Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dassselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Neben seinen schon oft genannten negativen Seiten erschwert eine weitere Hürde den produktiven Umgang mit dem Neid: Nicht alle Güter oder Talente, die wir begehren und um die wir einen anderen beneiden, sind auch erreichbar. Ein Mann, der eine Frau um die Fähigkeit beneidet, ihr gemeinsames Kind zu stillen, wird vergeblich hoffen, dass ihm das auch irgendwann möglich ist. Umgekehrt kann eine Frau ohne Geschwister nicht damit rechnen, dass sich ihre Situation ändert, wenn sie auf die Brüder und Schwestern, die ihr Freund hat, neidisch ist.
Es gibt also zum einen Situationen, in denen sich der Neid auf Dinge richtet, die sich individuell beeinflussen lassen, wie zum Beispiel beim Neid auf den vertrauten Umgang mit den Kindern oder dem Neid auf das berufliche Fortkommen. Und es gibt zum anderen Situationen, in denen keinerlei Handlungsoptionen bestehen, das Ersehnte in irgendeiner Weise zu erlangen, wie die oben genannten.
Wenn wir nun des anderen Glück, Talente, Erfolge nicht oder nur widerwillig anerkennen und uns nicht miteinander darüber freuen können, erzeugt dies auf Dauer einen gravierenden Konflikt. Schließlich unterstellt der Neider dem Beneideten, dieser tue sich auf Kosten des anderen hervor. Derjenige nämlich, der zu kurz kommt, denkt häufig magisch kausal: Was den anderen aufwertet, wertet mich ab, denn es vergrößert den Abstand zwischen uns. Der Beneidete profiliert sich also in den Augen des Neiders, ohne dass der Beneidete mehr dazu tut, als das vom Neider Ersehnte zu besitzen.
Wie sich Neid und Konkurrenz auf die Paarbeziehung und die Zufriedenheit des Paares auswirken, hängt von den Antworten auf die folgenden Fragen ab:
- Beruht Neid eventuell auf Gegenseitigkeit?
- Kann das Paar darüber ins Gespräch kommen?
- Kann das Paar den Konflikt über längere Zeit tragen, ohne sich zu weit voneinander zu entfernen?
- Bringt das Paar die Geduld auf, einen Ausweg zu suchen und zu finden?
- Kann der Beneidete verhindern, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln?
- Kann der Neider verhindern, dem Partner feindselige Gefühle entgegen zu bringen?
Das Eingeständnis, den Partner zu beneiden, stellt einen ersten Schritt dar. Die daran anschließenden Gespräche, über das Wieso und Warum und das Wohin bedürfen einer offenen Atmosphäre. Der Neider darf nicht das Gefühl entwickeln, seine bloßgelegten Gefühle nun dauerhaft aufs Butterbrot gestrichen zu bekommen. Die aus Neid und Konkurrenz resultierenden Gegensätze können nur durch wechselseitige Versöhnungsleistungen ausgeglichen werden, bei denen keiner das Gefühl haben sollte, zugunsten des anderen zu verlieren.
Der Heidelberger Familientherapeut Helm Stierlin schreibt in seinem Buch „Das Tun des einen ist das Tun des anderen“, den einleitenden Satz:
„Jede anhaltende menschliche Beziehung verlangt von uns zweierlei: wir müssen uns einmal dem Partner öffnen, uns auf ihn einstellen, seine Bedürfnisse befriedigen und seine Weltsicht anerkennen; zum anderen müssen wir unsere Autonomie und Individualität bewahren und ihm gegenüber unseren Standpunkt und unsere Bedürfnisse vertreten. Diese Beziehung verlangt, mit anderen Worten, eine psychische Abgrenzungs- und Versöhnungsarbeit, die wiederum ein starkes Ich, in dem von Freud beschriebenen Sinne, voraussetzt.“
Wenn ein Beziehungskonzept es erlaubt, den Neid zuzulassen, setzt es neue Kräfte frei. Das Paar kommt sich näher. Es kann so den Neid in die Partnerschaft integrieren und nach Alternativen suchen, die ihn langfristig eindämmen, ausdünnen, weniger notwendig machen können. Das verlangt vom Paar, die Unterschiede untereinander zu bejahen und doch die Ähnlichkeit anzuerkennen: Der andere ist mir ähnlich, ist mir nah, berührt mich. Nur deswegen ist es mir überhaupt möglich, mich mit ihm zu vergleichen.
Um eine Sprache für das tabuisierte Gefühl zu finden, bedarf es in der Liebesbeziehung zweier mutiger Menschen, die wissen, dass sie ihren eigenen Weg gehen (können), ohne damit den Zusammenhalt der Partnerschaft zu gefährden. Aus der Akzeptanz, den anderen hin und wieder um seinen Weg zu beneiden, entsteht eine stabilere Grundlage, den anderen eigene Wege gehen zu lassen, und selbst Dinge auszuprobieren oder Wege zu gehen, denen ohne den anspornenden Neid vielleicht die Motivation fehlt.
Wenn wir über Neid sprechen, dann steht sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum meist die feindselige, die missgünstige Seite im Mittelpunkt. Die anspornende, stimulierende, die dynamische Seite des Neids kommt eher selten zur Sprache. Die nächsten Kapitel dieses Buches helfen dabei, Worte und Wege zu finden, die unangenehme Seite des Neids nicht länger aus der Beziehungswirklichkeit auszublenden und die stimulierende Seite für sich und die Beziehung zu nutzen.
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Literatur: Stierlin, H.: Das Tun des Einen ist das Tun des Anderen. Eine Dynamik menschlicher Beziehungen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971