Experten zweifeln am Wahlstift

Aus der heutigen Anhörung vor dem Verfassungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft nehme ich drei Erkenntnisse mit:

1. Ich habe mich geirrt. Gestern habe ich behauptet, aller Voraussicht nach wird heute das Todesurteil über den Wahlstift gefällt. Hätte ich mich besser informiert, wäre ich nicht auf die Idee gekommen: Im Zuge der Anhörung war nie vorgesehen, am selben Tag eine Entscheidung herbeizuführen.

2. Der Chaos Computer Club offenbart per Videodokumentation (mp4) eine weitere Schwäche im technologischen Potpourri rund um den Wahlstift – und enttäuscht dennoch die Erwartungen der Anwesenden. Offenbar sind die Sehnsüchte nach spektakulären öffentlichen Auftritten des CCC so hoch, dass es ausgesprochen geschickt ist, diese Erwartungen eben nicht zu bedienen. Oder wie Frank Rieger, einer der maßgeblichen Wahlstift-Analysierer bei der Anhörung sagt: „Wir machen kein Showhacking. Wir machen Sicherheitsanalysen.“

3. Die deutliche Mehrheit der eingeladenen IT-Experten übt verhaltene bis massive Kritik an Konzept und Umsetzung der Idee, mit Hilfe eines digitalen Wahlgerätes Wählerstimmen zu erfassen.

Update, 14.11.07

Eine ausführliche Darstellung der Expertenanhörung findet sich hier auf netzpolitik.org

Hallo Wahlstift!

Deine sturzgeborene Existenz geht zu Ende, bevor Du richtig ins demokratische Leben eintreten konntest. Manche Deiner Geburtshelfer distanzieren sich von Dir (GAL) oder stellen Dir unerreichbare Bedingungen für das weitere Überleben (SPD). Andere (CDU) halten an Dir fest, weil Sie denken, einfach nicht mehr ohne Dich auskommen zu können. Wieder andere (Willi Beiß, Landeswahlleiter) glauben weiterhin an Deine Qualitäten – obwohl Sie dem aufmerksamen Betrachter leider noch nie auffallen mochten.

Nun ist für den morgigen Freitag eine Anhörung vor dem Verfassungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft angesetzt, die aller Voraussicht nach Dein Todesurteil sein wird. Der Chaos Computer Club wird aktive Sterbehilfe leisten – und Dich und uns von allen Qualen erlösen.

Ruhe in Frieden. Möge Dein Schicksal wie das Deiner großen Schwester, der NEDAP-Wahlmaschine, ein abschreckendes Beispiel sein.

Weitere Stimmungsberichte:

Spiegel Online: Digitaler Wahlstift: Hamburger ignorieren Ihre Schnupperwahlen
Die Welt: Hacker entscheiden über den digitalen Wahlstift
taz: Handauszählung kostspielig

SPD bedingt für Wahlstift

Im politischen Wettrennen um die biegsamste Flexibilität und die am wenigsten angreifbare Standpunktlosigkeit hat sich die Hamburger SPD wieder einen beeindruckenden Vorsprung erarbeitet: Das Hamburger Abendblatt zitiert heute SPD-Fraktionschef Michael Neumann, der die Bedingungen der SPD für die Zustimmung zum digitalen Wahlstift benennt:

– Wenn alle technischen Bedenken ausgeräumt werden können,
– alle drei Bürgerschaftsfraktionen gemeinsam für den Stift stimmen und
– die Wähler der neuen Technik vertrauen.

Anstatt klar zu sagen, lasst uns in Ruhe mit dem Mist (Ok, den Mist, den wir selber mal wollten, aber wir sind ja lernfähig…), bringt es die SPD fertig, drei unerreichbare Bedingungen zu formulieren, nur damit ihr später niemand die Verantwortung für die Konsequenzen in die Schuhe schieben kann. Wir hätten ja gewollt, aber unsere Bedingungen liessen sich nicht erfüllen…

So schlecht es angesichts der SPD-Bedingungen um den Wahlstift bestellt ist, so schlecht ist es um eine SPD bestellt, die sich so defensiv und ängstlich verhält – und bis zuletzt nach allen Seiten offen sein möchte.

Merke: Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht ganz dicht!

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Wahlstift vor dem Ende?

Wie die TAZ in ihrer morgigen Ausgabe (05.11.07) schreibt, gibt es in der Hamburger SPD-Fraktion nur noch einen Wahlstiftbefürworter:

„Wie die taz aus SPD-Fraktionskreisen erfuhr, votiert nur noch ein SPD-Abgeordneter für den Wahlstift. Damit wäre die allein regierende CDU einzige Befürworterin des Geräts. Zwar haben SPD und Grüne Alternative Liste nur 57 Stimmen und die Union 63. In der SPD rechnet man aber offenbar damit, dass die CDU den Stift nicht gegen den Willen der anderen Fraktionen durchsetzen wird.“

CDU-Wahlstiftfan van Vormizeele hat schon öffentlich angekündigt, den Stift nicht gegen die anderen Parteien durchsetzen zu wollen. Das Hamburger Abendblatt zitiert ihn am 26.10.07 so: „Wir wollen den Einsatz des digitalen Wahlstiftes nach wie vor nicht im Alleingang durchsetzen.

Wenn also die taz nicht völlig daneben liegt, haben die letzten Stündchen des digitalen Wahlstiftes geschlagen, zumindest in Hamburg.

Wahlstift-Nachrichten 5

Manche Medien tun sich selber keinen Gefallen, wenn sie über bestimmte Themen berichten, die den federführenden Journalisten intellektuell überfordern. Oder der das Stück einfach nur grottig recherchiert…

So misslang heute dem „Tagesspiegel“ ein Beitrag zum Hamburger Wahlstift gründlich. Allein der Satz „Der Stift, der einem Kugelschreiber täuschend ähnlich sieht, wird in den Wahlkabinen in einem Auslesegerät stecken“ entlarvt den Journalisten Stürzenhofecker. Er hat nicht geblickt, wie das System funktioniert. Das Auslesegerät wird aus gutem Grund nicht in der Wahlkabine stehen. Denn da könnte ja jeder unbehelligt seinen eigenen Stift ins Lesegerät stecken…

Ich fürchte, solche Texte spielen den Befürwortern des Wahlstiftunsinns in die Hände. Leider hat „Die Zeit“ auf ihrer Online-Seite diesen Mist auch noch übernommen. Qualitätsjournalismus á la Holtzbrinck. Ich wünsche dem Hamburger SPD-Spitzenkandidaten Michael Naumann (beurlaubter Mitherausgeber „Die Zeit“) bessere Informanten als diesen Journalisten…

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Wahlstift und die CDU –

eine Liebe bar jeder Vernunft…

Die GAL hat die Seiten gewechselt, die SPD wartet ab, was da noch so ans Tageslicht kommt über das Hamburger Digitale Wahlstiftsystem – und die CDU?

Die Mehrheitspartei im Hamburger Parlament steht, befeuert von Ihrem Wahlstift-Chefdenker Kai Voet van Vormizeele (VvV), bis heute treu zum Wahlstift. Obwohl die Präsentation des Chaos Computer Club die prinzipielle Unsicherheit des Wahlstiftes dokumentiert, hat VvV „keinen Zweifel daran, dass der Wahlstift ein sicheres System ist„.

Mehr als ein unsicheres Wählsystem fürchtet VvV nämlich, die kumulierten und panaschierten Stimmen könnten innerhalb von drei Wochen nach der Wahl nicht ausgezählt sein. Doch so wie die Liebe zum Stift ist auch die Befürchtung nicht verfassungsfristgerecht auszuzählen bar jeder Vernunft: Es gibt bundesweit keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein komplettes Handauszählen von kumulierten und panaschierten Stimmen drei Wochen dauert.

Alles nur Populismus?

Wahlstift und die SPD –

ein Rückzug auf Raten…

Erst hat die GAL in Hamburg sich als lernfähig erwiesen. Sie fordert inzwischen, dass bei der nächsten Bürgerschaftswahl die papiere Stimme die entscheidende ist. Dem digitalen Wahlstift billigt sie allenfalls noch experimentellen Charakter zu. Eine Rolle rückwärts aus Einsicht – nachdem die GAL gemeinsam mit SPD und CDU den Wahlstift als Antwort auf das neue Wahlrecht hatte einführen wollen. Nunmehr kommt auch die SPD in Bewegung und bestimmt schon mal die Rückzugslinien.

Heute hat der Fraktionschef Michael Neumann in einer Antwort auf die Frage einer Leserin bei abgeordnetenwatch.de folgende Sätze aufgeschrieben:

„Wenn Fragen offen bleiben, gibt es diese Technik nicht. Deshalb wird der Verfassungsausschuss eine entsprechende Expertenanhörung durchführen. Vom Ergebnis dieser Anhörung werden es meine Fraktion und ich abhängig machen, wie wir uns entscheiden. Wenn es Unsicherheiten gibt, wird es aber keinen Digitalen Wahlstift geben.“

Eines kann ich Herrn Neumann schon mal garantieren: Die Unsicherheiten werden bestehen bleiben!

Wahlstift-Nachrichten 4

Die gestrige Demonstration des Chaos Computer Club, wie leicht angreifbar der Hamburger Wahlstift ist, hat anstehende Entscheidungen zunächst einmal verzögert. Vorgesehen war gestern, dass sich der Verfassungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft trifft, um das endgültige Prozedere des Wahlablaufs und des Zählens festzulegen.

Daraus ist nichts geworden. Vielmehr stimmten die pro-Wahlstift argumentierenden SPD-CDU-Ausschussmitglieder einer Anhörung zu. Die wird am 09. November als Sondersitzung des Verfassungsausschusses stattfinden.

Etwas irritiert mich an der gestrigen Zusammenkunft: Es hätte nämlich eine Wahlstift-Entscheidung herbeigeführt werden sollen, bevor die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig den Stift als Wahlgerät zugelassen hat – eine Minimalvoraussetzung, um dessen Einsatz bei den Bürgerschaftswahlen zuzustimmen. Allerdings lässt die Zulassung auf sich warten. Das wiederum scheint manche Mitglieder des Verfassungsausschusses unruhig und ungeduldig zu machen. Durch die CCC-Aktion darf ab sofort verstärkt über Zählalternativen nachgedacht werden.

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Chaos Computer Club hackt Wahlstift

Am 24. Februar 2008 soll in Hamburg mit einem digitalen Wahlstift die neue Bürgerschaft gewählt werden. Der Chaos Computer Club teilt nun mit, dass es gelungen sei, den Hamburger Wahlstift zu kompromittieren:

Zitat aus der Erklärung des CCC:

„Obwohl der Chaos Computer Club vom Hamburger Wahlleiter kein komplettes System für eine Analyse erhalten hat, konnten anhand der verfügbaren Informationen und durch Untersuchung der Basistechnologie des Wahlstifts, dem Anoto-Digitalstiftsystem, eine Reihe von schwerwiegenden prinzipiellen Mängeln identifiziert werden. Dabei wurde das grundlegende Problem computergestützter Wahlen – die mangelnde Überprüfbarkeit durch den Wähler – überdeutlich.

Der CCC hat zur beispielhaften Illustration der vielfältigen Angriffsmöglichkeiten gegen den Wahlstift für die Hamburger Bürgerschaft einen trojanischen Wahlstift entwickelt, der äußerlich nicht als solcher erkennbar ist. Solch ein Stift kann sowohl von Wählern als auch von an der Wahlvorbereitung und -durchführung beteiligten Personen unbemerkt ins Wahllokal mitgebracht und statt dem echten Wahlstift in die Auslesestation gesteckt werden. Der manipulierte Stift überträgt dann nicht nur digitale Stimmkreuze zum Auswertungscomputer, sondern agiert als ein sogenanntes Trojanisches Pferd zum Einschleusen von Schadsoftware. Sobald der Stift in die Auslesestation gesteckt wird, aktiviert sich ein Manipulationsprogramm, welches automatisch auf das Zielsystem übertragen und dort ohne Zutun des Bedieners ausgeführt wird. Das Programm kann nun problemlos Manipulationen auf dem Auswertungslaptop vornehmen, indem es z. B. die Position der digital gespeicherten Stimmkreuze verändert, das Endergebnis verfälscht, speichert und ausgibt.“

Damit dürfte der Wahlstift tot sein. Die Hamburgische Bürgerschaft wird sich gezwungen sehen, nach Alternativen zur Stimmerfassung zu suchen – oder zur Not mit der Hand auszuzählen.