Neid in sozialen Beziehungen: Kulturelle und psychologische Grundlagen

Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht

Bisher habe ich eher über das breite Spektrum negativer Eigenschaften beschrieben, die mit Neid assoziiert sind. Damit habe ich zu begründen versucht, warum es durchaus verständlich ist, wenn wir nicht über den Neid auf den geliebten Menschen an unserer Seite sprechen möchten:

  • Wir schämen uns.
  • Wir sehen unsere Beziehung bedroht.
  • Wir fürchten die Verachtung des Partners.
  • Wir sind unzufrieden mit uns selbst.
  • Wir tappen im Dunkeln über den Ursprung unserer unangenehmen Gefühle dem Partner gegenüber.

Der hoffnungsvolle, stimulierende Aspekt, der auch im Neid steckt, wird leicht zugeschüttet von all den unangenehmen Regungen, die mit diesem Gefühl verbunden sind. Wir nehmen den Neid persönlich in dem Sinne, dass wir uns befleckt davon sehen. Das Gefühl schnürt uns die Kehle zu. Es lässt uns in unseren Augen minderwertig erscheinen. In einem solchen Gemütszustand ist es dann weder möglich, die stimulierende Seite zu entdecken, noch überhaupt auf unseren Partner zuzugehen und etwa zu sagen: „Ich fühle mich ausgebeutet wie der letzte Galeerensklave. In mir brodelt es. Ich koche vor Wut, seitdem ich weiß, dass du diesen Spitzenjob bekommen hast und ich hier leer ausgehe und das Kind hüte. Ich würde mich gern freuen für dich, aber es gelingt mir einfach nicht…“

Da wir uns durch den Neid beschmutzt fühlen, bleibt uns der direkte Weg verwehrt, und wir beginnen, andere Ventile zu öffnen. Weil wir nicht an den Pranger gestellt werden wollen dafür, dass wir unserer Freude nicht hinreichend Ausdruck verleihen, oder dafür, unseren Partner nicht genügend zu unterstützen auf seinem „schweren Weg“, suchen wir Lösungen, die uns zwar kurzfristig entlasten, aber langfristig den Neid aufrechterhalten: Wir essen zu viel oder zu wenig. Wir sind schlecht gelaunt, verweigern uns dem Liebesspiel, fangen an, den Partner zu kritisieren, seine langen Arbeitszeiten und all die Umstände, die mit dem neuen Job einhergehen.

Wir spüren den Neid, aber wir behalten ihn in der Regel für uns. Es ist schon schlimm genug, das Gefühl zu erleben, da möchten wir uns nicht noch die Blöße geben, uns auszuliefern. Wir sind mit der Ablehnung von Neid sozialisiert worden. Wir wissen um die Kritik der Eltern, wenn wir als Kinder „Futterneid“ entwickelten aus der Befürchtung, nicht genug zu bekommen. Schon in diesem Moment wird uns der Neid nicht erlaubt, weil sich die Eltern mit Bewertungen von Recht und Unrecht einschalten.

Doch nicht nur in unserer Kultur erfährt der Neider solch negative Reaktionen. Mit wenigen Ausnahmen wie dem alten Griechenland und manchen Entwicklungsländern steht der Neider rund um den Globus am Pranger, wie Helmut Schoeck in seinem Buch „Der Neid. Die Urgeschichte des Bösen“ zusammenfasst. Zwar brauche es laut Schoeck ein Minimum an Neid, um die Gesellschaft in Gang zu halten und wesentliche gesellschaftliche Vorgänge leisten zu können. Den Überschuss aber müsse das soziale System „verdauen“, denn er bedeute für eine Gesellschaft mehr Schaden als Nutzen.

Schoeck nennt eine Reihe von gesellschaftlichen Funktionen des neidischen Menschen. Zum einen nehmen sie eine Art inoffizielle Wächterfunktion für das Eigentum wahr: Sie missgönnen Räubern, Dieben und Hochstaplern ihre Beute und liefern sie den Behörden aus. Anonyme Anzeigen beim Finanzamt können also genauso neidmotiviert sein wie das öffentliche Brandmarken von Minister- oder Bankpräsidenten, wenn sie zu einem Segeltörn oder in ein Luxushotel eingeladen werden.

Darüber hinaus spielt Neid sowohl bei bewahrenden, hemmenden Anstrengungen als auch bei innovativen Unternehmungen eine Rolle: Wer im Namen der Tradition gegen die Neuerung eifert, weil er den individuellen Erfolg des Neuerers nicht ertragen kann, oder wer im Namen des Umsturzes aller Tradition gegen ihre Träger und Repräsentanten stürmt, ist oft von demselben Grundmotiv erfüllt. Beide ärgert, dass andere etwas haben, können, wissen, glauben, wertschätzen, besitzen, das sie selbst nicht haben, sich nicht vorstellen können.

Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Der soziale Vergleich als Wurzel des Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht

Literatur: Schoeck, H.: Der Neid. Die Urgeschichte des Bo?sen, Mu?nchen/Wien: Herbig 1980

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben