Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Nicht nur gesellschaftliche Wertvorstellungen sind für das negative Bild des Neids verantwortlich. Auch der Neider selbst sieht sich kaum in einem guten Licht. Sein Neid weist den Betroffenen nämlich auf einen Mangel hin: Er signalisiert vermeintliche oder tatsächliche Unterlegenheit, eine verpasste Chance oder ungelebtes Leben. Er zeigt das Versagen an, etwas nicht erreicht zu haben, was ein anderer bereits hat – sei es ein Talent, eine Fähigkeit, ein geldwertes Ziel. Dieses Versagen geht mit Scham einher. Wir schämen uns dafür, so klein und minderwertig zu sein.
Allerdings wäre es schmerzhaft, dieses Schamgefühl zu ertragen und uns den Mangel bewusst zu machen. Um den Schmerz zu vermeiden, greifen in einem solchen Moment psychische Mechanismen, die einen Ausgleich herbeiführen sollen: Wir machen den Beneideten schlecht. Wir legen ausführlich dar, wie ungerechtfertigt und vor allem wie unverdient der Erfolg des Beneideten ist. Wir rechnen den Erfolg klein. Wir betonen die Mängel des anderen und rechnen sie gegen dessen Erfolg auf. Wir führen den lückenlosen Beweis, der Beneidete habe das begehrte Gut nur aufgrund äußerer Bedingungen erlangt. Im Zweifelsfall hat der Beneidete eben einfach Glück gehabt – was indes wiederum ein Anlass sein könnte, neidisch zu sein…
In der Liebesbeziehung piesacken uns die Vorzüge oder Vorteile, über die der andere verfügt, wenn die anfängliche Bewunderung für die reizenden Merkmale des Geliebten umschlägt. Wenn in uns der Eindruck entsteht, der andere habe dadurch mehr vom Leben als wir selbst, reagieren wir feindselig. Solange wir von den Talenten, dem Verhalten, dem Besitz und dem Erfolg, den Persönlichkeitsmerkmalen des geliebten Partners profitieren, sonnen wir uns gern in seinem Glanz. Manchmal säen wir gleichwohl unser Saatgut auf demselben Acker. Flugs kann es dann passieren, dass wir verstärkt darauf achten, wie gut unser eigenes Saatgut gedeiht – und dabei heimlich hoffen, die Saat des anderen möge verkümmern.
Die im Märchen beschriebene Variante des Neids, die Missgunst, lo?st erst recht schamhafte Abwehrreflexe aus. Fällt es uns schon schwer einzugestehen, unseren Partner zu beneiden, so ist es komplett unmo?glich einzuräumen, ihm das Begehrte am liebsten gleich entreißen zu wollen, damit er es nicht mehr genießen kann. Zu Recht wu?rde nämlich daraus eine massive Sto?rung des partnerschaftlichen Gleichgewichtes resultieren.
Und doch verhalten wir uns manchmal so. Etwa dann, wenn einer den Ruf und die gesellschaftliche Anerkennung des anderen hintertreibt: der Mann Dozent an einer Hochschule, die Frau Kindergärtnerin. Beide ziehen zusammen ein Kind groß und wechseln sich ab in der Erziehung. Es läuft nicht rund zwischen den beiden, weil sie sich in der Öffentlichkeit sehr unterschiedlich verhalten. Er kennt viele Menschen, ist viel unterwegs, wird eingeladen und gilt als guter Unterhalter. Er geht auch deswegen gern aus. Sie verkörpert das Gegenteil: Schüchtern und zurückhaltend, wie sie ist, fällt es ihr schwer in fremder Umgebung ins Gespräch zu kommen. Deswegen bleibt sie lieber zu Hause und hätte gern, dass ihr Mann es ihr gleichtut.
Da er das nicht immer ermöglichen kann, sondern auch Abendtermine, Sitzungen und auch mal einen Empfang wahr- nehmen muss, beginnt sie, sein öffentliches Ansehen zu schwächen. Zunächst leitet sie ihm Informationen nicht weiter, die sie telefonisch aufnimmt. Dann ist sie unpünktlich, wenn sie mit ihm zur Übergabe des Kindes verabredet ist. Schließlich treibt sie es so weit, dass sie verschwindet, wenn sie das Kind betreuen soll. Damit macht sie es ihm unmo?glich, seine Termine wahrzunehmen. Er gilt plötzlich als unzuverla?ssig, ja als unhöflich und überfordert. All seine Versuche, sich zu erklären, schlagen fehl. Denn er vermittelt immer den Eindruck, er wolle die Verantwortung auf seine Frau abwälzen.
Sie beruft sich auf Missverständnisse und anders lautende Absprachen. Sie wirft ihm seinerseits vor, seine Termine nicht zu halten, ständig unterwegs zu sein und sich nicht um sie zu kümmern. Nach außen sehen ihre Handlungen nicht nach einer mutwilligen Inszenierung aus. Im Effekt wirken sie aber so, denn den Schaden muss ihr Mann tragen. Selbst ihr Ehemann wird sich zunehmend unsicher, ob er nicht doch den Überblick verliert. Dem Paar ge- lingt es nicht, die Differenzen zu klären und zu einer Lösung zu finden, die das weitere Zusammenleben ermöglicht. Die Wahrnehmungsunterschiede sind nicht zu überbrücken: Sie habe sich nichts vorzuwerfen. Sie reagiert sehr wütend, als er nachfragt, ob sie in irgendeiner Weise neidisch auf sein Leben sei. Wie er denn auf die Idee käme und was er sich überhaupt einbilde. Eine Trennung lässt sich nicht mehr vermeiden.
Die Absicht hinter dem missgünstigen Verhalten müssen wir in der Regel vor uns selbst verbergen. Deswegen streiten wir ab, vorsätzlich so gehandelt zu haben. Zur Rede gestellt, weichen wir aus: „Das wollte ich nicht. Das ist mir so nicht klar gewesen. Das habe ich nicht so gemeint.“ Im Wissen um die Schwächen des Partners, seine wunden Punkte oder einfach nur seinen Tagesablauf verfügen wir über eine gewisse Macht. Diese setzen wir ein, wenn wir eine vermeintliche oder eine tatsächliche Verletzung korrigieren wollen: Ohne uns dessen immer bewusst zu sein, stabilisieren wir bei Gelegenheit den eigenen beschädigten Selbstwert, indem wir den Selbstwert des Partners zu beschädigen trachten.
Wie die Ehefrau im erwähnten Beispiel ertragen wir die Zurücksetzung nicht, gehen in die Offensive – und drehen den Spieß um. Wir setzen den Beneideten zurück – durch Schweigen, Vorwürfe, Kritteleien, durch gezielte Ablenkungsmanöver oder aktive Beschädigung.
Doch wie sollen wir dafür Worte finden, wenn wir uns so sehr schämen? Woher soll die Sprache kommen, die wir brauchen, um unsere Gefühle mitzuteilen? Wie sollen wir darüber reden, wenn wir – wiederum aus Scham – vor uns selbst verbergen (müssen), wie missgünstig wir handeln? Angesichts von Mangel, Zurücksetzung, Versagen und Scham, den Weg der Offenheit zu gehen, scheint eine schwer zu bewältigende Herausforderung.
Die wichtigste Voraussetzung, um zu neuer Offenheit miteinander zu finden, ist eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen den Partnern. Ohne Vertrauen werden wir uns nicht aus der Deckung wagen und unser Innenleben preisgeben. Keiner darf das Gefühl haben, sich mit den eventuell bloßgelegten Schwächen auszuliefern. Neben einem fruchtbaren Gesprächsklima in einer geschützten Umgebung brauchen wir für einen solchen Weg vor allem Zeit und Ruhe: einen Spaziergang im Wald, im Park, an einem See. Die Ortswahl ist am Ende nur abhängig von dem einen Ziel: Ins Gespräch zu kommen.
Zur guten Atmosphäre gehört auch, dass keine Termine nachdrängen und uns beschränken. Auch die Kinder sollten uns nicht unterbrechen und unsere Aufmerksamkeit beanspruchen. Damit erst schaffen wir den Raum, den wir angesichts des Konflikts brauchen. Nur so gelingt es uns langfristig, die einzelnen Schichten des Konflikts abzutragen und zu neuer Nähe zu finden. Nur so lassen sich Achtung und Respekt voreinander wiederherstellen.
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt