BVG setzt staatlicher Datensammelwut Grenzen

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat vorgestern eine Entscheidung bekannt gegeben, die mir Hoffnung macht. Es gibt in diesem Land Instanzen, die das Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung schützen – vor dem Anspruch des Staates, demnächst allwissend zu werden. Zwar ging es im Urteil um die Abfrage von Kontodaten, aber die Urteilsbegründung macht Nägel mit Köpfen hinsichtlich der Datensammelwut des Staates, wie ich finde. Ich zitiere zwei Sätze:

„Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt den Einzelnen gegen informationsbezogene Maßnahmen, die für ihn weder überschaubar noch beherrschbar sind. Solche Gefährdungen drohen insbesondere dann in hohem Maße, wenn Informationsbestände für eine Vielzahl von Zwecken genutzt oder miteinander verknüpft werden können. Daher wäre eine Sammlung der dem Grundrechtsschutz unterliegenden personenbezogenen Informationen auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Der Gesetzgeber hat vielmehr den Zweck einer Informationserhebung bereichsspezifisch und präzise zu bestimmen. Die Informationserhebung und -verwendung ist auf das zu diesem Zweck Erforderliche zu begrenzen.

[…]

Ein hinreichend effektiver Rechtsschutz gegen heimliche Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setzt voraus, dass der Betroffene von einem solchen Eingriff überhaupt Kenntnis erlangen kann. Ohne die Möglichkeit einer solchen Kenntnisnahme kann er weder die Unrechtmäßigkeit des Eingriffs noch etwaige Rechte auf Löschung oder Berichtigung geltend machen. Wie die Kenntnisgewährung im Einzelnen auszugestalten ist, gibt das Grundgesetz jedoch nicht vor. Der Betroffene ist allerdings zu benachrichtigen, wenn Datenerhebungen heimlich erfolgen, Auskunftsansprüche aber nicht eingeräumt worden sind oder den Rechten des Betroffenen nicht angemessen Rechnung tragen.“

Plakate gegen Überwachung

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat Plakat- und Fotoideen gegen die aktuelle Sicherheitshysterie (Stasi 2.0) in sein Wiki eingestellt. Auch Artbyte Design in Bonn hat sich Gedanken gemacht, wie sich der Widerstand gegen die Aushebelung von Freiheitsrechten visualisieren lässt.

Ich ergänze die Sammlung um einen T-Shirt-Aufdruck:

Gefährder

Ein Grundgesetz für Schäuble!

Karan und Sven haben eine Aktion ins Leben gerufen, die darauf abzielt, den Bundesinnenminister mit gedruckten Grundgesetzen zuzuschütten. Das Referat Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages schickt einem Besteller kostenlos und portofrei maximal drei gedruckte Ausgaben des GG zu. Der Bestellvorgang über den Link dauert nicht länger als die Eingabe der eigenen Postadresse…

Die Grundgesetze lassen sich dann an den Chef des BMI weiterreichen:

Herrn
Dr. Wolfgang Schäuble
Bundesministerium des Innern
Dienstsitz Berlin
Alt-Moabit 101 D
10559 Berlin

Mal sehen, ob wir die Lawine wirklich zum Rollen bringen.

Deutsche Reisepässe sicher

Eine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ im Bundestag förderte neulich zutage, wie sicher die aktuellen Reisedokumente der Deutschen sind und dass sie in den vergangenen fünf Jahren nicht ein einziges Mal mißbräuchlich bei einem Terroranschlag eingesetzt wurden. Die Antworten deuten an, wie schmalbrüstig, fadenscheinig und irreführend die Sicherheits-Argumente sind, mit denen die Einführung biometrie-gestützter Reisepässe begründet wurde.

Frage Linkspartei: Wie viele Fälschungen und Verfälschungen deutscher Pässe sind seit 2001 auf welche Art und Weise und bei welcher Gelegenheit aufgedeckt worden?

Anwort der Bundesregierung: Im Rahmen der grenzpolizeilichen und sonstigen Kontrollmaßnahmen hat die Bundespolizei im Zeitraum 2001 bis 2006 insgesamt 6 Fälschungen und 344 Verfälschungen deutscher Pässe festgestellt.

Frage Linkspartei: Bei wie vielen der durchgeführten oder geplanten und aufgedeckten oder sonst verhinderten vermutlichen terroristischen Anschläge seit dem Jahre 2000 spielten bei Planung und Durchführung gefälschte deutsche Pässe oder Ausweise eine Rolle (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und Anlass darstellen)?

Anwort der Bundesregierung: Der Bundesregierung sind keine derartigen Fälle bekannt.

Ärzte IGeLn sich ein

Das wissenschaftliche Institut des AOK-Bundesverbandes, WIDO, veröffentlichte gestern Daten einer Patientenbefragung (3000 Teilnehmer, bundesweit) über Zusatzleistungen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte, die Krankenversicherte aus eigener Tasche bezahlen.

Diese so genannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) können nicht im Rahmen der GKV abgerechnet werden – und dienen als Zubrot im Praxis-Umsatz. Außer der einen oder anderen Reiseschutzimpfung sind die angebotenen Leistungen medizinisch überflüssig.

Laut WIDO IGeLn hauptsächlich Gynäkologen und Augenärzte, aber auch Urologen, Hautärzte und Orthopäden schaffen sich diesen Nebenmarkt, dessen Volumen seit der vorhergehenden Befragung im Jahr 2005 leicht gewachsen ist (+2%).

Patienten mit mehr Bildung und einem höheren Einkommen nehmen häufiger IGeL-Leistungen in Anspruch bzw. bekommen diese häufiger angeboten und willigen ein. Allerdings unterlassen es die Behandler in zwei Dritteln der Fälle, die eigentlich erforderliche, schriftliche Vereinbarung mit den Patienten zu treffen. In etwa einem Fünftel der Behandlungsfälle findet die Transaktion Leistung gegen Geld – laut Aussagen der Patienten – sogar ohne Rechnung statt, Brutto für Netto also.

Zu wenig noch, wie ich finde, denn erst dann wird es doch richtig lukrativ.

Sprachliches Aufmarschgebiet

Manchmal erschrecke ich, wenn ich mich zu unserem Sohn reden höre: Vorsicht! Achtung! Aufpassen! Heiß! Füße heben! Augen auf! Psst! Und wieder: Achtung! In neun von zehn Fällen nützt der Befehlston nix. Das Kind rennt trotzdem gegen die Tür, stolpert über Spielsachen oder die eigenen Füße und holt sich Beulen.

Dennoch kann ich meine Versuche, Gefahren und Schaden vom Kind (oder anderen…) abzuwenden, nicht unterdrücken. Impulsartig schiessen die Imperative aus mir heraus – und ich warte darauf, dass das Kind mich damit aufzieht. Schon heute schmeißt er etwas auf den Boden, legt den Finger auf die Lippen und sagt „Psst!“…

Hausärzte raus aus der GKV?

Der Verband der bayrischen Hausärzte hat auf seiner Delegiertenversammlung vergangenes Wochenende in Würzburg das einstimmige Votum der Delegierten erhalten, seine Mitglieder aus der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) herauszuführen. Der Vorstand des Landesverbandes darf ab sofort damit beginnen, den Ausstieg aus dem System gesetzlicher Krankenkassen und kassenärztlicher Vereinigung zu organisieren.

Paragraf 95b und Paragraf 72a SGB V regeln den Umgang mit den Verzichtserklärungen der niedergelassenen Vertragsärzte.

Mir ist völlig unklar: Wird das geduldet? Wird das angefochten? Zahlen die Kassen widerspruchslos den einfachen GOÄ-Satz, wie von den Initiatoren des GKV-Verzichts entworfen? Pokern die Hausarztfunktionäre zu hoch? Könnte jemand feststellen, dass sich auch mit nur der Hälfte niedergelassener Hausärzte eine gute primärärztliche Versorgung aufrecht erhalten liesse? Oder handelt es sich sowieso nur um strategisches Positionieren, weil gegenwärtig die Fallpauschalen für die ambulante Versorgung verhandelt werden? Am Ende doch alles nur heiße Luft?

Fragen über Fragen. Ich warte mit Spannung auf den weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzung.

Mapa und Pama

Eines der erklärten Ziele unseres elterlichen Wirkens ist es von Beginn an, keine zu starren Rollenbilder im Kind zu erzeugen. Ob wir das Essen zubereiten, die Wäsche waschen, die Windeln wechseln, das Auto fahren, Einkaufen, das Kind zu Bett bringen, Trösten oder mit ihm Spielen: Wir halten uns beide für gleichermaßen zuständig.

Wie gut es uns gelungen ist, diese Rollenunschärfe zu leben, bestätigt das aktuelle kindliche Sprachspiel: Zwar weiß Söhnchen durchaus zwischen Mama und Papa zu unterscheiden, aber wahlweise zeigt er auch mit dem Finger auf uns und gebraucht seine Wortschöpfungen „Mapa“ oder „Pama“.

Instrumentalisierung des Terrors

Die Süddeutsche Zeitung druckt heute ein sehr instruktives Essay von Tøger Seidenfaden, Chefredakteur der dänischen Tageszeitung „Politiken„: Er thematisiert das Verhältnis des Westens zur islamischen Welt und warnt uns vor überzogenener Dämonisierung:

„[…]Die Terroristen selbst legen nicht einmal Wert darauf, zu überleben und weiterzukämpfen. Die einzige Stärke dieses Terrorismus besteht also darin, eine unserer höchsten zivilisatorischen Errungenschaften in Frage stellen zu können – den außerordentlichen Wert, den wir dem Leben des einzelnen Bürgers zumessen.

Es ist irritierend, ja schon fast peinlich, dass die westlichen Staaten, die zuerst den Rest der Welt durch den Kolonialismus gestalten, dann den Nationalsozialismus, den Faschismus und schließlich den sowjetischen Kommunismus überwanden, sich nun – von Auge zu Auge – durch einen islamistischen Terror existentiell bedroht sehen wollen.[…]“

Die westlichen Regierungen haben demnach ein außerordentliches Interesse daran, den Feind groß aufzubauen. Die Kriege in Afghanistan und im Irak nähren ihn sowieso. An der Heimatfront können in der Zwischenzeit munter die Bürgerrechte beschnitten werden.