Irgendwie verwunderlich, wenn plötzlich eine vor drei Monaten veröffentlichte Arbeit („Waiting times for elective treatments according to insurance status: A randomized empirical study in Germany„) des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie (Direktor, beurlaubt: Prof. Karl Lauterbach, MdB) so eine rasante mediale Karriere macht.
Findet hier die gefühlte Wirklichkeit endlich mal ihren wissenschaftlichen Ausdruck? Hat ein Studienautor und Gesundheitspolitiker (Lauterbach) im richtigen Moment dem richtigen Blatt (Kölner Stadtanzeiger) das richtige Interview gegeben – und alle denken, endlich bringt mal einer Fakten, wovon wir sowieso schon lange überzeugt sind? Oder macht da einfach einer seine private Gesundheitspolitik?
Die unterschiedlichen Reaktionen jedenfalls sind im Deutschen Ärzteblatt zusammenfassend dargestellt.
Doch wie viel Substanz hat die Originalarbeit, auf die sich plötzlich alle stürzen – ohne sie gelesen zu haben, wie sich unschwer vermuten lässt?
Wenig, um es vorab auf den Punkt zu bringen:
1. Die häufig zitierten 189 (oder auch: rund 200) Praxen schrumpfen auf 128, die in die tatsächliche Auswertung eingehen. Es handelt sich also um 128 Patiententermine in 5 verschiedenen Fachgebieten, wobei manche stärker (HNO N=46) und manche weniger stark (Gastroenterologie N=10) vertreten waren. Die Aussagekraft ist also noch einmal deutlich kleiner, als gegenwärtig öffentlich diskutiert.
2. Zum Setting gehörte, dass die Anrufer in der jeweiligen Praxis explizit ihren Versichertenstatus (gesetzlich oder privat) zur Kenntnis geben mussten. Das ist eher ungewöhnlich, sowohl von Patientenseite als auch von Praxisseite. Sicherlich gibt es privat Versicherte, die sich mit dieser Info versuchen einen Vorteil zu verschaffen. Und sicherlich gibt es auch Praxen, die nachfragen. Doch Alltag im deutschen System ist das keinesfalls – zumindest nicht so, wie es im Design suggeriert wird. Die Studie erzeugt also erst einmal den Gegensatz (gesetzlich vs. privat), den sie dann später bestätigt findet. Redlich ist das nicht.
3. Das Verhältnis von Privatversicherten zu gesetzlich Versicherten lag in der Studie bei 1:1. In der Wirklichkeit ist das Verhältnis ungefähr 9:1, also auf 9 gesetzlich Versicherte kommt ein Patient mit privater Versicherung. Das mag von Region zu Region variieren, auch in der Region Köln/Bonn/Leverkusen mag der Anteil der privat Versicherten leicht höher liegen. Doch eine derartige Verzerrung zuungunsten der gesetzlich versicherten Patienten im Studiendesign zu verstecken, spricht auch nicht für die Qualität der Studie.
Zusammengefasst: Mit einer kleinen, kaum sehr aussagekräftigen Stichprobe versuchen die Autoren in einem Design, das ihre eigenen Vorurteile reproduziert, Ergebnisse zu erzeugen, die sich gesundheitspolitisch vermarkten lassen. Herr Lauterbach gehört bekanntermaßen zu den schärfsten Gegnern der privaten Krankenversicherung.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Auch ich bin ein großer Fan der Solidarversicherung. Doch dieser Idee wird ein schlechter Dienst erwiesen, wenn einzelne Interessierte auf diese drittklassige Weise versuchen, gesundheitspolitisch Stimmung zu machen. Die gesamte Studie ist also schon als politisches Manifest konzipiert. Das Schreckgespenst der Zwei-Klassen-Medizin wird absichtlich zu monströser Größe aufgeblasen.
Niemand bestreitet Verwerfungen im deutschen Gesundheitssystem. Ungerechtigkeiten und Ungleichbehandlungen sind gegenwärtig Teil des Systems. Doch schlechte Wissenschaft und Patienten, die durch die Vermarktung schlechter Wissenschaft in Wallung gebracht werden, helfen kaum, Systemfehler politisch zu beheben. Mit der Brechstange und im Alleingang wird auch Prof. Lauterbach das System nicht verändern.