Brust zeigen für Gesetzliche Krankenversicherung

Der Chef der privaten Krankenversicherung Debeka, Uwe Laue, fordert die Politik auf, die Zugangshürden zur Privaten Krankenversicherung zu senken.

Ich will das nicht.

Ich finde es schon unerträglich genug, dass der Staat seinen Beamtinnen und Beamten erlaubt, sich der solidarischen Krankenversicherung zu entziehen.

Amerikas Urologen wenden sich gegen PSA-Screening

Endlich.

Die amerikanische Urologen-Fachgesellschaft wendet sich gegen das routinemäßige PSA-Screening von gesunden Männern zwischen 40 und 54 – und reagiert auf die in den letzten Jahren angehäufte Evidenz, dass die Risiken für körperliche Schäden durch nachfolgende Eingriffe auf der Basis des Screening-Tests weit höher sind als der vermeintliche Nutzen eines früh erkannten Tumors: 1 von 1000 Männern nutzt der Test, er schadet aber 36.

http://jama.jamanetwork.com/article.aspx?articleID=1696095

Nur 3,3% der Betroffenen, die nach dem PSA einen Prostata-Krebs diagnostiziert bekommen, sterben nicht am Krebs, der meist nur langsam in ihnen wächst. 96,7% der PSA-gescreenten Männer sterben an einer anderen Todesursache – haben aber eine massive Beeinträchtigung erleben müssen, weil der positive PSA-Test zu weiteren Tests, einer Biopsie und später dem direkten Entfernen oder zumindest dem teilweisen Entfernen der Prostata führt.

Ein Beitrag in ARD-Kontraste macht die Sinnlosigkeit, die Verwerflichkeit, das rein ökonomische Kalkül des Verfahrens deutlich: http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_16_05/frueherkennung_bei.html

 

Die Elbe – vor und nach der Flut

Gestern habe ich zwei Bilder aus dem Wetterbericht der ARD ausgeschnitten, die zeigen, wie sich die Elbe durch den vielen Regen in Tschechien und Südostdeutschland zu einer Seenlandschaft verändert hat.

Die Elbe zwischen Magedeburg und Tangermünde am 05. Mai.

Die Elbe zwischen Magedeburg und Tangermünde am 08. Juni.

Wissenschaft, menschliche Natur und Erkenntnis

Patrick Illinger, Leiter des Ressorts Wissen der Süddeutschen Zeitung, kommentiert in der Pfingstausgabe die Zubereitung embryonaler Stammzellen:

„Hat die Wissenschaft gelernt, mit der öffentlichen Befindlichkeit umzugehen? Eher nicht. Im wissenschaftlichen Alltag ist von Zurückhaltung nichts zu erkennen. Weltweit wird geforscht, was das Zeug hält, an Zellen, Embryonen und mutierten Viren. Auf der anderen Seite wird kritisiert, oft reflexartig und oft ohne angemessenen Sachverstand. Dazwischen liegt ein breites Feld der Verunsicherung.“

Trefflicher lässt sich das Unbehagen über die andauernde Verschiebung immer weiterer Grenzen durch den Wissenschaftsbetrieb nicht ausdrücken. Allerdings: Ist nicht die Grenzüberschreitung unmittelbar an den Erkenntnisgewinn gekoppelt? Schon Archimedes Ausruf „Heureka“ ist damit verbunden, dass der Grieche Grenzen überwand, als er mit seinem eigenen Körpergewicht einen Wasserbehälter zum Überlaufen brachte und daraus die Wasserverdrängung berechnen lernte. Wie das einfache Experiment mit dem eigenen Körper gehören bspw. grenzenüberwindende Reisen zum Methodenkanon der Wissenschaften: Über kontinentale Grenzen hinweg brachen Forscher zu anderen, neuen Ufern auf genauso wie sie mittels kosmischer Ausflüge in der jüngeren Menschenheitsgeschichte die Erde aus der Ferne betrachten konnten.

Das Überwinden von (Erkenntnis)-Grenzen ist grundlegend für wissenschaftliches Tun überhaupt, egal ob im Labor, mittels Raumschiff oder am Schreibtisch.

Die Forscher aus Oregon, die nun embryonale Stammzellen zubereitet haben, überwinden also zunächst einmal nur jene Grenzen, die der Erkenntnis im Wege stehen. Erkenntnis, die gewonnen werden kann, wird nicht unerkannt bleiben, früher oder später – und keine Moral, keine Ethik, kein Glaubenssystem oder keine Theologie wird die forschenden Geister daran hindern, die Dinge weiterzudenken und weitere Experimente zu wagen. Zu reizvoll und zu spektakulär ist die Aussicht, die grundlegenden Mechanismen des Leben zu verstehen und nachzubauen – und die Erkenntnisgrenzen weiter zu verschieben.

So weit so verständlich aus Sicht der Forscher_innen. Doch die wissenschaftliche Erkenntnis ist nur eine Seite. Eine weitere sind die daran gekoppelten Heilsversprechen und die dadurch erzeugten Heilserwartungen. Hinzu kommen Fragen der kommerziellen Verwertbarkeit der Erkenntnisse, die Patente, die Kapitalinteressen und die Aussichten auf ewigen wissenschaftlichen Ruhm bspw. durch eine Nobelpreis-Ehrung, die ebenfalls Motive für derlei Grenzverschiebungen sein können.

Deswegen gebe ich mich keiner Illusion hin: So wie wir die menschliche Natur bereits seit tausenden Generationen verändern, nachbessern, sozialisieren, kultivieren, in diesem Sinne: verwissenschaftlichen – so wird auch zukünftige Erkenntnis zur weiteren Veränderung des Menschen beitragen. Das wird sich nicht aufhalten lassen, weil die Verschiebung der (Erkenntnis)-Grenzen selbst inzwischen Teil der menschlichen Natur geworden ist.

Die Verunsicherung von der Illinger schreibt ist dabei notwendiger Teil der Erkenntnis. Und wir müssen immer wieder neu bestimmen, wer wir sind, was unsere (jeweils aktuelle) Natur ist, welches Selbstverständnis wir von uns selbst haben.

Wirtschaftskrise – unser Handeln – ein Video

Ein Video (12 min), ein animiertes dazu, das die wirtschaftliche Situation, die Krise des Geldes und der Schulden, die Gefahren für die Umwelt und die ausgebeuteten Ressourcen des Planeten in einen Zusammenhang stellt, unseren individuellen Anteil daran benennt – und uns zeigt, wohin die Reise gehen könnte, wenn wir von allem etwas weniger (haben) wollen.

Wechselstube Eimsbüttel lebt (wieder)

Plötzlich ist sie wieder da, die Wechselstube Eimsbüttel – um nachhaltig nachbarschaftlich zu geben und zu nehmen. Seit vorletzter Nacht ergibt sich für die Eimsbüttelerinnen und Eimsbütteler rund um den Else-Rauch-Platz wieder die Möglichkeit gut Erhaltenes abzulegen oder gut Erhaltenes mit nach Hause zu tragen.

Novartis verliert Patentschutzstreit in Indien

In einem wegweisenden Urteil hat der Oberste Gerichtshof Indiens eine Patentklage des Schweizer Arzneimittel-Herstellers Novartis zurückgewiesen. Damit ermöglicht das Gericht indischen Generika-Herstellern, das Medikament Glivec zu einem weit geringeren Preis zu vertreiben als das Original-Präparat – laut BBC News liegt der Unterschied zwischen $2600 für das Original und $175 für die Kopie.

Auch 175 Dollar (pro Monat) sind in Indien ein großer Haufen Geld – und Novartis behauptet tapfer in der eigenen Pressemitteilung als Reaktion auf das Urteil, über 9 von 10 Patienten mit entsprechender Indikation (bestimmte Leukämie-Formen) würden weiterhin im Rahmen eines speziellen Programms kostenfrei mit dem Medikament versorgt.

So sehr das Urteil ärmeren Patienten helfen mag, so sehr könnte es das Selbstverständnis der Industrie erschüttern: Hier wird nämlich ein Geschäftsmodell in seine Schranken gewiesen, das wegen seiner Scheininnovationen auch in Deutschland sehr umstritten ist. Das Patent für die Substanz, die Glivec zugrunde liegt (Imatinib), verlor 2005 den indischen Patentschutz. 2006 brachte Novartis das Medikament in kristalline Form und beanspruchte dafür ein neues Patent. Zugleich behauptete die Firma, die Substanz sei nun besser absorbierbar, ein Zusatznutzen sei erkennbar. Diese Behauptung wies das höchste indische Gericht in seiner ausführlichen Begründung zurück:

„There is, however, no material in the subject application or in the supporting affidavits to make any comparison of efficacy, or even solubility, between the beta crystalline form of Imatinib Mesylate and Imatinib Mesylate (non-crystalline).“

Dieses Urteil stärkt meine Hoffnung, dass auch die Zulassungsbehörden in Deutschland bzw. Europa mehr Interesse daran entwickeln, das Blendwerk der pharmazeutischen Industrie zu entlarven. Es muss das Bestreben der Kontrollbehörden werden, Scheininnovationen den Zugang in die solidarisch finanzierten Gesundheitskassen zu verwehren. Es ist nicht zu tolerieren, wenn das solidarische System der Krankenversicherung dazu missbraucht wird, die Renditeerwartungen der Pharma-Kapitalbesitzer zu erfüllen.

PS.: Laut Roter Liste kostet das Medikament in Deutschland gegenwärtig rund €3400 (nach aktuellem Kurs $4350).

Nachdenken über Wissenschaft und Schavan

Wahrscheinlich ist es gerechtfertigt, ein wenig Mitgefühl mit Frau Schavan zu haben.

Damals im Jahre 1980 existierten zwar auch schon allgemeinverbindliche Grundsätze des wissenschaftlichen Zitierens – aber wer konnte damals ahnen, dass ein Verstoss dagegen 33 Jahre später die eigene Karriere ruiniert? Zumal die Gutachter damals ja nichts zu beanstanden hatten.

Das Abgrenzungsbedürfnis, dass wir Wissenschaftler nun gegen jemanden wie Frau Schavan empfinden und öffentlich zum Ausdruck bringen, ist einerseits berechtigt und notwendig, aber auch gefährlich, denn die Grenzen zwischen redlich und unredlich sind in unserem Geschäft leider fließend…

Klar, sie hat betrogen. Sie hat eine Leistung vorgetäuscht, die sie nicht erbracht hat. Alle Studierenden, die betrügen (wissentlich/vorsätzlich oder nicht), kriegen auch von mir erstmal ein „nicht bestanden“. Bei Schavan geht der Fakultätsrat so weit zu sagen, „dass die damalige Doktorandin systematisch und vorsätzlich über die gesamte Dissertation verteilt gedankliche Leistungen vorgab, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hatte„.

Das ist nicht zu rechtfertigen, nicht mit Naivität, nicht mit Unwissenheit, nicht mit Überlastung. Immerhin muss sie damals, als eine Tastatur mit den Kombinationen strg-c und strg-v nicht zum Standard-Inventar einer Studierenden gehörten, alles sehr mühselig abgetippt haben.

Deswegen lässt mich der Gedanke nicht mehr los, bei Frau Schavan sei es durch den Akt des Abtippens zu einer Art Überidentifikation mit dem geisteswissenschaftlichen Gedankengut gekommen, gerade so, als habe die Studentin die Gedanken durch das Abtippen so sehr inkorporiert, dass sie die Texte anschließend als ihre eigenen betrachten konnte.

Klar, wenn es so gewesen wäre, hätte die Studentin S. eine massives Psycho-Problem vorzuweisen gehabt – aber wäre das so selten? Uns in etwas hineinzuträumen, was einer Wirklichkeitsprüfung nicht standhält? Wissenschaft ist ja kein einfaches Geschäft, gerade in den so genannten Geisteswissenschaften nicht. Die Grenzen zwischen einem eigenen und einem fremden Gedanken sind manchmal schwer herauszuarbeiten – und immerzu die Wissenschaft mit einem neuen, eigenen Gedanken voran zu bringen, ist sicherlich deutlich schwerer, als das Bekannte zu paraphrasieren und dann die Fußnote bzw. das Zitat zu verdaddeln.

Ich wünschte mir ein (globales) Forschungsprojekt, in welchem Ausmaß im Alltagsgeschäft (Publish or Perish!) falsch zitiert, mangelhaft zitiert oder auch nur fehlerhaft Bezug genommen wird. In biomedizinischen Aufsätzen ist es üblich, durch die Aneinanderreihung von Literaturstellen die eigene Argumentation und die Begründung für den eigenen Aufsatz zu entwickeln. Der wissenschaftliche Kodex oder auch das Selbstverständnis geht davon aus, das an den zitierten Stellen auch genau das steht, worauf die Zitierenden sich berufen. Aber hat das schonmal jemand systematisch untersucht? Wie viel stille Post ist in der Wissenschaft unterwegs? Ich erinnere nur an die Sache mit dem Spinat, dem Eisen und den Kommastellen.

Wer hat all die Aufsätze gelesen, die in den eigenen Arbeiten zitiert werden? Bei wem reicht das Lesen kaum über die Abstracts hinaus? Wer hat genügend Zeit zu lesen?

Der Fall der Wissenschaftsministerin könnte auch eine wissenschaftsinterne Debatte darüber auslösen, was redlich ist und was nicht und ab welchem Moment wir als Wissenschaftler selber im Glashaus sitzen und nicht mehr mit Steinen werfen sollten… Das Blog Retraction Watch ist eine verdienstvolle Anstrengung, den Betrug in der Wissenschaft zu erfassen, zumindest hinsichtlich von Aufsätzen, die zurückgezogen wurden.

Dass die Ministerin Schavan nun so verrückt zu sein scheint, im Amt bleiben zu wollen, schreibe ich allerdings ihrer oben schon vermuteten Psycho-Macke zu, diesmal als letzten Halt vor dem inneren Nichts, das sie sich ansonsten eingestehen müsste. Sie muss an ihre eigene Redlichkeit glauben, sonst wäre sie psychisch zerstört. Ihre ganze mühsehlige Abtipperei vor 33 Jahren wäre umsonst gewesen.

Eine bittere Bilanz.