Kind und Hund

Respekt – Zurückschrecken – Greinen – Kontaktaufnahme – Annäherungsbereitschaft – Nähe. Diese Abfolge durchmaß das Kind mehrfach bei seiner ersten intensiveren Begegnung mit einem kleinen Hund.

Nach dem rhythmischen Einschwingen auf die andere Lebensform traut sich das Kind an Tag 2, dem Hund ein Leckerli hinzuhalten, setzt sich vor ihn hin, berührt sein Fell. So also lernen wir die Welt kennen, wenn wir sie aktiv erkunden wollen… Bedacht und beherzt zugleich.

Heute im ICE

Neben dem Essen ist das Anschauen von Bilderbüchern gegenwärtig die größte Leidenschaft unseres Sohnes. Heute sitze ich mit ihm im ICE. Er thront im Buggy, der genau zwischen die Sitzreihen passt. Spaßeshalber lege ich die Zeitschrift „DB Mobil“ vor ihn hin. Der Buggy-Bügel ist die optimale Halterung für die Lektüre. Allerdings rechne ich damit, dass das Kind das Heft in Tausend Stücke zerfetzt.

Doch es kommt zu meinem großen Erstaunen anders. Das Kind blättert rund eine Viertelstunde ausgiebig, Seite für Seite, in der Zeitschrift. Einmal von vorn nach hinten und dann wieder von hinten nach vorn. Dabei entdeckt er zu seiner Freude eine Kuh, ahmt deren Geräusch nach („Uuuhhh“) und fängt wieder von vorn an zu blättern. Schließlich hat er genug von der „Lektüre“ und tut, was ich von Anfang an erwartet habe: Er zerreißt die Zeitschrift großflächig und wirft sie schließlich weg.

Analytische Klarheit

Mein Besuch bei einer Gesprächspartnerin (81) verschob sich in den letzten Wochen mehrfach, weil sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie weiter teilnehmen will oder nicht. Erst sagte sie zu, dann sagte sie ab. Schließlich vereinbarte sie doch einen zweiten Termin mit mir.

Nach meiner Ankunft erzählte sie, noch am Tag zuvor habe sie alle Termine abgesagt, weil sie sich unwohl gefühlt hatte. Ich konnte mich nicht enthalten, sie zu fragen: „Hatte das womöglich etwas mit mir zu tun? Damit, dass ich heute zu Ihnen komme?“

Sie schaute mich an und erwiderte, lächelnd: „Wissen Sie, Herr Doktor, ich weiß ja, dass ich hysterisch bin, aber so hysterisch nun doch noch nicht.“

Stasi 2.0

Der „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ erfand das Kürzel „Stasi 2.0„, das nun im Netz für die neuen Sicherheitsinitiativen von Schäuble, Beckstein und Co. steht.

Dataloo“ stellte dann die grafische Aufbereitung online:

Schäuble Stasi 2.0

Als Betroffener der Stasi, Version 1.0, fühle ich mich dieser Zuspitzung sehr verbunden. Die Verfassung muss vor dem Verfassungsminister geschützt werden. Immerhin hat der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar nun klare Worte gewählt gegen Schäubles Phantasie, die digitalisierten Fingerabdrücke aller Bürger nach der Ausstellung eines Reisepasses aufzubewahren – und auch die SPD scheint sich langsam (in Teilen) gegen die Schäuble-Pläne zu stellen.

Deutschland, fett an der Spitze

In den letzten Tagen bekamen wir Deutschen wieder mal unser Fett ab bzw. unser Fett wurde uns vorgehalten: Die Deutschen sind laut einer neuen Auflistung der IASO (International Association for the Study of Obesity) die am stärksten Beleibten in den 25 EU-Nationen. 3 von 4 deutschen Männern und 3 von 5 Frauen seien entweder übergewichtig oder gar fettleibig. Der Sturm im Blätterwald nahm zwischenzeitlich Orkanstärke an, erst die Berliner Zeitung erlaubte sich gestern einen etwas differenzierteren Blick: Wie die Kilos in die Statistik kommen. Und klar: Bei so einem Thema fährt auch der Minister Seehofer Trittbrett.

Der IASO-Tabelle liegen die Kriterien der WHO zugrunde, nach denen ein jeder übergewichtig ist, der im Verhältnis seines Körpergewichts zum Quadrat seiner Größe in Metern, dem so genannten Body-Mass-Index (BMI), einen Wert von 25 oder höher erreicht. Als fettleibig gelten jene mit einen BMI von 30 und mehr. Je höher der BMI, so die Lehrmeinung, desto höher das Risiko zuckerkrank zu werden, das Herz-Kreislauf-System zu schädigen oder insgesamt früher zu sterben.

In der aufgeregten Debatte wird geflissentlich übersehen oder unterschlagen, dass die WHO-Schwellenwerte viel zu weit gefasst sind: Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2001 kommt zu dem Schluss: Im Bereich BMI 25 – 27 gibt es kein erhöhtes Risiko für die oben genannten Erkrankungen. Eine Bevölkerungsstudie in den USA entdeckte eine höhere Sterblichkeit unter den Normalgewichtigen (BMI 18,5 – 24,9) verglichen mit den Übergewichtigen (BMI 25 – 29,9). Eine Arbeit im Journal of Epidemiology („The epidemiology of overweight and obesity: public health crisis or moral panic?“) hält den linearen Zusammenhang von BMI und Gesundheit für nicht belegt und Interessen geleitet.

Zweifellos sind Fehlernährung, Bewegungsmangel und ein ansonsten ruinöser Umgang mit dem eigenen Körper mächtige Probleme, die selbstverständlich auch zu einem früheren Tod führen können. Doch welchen Interessen dient es, ohne Not weite Teile der Bevölkerung krank zu reden und zu stigmatisieren? Vielleicht kommt der nächste Präventionsminister auf die Idee, den Krankenversicherungsbeitrag über den BMI zu berechnen – und verkauft uns das auch noch als Gesundheitsvorsorge…

PS.: Selbstverständlich gehöre ich auch zu den Übergewichtigen in diesem Land. Mein BMI pendelt zwischen 24,9 und 26,6, aktuell 26,3.

Hochbetagt und eitel

Eitelkeit ist keineswegs ein Phänomen, das sich ausschleicht, wenn nur das Alter zunimmt: Heute sprach ich mit einer 89jährigen Frau, die sich während des Gesprächs zunächst weigerte, ihre Brille zu benutzen: „Die Brille nehme ich nur, wenn ich alleine bin.“

Weil sie offenkundig Schwierigkeiten hatte, ein von mir vorgelegtes Bild korrekt aufzulösen und zu erkennen, was darauf passiert, bat ich sie inständig, ob es nicht doch möglich wäre, die Sehhilfe aufzusetzen. Obwohl sie ein nagelneues Brillenmodell auf dem Tisch liegen hatte, holte sie ein 1970er-Jahre-Brillengestell (im Kern Elton John mit einer Prise Heiner Müller – groß, rund, gelbglasig) aus der Schublade und behalf sich damit…

Merke: Das Alter ebnet nicht nur manche Verhaltensweisen ein, es betont sie manchmal auch.

Ich Mama, Du Pinguin

Ich trage aus alter Gewohnheit ein inzwischen ziemlich verwaschenes T-Shirt mit Tux, dem Linux-Pinguin, auf der Brust. Heute morgen gefiel es unserem Sohn, auf den Pinguin zu zeigen und zu sagen: „Papa.“

Im Zuge von Identitätsfindung und Selbstentwicklung kommt es im Augenblick noch zu einer anderen Ver(w)irrung. Fragt ihn jemand: „Wo ist Mama?“ zeigt er auf sich selber und sagt: „Mama“. Klarer Fall von Modelllernen. Die Mama richtet ja den Finger auf sich, wenn sie anzeigen will, wer Mama ist, wenn sie sagt: „Ich bin die Mama.“ Und so versteht es das Kind. Mama ist diejenige, die auf sich selber zeigt und „Mama“ sagt.

Pedro Almodovar: Volver

Alles, was zurückkehren kann, kehrt auch zurück: Geister, Erinnerungen – und manchmal auch Menschen, die man längst verloren geglaubt hat. Der Film variiert die Themen Verlust, Vergessen, Verschweigen in einem Plot, der wie meist bei Almodovar von Frauen getragen wird…

Raimunda lebt gemeinsam mit ihrem Mann Paco und ihrer Tochter Paula in Madrid. Paco, ein biertrinkender, bald arbeitsloser Nichtsnutz wirft seiner Teenager-Tochter begehrende Blicke hinterher, die Böses ahnen lassen. Aus den Blicken wird ein Belästigungsversuch, den Paco nicht überlebt. Raimunda findet ihre in Tränen aufgelöste Tochter und übernimmt die Verantwortung. – Sie beschließt, die Leiche zu beseitigen.

Raimunda muss also eine Entsorgungsaufgabe lösen. Unterdessen bekommt ihre Schwester Sole eine Versorgungsaufgabe: Eines Tages, nach der Rückkehr aus dem Heimatdorf in der La Mancha, steigt die Mutter der beiden Schwestern aus dem Kofferraum von Soles Auto. Obwohl sie ein paar Wochen zuvor bei einem Wohnhausbrand ums Leben gekommen ist. Nun nimmt die Reise in die Vergangenheit erst recht Fahrt auf.

Tatkräftig stellen sich die beiden Schwestern ihren Problemen und kommen dabei einem Familiengeheimnis auf die Spur, das plausibel macht, warum Raimunda ihre Tochter sofort zu entlasten sucht, nachdem sie den Vater getötet hat. Gekonnt choreographiert Almodovar seine Drei-Generationen-Geschichte, deren Protagonistinnen sich erst nach vielen Jahren einander öffnen, das Schweigen brechen, die erlebten Schmerzen benennen, das Erlebte nach außen holen, bevor es sie innerlich endgültig zerfrisst.