Hepatitis B: Angstkampagne für mehr Umsatz

Auf dem Ärztetag in Mainz rufen die (Fach)-Ärzte vernehmlich entweder nach mehr Geld für sich oder nach einer Leistungseinschränkung für gesetzliche Versicherte. So weit so normal.

Ganz unnormal finde ich, was ich heute im U-Bahnhof Osterstraße großflächig plakatiert gesehen habe, aus Anlass des Welt-Hepatitis-Tages: Ein Paar, entkleidet und durchs Schlüsselloch fotografiert. Bildunterschrift: „Das Virus wartet, wo man es nicht erwartet. Hepatitis B? Am besten testen.“

Pharma-Kampagne
Angstkampagne Hepatitis B

Auf der einen Seite trommeln die Leistungsanbieter (Ärzte) für ihre Honorare und drohen ansonsten im Gegenzug mit schlechter Medizin, wenn ihren Forderungen nicht nachgekommen wird. Auf der anderen Seite zielen solche Kampagnen darauf, dem System neue Kunden zuzuführen. Die zahlen dann einen Test aus eigener Tasche, der ihnen die Angst nimmt, die erst durch die Anzeige erzeugt wurde.

Der Patient wird in die Zange genommen, verunsichert und soll dafür auch noch zusätzliches Geld ins System einspeisen. Wie fies und gemein ist das denn? Und wer legt diesen Leuten demnächst mal das Handwerk, die nur unterwegs sind, die Leute zu melken? Und das auch noch im Namen von Prävention und Gesundheitsfürsorge.

Mich widert das an.

Essen mit Köpfchen

In der Debatte über die Ernährungsgewohnheiten des Volkes, Krankheitsprävention und Fettleibigkeit hat Werner Bartens für das SZ-Magazin eine Polemik verfasst, die mir aus dem Herzen spricht: Bewusst essen? Jetzt machen Sie sich mal nicht so einen Kopf!

Ich teile nicht jede der zehn Empfehlungen, kaufe bspw. gerne auch in Supermärkten ein (siehe 5.), gebe sie dennoch hier gerne weiter:

1. Essen Sie, was Ihnen Spass macht!
2. Vermeiden Sie Essen mit Nahrungszusätzen!
3. Misstrauen Sie Slogans wie „Schokolade macht glücklich“!
4. Vermeiden Sie Nahrungsmittel, die sich als sehr gesund anpreisen!
5. Kaufen Sie auf dem Markt ein statt im Supermarkt und kochen Sie selbst!
6. Halten Sie sich nicht an Diätpläne!
7. Zahlen Sie mehr, essen Sie weniger!
8. Essen Sie wie ein Allesfresser!
9. Essen Sie nie mit Leuten, die ständig übers Essen reden!
10. Ahmen Sie keine fremden Essgewohnheiten nach!

Industrie impft STIKO

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat im März diesen Jahres empfohlen, Mädchen zwischen 12 und 17 gegen Humane Papillomaviren (HPV) zu impfen. Die Schutzimpfung (vor dem ersten Geschlechtsverkehr), soll das Risiko verringern, viele Jahre später Gebärmutterhalskrebs zu entwickeln. In Deutschland sterben jährlich rund 1700 Frauen an diesem Krebs.

Die Empfehlung ist medizinisch umstritten, im besten Fall. Wie das Verbraucher-Magazin „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ berichtet, beruht die Zulassung des Wirkstoffes auf vorläufigen Daten. Inwieweit die Impfung tatsächlich gegen den Krebs schützt, weiß niemand, denn darüber liegen keinerlei Daten vor. Sowieso kann der Impfstoff nur gegen vier von mehr als 100 Warzenviren immunisieren. Deswegen betont auch ein Werbefilmchen des Herstellers, dass die üblichen Vorsorgeuntersuchungen weiterhin notwendig seien. Es bleibt also die Frage: Warum eine solche Impfung? Für alle! Und welche unrühmliche Rolle spielt die STIKO dabei?

Die Substanz wird als Hoffnungsträger verkauft, die erstmals einen Krebs durch Impfung verhindert. Das geschieht mit einer massiven Angstkampagne, wie der Beitrag in der TAZ vom 07.08.07 für die Stadt Bremen belegt. Schließlich scheint die Industrie manchen HPV-Impf-Befürworter in Ihrem Sinne geimpft zu haben:

Vier Monate vor der Markteinführung des Impfstoffes nahm der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission einen mit 10000 Euro dotierten Preis an (Pressemitteilung, PDF) – für seine Verdienste um die Förderung des Impfgedankens. Sponsor des Preises: HPV-Impfstoff-Hersteller Sanofi Pasteur MSD. Selbstverständlich hatten die Preisverleihung an den STIKO-Chef und die Impfempfehlung der STIKO nichts miteinander zu tun. Aber wer einen solchen Preis bekommt, muss sich natürlich verpflichtet sehen, den Impfgedanken bei einer so passenden Gelegenheit wie der Anti-Warzenviren-Spritze weiter zu fördern…

Andere Medien berichteten ebenfalls: Das ARD-Verbrauchermagazin PlusMinus sendete diesen Beitrag. Die Süddeutsche Zeitung bezog auf Ihrer Wissensseite Stellung.

Karl Lauterbach verhöhnt?

Nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss vergangene Woche beschlossen hat, dass zukünftig Vorsorgeleistungen nicht verpflichtend von den Patienten in Anspruch genommen werden müssen, geht Karl Lauterbach, Gesundheitsökonom und SPD-Abgeordneter im Bundestag in die mediale Offensive. Dem Kölner Stadtanzeiger gibt er zu Protokoll: „Das ist eine Verhöhnung des Gesetzgebers.

Lauterbach hält es für eine Zumutung, dass der GBA sich über die Wünsche des Gesetzgebers hinweg setzt. Der hatte nämlich in § 62 SGB V verfügt, chronisch Kranken zukünftig nur dann die ermäßigte Zuzahlung (1% der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt) zu gewähren, wenn diese regelmäßig Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch nehmen. Weil der GBA nun allenfalls eine Beratung für verpflichtend erklärt, kippt das Gremium sehr zu meinem Vergnügen die beabsichtigte Bestrafung (2% Zuzahlung für chronisch Kranke statt 1%).

Beim Zahnersatz gilt diese (Vorsorge)-Regelung ja schon lange. So argumentieren auch Lauterbach & Co.: Regelmäßige Kontrollen dokumentieren den Zahnstatus und führen zu rechtzeitiger Behandlung. Im körpermedizinischen Bereich stellt sich das allerdings schnell als unangemessener staatlicher Körperkontrollzwang heraus. Zum einen sind die Tests wenig aussagekräftig und wenig verlässlich. Zum anderen sind viele Grenzwerte äußerst umstritten wie erst die jüngste Debatte um den Body-Mass-Index und die fetten Deutschen zeigt.

Fazit: Herr Lauterbach mag sich verhöhnt fühlen. Doch dem exzessiven Körperkontrollbegehren des Gesetzgebers einen Riegel vorzuschieben, ist nur zu begrüßen. So wie ich nämlich keinen Präventionsstaat im Bereich der Sicherheitspolitik möchte, kann ich auch in der Gesundheitspolitik gern auf diese Art staatlicher Organisation verzichten. Und warte nun gespannt darauf, ob Ulla Schmidt der GBA-Richtlinie zustimmen wird.

GBA gegen Pflicht zur Früherkennung

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), ein Gremium, in dem Ärzte, Krankenkassen und Patienten über Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entscheiden, beschloss in seiner Auslegung von § 25 SGB V, der im letzten Gesundheitsreformgesetz frisch verankert wurde:

„Auch künftig soll es keine verpflichtende Teilnahme an den von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angebotenen Gesundheits- und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen geben. Stattdessen sollen sich gesetzlich Versicherte von einem Arzt mit Erreichen des Anspruchsalters einmalig über Vor- und Nachteile der jeweiligen Früherkennung beraten lassen.“ (Zitat Pressemitteilung GBA)

Eine sinnvolle Begrenzung der Absichten des Gesetzgebers, jene Versicherten durch erhöhte Zuzahlungen zu bestrafen, die chronisch erkranken und die nicht regelmäßig bspw. zur Krebsfrüherkennungsuntersuchung gegangen sind.

Angesichts erheblicher wissenschaftlicher Zweifel an der Prognosesicherheit von Früherkennungstests und möglichen Risiken durch falsche Befunde (Brustkrebs bei sehr jungen Frauen) bzw. invasive Verfahren (Darmspiegelungen) setzt der GBA ein Zeichen gegen den Präventions- und Vorsorgewahn führender Gesundheitspolitiker.

Regierung gegen Fett & Co.

Frau Schmidt und Herr Seehofer beglücken uns diese Woche mit einem Eckpunktepapier, dessen Ziel die Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und den damit verbundenen Krankheiten ist. Ein nationaler Aktionsplan setzt sich zum Ziel, „bis 2020 das Ernährungs- und Bewegungsverhalten nachhaltig zu verbessern, die Zunahme von Übergewicht bei Kindern zu stoppen und die Verbreitung von Übergewicht zu verringern.“

Dafür legen Aktionsplaner fünf Handlungsfelder fest:

1. Vorbildfunktion der öffentlichen Hand
2. Bildung und Information über Ernährung, Bewegung und Gesundheit
3. Bewegung im Alltag
4. Qualitätsverbesserung bei der Verpflegung außer Haus
5. Impulse für die Forschung

Wir werden also einen Propagandafeldzug für gesundes Essen und Bewegung erleben, wie ihn das Land bisher noch nicht kannte. Wohlfeile Aufklärung eben und ein bisschen Aktionismus… Strukturelle Risiken jedoch (Armut, Bildungsferne) werden zwar im Eckpunktepapier erwähnt, ein nationaler Handlungsplan dagegen ist nicht in Sicht. Die PISA-Daten haben nichts bewirkt, außer ein paar Luftblasen, und so wird es auch mit den Daten zum Gesundheitszustand der Bevölkerung sein. Mit einem Unterschied: Jeder Einzelne könnte irgendwann für sein Körpergewicht zur Kasse gebeten werden…

Übergewicht in Deutschland

In den vergangenen Wochen hat eine Studie das Land bewegt, aus der die Deutschen als fetteste Europäer hervorgingen: „Deutschland fett an der Spitze„. Das Robert-Koch-Institut bezweifelt nun, „ob die Daten, die in den EU-Mitgliedstaaten getrennt und zum Teil mit unterschiedlichen Methoden und in unterschiedlichen Jahren erhoben wurden, überhaupt vergleichbar sind und sich in einer Rangliste darstellen lassen. Zu Verbreitung und Entwicklungstendenzen von Übergewicht und Adipositas und zu den Daten der IASO-Studie ist im Epidemiologischen Bulletin 18/2007 ein Beitrag veröffentlicht.“

Zu den Einwänden zählt unter anderem, dass verschiedene Altersgruppen miteinander verglichen werden. In Deutschland gingen die 25 – 69-Jährigen mit Daten aus dem Gesundheitsmonitor 2003 der Bertelsmannstiftung in die Bewertung ein. Zu den Stichproben anderer Länder gehörten dagegen auch 18 – 24-Jährige, die seltener übergewichtig sind.

Gesund – und doch zum Arzt?

Wie bereits im Zuge der Deutschland-ist-zu-fett-Diskussion vermutet, profiliert sich nun ein Minister als Präventionsstratege: Laut Süddeutscher Zeitung vom Wochenende empfiehlt der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Horst Seehofer allen Ernstes, Menschen „über 45 Jahren den Gesundheits-Check, auch wenn auf den ersten Blick kein akuter Anlass dafür bestehe“.

So weit ist es also schon gekommen: Wir sollen ohne Anlass einen Arzt aufsuchen, nur weil wir ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben. Damit redet der Minister all jenen das Wort, die schon lange das ärztliche Bonmot beherzigen: Ein gesunder Mensch ist ein Mensch, der nur noch nicht hinreichend untersucht wurde.

Seehofer will zwar keine Bevormundung, was die Wahl der Nahrungsmittel anbelangt, aber er will uns mit einer nebulösen Präventionsideologie beglücken, für deren Sinnhaftigkeit er keinerlei Belege anführt. Anstatt Ross und Reiter und damit Verantwortliche für das teils grottige Ernährungsverhalten der Bevölkerung zu nennen, fordert der Minister zumindest die Älteren unter uns auf, einfach häufiger zum Arzt zu gehen. Hirnloser lässt sich Politik kaum vorstellen. Da wird mir ja sogar Stasi-2.0-Schäuble sympathisch.

Deutschland, fett an der Spitze

In den letzten Tagen bekamen wir Deutschen wieder mal unser Fett ab bzw. unser Fett wurde uns vorgehalten: Die Deutschen sind laut einer neuen Auflistung der IASO (International Association for the Study of Obesity) die am stärksten Beleibten in den 25 EU-Nationen. 3 von 4 deutschen Männern und 3 von 5 Frauen seien entweder übergewichtig oder gar fettleibig. Der Sturm im Blätterwald nahm zwischenzeitlich Orkanstärke an, erst die Berliner Zeitung erlaubte sich gestern einen etwas differenzierteren Blick: Wie die Kilos in die Statistik kommen. Und klar: Bei so einem Thema fährt auch der Minister Seehofer Trittbrett.

Der IASO-Tabelle liegen die Kriterien der WHO zugrunde, nach denen ein jeder übergewichtig ist, der im Verhältnis seines Körpergewichts zum Quadrat seiner Größe in Metern, dem so genannten Body-Mass-Index (BMI), einen Wert von 25 oder höher erreicht. Als fettleibig gelten jene mit einen BMI von 30 und mehr. Je höher der BMI, so die Lehrmeinung, desto höher das Risiko zuckerkrank zu werden, das Herz-Kreislauf-System zu schädigen oder insgesamt früher zu sterben.

In der aufgeregten Debatte wird geflissentlich übersehen oder unterschlagen, dass die WHO-Schwellenwerte viel zu weit gefasst sind: Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2001 kommt zu dem Schluss: Im Bereich BMI 25 – 27 gibt es kein erhöhtes Risiko für die oben genannten Erkrankungen. Eine Bevölkerungsstudie in den USA entdeckte eine höhere Sterblichkeit unter den Normalgewichtigen (BMI 18,5 – 24,9) verglichen mit den Übergewichtigen (BMI 25 – 29,9). Eine Arbeit im Journal of Epidemiology („The epidemiology of overweight and obesity: public health crisis or moral panic?“) hält den linearen Zusammenhang von BMI und Gesundheit für nicht belegt und Interessen geleitet.

Zweifellos sind Fehlernährung, Bewegungsmangel und ein ansonsten ruinöser Umgang mit dem eigenen Körper mächtige Probleme, die selbstverständlich auch zu einem früheren Tod führen können. Doch welchen Interessen dient es, ohne Not weite Teile der Bevölkerung krank zu reden und zu stigmatisieren? Vielleicht kommt der nächste Präventionsminister auf die Idee, den Krankenversicherungsbeitrag über den BMI zu berechnen – und verkauft uns das auch noch als Gesundheitsvorsorge…

PS.: Selbstverständlich gehöre ich auch zu den Übergewichtigen in diesem Land. Mein BMI pendelt zwischen 24,9 und 26,6, aktuell 26,3.