Soziale Probleme in der Hausarztpraxis

Eine Arbeitsgruppe an Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin des UKE hat Hausärztinnen und Hausärzte in Norddeutschland zur Häufigkeit von und dem Umgang mit sozialen Problemen im Praxisalltag befragt. Arbeitslosigkeit, Wohnungs- oder Finanzprobleme kommen in der Praxis häufig vor. Die Ergebnisse sind nun in der Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen veröffentlicht worden.

Die Datei ist hier abgelegt: Zimmermann-ZEFQ-2018

Soziale Probleme in der hausärztlichen Versorgung – Häufigkeit, Reaktionen, Handlungsoptionen und erwünschter Unterstützungsbedarf aus der Sicht von Hausärztinnen und Hausärzten

Hintergrund
Patientinnen und Patienten nehmen die hausärztliche Versorgung häufig für gesundheitliche Beschwerden in Anspruch, die mit sozialen Problemen verbunden sind. Diese primär nicht-medizinischen Versorgungsthemen können den Krankheitsverlauf erheblich beeinflussen. Bisher ist wenig darüber bekannt, in welchem Ausmaß Probleme wie Arbeitslosigkeit oder Einsamkeit im hausärztlichen Setting vorkommen,wie Hausärztinnen und Hausärzte darauf reagieren und welche Unterstützung sie sich im Management dieser Probleme wünschen.

Fragestellung
Was sind die häufigsten aus hausärztlicher Sicht wahrgenommenen gesundheitsbezogenen sozialen Probleme und wie hängen sie mit Arzt- und Praxis-Merkmalen zusammen? Wie gehen niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte mit den von ihnen wahrgenommenen sozialen Problemen um und welche Art der Unterstützung wünschen sie sich?

Material und Methoden
Postalische Fragebogenerhebung angelehnt an „Kapitel Z Soziale Probleme“ der International Classification of Primary Care – 2nd Edition: Der Fragebogen wurde an alle Hausärztinnen und Hausärzte in den Bundesländern Hamburg (n=1593) und Schleswig-Holstein (n=1242) verschickt, deren Adresse zur Verfügung stand.

Ergebnisse
N=489 Fragebögen (17,2%) konnten ausgewertet werden. Mindestens dreimal wöchentlich sehen sich Hausärztinnen und Hausärzte mit finanziellen Problemen (53,4%), Problemen am Arbeitsplatz (43,7%), sozialer Isolation/Einsamkeit (38,7%) sowie Beziehungs- und Partnerschaftsproblemen (25,5%) konfrontiert. Eher selten wird die körperliche Misshandlung (0,8%) benannt. Aus Praxen mit einem hohen Anteil von Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund wurden deutlich erhöhte Problemhäufigkeiten berichtet.

Diskussion
Die Fragebogenerhebung unter nordwestdeutschen Hausärztinnen und Hausärzten belegt: Soziale Probleme sind ein häufiges Thema im hausärztlichen Praxisalltag. Finanzielle Probleme, Probleme mit Arbeit oder Arbeitslosigkeit sowie Probleme mit sozialer Isolation/Einsamkeit wurden am häufigsten wahrgenommen.

Schlüsselwörter
Hausärztliche Versorgung, soziale Probleme, Häufigkeit, Hausärztinnen und Hausärzte, Fragenbogenerhebung

Social problems in primary health care – prevalence, responses, course of action, and the need for support from the point of view of General Practitioners

Background
Very often patients utilize primary care services for health conditions related to social problems. These problems, not primarily of medical nature, can severely influence the course of an illness and its treatment. Little is known to what extent problems like unemployment or loneliness occur in a general practice setting.

Objectives
What are the most frequent health-related social problems perceived by the general practitioner (GP)? How are these problems associated with GP- or practice characteristics?

Materials and methods
Cross-sectional, postal questionnaire survey, questions derived from „Chapter Z social problems“ of the International Classification of Primary Care – 2nd edition. We’ve mailed questionnaire to available GP-adresses in the federal states of Hamburg (n=1593) and Schleswig-Holstein (n=1242).

Results
N=489 questionnaires (17,2%) could be analysed. At least three times a week GPs were consulted by patients with poverty/financial problems (53,4%), work/unemployment problems (43,7%), patients with loneliness (38.7%) as well as relationship problems with partner (25,5%). Rather seldom GPs reported perception of assault/harmful event problem (0,8%). Practices with high proportions of migrant patients were reported as having the most frequent problems.

Conclusions
This postal survey amongst GPs in Northwestern Germany reveals: Social problems are a highly prevalent issue in routine primary care. Financial problems, job problems as well as loneliness were most frequently perceived as social problems by GPs. GPs in excess of care for migrant patients reported more social problems.

Keywords
Primary care, social problems, prevalence, postal survey, General Practitioner

Novartis verliert Patentschutzstreit in Indien

In einem wegweisenden Urteil hat der Oberste Gerichtshof Indiens eine Patentklage des Schweizer Arzneimittel-Herstellers Novartis zurückgewiesen. Damit ermöglicht das Gericht indischen Generika-Herstellern, das Medikament Glivec zu einem weit geringeren Preis zu vertreiben als das Original-Präparat – laut BBC News liegt der Unterschied zwischen $2600 für das Original und $175 für die Kopie.

Auch 175 Dollar (pro Monat) sind in Indien ein großer Haufen Geld – und Novartis behauptet tapfer in der eigenen Pressemitteilung als Reaktion auf das Urteil, über 9 von 10 Patienten mit entsprechender Indikation (bestimmte Leukämie-Formen) würden weiterhin im Rahmen eines speziellen Programms kostenfrei mit dem Medikament versorgt.

So sehr das Urteil ärmeren Patienten helfen mag, so sehr könnte es das Selbstverständnis der Industrie erschüttern: Hier wird nämlich ein Geschäftsmodell in seine Schranken gewiesen, das wegen seiner Scheininnovationen auch in Deutschland sehr umstritten ist. Das Patent für die Substanz, die Glivec zugrunde liegt (Imatinib), verlor 2005 den indischen Patentschutz. 2006 brachte Novartis das Medikament in kristalline Form und beanspruchte dafür ein neues Patent. Zugleich behauptete die Firma, die Substanz sei nun besser absorbierbar, ein Zusatznutzen sei erkennbar. Diese Behauptung wies das höchste indische Gericht in seiner ausführlichen Begründung zurück:

„There is, however, no material in the subject application or in the supporting affidavits to make any comparison of efficacy, or even solubility, between the beta crystalline form of Imatinib Mesylate and Imatinib Mesylate (non-crystalline).“

Dieses Urteil stärkt meine Hoffnung, dass auch die Zulassungsbehörden in Deutschland bzw. Europa mehr Interesse daran entwickeln, das Blendwerk der pharmazeutischen Industrie zu entlarven. Es muss das Bestreben der Kontrollbehörden werden, Scheininnovationen den Zugang in die solidarisch finanzierten Gesundheitskassen zu verwehren. Es ist nicht zu tolerieren, wenn das solidarische System der Krankenversicherung dazu missbraucht wird, die Renditeerwartungen der Pharma-Kapitalbesitzer zu erfüllen.

PS.: Laut Roter Liste kostet das Medikament in Deutschland gegenwärtig rund €3400 (nach aktuellem Kurs $4350).

2. Tag der Allgemeinmedizin in Hamburg

Morgen, am 10. November 2012 findet in Hamburg das zweite Mal der „Tag der Allgemeinmedizin“ (TdA) statt.

Der Klick auf den Plakat-Link führt zu weiteren Informationen vom Institut für Allgemeinmedizin am UKE. Das Institut veranstaltet den TdA, der dieses Jahr auch noch in München, Jena und Göttingen stattfindet.

Der Tag der Allgemeinmedizin ist eine bundesweit etablierte Veranstaltung der „Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin“ (DEGAM) und der universitären Institute für Allgemeinmedizin. Im Kern geht es darum, niedergelassene Hausärzte und Hausärztinnen sowie deren Medizinische Fachangestellte einen Tag lang zu praxisorientierten, interaktiv ausgelegten Workshops einzuladen, sich zu vernetzen, Forschungsideen und Erfahrungen auszutauschen.

Einen guten Überblick über das Konzept gibt der Artikel (pdf) von Szecsenyi J, Wiesemann A, Stutzke O, Mahler C. „Tag der Allgemeinmedizin“ – Ein Beitrag zur Entwicklung einer gemeinsamen regionalen Plattform zwischen Hausarztpraxen und einer Universitätsabteilung. Z Allg Med 2006; 86: 449-455.

Demenz, Schlaganfall, Qualität der Versorgung

Unter dem Titel „Den Schwerkranken das Leben erleichtern“ erschien heute im Hamburger Abendblatt eine Zusammenfassung unserer Arbeit hier am Institut für Allgemeinmedizin, Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf.

Wir arbeiten an wichtigen Zukunftsthemen (Ich verstehe mich sowieso als Zukunftsforscher!) wie der Versorgung von Schlaganfallpatienten, der Versorgung und der Lebensqualität von Menschen mit Demenz, all das aus Patientensicht, aus Sicht der versorgenden Hausärzte, der Pflegedienste, der Angehörigen. Dafür haben wir Mittel in zweistelliger Millionenhöhe eingeworben, die Personalstärke vervierfacht in den vergangenen fünf Jahren.

Ein Laden, der brummt, der Themen setzt und vorantreibt. Ein Laden, zu dem ich gerne gehöre, :-).

Dementia Fair Congress – Bremen

Ich halte heute einen Vortrag auf dem Dementia Fair Congress: „Anti-Dementiva – was haben wir gelernt aus der Debatte?“.

Ungewohnt für einen Fachkongress kommen hier Fachleute aus Pflege, medizinischer Grundlagenwissenschaft, Stadtplaner, Versorgung, aus der Selbsthilfe und aus der klinischer Forschung zusammen, um sich über die ungezählten Facetten der menschlichen Gedächtnisentwicklung im Alter auszutauschen.

Dieser Austausch zwischen den Beteiligten in Forschung, Versorgung, zwischen Angehörigen und Wissenschaft, zwischen Profis und Laien wird gerade rund um die Demenz zukünftig die einzige Chance sein, neue Wege zu gehen. Weil die Erkrankung so vielgestaltig auftritt und weil so viele Bereiche des Lebens davon berührt werden, reicht Betreuung und Pflege der Erkrankten nicht mehr aus. Vielmehr geht es um Aktivierung, Zuwendung, Kommunikation, Erhalt der Lebensqualität. Und die Bereitschaft, auch im Alltag mit stark vergesslichen Personen umgehen zu lernen – sei es im Supermarkt, in der Apotheke oder an der Straßenkreuzung.