Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Wie verbreitet der Neid im individuellen Erleben auch ist, so verpönt und geächtet ist er gesellschaftlich: Wenn wir unseren Partner beneiden, begehen wir nach christlichem Verständnis eine Todsünde. Auch der Neid auf die Geschwister, die Kollegen, die vermeintlich privilegierten Beamten und überhaupt alle, die von irgendetwas mehr haben als wir selbst, gilt als Sünde.
Wer sich nicht auf die religiöse Metaphorik einlassen mag, wird seinen Neid dennoch nicht offener zur Schau stellen. Vielmehr liegt über unserem gesamten Sozialisationsprozess eine Art Neidverbot. Nie bestärken uns die Eltern, indem sie sagen: „Schön, dass du wieder so neidisch auf den Teller deines Bruder gestarrt hast.“ Nie erhält jemand soziale Anerkennung, der zugibt, heute wieder besonders neidisch auf seine Mitmenschen zu sein.
Bis heute lehnen wir den Neid ab, fürchten und verachten ihn, weil wir aus eigener Erfahrung das Bedrohungspotenzial kennen, das in ihm steckt. Neid geht in diesem Sinne nicht einfach zur Tagesordnung über, denn das neidische Gefu?hl lässt sich allenfalls kurzfristig besänftigen: „Invidia festos dies non agit.“ Schon die Römer wussten, dass Neid keine Feiertage kennt. Dabei entfesselt das Gefühl eine negative Kraft, die kein wie auch immer Beneideter gern auf sich ziehen möchte.
Da sich der Neid prinzipiell auf alles und jeden richten kann, hilft nur eine Art gesellschaftliches Neid-Tabu, die potenzielle Bedrohung durch den Neider wenn schon nicht auszuschalten, so doch zumindest klein zu halten. Wie der Soziologe Helmut Schoeck in seinem Standardwerk „Der Neid. Die Urgeschichte des Bösen“ herausarbeitet, stellt das Neid-Tabu sogar eine Art Entwicklungsvoraussetzung dar: Extrem neidische Gesellschaften hemmen den eigenen Fortschritt, weil individuelle Unterschiede zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern nicht toleriert werden.
Angesichts des ausschließlich negativen Leumundes tut jeder gut daran, seinen Neid möglichst für sich zu behalten. Schnell sprechen Kommentatoren abschätzig von Sozialneid, wenn hohe Managergehälter kritisiert werden. Auch die Befürworter einer Erbschafts- und Vermögenssteuer setzen sich dem Vorwurf aus, dem sozialen Neid eines Teils der Bevölkerung das Wort zu reden. Allein weil das dem Neid weiteren Vorschub leiste, könne ein solcher Vorschlag nicht gutgeheißen werden.
Nur die Werbeindustrie bricht das Tabu zu ihren Gunsten. Sie verwendet das Neidmotiv hin und wieder als Sujet, um ein Produkt begehrenswert zu machen. Allerdings kann das in der Wirklichkeit zu heftigen Neidattacken bei den Benachteiligten führen. Auf Schulhöfen, Spielplätzen oder in öffentlichen Parks wird mancher Jugendliche Opfer eines neidmotivierten Überfalls, der auf Markenkleidung oder -schuhe abzielt.
Manchmal lässt die Öffentlichkeit einen Neider davonkommen, ohne ihn öffentlich für den Neid abzustrafen: So geschehen als vor der WM 2006 der zweite Torhüter der deutschen Fußballnationalmannschaft, Jens Lehmann, öffentlich Oliver Kahn, die damalige Nummer 1, herausforderte mit der Behauptung, eigentlich sei er selbst der bessere Mann zwischen den Pfosten. Nicht dem ewigen Kahn, nein ihm, Lehmann, stehe es endlich zu, als die Nummer 1 aufzulaufen. Obwohl die Klage des zweiten Mannes tagelang die Gazetten beherrschte, nahm kein Berichterstatter das Wort „Neid“ in den Mund. Dabei ließ sich Lehmann in seinem Neidimpuls sogar dazu hinreißen, Kahns moralische Integrität öffentlich zu hinterfragen. Das schlimme N-Wort tauchte selbst dann noch nirgendwo auf.
Dies ist ein Beispiel dafür, wie einer, der dauernd zu kurz kommt, beziehungsweise in der zweiten Reihe ausharren muss, die Offensive sucht. Seine Not ist dabei so groß, dass er die eigene moralische Integrität aufs Spiel setzt, um sein Ziel zu erreichen. Lehmanns Strategie ist aufgegangen: Zur WM im eigenen Land stand er zwischen den Pfosten.
Trotz aller Ablehnung gibt es ohne Zweifel so etwas wie entschuldbaren Neid (John Rawls) – dann nämlich, wenn der Neider gegen eine als ungerecht empfundene Benachteiligung aufbegehrt. Zumal sich der Neid sicherlich in der menschlichen Entwicklung nicht so lange gehalten hätte, hätte er die gesellschaftliche Entwicklung nur gebremst. Natürlich bedrohen die Rollen brechenden Autonomiekräfte, die der Neid freisetzt, die Entwürfe einer geordneten und überschaubaren Welt. Gerade diese geordneten Welten werden von den Mächtigen besonders geliebt, denn sie sichern ihnen ja die Herrschaft. Um den Neid als Störenfried der gerade herrschenden Ordnung zu zähmen, reicht es aber völlig aus, ihn zur Todsünde zu erklären. Damit wird der Neid als Regung verdammt, die den Abgründen der menschlichen Seele entspringt.
Das macht den Neid zum Schmuddelkind unter den Gefühlen. Zu Recht oder nicht, wir verurteilen den Neider für seinen schiefen Blick auf Besitz, Hab und Gut, auf Erfolg und Leistung seiner Mitmenschen. Wo jedoch kein Neid sein darf, können auch die krassesten Unterschiede in der Verteilung von Ressourcen und Reichtümern nicht öffentlich debattiert werden. Und dann auch noch Konkurrenz und neidische Gefühle in den eigenen vier Wänden, zwischen Männern und Frauen?
Die öffentliche Ablehnung, das Etikett der Sünde, die negativen Reaktionen – all das sind natürlich keine Einladungen, sich zu seinem Neid zu bekennen. Doch Neid ist nicht per se schlecht oder gar moralisch verwerflich. Er entsteht, wenn ein sozialer Vergleich zu den eigenen Ungunsten ausfällt: Wie bin ich? Wie ist mein Partner? Wo stehe ich mit meinem Leben? Wo steht mein Partner mit seinem Leben? Wieso hat er das, was ich nicht habe?
Wir erwarten vom Neider, entweder seinen Gefühlen zu entsagen oder uns nicht damit zu behelligen. Damit reduzieren wir die Bedrohung, die vom Neid ausgeht. Außerdem verhindern wir ein schlechtes Gewissen, ein Gefühl, uns schuldig zu fühlen, wenn wir haben, was der Neider begehrt. Der Neider jedenfalls braucht Mut, das Mitteilungsverbot zu brechen und dem Partner den Neid zu offenbaren.
Schoeck, H.: Der Neid. Die Urgeschichte des Bösen, München/Wien: Herbig 1980
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Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
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