Stasi 2.0

Der „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ erfand das Kürzel „Stasi 2.0„, das nun im Netz für die neuen Sicherheitsinitiativen von Schäuble, Beckstein und Co. steht.

Dataloo“ stellte dann die grafische Aufbereitung online:

Schäuble Stasi 2.0

Als Betroffener der Stasi, Version 1.0, fühle ich mich dieser Zuspitzung sehr verbunden. Die Verfassung muss vor dem Verfassungsminister geschützt werden. Immerhin hat der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar nun klare Worte gewählt gegen Schäubles Phantasie, die digitalisierten Fingerabdrücke aller Bürger nach der Ausstellung eines Reisepasses aufzubewahren – und auch die SPD scheint sich langsam (in Teilen) gegen die Schäuble-Pläne zu stellen.

Staatsparanoia

Die technische Entwicklung eröffnet dem Staat und seinen Sicherheitsbehörden inzwischen Möglichkeiten, von denen der Staatssicherheitsdienst in der DDR allenfalls träumen konnte: Vorratsdatenspeicherung von Verbindungsdaten, Zugriff auf privat genutzte Festplatten, biometrische Erfassung der Bevölkerung. Es bleibt, wie in allen Fällen technischer Möglichkeiten die entscheidende Frage: Ist alles, was möglich ist, auch sinnvoll? Und wenn ja, für wen?
Das Innenministerium sagt sich: Wenn wir ALLE Informationen kontrollieren, laufen auch die sicherheitsrelevanten Kommunikationen durch unsere Kanäle. Damit stellt sich die Frage, ob auch ALLE sicherheitsrelevanten Informationen durch diese Kanäle fließen?

Das bezweifle ich. Die Sicherheitsdienste schöpfen Daten ab von Quellen, die im Alltagsleben keinerlei Vorkehrungen dagegen ergreifen, von mitlauschenden Dritten abgeschöpft zu werden. Die naive Haltung, wer nichts zu verbergen hat, braucht auch nichts zu befürchten, spielt diesem maßlosen Abschöpfen in die Hände.

Wer seine Informationen schützen will, damit sie vertraulich fließen können, trifft meist Maßnahmen, seine Kommunikation abzuschirmen. Das ist technisch dieser Tage keine große Herausforderung. Ansonsten bleibt der nicht-technisch vermittelte Informationsaustausch oder auch die Schneckenpost bis hin zu Kurierdiensten.

Es ist also davon auszugehen, dass Menschen, die Böses aushecken, dies bei gutem Verstand nicht mittels jener Kanäle tun, die den Sicherheitsbehörden zugänglich sind.

Was soll also das Ganze? Warum fordert der Innenminister die Verfasstheit dieses Landes heraus, die das Individuum und seine Privatsphäre mit besonderen Abwehrrechten ausstattet? Hat Schäuble nichts gelernt aus Nazismus und real-existierendem Sozialismus? Oder hat er gelernt, wie er es anders anfangen muss, um das gleiche Ziel zu erreichen: Totale Kontrolle. Immer schön an der Verfassung basteln, damit sie irgendwann passt. Wer schützt eigentlich die Verfassung vor dem obersten Verfassungsschützer?

Vorratsdatenspeicherung kommt

Die Bundesregierung hat heute einen Gesetzentwurf verabschiedet, der sich mit Telefonüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen beschäftigt. Zum Entwurf gehört auch die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Die Pressemitteilung des Justizministeriums stellt selbstverständlich den Schutz der Privatsphäre in den Mittelpunkt: „Mehr Grundrechtsschutz bei verdeckten Ermittlungsmaßnahmen„.

Dass die Bundesregierung die EU-Richtlinie so widerstandslos umsetzt (ganz im Gegensatz zu anderen Richtlinien, wie jene zum CO2-Verbrauch von Neuwagen), zeugt von einem ausgeprägten Datensammel- und Kontrollwahn der politisch Verantwortlichen. Dieser Eingriff in die Privatsphäre ist heftig, weil er ALLE Bürger/innen unter Generalverdacht stellt. Die Verbindungsdaten (Mobilfunk, Internet) kombiniert mit den Standortdaten (Mobilfunk) laden dazu ein, Bewegungsprofile zu erstellen, Kommunikationen nachzuzeichnen, die Mediennutzung (SMS) zu dokumentieren. Wer also zukünftig seine Privatsphäre schützen möchte, sollte wieder auf die gute, alte Schneckenpost zurückgreifen. Der Adressat eines Briefes wird nämlich (noch) nicht 6 Monate lang in einer Datenbank gespeichert.

Sich auf dem Kinderspielplatz zu verabreden, ist eine weitere Möglichkeit, subversive Gedanken auszutauschen…

Datenspuren

Ich verweigere Kundenkarten jeglicher Art, stehe nicht im Telefonbuch und nehme nie an Gewinnspielen teil. Ich bin gegen Vorratsdatenspeicherung und gegen Online-Durchsuchungen meiner Festplatte. Ich lehne biometrische Pässe und Ausweispapiere ab und halte Wahlmaschinen für demokratie-gefährdend bzw. wie ein holländischer Sicherheitsexperte es nannte: „Eine Nicht-Lösung für ein nicht-existierendes Problem“.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich trete hier nicht als IT-Verächter auf. Ja, ich vertraue sogar der Technik, die ich selber gebrauche (na ja, meistens). Aber ich vertraue den Leuten nicht, in deren Händen die große Verantwortung für die Großtechnik liegt. Die wirkmächtige, jedoch wenig durchdachte, wenig transparente Digitalisierung des Alltags (Überwachungskameras, Mautsystem, elektronische Patientenakte usw.) nervt. Hier paaren sich in den Köpfen der Entscheider rücksichtslose Fortschrittsgläubigkeit mit wahnhaften Kontrollbestrebungen.

Und trotzdem stelle ich täglich im Netz meine Gesinnung zur Schau… Ein Widerspruch?

Kaum. Warum sollte es mein Ziel sein, meine Datenspuren zu verwischen, wenn ich sie selber gestalten kann? Ich will ja gerade welche hinterlassen. Wenn schon Informationen von mir abgeschöpft werden, steht es mir frei, den Informationspool mit meinen Selbstsichten zu erweitern und zu bereichern. Hier allerdings speise/(schleuse?) ich Daten freiwillig in ein soziales Netzwerk. Dort zwingen mich die Großtechniken, Datenspuren in verschiedenen (intransparenten) Ablagesystemen zu hinterlassen. Ich als Zusammengesammelter jedenfalls ahne nicht, wer gerade was über mich durch welchen statistischen Wolf dreht – und welches Risikoprofil sich dabei entfaltet. Wobei ich natürlich hoffe, dass verhaltensaufällig und hochgefährlich herauskommt…

Meine Festplatte gehört mir!

In einem Urteil hat der Bundesgerichtshof heute festgestellt, die Strafprozessordnung erlaube es nicht, dass die Ermittlungsbehörden heimlich übers Internet private Computer durchsuchen. Es fehle die notwendige Ermächtigungsgrundlage, um auf diese Weise in den Datenverkehr einzugreifen. Durchsuchungen sind per se offene Ermittlungsmaßnahmen. Heimliches Schnüffeln auf den Festplatten anderer verstößt gegen dieses Offenheitsprinzip.

So sehr der Beschluss zunächst meine Festplatte schützt, so wenig wird er Bundesinnenminister Schäuble daran hindern, sich die entsprechenden Gesetzesänderungen zu besorgen, die er braucht, um Online-Durchsuchungen zu legalisieren. Die Gewerkschaft der Polizei unterstützt den Innenminister dabei.

Was bleibt ist die Notwendigkeit, wachsam gegenüber dem Innenminister zu sein. Außerdem möge der Benutzer Betriebssysteme verwenden, die weniger anfällig für „Bundestrojaner“ sind. Lässt sich das nicht ganz vermeiden, empfiehlt es sich erst recht, Email-Anhänge nicht zu öffnen, schon gar nicht jene, in denen das BKA im Betreff steht, :-).

Im Netz der Fahnder – Vorratsdatenspeicherung & Co.

Die Grünen-Politikerin Julia Seeliger scheint eine der wenigen Abgeordneten zu sein, die über Dinge reden, von denen sie etwas verstehen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung äußert sie sich kenntnisreich und engagiert zu Themen wie der geplanten Vorratsdatenspeicherung, zum Internet als öffentlichem Raum und der letzten Datensammelidee des Bundesinnenministers Schäuble. Ohne öffentlichen Aufschrei schlägt Schäuble vor, die Sicherheitsbehörden sollten sich die Schwachstellen in gängigen Betriebssystemen zu Nutze machen. Durch Hintertüren könnte der Staat dann trojanische Pferde oder andere Horch- und Guck-Programme auf diesen Rechnern installieren, um Daten abzuschöpfen.

Ja, wo leben wir denn? Was will der Innenminister? Will er vielleicht, dass wir die BRD irgendwann in Tütelchen schreiben, „BRD“ – die so genannte BRD, ein Land in der die bürgerlichen Freiheiten außer Kraft gesetzt sind? Schon mal was vom Fernmeldegeheimnis gehört? Weiß der Schäuble nicht, dass er an seinen Datenbergen ersticken wird, wie heute schon die CIA, die NSA oder damals das MfS? Soviel Data-Miner kann der Schäuble gar nicht anstellen, wie es Rechner mit sehr schlecht designten und damit fehleranfälligen Betriebssystemen gibt…

Eines allerdings muss ich Schäuble zugute halten. Er nutzt das vorbereitete Klima im Land, die Fahrlässigkeit der Bürger im Umgang mit ihren Daten. Deswegen bleibt auch ein Aufschrei aus. Dutzende Millionen Bürger überlassen ganz und gar freiwillig ihre Daten privaten Unternehmen. Kundenkarten, Rabattsysteme, Cookies in den Webbrowsern, Gewinnspiele, Online-Bestellsysteme. Überall hinterlassen wir unsere Datenspuren und denken nicht weiter darüber nach. Warum sollen wir dann nicht auch dem Staat die Möglichkeit gewähren, auf unseren Computern nach dem Rechten zu schauen?

Ein paar Linx:
Gemeinsame Erklärung zum Gesetzentwurf über die Vorratsdatenspeicherung
Intiative gegen Vorratsdatenspeicherung
Data Retention is no Solution
Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs