Exkurs: Sozialer Vergleich im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Tipps: Dem Neid mit Gelassenheit begegnen
Tipps: Mehr Gelassenheit mit Wünschen und Bedürfnissen

Auf einer TED-Konferenz im Jahr 2011 in Atlanta/Georgia trat der holländische Verhaltensforscher Franz de Waal auf, um vom moralischen Verhalten bei Tieren zu berichten. Tiere seien ebenso wie Menschen in der Lage, Kooperationsbereitschaft zu zeigen, sich prosozial zu verhalten oder ein Gefühl für Fairness zu haben.

De Waal stellte in seinem Talk mehrere Videosequenzen von Versuchsanordnungen dar, in denen Tiere dazu gebracht werden konnten, die jeweiligen Verhaltensweisen bzw. die damit verbundenen Gefühle zu zeigen. Im Zusammenhang mit dem sozialen Vergleich und dem Neid-Gefühl, das ausgelöst wird, wenn der Vergleich um ein begehrtes Gut zu unseren Ungunsten endet, steht eine Videosequenz seines Vortrages, die große Heiterkeit beim Betrachter auslöst.

De Waal zeigt ein Experiment, dessen zentraler Bestandteil ein sozialer Vergleich zwischen zwei Kapuziner-Äffchen ist. Beide haben die Aufgabe, einen Stein aus dem Käfig zu geben und erhalten dafür eine Belohnung. Anfänglich bekommen beide ein Stück Gurke – und sind zufrieden. Ein Affe bekommt jedoch in der nächsten Runde eine Weintraube, der andere erneut ein Stück Gurke. Der Vergleich geht sehr zuungunsten des Gurkenempfängers aus – und der macht seinem Ärger deutlich Luft:

 

Ganz klar, in einem solchen Moment wäre auch ein 3-Jähriger wütend, wenn ein Anderer so bevorzugt würde. 5-Jährige verstehen sofort, was dem einen Kapuziner-Äffchen widerfährt: Der andere kriegt für die gleiche Leistung eine bessere Entlohnung. Das ist ungerecht. Als Erwachsener verstehe ich auch den neidischen Impuls, der sich durch das Wegwerfen des Gurkenstücks ausdrückt: Bewirf die Verantwortliche für die schreiende Ungerechtigkeit mit dem minderwertigen Gut, das sie dir unterjubeln wollte, während der am Nebentisch (im anderen Käfig) süße Trauben für den Job kriegt.

Ein Experiment, das den Ärger, die Wut über soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit perfekt deutlich macht. Und ein Beleg dafür, dass es genügend Situationen gibt, in denen der Neid signalisiert: Das ist nicht hinnehmbar, wehr Dich!

Den vollständigen Vortrag (16 Minuten) gibt es hier. De Waal präsentiert weitere Beispiele tierischen Verhaltens, Sequenzen zur Kooperationsbereitschaft bei Elefanten und prosozialem Verhalten bei Affen.

 

Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte

Tipps: Mehr Gelassenheit mit Wünschen und Bedürfnissen

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen: Kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Sozialer Vergleich – Wurzel allen Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht die Beziehung
Tipps: Dem Neid mit Gelassenheit begegnen

  • Erfüllen Sie sich Ihre Wünsche nacheinander.
  • Trennen Sie zwischen kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Wünschen.
  • Lassen Sie sich nicht von Ihren Wünschen überfluten.
  • Auch wenn es noch so verlockend ist: Gehen Sie keine materiellen Risiken ein.
  • Gönnen Sie sich den Luxus, sich auch einmal von einem Wunsch zu verabschieden.
  • Klären Sie das Verhältnis zwischen dem Aufwand, den Wunsch zu befriedigen, und dem Nutzen, wenn der Wunsch befriedigt ist.
  • Fragen Sie sich, ob das Bedürfnis tatsächlich Ihr eigenes ist, oder ob es von außen an Sie herangetragen wurde.
  • Fragen Sie sich, ob es auch andere Wege gibt, das Bedürfnis zu befriedigen, als die von Ihnen bereits anvisierten.
  • Schätzen Sie vorher ab, worauf Sie später verzichten müssen, wenn Sie jetzt dieses Bedürfnis befriedigen.
  • Fragen Sie sich, ob die Wunscherfüllung zwar kurzfristig zufriedener macht, aber langfristig weiterhin alle Wünsche offen bleiben.
  • Versuchen Sie herauszufinden, ob das Bedürfnis, das Sie nun erfüllt wissen wollen, tatsächlich jenes Verlangen stillt, das Sie umtreibt.

Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte

Tipps: Dem Neid mit Gelassenheit begegnen

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen: Kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Sozialer Vergleich – Wurzel allen Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht die Beziehung

Sie gewinnen ein wenig Distanz und Gelassenheit gegenüber dem eigenen Neid, wenn Sie

  • zunächst einschätzen, ob der Neid Sie vorübergehend ereilt oder dauerhaft an Ihnen nagt;
  • sich sehr genau fragen, ob Sie tatsächlich genau das begehren, was der andere hat – oder ob ihr Neid nicht andere Ursachen hat;
  • erkennen, was Sie verändern können und was nicht;
  • unterscheiden, was Sie verändern wollen, von dem, was Sie verändern können;
  • sich auf eigene Wünsche und Bedürfnisse konzentrieren;
  • versuchen, sich auf Ihre eigene Weise Gutes zu tun, wie
  • es der Beneidete offenkundig für sich tut;
  • die Neid auslösende Situation aus der Perspektive des Beneideten betrachten;
  • sich klar machen, welchen Preis der Beneidete für das Gut zahlt;
  • den Blick von dem begehrten Gut auf etwas verschieben, das Sie tatsächlich erlangen können;
  • sich klar machen, dass immer auch Schwierigkeiten daran gebunden sind, sich Träume, Bedürfnisse, Wünsche zu erfüllen.

Tipps: Mehr Gelassenheit mit Wünschen und Bedürfnissen
Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen – kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität

Empfinden wir Neid, beruht das auf dem (für uns ungünstigen) sozialen Vergleich mit einem Menschen, der uns ähnlich ist und mit dem wir uns identifizieren können. Derjenige muss uns in irgendeiner Weise berühren können, auch wenn er uns nicht nahe steht, ja wir ihn vielleicht nicht einmal kennen. Fremde, die uns nicht berühren, können noch so viel von dem besitzen, was wir auch gern hätten: Der Vergleich löst in den meisten Fällen keine emotionale Reaktion aus.

Das Ähnlichkeitsgebot ist eine Voraussetzung für den sozialen Vergleich. Um tatsächlich neidisch zu sein, brauchen wir jedoch eine Beziehung. Oder besser: Der Neid braucht die Beziehung – und kommt doch völlig ohne sie aus. Ohne einen anderen Menschen, auf den wir uns beziehen können, den wir um seine Talente, Fähigkeiten oder Chancen beneiden können, gäbe es keinen Neid. Und doch geschieht es, dass derjenige, auf den wir uns beziehen, auf den wir neidisch sind, nichts von unserem Neid bemerkt.

Das erscheint mir als das Beziehungsparadoxon des Neides: in Beziehung zu sein, ohne in Beziehung zu sein. Neid ist das einsamste Beziehungsgefühl, das unser emotionales Spektrum zu bieten hat, denn Neid schließt wechselseitige Gefühle aus. In den meisten Fällen wollen wir nicht, dass der Beneidete uns als Neider erkennt. Damit unterscheidet sich der Neid grundlegend von Trauer, Wut oder Angst, die meist entweder in der Abgeschiedenheit der Einsamkeit oder bezogen auf andere auftauchen, kaum jedoch gleichzeitig beide Seiten in uns ansprechen. Auch andere Gefühle wie Zuneigung und Bewunderung leben von der Hinwendung zum anderen, werden durch diesen gestärkt und im besten Fall erwidert.

Für Angst, Wut und Trauer genügen äußere Anlässe, materielle Verluste, sicher auch menschliche Auslöser. Doch wir brauchen andere Menschen nicht notwendigerweise für diese Gefühle. Neid dockt immer an einen Menschen an. „Der Fürst der Galle“, wie ihn der Psychoanalytiker Wolfgang Krüger nennt,9 giert nach den Eigenschaften des anderen, nach seiner Attraktivität, seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten, nach seiner sozialer Kompetenz, nach seinen besonderen Lebensumständen. Theoretisch ist es denkbar, dass wir auch auf uns selbst neidisch sind, wenn wir etwa im hohen Alter auf die eigene Jugend zurückschauen – aber dieses eher seltene Phänomen halte ich an dieser Stelle für vernachlässigbar.

Um neidisch zu sein, brauchen wir ein menschliches Gegenüber, das wir beneiden können. Und doch sind wir eingesperrt in einer Art emotionalem Gefängnis, einsam, beschämt, zurückgeworfen auf die eigene Minderwertigkeit und das Mangelerleben und ohne Chance, uns des Beneideten rückzuversichern. Der wahrgenommene Mangel, das ungestillte Begehren macht uns zu klein, um uns mit dem anderen als gleichwertig zu verbinden.

Obwohl das Gefühl aus der Beziehung resultiert, verbaut es uns zunächst den Weg hinein in die Beziehung. Es stört, schafft Distanz, weckt Scham, signalisiert Unterlegenheit. Gleichzeitig erinnert es uns an Autonomie, eigene Bedürfnisse, Ziele und Hoffnungen, die wir für den eigenen Lebensentwurf hegen. So vermag uns der Neid auf den Partner, den wir plötzlich empfinden, bewusst zu machen, dass wir es versäumt haben, uns um uns selbst zu kümmern.

Damit wird der Neid zum Signal, daran etwas zu verändern. So sehr wir das Gefühl vor unserem Beziehungspartner verbergen müssen, weil wir uns dafür schämen, so deutlich richtet sich die Botschaft an uns selbst:

  • Tu etwas! Handle!
  • Verbessere die Situation!
  • Erinnere dich der eigenen Träume!
  • Übernimm Verantwortung für dein Leben!

Vielleicht sehen wir den Beneideten schon auf dem Weg, das eine oder andere zu verwirklichen, von dem auch wir träumen. Unser Partner lernt Schlagzeug spielen, schließt sich einer Theatergruppe an oder befindet sich auf einer Reise, von der auch wir schon seit vielen Jahren träumen. Oder aber der Beneidete findet eine Arbeitsstelle, die einen entscheidenden Schritt in der Karriere darstellt. Oder er schwärmt von der guten Beziehung zu den Kindern, die uns selbst in den letzten Wochen wegen zu großer Geschäftigkeit abhanden gekommen ist.

Unser einsamer Neid inmitten der Beziehung wirft uns jedenfalls auf die Erkenntnis zurück, entweder sogleich tatkräftig etwas verändern zu müssen – oder eben die Fähigkeit zu entwickeln, den Dingen, die sich nicht einfach verändern lassen, gelassener gegenüber zu stehen.

Tipps: Dem Neid mit Gelassenheit begegnen
Tipps: Mehr Gelassenheit mit Wünschen und Bedürfnissen
Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Sozialer Vergleich bildet Identität

Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen – kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?

Durch diese sozialen Erfahrungen lernen wir, wie selbstverständlich es ist, uns miteinander zu vergleichen. Wir denken nichts Schlechtes dabei, denn wir brauchen den Vergleich in unseren Reifungsprozessen, um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Welt erkennen und eine Haltung dazu einnehmen zu können. Das Kind vergleicht beispielsweise die Käsebrote und den Apfel, die es mit in den Kindergarten nimmt, mit dem Müsliriegel, den ein anderes Kind in der Tasche hat. Dann erkennt das Kind mit den Broten zunächst einmal, dass überhaupt die Möglichkeit besteht, an Stelle der Brote im Kindergarten Müsliriegel zu essen. Daraufhin begehrt das Kind die Müsliriegel des anderen, wenn diese ihm denn schmecken. Der Vergleich geht zu den eigenen Ungunsten aus – und die Mutter wird sich Gedanken machen müssen, wie sie die neuen Bedürfnisse des Kindes stillt und eventuellen Neid dämpft.

Auch Tiere konkurrieren ja schon miteinander, sei es um die attraktivste Gefährtin oder das prächtigste Geweih. Wir scheinen also naturnotwendig dazu verurteilt, uns zu beobachten und die Ergebnisse zu vergleichen. So bemerken wir die Unterschiede zwischen uns. Daran können auch alle gleichmacherischen Ideen der Weltgeschichte nichts ändern: Unterschiede zwischen uns sind ein wichtiges Merkmal der eigenen Identitätsbildung. Wir alle vergleichen von frühester Kindheit – und sollten es auch ohne schlechtes Gewissen tun.

Der Umkehrschluss nämlich, wir bräuchten uns nur alle nicht mehr mit anderen zu vergleichen, und schon verschwände der Neid aus der Welt, geht fehl. Er missachtet die Notwendigkeit, sich im Rahmen der eigenen Entwicklung aneinander zu orientieren und aufeinander zu beziehen. Denn erst im Vergleich bemerken wir, wie wir vielleicht selbst gern wären. Im Vergleich nehmen wir ein Talent wahr, das wir selbst gern hätten, das uns aber aus welchem Grund auch immer fehlt.

Je nach Vergleichsdimension und Richtung des Vergleiches findet eine Selbstbewertung statt: Vergleichen wir uns aufwärts, also mit jemandem, den wir als überlegen wahrnehmen, in einer Dimension, die für uns von großer Bedeutung ist, so droht Gefahr für die resultierende Bewertung, den Selbstwert. Für eine Frau etwa, die für Haushalt und Kinder verantwortlich ist, gern aber auch ihrem Beruf nachginge, ergibt sich aus einem Vergleich mit ihrem berufstätigen Mann eine negative Selbstbewertung – und eine Quelle von Neid. Allerdings ist eine solche Bewertung nicht zwangsläufig bedrohlich. Die Orientierung daran, was der andere beruflich tut, kann auch dazu motivieren, selbst Mittel und Wege zu finden, den eigenen Wiedereinstieg in den Beruf umzusetzen.

Vergleichen wir uns abwärts, also mit jemandem, den wir als unterlegen wahrnehmen, in einer Dimension, die für uns von großer Bedeutung ist, so entsteht daraus eine positive Einschätzung des Selbstwertes: Da geht es also jemandem schlechter als uns selbst. Da hat jemand größere Schwierigkeiten. Für eine Frau beispielsweise, die das Familieneinkommen nach Hause bringt, bewirkt ein Vergleich mit ihrem arbeitslosen Mann eher positive Selbstbewertungen. Allerdings enthält dieser Abwärtsvergleich auch bedrohliche Anteile, denn niemand ist vor Arbeitslosigkeit gefeit: Versetzt die Frau sich in ihren Mann, der arbeitslos ist, so könnte sie diese Vorstellung als beunruhigend erleben. Das könnte sie daran hindern, positive Gefühle aus dem Vergleich abzuleiten.

In manchen Fällen ist es uns möglich, durch die Wahl einer adäquaten Vergleichsdimension mitzubestimmen, ob wir zu einer positiven oder einer negativen Selbsteinschätzung gelangen. In vielen anderen Fällen laufen die Vergleiche eher automatisiert ab und lassen sich nicht steuern. Gerade bei Vergleichen, in denen wir immer wieder routiniert zu denselben neidmotivierten Ergebnissen kommen, ist es kaum möglich, einfach die Vergleichsdimension zu wechseln. Eine Ausnahme gibt es: Das Paar geht diesen Dimensionswechsel gezielt an. Doch dazu später mehr.

Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?

Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen – kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren

Nein, ohne den sozialen Vergeich geht es nicht. Der amerikanische Sozialpsychologe Festinger hat in den 1950er-Jahren eine Theorie des sozialen Vergleichs entwickelt. Diese Theorie basiert auf drei Annahmen:

  • Wir möchten unsere Meinungen und Fähigkeiten bewerten, indem wir uns ein Bild davon machen, ob wir richtig liegen.
  • Wenn uns objektive Vergleichsmaßstäbe fehlen, ziehen wir die Meinungen und Fähigkeiten anderer Personen für die Bewertung heran.
  • Wir vergleichen uns nur mit jenen, deren Abstand zu unseren eigenen Meinungen und Fähigkeiten nicht allzu groß sind.

Da uns in den meisten Bereichen objektive Vergleichsmaßstäbe für eine Bewertung fehlen, ist die Neigung sehr groß, uns mit anderen zu vergleichen. Was wichtig und richtig ist für uns, wie wir dastehen in der Welt und wie selbstbewusst wir sein dürfen, legen wir auf der Grundlage eines Vergleiches fest, bei dem wir entweder gut oder schlecht abschneiden. Gerade Einstellungen zur Welt, zum Leben, zu Besitz, zu sich selbst oder auch Bewertungen von Fähigkeiten und gesellschaftlichen Entwicklungen hängen stark von Vergleichen mit Menschen ab, die für uns bedeutsam sind.

Natürlich werden wir die Informationen, wie wir unsere Bewertungen einzuordnen haben, nicht bei denen holen, die komplett konträre Anschauungen vertreten: Ein Befürworter des Schwangerschaftsabbruchs wird die eigenen ethischen Einschätzungen nicht auf der Basis der Einschätzungen eines strikten Abtreibungsgegners bewerten. Ein Elternpaar wird das emotionale Verhältnis zu den eigenen Kindern intern vergleichen (eine große Quelle für Neid!), aber auch den externen Vergleich suchen – allerdings mit einem Paar, das ebenfalls Kinder hat, nicht mit einem kinderlosen Paar. Das kinderlose Paar wird zum Vergleich erst dann herangezogen, wenn es beispielsweise um die Kostenseite des Kinderkriegens geht.

Neben dem Bedürfnis, unsere Meinungen und Fähigkeiten zu bewerten, lässt sich ein weiterer Grund erkennen, sich sozial zu vergleichen: Unsere soziale Identität beruht auf sozialem Vergleich. Identität entsteht im Kindesalter neben der früh entwickelten Fähigkeit, „ich“ zu sagen, auf der Basis verschiedener Zugehörigkeiten: zu einer Sprachgemeinschaft, zu einer ethnischen Gemeinschaft, zu den Jungen oder den Mädchen, zu einem Fußballverein, zu einer Glaubensgemeinschaft. Gefühle der Zugehörigkeit und damit der Identität entwickeln sich durch einfache Feststellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, die auf Vergleichen beruhen. Bin ich so wie dieser oder wie jener? Ich habe etwas, das der andere nicht hat! Ich sehe etwas an mir, das ich bei anderen nicht sehe! Mir fehlt etwas, das ich bei anderen sehe! Wenn der eine redet, verstehe ich, wenn der andere redet, verstehe ich nicht.

Durch das dauernde Erkennen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten, durch das immerwährende Vergleichen, wachsen Kinder in die Gemeinschaften hinein, zu denen sie sich zugehörig fühlen. Auf diese Weise stiften die Vergleiche Identität. Manche ihrer Anteile bleiben starr (die Gemeinschaft der Muttersprachler, die ethnische Zugehörigkeit, bis auf wenige Ausnahmen: das Geschlecht), manche Anteile können sich verändern (der Fußballverein, die Mode, der Glauben). Da es auch konkurrierende Gemeinschaften gibt und Vergleiche, die uneindeutig ausgehen, verläuft die Identitätsbildung selten reibungsfrei und komplikationslos.

Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren

Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen – kulturelle und psychologische Grundlagen

Diesen Gedanken auf eine Paarbeziehung anzuwenden, eröffnet interessante Einsichten. Das erklärt, warum sich vermeintliche Bewahrer (Hochzeit: Ja! Hausfrau: Ja!) und vermeintliche Veränderer (Hochzeit: Nein! Hausfrau: Nein!), wenn sie sich in einer Beziehung finden, so leicht gegenseitig blockieren können: Sie sind oft neidisch aufeinander, wissen es aber nicht, weil ihnen verschlossen bleibt, dass sie dem anderen jeweils das Bewahren oder das Verändern neiden.

Es erklärt aber auch, wie sich bei den Interviews im 4. Kapitel zeigen wird, weshalb genau jene Partnerschaften gut funktionieren, in denen beide sowohl bewahren als auch verändern. Zwar sind die Betroffenen hin und wieder von negativen Gefühlen erfüllt. Solange sich jedoch das Gleichgewicht zwischen ihnen wieder einstellt, bedroht der Neid die Beziehung nicht. Um allerdings einer Blockade zu entrinnen, ist entscheidend, dass sich das Verändern und Bewahren auf verschiedene Aspekte des gemeinsamen Lebens richtet. Um das bereits gewählte Beispiel zu variieren: Bewahrer (Hochzeit: Ja! Hausfrau: Ist mir egal!), Veränderer (Hochzeit: Ist mir egal! Hausfrau: Nein!).

Obwohl also dem Neid wichtige Funktionen zukommen, bleibt dennoch die Frage: Welchen Wert in unserem individuellen, emotionalen Spektrum hat ein Gefühl, dem niemand so richtig eine positive Seite abgewinnen kann oder will? Warum verschwindet der Neid nicht aus der menschlichen Kulturgeschichte? Warum bleibt er stattdessen, trotz seines schlechten Images, so weit verbreitet? Warum ist er jedem von uns so vertraut? Warum ist er nicht tot zu kriegen?

Für den Soziologen Schoeck handelt es sich beim Neid um eine „Kernfrage der sozialen Existenz, die vorgegeben ist, sobald sich zwei höhere Lebewesen miteinander vergleichen können“. Damit erkennt er im Neid eine Art Urinstinkt des höheren Lebewesens, der sich durch gesellschaftliche Ausgleichsmaßnahmen allenfalls eindämmen, aber niemals beseitigen lässt. Da es dem Neider prinzipiell gleichgültig ist, ob das begehrte Gut in großen Mengen zur Verfügung steht oder ob es rar ist, kann auch die fein justierte Gleichverteilung aller Güter an alle den Neid nicht abschaffen. Im Zweifelsfall fühlt sich der Beneidete mit dem Gut immer noch wohler als der Neider – selbst wenn dieser das Gut besäße. Und selbst wenn der Beneidete dem Neider das Gut überließe, wäre der Neider immer noch neidisch: nämlich auf die Großzügigkeit des Beneideten, der so einfach auf das Gut verzichten kann, das er selbst so heiß begehrt.

Den Neid aus der menschlichen Gemeinschaft zu verbannen, funktioniert also schon deswegen nicht, weil sich die Keimzelle des Neids, sein Ursprung nicht beseitigen lässt: der soziale Vergleich. Käme es nicht zu sozialen Vergleichen, so gäbe es keinen Neid zwischen den Menschen. Doch können wir ohne soziale Vergleiche leben?

Literatur: Schoeck, H.: Der Neid. Die Urgeschichte des Bo?sen, Mu?nchen/Wien: Herbig 1980

Teil 16: Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid in sozialen Beziehungen: Kulturelle und psychologische Grundlagen

Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht

Bisher habe ich eher über das breite Spektrum negativer Eigenschaften beschrieben, die mit Neid assoziiert sind. Damit habe ich zu begründen versucht, warum es durchaus verständlich ist, wenn wir nicht über den Neid auf den geliebten Menschen an unserer Seite sprechen möchten:

  • Wir schämen uns.
  • Wir sehen unsere Beziehung bedroht.
  • Wir fürchten die Verachtung des Partners.
  • Wir sind unzufrieden mit uns selbst.
  • Wir tappen im Dunkeln über den Ursprung unserer unangenehmen Gefühle dem Partner gegenüber.

Der hoffnungsvolle, stimulierende Aspekt, der auch im Neid steckt, wird leicht zugeschüttet von all den unangenehmen Regungen, die mit diesem Gefühl verbunden sind. Wir nehmen den Neid persönlich in dem Sinne, dass wir uns befleckt davon sehen. Das Gefühl schnürt uns die Kehle zu. Es lässt uns in unseren Augen minderwertig erscheinen. In einem solchen Gemütszustand ist es dann weder möglich, die stimulierende Seite zu entdecken, noch überhaupt auf unseren Partner zuzugehen und etwa zu sagen: „Ich fühle mich ausgebeutet wie der letzte Galeerensklave. In mir brodelt es. Ich koche vor Wut, seitdem ich weiß, dass du diesen Spitzenjob bekommen hast und ich hier leer ausgehe und das Kind hüte. Ich würde mich gern freuen für dich, aber es gelingt mir einfach nicht…“

Da wir uns durch den Neid beschmutzt fühlen, bleibt uns der direkte Weg verwehrt, und wir beginnen, andere Ventile zu öffnen. Weil wir nicht an den Pranger gestellt werden wollen dafür, dass wir unserer Freude nicht hinreichend Ausdruck verleihen, oder dafür, unseren Partner nicht genügend zu unterstützen auf seinem „schweren Weg“, suchen wir Lösungen, die uns zwar kurzfristig entlasten, aber langfristig den Neid aufrechterhalten: Wir essen zu viel oder zu wenig. Wir sind schlecht gelaunt, verweigern uns dem Liebesspiel, fangen an, den Partner zu kritisieren, seine langen Arbeitszeiten und all die Umstände, die mit dem neuen Job einhergehen.

Wir spüren den Neid, aber wir behalten ihn in der Regel für uns. Es ist schon schlimm genug, das Gefühl zu erleben, da möchten wir uns nicht noch die Blöße geben, uns auszuliefern. Wir sind mit der Ablehnung von Neid sozialisiert worden. Wir wissen um die Kritik der Eltern, wenn wir als Kinder „Futterneid“ entwickelten aus der Befürchtung, nicht genug zu bekommen. Schon in diesem Moment wird uns der Neid nicht erlaubt, weil sich die Eltern mit Bewertungen von Recht und Unrecht einschalten.

Doch nicht nur in unserer Kultur erfährt der Neider solch negative Reaktionen. Mit wenigen Ausnahmen wie dem alten Griechenland und manchen Entwicklungsländern steht der Neider rund um den Globus am Pranger, wie Helmut Schoeck in seinem Buch „Der Neid. Die Urgeschichte des Bösen“ zusammenfasst. Zwar brauche es laut Schoeck ein Minimum an Neid, um die Gesellschaft in Gang zu halten und wesentliche gesellschaftliche Vorgänge leisten zu können. Den Überschuss aber müsse das soziale System „verdauen“, denn er bedeute für eine Gesellschaft mehr Schaden als Nutzen.

Schoeck nennt eine Reihe von gesellschaftlichen Funktionen des neidischen Menschen. Zum einen nehmen sie eine Art inoffizielle Wächterfunktion für das Eigentum wahr: Sie missgönnen Räubern, Dieben und Hochstaplern ihre Beute und liefern sie den Behörden aus. Anonyme Anzeigen beim Finanzamt können also genauso neidmotiviert sein wie das öffentliche Brandmarken von Minister- oder Bankpräsidenten, wenn sie zu einem Segeltörn oder in ein Luxushotel eingeladen werden.

Darüber hinaus spielt Neid sowohl bei bewahrenden, hemmenden Anstrengungen als auch bei innovativen Unternehmungen eine Rolle: Wer im Namen der Tradition gegen die Neuerung eifert, weil er den individuellen Erfolg des Neuerers nicht ertragen kann, oder wer im Namen des Umsturzes aller Tradition gegen ihre Träger und Repräsentanten stürmt, ist oft von demselben Grundmotiv erfüllt. Beide ärgert, dass andere etwas haben, können, wissen, glauben, wertschätzen, besitzen, das sie selbst nicht haben, sich nicht vorstellen können.

Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Literatur: Schoeck, H.: Der Neid. Die Urgeschichte des Bo?sen, Mu?nchen/Wien: Herbig 1980

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Produktiver Umgang mit Neid erwünscht

Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen

Wenn ein Beziehungskonzept es erlaubt, den Neid zuzulassen, setzt es neue Kräfte frei. Das Paar kommt sich näher. Es kann so den Neid in die Partnerschaft integrieren und nach Alternativen suchen, die ihn langfristig eindämmen, ausdünnen, weniger notwendig machen können. Das verlangt vom Paar, die Unterschiede untereinander zu bejahen und doch die Ähnlichkeit anzuerkennen: Der andere ist mir ähnlich, ist mir nah, berührt mich. Nur deswegen ist es mir überhaupt möglich, mich mit ihm zu vergleichen.

Um eine Sprache für das tabuisierte Gefühl zu finden, bedarf es in der Liebesbeziehung zweier mutiger Menschen, die wissen, dass sie ihren eigenen Weg gehen (können), ohne damit den Zusammenhalt der Partnerschaft zu gefährden. Aus der Akzeptanz, den anderen hin und wieder um seinen Weg zu beneiden, entsteht eine stabilere Grundlage, den anderen eigene Wege gehen zu lassen, und selbst Dinge auszuprobieren oder Wege zu gehen, denen ohne den anspornenden Neid vielleicht die Motivation fehlt.

Wenn wir über Neid sprechen, dann steht sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum meist die feindselige, die missgünstige Seite im Mittelpunkt. Die anspornende, stimulierende, die dynamische Seite des Neids kommt eher selten zur Sprache. Die nächsten Kapitel dieses Buches helfen dabei, Worte und Wege zu finden, die unangenehme Seite des Neids nicht länger aus der Beziehungswirklichkeit auszublenden und die stimulierende Seite für sich und die Beziehung zu nutzen.

Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen – kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dassselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Neben seinen schon oft genannten negativen Seiten erschwert eine weitere Hürde den produktiven Umgang mit dem Neid: Nicht alle Güter oder Talente, die wir begehren und um die wir einen anderen beneiden, sind auch erreichbar. Ein Mann, der eine Frau um die Fähigkeit beneidet, ihr gemeinsames Kind zu stillen, wird vergeblich hoffen, dass ihm das auch irgendwann möglich ist. Umgekehrt kann eine Frau ohne Geschwister nicht damit rechnen, dass sich ihre Situation ändert, wenn sie auf die Brüder und Schwestern, die ihr Freund hat, neidisch ist.

Es gibt also zum einen Situationen, in denen sich der Neid auf Dinge richtet, die sich individuell beeinflussen lassen, wie zum Beispiel beim Neid auf den vertrauten Umgang mit den Kindern oder dem Neid auf das berufliche Fortkommen. Und es gibt zum anderen Situationen, in denen keinerlei Handlungsoptionen bestehen, das Ersehnte in irgendeiner Weise zu erlangen, wie die oben genannten.

Wenn wir nun des anderen Glück, Talente, Erfolge nicht oder nur widerwillig anerkennen und uns nicht miteinander darüber freuen können, erzeugt dies auf Dauer einen gravierenden Konflikt. Schließlich unterstellt der Neider dem Beneideten, dieser tue sich auf Kosten des anderen hervor. Derjenige nämlich, der zu kurz kommt, denkt häufig magisch kausal: Was den anderen aufwertet, wertet mich ab, denn es vergrößert den Abstand zwischen uns. Der Beneidete profiliert sich also in den Augen des Neiders, ohne dass der Beneidete mehr dazu tut, als das vom Neider Ersehnte zu besitzen.

Wie sich Neid und Konkurrenz auf die Paarbeziehung und die Zufriedenheit des Paares auswirken, hängt von den Antworten auf die folgenden Fragen ab:

  • Beruht Neid eventuell auf Gegenseitigkeit?
  • Kann das Paar darüber ins Gespräch kommen?
  • Kann das Paar den Konflikt über längere Zeit tragen, ohne sich zu weit voneinander zu entfernen?
  • Bringt das Paar die Geduld auf, einen Ausweg zu suchen und zu finden?
  • Kann der Beneidete verhindern, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln?
  • Kann der Neider verhindern, dem Partner feindselige Gefühle entgegen zu bringen?

Das Eingeständnis, den Partner zu beneiden, stellt einen ersten Schritt dar. Die daran anschließenden Gespräche, über das Wieso und Warum und das Wohin bedürfen einer offenen Atmosphäre. Der Neider darf nicht das Gefühl entwickeln, seine bloßgelegten Gefühle nun dauerhaft aufs Butterbrot gestrichen zu bekommen. Die aus Neid und Konkurrenz resultierenden Gegensätze können nur durch wechselseitige Versöhnungsleistungen ausgeglichen werden, bei denen keiner das Gefühl haben sollte, zugunsten des anderen zu verlieren.

Der Heidelberger Familientherapeut Helm Stierlin schreibt in seinem Buch „Das Tun des einen ist das Tun des anderen“, den einleitenden Satz:

„Jede anhaltende menschliche Beziehung verlangt von uns zweierlei: wir müssen uns einmal dem Partner öffnen, uns auf ihn einstellen, seine Bedürfnisse befriedigen und seine Weltsicht anerkennen; zum anderen müssen wir unsere Autonomie und Individualität bewahren und ihm gegenüber unseren Standpunkt und unsere Bedürfnisse vertreten. Diese Beziehung verlangt, mit anderen Worten, eine psychische Abgrenzungs- und Versöhnungsarbeit, die wiederum ein starkes Ich, in dem von Freud beschriebenen Sinne, voraussetzt.“

Wenn ein Beziehungskonzept es erlaubt, den Neid zuzulassen, setzt es neue Kräfte frei. Das Paar kommt sich näher. Es kann so den Neid in die Partnerschaft integrieren und nach Alternativen suchen, die ihn langfristig eindämmen, ausdünnen, weniger notwendig machen können. Das verlangt vom Paar, die Unterschiede untereinander zu bejahen und doch die Ähnlichkeit anzuerkennen: Der andere ist mir ähnlich, ist mir nah, berührt mich. Nur deswegen ist es mir überhaupt möglich, mich mit ihm zu vergleichen.

Um eine Sprache für das tabuisierte Gefühl zu finden, bedarf es in der Liebesbeziehung zweier mutiger Menschen, die wissen, dass sie ihren eigenen Weg gehen (können), ohne damit den Zusammenhalt der Partnerschaft zu gefährden. Aus der Akzeptanz, den anderen hin und wieder um seinen Weg zu beneiden, entsteht eine stabilere Grundlage, den anderen eigene Wege gehen zu lassen, und selbst Dinge auszuprobieren oder Wege zu gehen, denen ohne den anspornenden Neid vielleicht die Motivation fehlt.

Wenn wir über Neid sprechen, dann steht sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum meist die feindselige, die missgünstige Seite im Mittelpunkt. Die anspornende, stimulierende, die dynamische Seite des Neids kommt eher selten zur Sprache. Die nächsten Kapitel dieses Buches helfen dabei, Worte und Wege zu finden, die unangenehme Seite des Neids nicht länger aus der Beziehungswirklichkeit auszublenden und die stimulierende Seite für sich und die Beziehung zu nutzen.

Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht

Literatur: Stierlin, H.: Das Tun des Einen ist das Tun des Anderen. Eine Dynamik menschlicher Beziehungen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben