Hyperaktiv durch Lebensmittelzusätze?

Letzte Woche veröffentlichte die medizinische Fachzeitschrift The Lancet eine Studie zu künstlichen Zusätzen in Lebensmitteln. Die Arbeit der englischen Forscher ging der Vermutung nach, eine hohe Menge solcher Farb- und Konservierungsstoffe im täglichen Nahrungs- und Getränkeangebot könnte hyperaktives Verhalten von 3-jährigen und 8 bzw. 9-jährigen Kindern begünstigen.

Um herauszufinden, wie die Zusätze unter kontrollierten Bedingungen wirken, verabreichten die Untersucher den Kindern in der einen Woche ein farbgleiches und identisch schmeckendes Placebo, in der nächsten einen aktiven Mix A und in der übernächsten Woche einen aktiven Mix B. Als Zielgröße wählten die Autoren einen von ihnen so genannten Global Hyperactivity Score.

Die Studie erbringt gemischte Resultate: Bei den Dreijährigen erbringt Mix A Resultate im Sinne der Vermutungen. Mix A erhöht also die Hyperaktivität statistisch bedeutsam. Mix B jedoch schlägt nicht an. Bei den 8- bzw. 9-Jährigen wirken sich beide Zubereitungen aufs Verhalten aus. Allerdings gilt dies nur für jene Teilnehmer, deren Eltern von einer besonders zuverlässigen Einnahme der Substanzen berichten.

Eindeutig interpretieren, so wie die Autoren es tun, lässt sich die Studie aufgrund dieser Ergebnislage eher nicht. Der Beleg, dass künstliche Farb- und Konservierungsstoffe zu vermehrter Hyperaktivität führen ist sicherlich nicht erbracht.
Kinder insgesamt weniger all den künstlichen Farbstoffen und sonstigen Lebensmittelzusätzen (in Gummibärchen, Fruchtsäften, Lakritzen, usw.) auszusetzen, ist bestimmt hilfreich – zumal über die reguläre Nahrung noch genügend dieser Stoffe aufgenommen werden.

Karl Lauterbach verhöhnt?

Nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss vergangene Woche beschlossen hat, dass zukünftig Vorsorgeleistungen nicht verpflichtend von den Patienten in Anspruch genommen werden müssen, geht Karl Lauterbach, Gesundheitsökonom und SPD-Abgeordneter im Bundestag in die mediale Offensive. Dem Kölner Stadtanzeiger gibt er zu Protokoll: „Das ist eine Verhöhnung des Gesetzgebers.

Lauterbach hält es für eine Zumutung, dass der GBA sich über die Wünsche des Gesetzgebers hinweg setzt. Der hatte nämlich in § 62 SGB V verfügt, chronisch Kranken zukünftig nur dann die ermäßigte Zuzahlung (1% der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt) zu gewähren, wenn diese regelmäßig Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch nehmen. Weil der GBA nun allenfalls eine Beratung für verpflichtend erklärt, kippt das Gremium sehr zu meinem Vergnügen die beabsichtigte Bestrafung (2% Zuzahlung für chronisch Kranke statt 1%).

Beim Zahnersatz gilt diese (Vorsorge)-Regelung ja schon lange. So argumentieren auch Lauterbach & Co.: Regelmäßige Kontrollen dokumentieren den Zahnstatus und führen zu rechtzeitiger Behandlung. Im körpermedizinischen Bereich stellt sich das allerdings schnell als unangemessener staatlicher Körperkontrollzwang heraus. Zum einen sind die Tests wenig aussagekräftig und wenig verlässlich. Zum anderen sind viele Grenzwerte äußerst umstritten wie erst die jüngste Debatte um den Body-Mass-Index und die fetten Deutschen zeigt.

Fazit: Herr Lauterbach mag sich verhöhnt fühlen. Doch dem exzessiven Körperkontrollbegehren des Gesetzgebers einen Riegel vorzuschieben, ist nur zu begrüßen. So wie ich nämlich keinen Präventionsstaat im Bereich der Sicherheitspolitik möchte, kann ich auch in der Gesundheitspolitik gern auf diese Art staatlicher Organisation verzichten. Und warte nun gespannt darauf, ob Ulla Schmidt der GBA-Richtlinie zustimmen wird.

GBA gegen Pflicht zur Früherkennung

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), ein Gremium, in dem Ärzte, Krankenkassen und Patienten über Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entscheiden, beschloss in seiner Auslegung von § 25 SGB V, der im letzten Gesundheitsreformgesetz frisch verankert wurde:

„Auch künftig soll es keine verpflichtende Teilnahme an den von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angebotenen Gesundheits- und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen geben. Stattdessen sollen sich gesetzlich Versicherte von einem Arzt mit Erreichen des Anspruchsalters einmalig über Vor- und Nachteile der jeweiligen Früherkennung beraten lassen.“ (Zitat Pressemitteilung GBA)

Eine sinnvolle Begrenzung der Absichten des Gesetzgebers, jene Versicherten durch erhöhte Zuzahlungen zu bestrafen, die chronisch erkranken und die nicht regelmäßig bspw. zur Krebsfrüherkennungsuntersuchung gegangen sind.

Angesichts erheblicher wissenschaftlicher Zweifel an der Prognosesicherheit von Früherkennungstests und möglichen Risiken durch falsche Befunde (Brustkrebs bei sehr jungen Frauen) bzw. invasive Verfahren (Darmspiegelungen) setzt der GBA ein Zeichen gegen den Präventions- und Vorsorgewahn führender Gesundheitspolitiker.

GKV-Aussteiger ohne Kostenerstattung

Bereits am 27.06.07 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, niedersächsischen Zahnärzten, die aus dem GKV-System ausgestiegen sind, die Erstattung ihrer Kosten zu verweigern. Zahnärzte, die in einem „kollektiv abgestimmten Verfahren“ ihre Zulassung zurückgegeben haben, dürften nicht mehr uneingeschränkt GKV-Versicherte behandeln.

Die bayrischen Hausärzte, die neulich beschlossen haben, das GKV-System zu verlassen, sollten sich das Urteil genau durchlesen: „Nur wenn die Krankenkassen die Versorgung mit unaufschiebbaren (zahn-)ärztlichen Leistungen anderweitig nicht rechtzeitig sicherstellen können (sog „Systemversagen“), müssen sie die Kosten auch für außerhalb des Systems erbrachte Leistungen übernehmen.“ Paragraf 95b Abs 3 SGB V, den auch die bayrischen Hausärzte für sich in Anspruch möchten, wenn sie die GKV verlassen haben, wirkt also erst nach einem umfassenden, beinahe totalen Boykott.

Es wird spannend sein, ob es dem BHAEV gelingt, das System zum Versagen zu bringen. Bei der gegenwärtigen Uneinigkeit der Ärzteschaft (siehe Querelen in der KBV) sind Zweifel an dieser Fähigkeit erlaubt.

Ärzte IGeLn sich ein

Das wissenschaftliche Institut des AOK-Bundesverbandes, WIDO, veröffentlichte gestern Daten einer Patientenbefragung (3000 Teilnehmer, bundesweit) über Zusatzleistungen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte, die Krankenversicherte aus eigener Tasche bezahlen.

Diese so genannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) können nicht im Rahmen der GKV abgerechnet werden – und dienen als Zubrot im Praxis-Umsatz. Außer der einen oder anderen Reiseschutzimpfung sind die angebotenen Leistungen medizinisch überflüssig.

Laut WIDO IGeLn hauptsächlich Gynäkologen und Augenärzte, aber auch Urologen, Hautärzte und Orthopäden schaffen sich diesen Nebenmarkt, dessen Volumen seit der vorhergehenden Befragung im Jahr 2005 leicht gewachsen ist (+2%).

Patienten mit mehr Bildung und einem höheren Einkommen nehmen häufiger IGeL-Leistungen in Anspruch bzw. bekommen diese häufiger angeboten und willigen ein. Allerdings unterlassen es die Behandler in zwei Dritteln der Fälle, die eigentlich erforderliche, schriftliche Vereinbarung mit den Patienten zu treffen. In etwa einem Fünftel der Behandlungsfälle findet die Transaktion Leistung gegen Geld – laut Aussagen der Patienten – sogar ohne Rechnung statt, Brutto für Netto also.

Zu wenig noch, wie ich finde, denn erst dann wird es doch richtig lukrativ.

Hausärzte raus aus der GKV?

Der Verband der bayrischen Hausärzte hat auf seiner Delegiertenversammlung vergangenes Wochenende in Würzburg das einstimmige Votum der Delegierten erhalten, seine Mitglieder aus der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) herauszuführen. Der Vorstand des Landesverbandes darf ab sofort damit beginnen, den Ausstieg aus dem System gesetzlicher Krankenkassen und kassenärztlicher Vereinigung zu organisieren.

Paragraf 95b und Paragraf 72a SGB V regeln den Umgang mit den Verzichtserklärungen der niedergelassenen Vertragsärzte.

Mir ist völlig unklar: Wird das geduldet? Wird das angefochten? Zahlen die Kassen widerspruchslos den einfachen GOÄ-Satz, wie von den Initiatoren des GKV-Verzichts entworfen? Pokern die Hausarztfunktionäre zu hoch? Könnte jemand feststellen, dass sich auch mit nur der Hälfte niedergelassener Hausärzte eine gute primärärztliche Versorgung aufrecht erhalten liesse? Oder handelt es sich sowieso nur um strategisches Positionieren, weil gegenwärtig die Fallpauschalen für die ambulante Versorgung verhandelt werden? Am Ende doch alles nur heiße Luft?

Fragen über Fragen. Ich warte mit Spannung auf den weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzung.

AOK – Arm. Orientierungslos. Krank.

Ein (auf Widerruf) ziemlich konkurrenzloses Angebot macht die AOK den Inhabern Ihrer AOKplusCARD: Wie das ZDF gestern in seiner Sendung „Frontal 21“ berichtete, legt die Krankenkasse Ihren Versicherten besondere Rabatte auf den Gabentisch, um sie an sich zu binden: Extra-Minuten im Sonnenstudio, Cocktails in teilnehmenden Bar-Betrieben, einen Extra-Cheeseburger beim Kauf eines Maxi-Menüs in einer Schnellfresskette.

Ich habe großes Mitgefühl. Aus der Aktion spricht Verzweiflung, Not und Existenzangst: Der Kasse laufen die Mitglieder weg, insbesondere die jungen, die gut verdienenden, die gesunden. Diese Klientel mit ein paar Anreizen zum Schlemmen, Saufen und Sonnenbaden am Weglaufen zu hindern oder damit Neumitglieder zu gewinnen, muss doch bitteschön erlaubt sein… Oder?

Auch wenn die AOK Baden-Württemberg inzwischen auf den Bericht reagiert und die Rabatte aufgekündigt hat, hängen bleibt der Eindruck, hier will sich eine arme, orientierunglose, kranke Versicherung in Not gleich selber umbringen, indem sie sich vollends der allgemeinen Lächerlichkeit preisgibt. Möge der Gesetzgeber das als Aufforderung verstehen. Möge er die AOK („Abschaffen. Ohne Kulanz.“) in einem geordneten Verfahren auflösen. Die mehrheitlich alten und chronisch kranken Mitglieder werden dann in einem ebenso geordneten Verfahren den anderen Krankenkassen zugewiesen.

Wahloptionstarife der Krankenkassen

Im Gegensatz zu den Wahlpflichttarifen, welche die gesetzlichen Krankenkassen gemäß GKV-WSG anbieten müss(t)en, führen sie die neuen Wahloptionstarife, die sie anbieten können, sehr offensiv und flächendeckend ein:

  • Selbstbehalt-Tarif
  • Kostenerstattungstarif
  • Nichtinanspruchnahme-Tarif
  • Tarife für besondere Therapierichtungen

Eine Gefahr bei dieser Art Tarifen ist, dass sich junge, gesunde Versicherte ihren Anteil aus dem System zurückholen und die alten und/oder chronisch kranken Versicherten auf den Kosten sitzen bleiben. Mit solchen Angeboten erlaubt das Gesetz den gesetzlichen Krankenversicherungen, das bisherige Solidaritätsprinzip (Gesunde finanzieren Kranke) zu unterlaufen bzw. es zumindest aufzuweichen.

Deswegen hat der Gesetzgeber einem unkontrollierten Aderlaß einen Riegel vorgeschoben: Ein Versicherter darf pro Jahr nicht mehr als €600 zurückbekommen bzw. nicht mehr als 20% des eigenen Jahresbeitrages. Die Tarife müssen sich selber tragen, dürfen also nicht durch „Normaltarif“-Versicherte subventioniert werden. So ist der Entsolidarisierung zumindest gegenwärtig ein Riegel vorgeschoben. Aber weil das Prinzip des solidarischen Ausgleichs unterlaufen wird, ist damit womöglich einer Abkehr von der Idee der Solidarversicherung das Tor geöffnet.

BVA bremst Kassen

Laut einem Bericht der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ versagt das Bundesversicherungsamt den gesetzlichen Krankenkassen, Tarife mit zusätzlichen Leistungen wie Chefarztbehandlung und Einzelzimmerzuschlag anzubieten.

Die privaten Krankenversicherungen (PKV) wehren sich vehement gegen die Konkurrenz aus den Reihen der gesetzlichen Versicherer. Bisher schließen nämlich die Privaten solche Verträge exklusiv mit den Versicherten ab – auch und gerade mit Versicherten, die regulär gesetzlich krankenversichert sind.

Wahlpflichttarife der Krankenkassen

Die gesetzlichen Krankenkassen sind seit dem 01.04.2007 verpflichtet, ihren Versicherten Tarife für die Teilnahme an besonderen Versorgungsformen anzubieten:

  • Integrierte Versorgung (IV)
  • Disease-Management-Programme (DMP)
  • besondere ambulante ärztliche Versorgung
  • Modellvorhaben
  • Hausarzt-zentrierte Versorgung

Bestimmte Angebote, bei denen die Patienten bspw. die Praxisgebühr rückerstattet bekommen, haben die Krankenkassen bereits im Angebot. Gerade die Chroniker-Programme (DMP) sind für die Kassen attraktiv, da sie über den so genannten Risikostrukturausgleich und damit verbundene Ausgleichszahlungen im Pool der Kassen davon profitieren.

Einen Tarif zur Hausarzt-zentrierten Versorgung ist gegenwärtig jedoch kaum zu bekommen. Zwar bietet die Barmer Ersatzkasse ihren Versicherten einen Hausarztvertrag. Allerdings erfüllt der (eventuell) nicht die Vorgaben des Gesetzgebers. Ein Verfahren gegen diese Verträge ist vor dem Bundessozialgericht in Kassel anhängig. (update)
Aus Kostengründen ist seitens der Versicherer gegenwärtig kaum mit einem flächendeckenden Hausarzt-Tarif zu rechnen – zumal der Gesetzgeber versäumt hat, ein Datum ins Gesetz zu schreiben, bis wann die neuen Pflichttarife einzuführen sind. Wer einen Hausarzttarif von seiner Kasse will, diese aber abwiegelt oder auf später vertröstet, meldet sich am besten bei der Dienstaufsichtsbehörde, dem Bundesversicherungsamt in Bonn, Tel.: 0228 619-0.