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Wissenschaft, menschliche Natur und Erkenntnis
Patrick Illinger, Leiter des Ressorts Wissen der Süddeutschen Zeitung, kommentiert in der Pfingstausgabe die Zubereitung embryonaler Stammzellen:
„Hat die Wissenschaft gelernt, mit der öffentlichen Befindlichkeit umzugehen? Eher nicht. Im wissenschaftlichen Alltag ist von Zurückhaltung nichts zu erkennen. Weltweit wird geforscht, was das Zeug hält, an Zellen, Embryonen und mutierten Viren. Auf der anderen Seite wird kritisiert, oft reflexartig und oft ohne angemessenen Sachverstand. Dazwischen liegt ein breites Feld der Verunsicherung.“
Trefflicher lässt sich das Unbehagen über die andauernde Verschiebung immer weiterer Grenzen durch den Wissenschaftsbetrieb nicht ausdrücken. Allerdings: Ist nicht die Grenzüberschreitung unmittelbar an den Erkenntnisgewinn gekoppelt? Schon Archimedes Ausruf „Heureka“ ist damit verbunden, dass der Grieche Grenzen überwand, als er mit seinem eigenen Körpergewicht einen Wasserbehälter zum Überlaufen brachte und daraus die Wasserverdrängung berechnen lernte. Wie das einfache Experiment mit dem eigenen Körper gehören bspw. grenzenüberwindende Reisen zum Methodenkanon der Wissenschaften: Über kontinentale Grenzen hinweg brachen Forscher zu anderen, neuen Ufern auf genauso wie sie mittels kosmischer Ausflüge in der jüngeren Menschenheitsgeschichte die Erde aus der Ferne betrachten konnten.
Das Überwinden von (Erkenntnis)-Grenzen ist grundlegend für wissenschaftliches Tun überhaupt, egal ob im Labor, mittels Raumschiff oder am Schreibtisch.
Die Forscher aus Oregon, die nun embryonale Stammzellen zubereitet haben, überwinden also zunächst einmal nur jene Grenzen, die der Erkenntnis im Wege stehen. Erkenntnis, die gewonnen werden kann, wird nicht unerkannt bleiben, früher oder später – und keine Moral, keine Ethik, kein Glaubenssystem oder keine Theologie wird die forschenden Geister daran hindern, die Dinge weiterzudenken und weitere Experimente zu wagen. Zu reizvoll und zu spektakulär ist die Aussicht, die grundlegenden Mechanismen des Leben zu verstehen und nachzubauen – und die Erkenntnisgrenzen weiter zu verschieben.
So weit so verständlich aus Sicht der Forscher_innen. Doch die wissenschaftliche Erkenntnis ist nur eine Seite. Eine weitere sind die daran gekoppelten Heilsversprechen und die dadurch erzeugten Heilserwartungen. Hinzu kommen Fragen der kommerziellen Verwertbarkeit der Erkenntnisse, die Patente, die Kapitalinteressen und die Aussichten auf ewigen wissenschaftlichen Ruhm bspw. durch eine Nobelpreis-Ehrung, die ebenfalls Motive für derlei Grenzverschiebungen sein können.
Deswegen gebe ich mich keiner Illusion hin: So wie wir die menschliche Natur bereits seit tausenden Generationen verändern, nachbessern, sozialisieren, kultivieren, in diesem Sinne: verwissenschaftlichen – so wird auch zukünftige Erkenntnis zur weiteren Veränderung des Menschen beitragen. Das wird sich nicht aufhalten lassen, weil die Verschiebung der (Erkenntnis)-Grenzen selbst inzwischen Teil der menschlichen Natur geworden ist.
Die Verunsicherung von der Illinger schreibt ist dabei notwendiger Teil der Erkenntnis. Und wir müssen immer wieder neu bestimmen, wer wir sind, was unsere (jeweils aktuelle) Natur ist, welches Selbstverständnis wir von uns selbst haben.
Nachdenken über Wissenschaft und Schavan
Wahrscheinlich ist es gerechtfertigt, ein wenig Mitgefühl mit Frau Schavan zu haben.
Damals im Jahre 1980 existierten zwar auch schon allgemeinverbindliche Grundsätze des wissenschaftlichen Zitierens – aber wer konnte damals ahnen, dass ein Verstoss dagegen 33 Jahre später die eigene Karriere ruiniert? Zumal die Gutachter damals ja nichts zu beanstanden hatten.
Das Abgrenzungsbedürfnis, dass wir Wissenschaftler nun gegen jemanden wie Frau Schavan empfinden und öffentlich zum Ausdruck bringen, ist einerseits berechtigt und notwendig, aber auch gefährlich, denn die Grenzen zwischen redlich und unredlich sind in unserem Geschäft leider fließend…
Klar, sie hat betrogen. Sie hat eine Leistung vorgetäuscht, die sie nicht erbracht hat. Alle Studierenden, die betrügen (wissentlich/vorsätzlich oder nicht), kriegen auch von mir erstmal ein „nicht bestanden“. Bei Schavan geht der Fakultätsrat so weit zu sagen, „dass die damalige Doktorandin systematisch und vorsätzlich über die gesamte Dissertation verteilt gedankliche Leistungen vorgab, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hatte„.
Das ist nicht zu rechtfertigen, nicht mit Naivität, nicht mit Unwissenheit, nicht mit Überlastung. Immerhin muss sie damals, als eine Tastatur mit den Kombinationen strg-c und strg-v nicht zum Standard-Inventar einer Studierenden gehörten, alles sehr mühselig abgetippt haben.
Deswegen lässt mich der Gedanke nicht mehr los, bei Frau Schavan sei es durch den Akt des Abtippens zu einer Art Überidentifikation mit dem geisteswissenschaftlichen Gedankengut gekommen, gerade so, als habe die Studentin die Gedanken durch das Abtippen so sehr inkorporiert, dass sie die Texte anschließend als ihre eigenen betrachten konnte.
Klar, wenn es so gewesen wäre, hätte die Studentin S. eine massives Psycho-Problem vorzuweisen gehabt – aber wäre das so selten? Uns in etwas hineinzuträumen, was einer Wirklichkeitsprüfung nicht standhält? Wissenschaft ist ja kein einfaches Geschäft, gerade in den so genannten Geisteswissenschaften nicht. Die Grenzen zwischen einem eigenen und einem fremden Gedanken sind manchmal schwer herauszuarbeiten – und immerzu die Wissenschaft mit einem neuen, eigenen Gedanken voran zu bringen, ist sicherlich deutlich schwerer, als das Bekannte zu paraphrasieren und dann die Fußnote bzw. das Zitat zu verdaddeln.
Ich wünschte mir ein (globales) Forschungsprojekt, in welchem Ausmaß im Alltagsgeschäft (Publish or Perish!) falsch zitiert, mangelhaft zitiert oder auch nur fehlerhaft Bezug genommen wird. In biomedizinischen Aufsätzen ist es üblich, durch die Aneinanderreihung von Literaturstellen die eigene Argumentation und die Begründung für den eigenen Aufsatz zu entwickeln. Der wissenschaftliche Kodex oder auch das Selbstverständnis geht davon aus, das an den zitierten Stellen auch genau das steht, worauf die Zitierenden sich berufen. Aber hat das schonmal jemand systematisch untersucht? Wie viel stille Post ist in der Wissenschaft unterwegs? Ich erinnere nur an die Sache mit dem Spinat, dem Eisen und den Kommastellen.
Wer hat all die Aufsätze gelesen, die in den eigenen Arbeiten zitiert werden? Bei wem reicht das Lesen kaum über die Abstracts hinaus? Wer hat genügend Zeit zu lesen?
Der Fall der Wissenschaftsministerin könnte auch eine wissenschaftsinterne Debatte darüber auslösen, was redlich ist und was nicht und ab welchem Moment wir als Wissenschaftler selber im Glashaus sitzen und nicht mehr mit Steinen werfen sollten… Das Blog Retraction Watch ist eine verdienstvolle Anstrengung, den Betrug in der Wissenschaft zu erfassen, zumindest hinsichtlich von Aufsätzen, die zurückgezogen wurden.
Dass die Ministerin Schavan nun so verrückt zu sein scheint, im Amt bleiben zu wollen, schreibe ich allerdings ihrer oben schon vermuteten Psycho-Macke zu, diesmal als letzten Halt vor dem inneren Nichts, das sie sich ansonsten eingestehen müsste. Sie muss an ihre eigene Redlichkeit glauben, sonst wäre sie psychisch zerstört. Ihre ganze mühsehlige Abtipperei vor 33 Jahren wäre umsonst gewesen.
Eine bittere Bilanz.
Cornelia Stolze: Vergiss Alzheimer!
Mein aktuelles Lieblingsbuch.
Endlich ein aufklärerisches Werk zu Alzheimer, das sich wunderbar ergänzt mit meinen Erfahrungen als Untersucher im Kompetenznetz Degenerative Demenzen (KNDD). Ein Buch, wie ich es gerne selber geschrieben hätte, :-). Ich wünsche mir, es öffnet vielen Leuten die Augen, lässt Ängste kleiner werden, die Dinge des Alterns gelassener nehmen.
Ich habe in der AgeCoDe-Kohorte bisher ca. 1400 Interviews zur Erkennung von Alzheimer und anderen Demenzen gemacht. Ich besuche alte Menschen (seit 2003, damals >75 Jahre alt) zu Hause, inzwischen das 6. Mal – und ich schließe, nach all den neuropsychologischen Tests, den Gesprächen und Eindrücken aus dem Umfeld der Menschen: Es kann sich bei Alzheimer auf keinen Fall um eine Erkrankung handeln, sondern um einen normalen Alterungsprozess des Gehirns, der den einen früher trifft und einen anderen später.
Meine Hypothese: Wenn wir alle 120 Jahre alt würden, degenerierten alle unsere Hirne so, dass von außen jemand das Alzheimer-Etikett drauf kleben könnte.
Zentrum für Demenzforschung eröffnet
Jetzt ist es so weit. Frau Schavan hat rechtzeitig vor der Bundestagswahl eines ihrer Bilanzprunkstücke offiziell eröffnet, das Deutsche Zentrum für Neurodegenrative Erkrankungen.
Angekündigt zunächst als Nationales Demenzforschungszentrum, dann aus dem Hut gezaubert als Zentrum für alle neurodegenerativen Erkrankungen.
Ankündigung und Beschluss haben einige Fragen aufgeworfen. Mit denen habe ich mich in diesem Beitrag beschäftigt: Wenn Frau Schavan Forschungsgeld verteilt….
Wenn Frau Schavan Forschungsgeld verteilt…
Letzte Woche verkündete Forschungsministerin Schavan, der Bund wolle ein Art Nationales Demenzzentrum gründen.
Die Initiative beruht auf einer Ankündigung aus dem vergangenen Jahr, ein Institut ins Leben zu rufen, das die Betreuung und Versorgung der Demenzkranken im Land stärkt. Es sollte die Krankheitsursachen, Möglichkeiten der Prävention und Früherkennung, die Entwicklung wirksamer Therapien und die Untersuchung der psychosozialen Folgen von Demenzen erforschen. Frau Schavan damals: „Es geht auch um die besten Formen der Pflege und Versorgung. Die Forschung für den Menschen steht im Mittelpunkt.“
Und was ist in der vergangenen Woche daraus geworden? Ein umgetauftes Zentrum für sämtliche neurodegenerativen Erkrankungen. Eine Kommission, die ausschließlich aus Grundlagenforschern und einer Pflegewissenschaftlerin besetzt ist. Faktisch eine Kungelrunde, die (vor)-ausgewählte Forschungseinrichtungen einlädt, die 60 Millionen Euro jährlich unter sich zu verteilen.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) kritisiert die Pläne der Ministerin:
„Grundlagenforschung ist fraglos nötig und die auserwählten Wissenschaftler sicherlich qualifiziert. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Konzeption des Instituts einseitig ausgerichtet ist. Die Grundlagenforschung kann auf absehbare Zeit weder den heute Erkrankten, noch ihren Angehörigen bzw. denjenigen nutzen, die jeden Tag die Last der Versorgung tragen. Zur Lösung dieser alltäglichen Versorgungsprobleme, die gleichwertig auf der Agenda des Instituts stehen muss, kann die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder jedoch schon deswegen nicht beitragen, weil sie damit keine Erfahrungen hat.“
Leider macht das ganze Verfahren (Ankündigung, Entscheidung über Vergabe innerhalb der kommenden vier Wochen, Einladungen an vorab informierte medizinische Fakultäten, die Kommissionsbesetzung) den schlechten Eindruck, für Frau Schavan und die auserwählten Wissenschaftler stünde das Labor im Mittelpunkt, keineswegs aber der Mensch.
Forschungszentrum für Demenz und Parkinson
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung plant ein „Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen“. Es soll innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft entstehen. Die Forschung zu Erkrankungen wie Demenz und Parkinson soll in einem neuen Helmholtz-Zentrum gebündelt werden.
Zu den Aufgaben ein Zitat aus der Pressemitteilung: „Schwerpunkte sind die Erforschung von Krankheitsursachen, Möglichkeiten der Prävention und Früherkennung, die Entwicklung wirksamer Therapien und die besten Formen der Pflege und Versorgung.“ 50 bis 60 Millionen Euro sollen jährlich zusätzlich dafür bereit gestellt werden.