Nachdem ich „Gnade für Terroristen“ gefordert habe und bereits ein paar Tage später den Terroristen wieder in Ungnade („Klartext oder Erlösergebrabbel?„) fallen ließ, stellen sich seit einiger Zeit bei einem anderen, der sich auf seine Weise schuldig gemacht hat, ähnlich gelagerte Fragen: Verzeihen? Vergeben? Vergessen?
Der Chemnitzer Eiskunstlauftrainer Ingo Steuer hat zwischen 1985 und 1989 mit der Stasi kooperiert und dafür ein paar Tausender Ostmark eingesackt. Heute ist er immer noch nicht bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Da ist er sich mit Herrn Klar einig, der ja nur deswegen so gehandelt hat, weil ihn das böse kapitalistische System dazu gezwungen hat. Auch Steuer war ein Opfer des Systems, das ihn zwang, um seines sportlichen Talents willen als Stasi-Mann zu agieren.
Von Anfang an handelt Steuer radikal karrieristisch. Er räumt alle Hindernisse aus dem Weg, die seinen Zielen im Wege stehen, im Zweifelsfall durch Korruption, aber auch durch schlichtes Lügen: Er antwortete „Nein“ auf die Frage nach früheren Stasi-Kontakten, als er von der Bundeswehr eingestellt werden wollte. Er tut alles, was in seiner Macht steht, um heute seine Schäfchen ins Trockene zu bringen bzw. seinen Traum vom Eislaufen und vom Trainer-Sein zu erfüllen.
Darf ein eingestandenermaßen korrumpierbarer, opportunistischer Charakter Vorbild für die Jugend sein? Oder darf eine gewisse moralische Integrität erwartet werden von einem, der Jugendliche mit Staatsgeldern trainiert? Wo unterscheidet sich ein Trainer Springstein, der dopt und damit Körperverletzung begeht, von einem Trainer Steuer, der lügt, sich rechtfertigt, keinerlei Einsehen signalisiert? Der eine dopt seine Sportler, der andere konfrontiert sie mit seinem zweifelhaften Charakter: Für meine Karriere gehe ich mit jedem ins Bett, auch mit der Stasi.
Bei Verfehlungen moralischer Art, die nicht justiziabel sind, darf zumindest auf nachträgliche Einsicht gehofft werden. Wer aber weiterhin allein die Umstände für die eigenen Verfehlungen verantwortlich macht, darf auch die Erfolge nicht nur für sich allein verbuchen. Steuers Siege in den 1990er Jahren sind auch späte Siege der Stasi. Die Stasi hat Steuer gemacht. Sie hat den erfolgreichen Eislaufkünstler Ingo Steuer erfunden. Wenn Steuer sich heute so groß aufblasen muß („Wenn ich aufs Eis gehe, denke ich, dass ich der beste Trainer der Welt bin“), dann auch, weil er weiß, welch kleiner Wicht er heute wäre, wenn er damals nicht so mächtige Gönner gehabt hätte.