der film ist ein versatzstück-baukasten.

autor arriaga und regisseur iñàrritu verklöppeln versatzstücke mit wiedererkennungswert für den globalen mainstream-kinozuschauer (reisen, terror, behinderung, migration) – zu einer mächtigen bilderflut, mal video-ästhetisch rasant geschnitten, mal gemächlich im kammerton komponiert.

der plot: eine amerikanische touristin (cate blanchett) wird in marokko zufällig opfer eines gewehrkugeltreffers, abgefeuert von einem hirtenjungen, der mit seinem bruder in einen kindlichen konkurrenzkampf verstrickt ist. während der ehemann verzweifelt (ganz schlecht: brad pitt) um die rettung seiner frau ringt, ergeben sich globale verwicklungen…

der regisseur versucht, mit dem werk einem vermeintlichen algorithmus des idealen films näher zu kommen. leider bestimmt das formelhafte den verlauf. dem film fehlt das herz, die wärme, die möglichkeit, sich zu identifizieren. figuren und geschichten sind genauso austauschbar wie die orte und landschaften, vielleicht abgesehen von der tragik der beiden brüder in marokko und der verzweiflung des taubstummen mädchens in japan.

lose enden und mäandernde stränge wirken willkürlich miteinander verflochten. nichts in dieser geschichte ist wirklich zwingend. jeder mensch könnte sich in diesem rahmen noch zwanzig andere verläufe ausdenken, die ähnlich plausibel sein könnten.

interessant auch, dass vor dem film zwei spots laufen, die genau dem globalisierungsprinzip und vor allem der globalisierungsästhetik der iñárritu-bilder folgen: eine schnell geschnittene sequenz mit menschen aus verschiedenen lebenszusammenhängen rund um den globus, t-home. und die geschichte der-koffer-geht-verloren-ohne-dass-der-besitzer-es-merkt von rimowa.

ein groß gemeinter wurf, dem es zu einem großen, einem exzellenten film nicht reicht, weil er nähe, weil er starke gefühle als bauteile, module, als programmschleifen verwendet, die sich dem optimierungsanspruch des regisseurs unterzuordnen haben. schade.

in der süddeutschen las ich sinngemäß: der regisseur hat viel zu erzählen, aber nichts zu sagen. und dennoch gabs den golden globe…