Inszenierte Wissenschaft – Das Schokolade-macht-schlank-Experiment

Eine Arte-Dokumentation legt offen, wie einfach (ok, sechs Monate sehr intensive Arbeit als Vorbereitung) es dieser Tage zu sein scheint, mit einer inszenierten wissenschaftlichen Studie rund um den Globus Schlagzeilen zu machen.

Die „Studie“ dokumentiert wie der wissenschaftlich-mediale Komplex funktioniert. Die beiden Filmemacher Diana Löbl und Peter Onneken haben das Setup erfunden und sich Experten als Berater dazu geholt, die das „Studiendesign“ entwickelten und die Daten auswerteten. Das Ergebnis der „Studie“ war vorab festgelegt: Schokolade macht schlank – eine Überschrift, die immer mal wieder durch die Druckerpressen und Startseiten der Netznachrichten rotiert (Spiegel Online 2012 und scinexx.de 2013).

Schließlich holten Löbl und Onneken für die Vermarktung den Wissenschaftsjournalisten John Bohannon ins Boot. Für das Science-Magazin inszenierte er 2013 eine andere verdeckte Operation, in dem er einen computer-generierten Nonsens-Aufsatz bei 304 Open Access-Zeitschriften einreichte und unglaubliche 157 Veröffentlichungszusagen erhielt. 

Interessanterweise behauptet nun der Publisher (fürs geübte Auge bspw. von Bohannon als einer jener predatory open access publisher zu erkennen, die alles drucken, was ihnen eingereicht wird), der Aufsatz sei sowieso niemals akzeptiert gewesen. Dennoch veröffentlichte der Verlag nun eine ordentliche „retraction notice“ unter der gleichen URL – http://imed.pub/ojs/index.php/iam/article/view/1087/728 – ein Verfahren dafür erfunden, einen bereits veröffentlichten Beitrag zurückzuziehen.

Bohannons Blogeintrag, um den Schwindel offen zu legen, ist ein bisschen zu selbstverliebt wie ich finde: „I fooled millions…“ – Seine Rolle in dem Spiel akzentuiert er schon sehr zu seinen Gunsten.

Der Film beleuchtet eindrucksvoll zwei gravierende Probleme:

Wie ist es möglich, angesichts der Flut biomedizinischer Fachaufsätze zu allen möglichen Fragen von Leben oder Tod die wissenschaftliche Qualität zu sichern?

Welche Auswirkungen hat ein völlig kritikloser Umgang mit vermeintlich wissenschaftlicher Forschung, wenn es Medien nur darum geht, ihren Konsumenten irgendetwas zu erzählen, das denen gefallen könnte?

Bei retractionwatch wird allerdings auch diskutiert, ob diese Fake-Studie überhaupt zurückgezogen werden durfte, wenn sie doch alle Kriterien erfüllt hat, die der Publisher eingefordert hat – und sich sonst auch kaum von vielem Schund unterscheidet, der gerade im ernährungswissenschaftlichen Bereich als „Studie“ durchgeht. Diesen Hintergrund haben Löbl und Onneker in ihrer Dokumentation ebenfalls gut ausgeleuchtet. Der Allgemeinarzt Gunter Frank (bekannt aus Buch, Funk, Fernsehen) hilft ihnen dabei, die Studienrezepte zu verstehen und die eigene Studie zu inszenieren.

Wer mehr wissen will: Die Qualität von Journalismus aus dem Gesundheits- und Ernährungsbereich wird in diesem Buch „Qualität im Gesundheitsjournalismus“, erschienen im SpringerVS-Verlag, diskutiert.

Krankenkassen gehen pleite

Endlich werden Krankenkassen nicht nur fusioniert, sondern ganz geschlossen. Die Versicherten zerstreuen sich in alle Winde und verteilen sich auf die verbleibenden Versicherer. So findet eine andere Art der Risikostreuung statt. Die Kassen müssen jeden Neukunden nehmen, der von einer anderen Kasse kommt, egal wie teuer er demnächst zu behandeln ist, egal ob die Patientin mit einem guten (Einnahme höher als die Ausgabe) oder einem schlechten (Ausgaben höher als die Einnahmen) Risiko Kassenmitglied wird. Vor Jahren schon hat Ulla Schmidt die Parole ausgegeben, 30 bis 40 dieser Unternehmen würden völlig ausreichen. Doch warum nicht die Marktbereinigung zu Ende denken?

In Frankreich sind 90% der Bürger in einer Krankenkasse versichert… Was spricht dagegen, die gesetzlich Versicherten in einer Kasse zu versichern, wenn doch der verpflichtende (Regel)-Leistungskatalog für alle Kassen gleich zu sein hat? Wird hier nicht ein Pseudo-Wettbewerb zwischen den Versicherern aufrecht erhalten, der dem System ziemlich teuer kommt? Haben nicht in Wahrheit die Selbstverwalter im System, die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), die Krankenhäuser, die pharmazeutische Industrie den größten Vorteil von diesem Pseudo-Markt?

Ist nicht die Nachfrageseite (also die Patienten) immer schlechter gestellt als die Anbieterseite (Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken), die das Blaue vom Himmel erzählen können, wie hilfreich, toll und sinnvoll diese oder jene Maßnahmen sind, die in Wahrheit nur den eigenen ökonomischen Bedürfnissen, den (selbst auferlegten) Sachzwängen und Interessen dienen – häufig aber nicht oder nur nachrangig den Interessen derjenigen, die als Kranke auf sie angewiesen sind?

Ist das nicht ein komplett absurdes System, das auf diese Weise organisiert ist – und sich dann auch noch Markt nennt? Oder verstehe ich da was falsch? Was ist denn nun ein Markt? Kann ich als kranker Mensch überhaupt ein Marktteilnehmer sein? Und wenn ja, wie soll das gehen, wenn ich bewusstlos in ein Krankenhaus gefahren werde? Oder wenn der Kardiologe sagt, bei diesem Herzen und diesen „Symptomen“ müsste er mich mal zur Koronarangiographie einbestellen… Woher weiß ich denn als Patient, dass da jemand seinen Herzkathetertisch amortisieren muss und jeden drüber schiebt, der im riskanten (und damit abrechnungsfähigen) Alter angelangt ist?

PS.: Im Feld kursiert übrigens der Witz, Koronar-Patienten bekämen demnächst einen Reißverschluss, um das Prozedere bei der Wiedereinbestellung zu vereinfachen…