Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dassselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider

Die bisherige Schilderung deutet an, wie vielschichtig sich Neid in Liebesbeziehungen darstellt. Die damit verbundenen Gefühle sind weit komplexer, als die alles überlagernde unangenehme Regung vermuten lässt – eine Melange aus unerfüllten Wünschen, beeinträchtigtem Selbstwerterleben und einem Anteil Hoffnung auf eigenes Wachstum.

Doch der Anteil Hoffnung wird von weiteren unangenehmen Aspekten gedeckelt: Das neidische Gefühl widerspricht unserer Liebesvorstellung. Diese sieht uns eher mit dem Partner verschmelzen, als um Ressourcen, Entwicklung und Chancen zu konkurrieren. Wie können wir gegenüber dem Menschen feindselig sein, den wir lieben? Stellt der Neid nicht auch unsere Liebesgefühle in Frage? Zu alledem fehlen uns häufig die Worte. Am Ende erleben wir uns ziemlich allein gelassen mit unseren neidischen Gefühlen: Wir trauen uns nicht, dem Partner unsere Gefühle zu offenbaren. Wir erwarten Ablehnung, wo wir eigentlich Annahme erfahren sollten.

Aber: So verrückt es klingt, der Neid bietet dennoch Chancen. Zunächst gibt er uns die Möglichkeit, uns selbst besser zu verstehen. Versetzen wir uns in die Lage, das Signal der Zurücksetzung zu begreifen und alternative Wege zu finden, auf denen wir uns entwickeln können, so wird auch unsere Zufriedenheit wachsen. Da jeder von uns garantiert Vorzüge hat, auf die wir stolz sein können, sollten wir lernen, diese zu betonen, statt uns an unseren Schwächen und Benachteiligungen zu weiden.

Der Neid weist uns auch auf unsere Abhängigkeit vom Partner hin. Wollen wir dem Neid in unserem Leben weniger Raum geben, so müssen wir Wege aus dieser Abhängigkeit suchen. Nicht der Partner soll dann mehr der alleinige Maßstab sein, an dem wir uns, gebunden durch den Neid, orientieren. Stattdessen sollten wir beginnen, eigene Maßstäbe festzulegen, und uns an ihnen zu messen.

Einer Interviewpartnerin verdanke ich die Erkenntnis, dass der Neid auch dazu führen kann, die alles entscheidende Frage neu zu stellen: „Will ich tatsächlich besitzen, was ich so sehr begehre? Bin ich bereit, diesen oder jenen Preis dafür zu zahlen? Bin ich überhaupt diejenige, die mit dem Begehrten ausgestattet dann tatsächlich glücklich wird?“ Wenn es zu solchen Fragen kommt, hat der Neid bereits wertvolle Dienste geleistet.

Ob wir allerdings im jeweiligen Moment immer die notwendige Energie zur Veränderung der Perspektive haben, bleibt zunächst ungeklärt. Im „Ich will auch“ des Neids steckt allenfalls die Sehnsucht nach einer besseren Situation. Die Energie, die wir brauchen, uns weiter zu entwickeln, speist sich hingegen aus anderen Quellen: aus der eigenen Geschichte, Selbstvertrauen, Einschätzungen der Chancen, das Begehrte oder eine Alternative am Ende tatsächlich zu erreichen.

Darüber hinaus beeinflussen weitere Faktoren den Gang der Dinge: von der eigenen Tagesform bis hin zu den äußeren Rahmenbedingungen. Wenn beispielsweise die Verdienstmöglichkeiten eines Paares weit auseinander klaffen, verliert bei der Geburt eines Kindes zunächst derjenige seinen Job, der weniger Geld nach Hause bringt. Meist sind es dann die Frauen, die in die Abwärtsspirale geraten: aus dem Job, aus der Übung, aus dem Geschäft. Neid signalisiert irgendwann, dass es so nicht bleiben kann.

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid trägt viele Kleider

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dassselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge

Beschönigungen, Ausflüchte oder Versuche, den Beneideten abzuwerten, sollen es möglich machen, ein Ungleichgewicht in der Partnerschaft wiederherzustellen. Dies sind aber keineswegs die einzigen Ausgleichsmaßnahmen: Vermeintlich klar zuzuordnende Gefühle wie Wut, Ärger und Groll, aber auch Bewunderung oder selbstloses Handeln können Ausdrucksformen sein, in denen verkleidet der Neid in einer Beziehung rumort. Die Verbindung zum Neid muss dabei nicht sofort auf der Hand liegen. Wie im letzten Abschnitt beschrieben, ist unser psychisches System bemüht, den eigenen Selbstwert aufrechtzuerhalten. Abwehrmechanismen verschleiern den Neid und die deswegen empfundene Scham über das eigene Versagen. Abgespalten davon treten stattdessen Wut, Groll oder andere Ausdrücke unzufriedener Gemütszustände auf. Der Zusammenhang mit dem Neid ist nicht bewusst.

So kann auch eine helfende Hand eine Reaktion auf neidische Gefühle sein. Damit stärken wir nämlich die Selbstgewissheit, im Grunde unseres Herzens ein guter Mensch zu sein, der es nicht verdient hat, vom Leben benachteiligt zu werden. Nachdem zum Beispiel bei einem Paar sie eine Lohnerhöhung bekommen hat, er aber nicht, reagiert er ungewohnt: Plötzlich räumt er den Tisch ab, schafft die Mülltüten vor die Tür und bietet an, die Kinder einmal häufiger aus dem Kindergarten abzuholen – obwohl er vor zwei Tagen behauptet hat, absolut keine Zeit zu haben. Gegen die empfundene Zurücksetzung erhöht er auf diese Weise seinen Selbstwert – und schneidet im Vergleich nicht mehr so schlecht ab wie zuvor. Gleichzeitig vertritt er seine frische Selbstlosigkeit offensiv, betont immer wieder, wie anstrengend es sei, alles zu koordinieren – und versucht ihr ein schlechtes Gewissen zu machen.

Häufiger kommt es allerdings wohl zu wütenden oder feindseligen Ausbrüchen, die den Neid verbergen helfen. Kritisieren, Abwerten, Bagatellisieren oder das plötzliche Aufwärmen längst vergangener Ungereimtheiten sind Indizien für ein starkes Ungleichgewicht, für ein Gefühl der Unterlegenheit des einen Partners gegenüber dem anderen. Solange wir nämlich dem Geliebten immer ein „Ja, aber…“ entgegensetzen können, lässt sich auch der Neid im Zaum halten:

  • „Schön, dass du beruflich vorankommst, aber deine Hemdenwahl ist trotzdem gewöhnungsbedürftig.“
  • „Schön für dich, dass die Kinder dich endlich auch einmal ins Vertrauen ziehen, aber ich habe nächtelang an ihrem Bett gesessen, als sie krank waren.“
  • „Klar kannst du morgens ausschlafen, aber für die erste Million musst du schon früher aufstehen.“

Ressentiment und Antipathie versuchen, den scheinbar Überlegenen zu erniedrigen, zu entwerten und schließlich zu unterwerfen. Hier zeigt sich auch, wie stark die leidenschaftliche Seite des Neids ist: je intensiver das Gefühl, desto aggressiver die freigesetzten Reaktionen. Der Neider kann dann durchaus zu einer tatsächlichen, körperlichen Bedrohung für den Beneideten werden. Wir erlauben unserem Partner in einem solchen Moment nicht, uns „über den Kopf zu wachsen“. Wir bestrafen den Beneideten mit schlechter Stimmung, mit verbaler Herabsetzung, mit dem Versuch, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Wir reagieren auf der Basis von Anklagen und Anfeindungen, die in der Regel mit dem eigentlichen Anlass unserer Gefühle nichts mehr zu tun haben. Wir agieren den Neid verkleidet und auf einem Nebenschauplatz aus.

Aus den genannten Gründen lässt sich über all das im Zusammenhang mit Neid nicht sprechen. Wir wissen ja gar nichts von einem Nebenschauplatz. Um also darüber ins Gespräch zu kommen, müssen wir zuallererst beginnen, die Ursachen der Wut, des Grolls oder der anderen Gefühle zu erkunden. Diese Selbsterforschung eröffnet einen eventuell mühseligen Auseinandersetzungsprozess. Er wird früher oder später Antworten zutage fördern, warum das Beziehungsklima so gespannt ist. Manchmal braucht ein Paar in einer solchen Situation auch die Hilfe Dritter. Eine Perspektive außerhalb der Paardynamik hilft meist, das Geschehen besser zu verstehen.

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund

Das Märchen „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ der Gebrüder Grimm stellt die missgünstige Seite des Neids deutlich heraus: Es zeigt exemplarisch, welche Wege unversöhnlicher Neid geht. Es schildert zudem, wie ein Mensch, der ein begehrtes Gut nicht (mehr) erlangen kann, alles daran setzt, dass auch der beneidete Mensch nicht davon profitiert. Schließlich lehrt das Märchen, dass der Neid auf den Neidischen selbst zurückfällt: Die eitle Frau des Königs, Schneewittchens Stiefmutter, befragt den Spiegel, wer im Land die Schönste sei. Immer wieder erhält sie die Antwort, sie sei die Schönste dort. Allerdings sei Schneewittchen noch tausendmal schöner als sie.

Nach dem ersten Mal lässt die Stiefmutter das Mädchen im Wald aussetzen. Die Zwerge nehmen Schneewittchen auf. Nach dem zweiten Mal versucht die Königin, Schneewittchen mit einem Schnürriemen zu erdrosseln. Die Zwerge retten ihr das Leben. Nach dem dritten Mal soll ein vergifteter Kamm das Mädchen töten. Die Zwerge retten Schneewittchen erneut. Erst der vierte Versuch, Schneewittchen nach dem Leben zu trachten, gelingt: Die Königin überzeugt Schneewittchen, die vergiftete Hälfte eines Apfels zu essen. Danach gibt der Spiegel erstmals die erwünschte Auskunft, allein die Königin sei die Schönste im ganzen Land. „Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.

Aber genau diese Ruhe im Herzen währt nicht lange. Ein Prinz kommt am Haus der Zwerge vorbei und verliebt sich in das dort aufgebahrte Mädchen. Er überredet die Zwerge, ihm den leblosen Ko?rper zu überlassen. Als seine Diener mit dem Sarg stolpern, löst sich der Apfel, der nur im Hals stecken geblieben ist. Schneewittchen erwacht und verliebt sich ebenfalls. Das Paar verkündet, alsbald zu heiraten. Während der Vorbereitungen zu der Hochzeit, zu der auch sie eine Einladung bekommen hat, hört die Königin erneut vom Spiegel, Schneewittchen sei noch tausendmal schöner als sie. Voller Wut macht sie sich auf den Weg zum Fest. Dort stehen schon die eisernen Pantoffeln für sie bereit, in denen sie zur Strafe so lange über glühenden Kohlen tanzen muss, bis sie tot zusammenbricht.

Gebrüder Grimm – Schneewittchen

Mehr Wissenswertes zu Schneewittchen aus dem PM Magazin

Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen: Kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Teil 16: Sozialer Vergleich – Wurzel allen Übels?
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid: Beschädigter Selbstwert als Hintergrund

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion

Nicht nur gesellschaftliche Wertvorstellungen sind für das negative Bild des Neids verantwortlich. Auch der Neider selbst sieht sich kaum in einem guten Licht. Sein Neid weist den Betroffenen nämlich auf einen Mangel hin: Er signalisiert vermeintliche oder tatsächliche Unterlegenheit, eine verpasste Chance oder ungelebtes Leben. Er zeigt das Versagen an, etwas nicht erreicht zu haben, was ein anderer bereits hat – sei es ein Talent, eine Fähigkeit, ein geldwertes Ziel. Dieses Versagen geht mit Scham einher. Wir schämen uns dafür, so klein und minderwertig zu sein.

Allerdings wäre es schmerzhaft, dieses Schamgefühl zu ertragen und uns den Mangel bewusst zu machen. Um den Schmerz zu vermeiden, greifen in einem solchen Moment psychische Mechanismen, die einen Ausgleich herbeiführen sollen: Wir machen den Beneideten schlecht. Wir legen ausführlich dar, wie ungerechtfertigt und vor allem wie unverdient der Erfolg des Beneideten ist. Wir rechnen den Erfolg klein. Wir betonen die Mängel des anderen und rechnen sie gegen dessen Erfolg auf. Wir führen den lückenlosen Beweis, der Beneidete habe das begehrte Gut nur aufgrund äußerer Bedingungen erlangt. Im Zweifelsfall hat der Beneidete eben einfach Glück gehabt – was indes wiederum ein Anlass sein könnte, neidisch zu sein…

In der Liebesbeziehung piesacken uns die Vorzüge oder Vorteile, über die der andere verfügt, wenn die anfängliche Bewunderung für die reizenden Merkmale des Geliebten umschlägt. Wenn in uns der Eindruck entsteht, der andere habe dadurch mehr vom Leben als wir selbst, reagieren wir feindselig. Solange wir von den Talenten, dem Verhalten, dem Besitz und dem Erfolg, den Persönlichkeitsmerkmalen des geliebten Partners profitieren, sonnen wir uns gern in seinem Glanz. Manchmal säen wir gleichwohl unser Saatgut auf demselben Acker. Flugs kann es dann passieren, dass wir verstärkt darauf achten, wie gut unser eigenes Saatgut gedeiht – und dabei heimlich hoffen, die Saat des anderen möge verkümmern.

Die im Märchen beschriebene Variante des Neids, die Missgunst, lo?st erst recht schamhafte Abwehrreflexe aus. Fällt es uns schon schwer einzugestehen, unseren Partner zu beneiden, so ist es komplett unmo?glich einzuräumen, ihm das Begehrte am liebsten gleich entreißen zu wollen, damit er es nicht mehr genießen kann. Zu Recht wu?rde nämlich daraus eine massive Sto?rung des partnerschaftlichen Gleichgewichtes resultieren.

Und doch verhalten wir uns manchmal so. Etwa dann, wenn einer den Ruf und die gesellschaftliche Anerkennung des anderen hintertreibt: der Mann Dozent an einer Hochschule, die Frau Kindergärtnerin. Beide ziehen zusammen ein Kind groß und wechseln sich ab in der Erziehung. Es läuft nicht rund zwischen den beiden, weil sie sich in der Öffentlichkeit sehr unterschiedlich verhalten. Er kennt viele Menschen, ist viel unterwegs, wird eingeladen und gilt als guter Unterhalter. Er geht auch deswegen gern aus. Sie verkörpert das Gegenteil: Schüchtern und zurückhaltend, wie sie ist, fällt es ihr schwer in fremder Umgebung ins Gespräch zu kommen. Deswegen bleibt sie lieber zu Hause und hätte gern, dass ihr Mann es ihr gleichtut.

Da er das nicht immer ermöglichen kann, sondern auch Abendtermine, Sitzungen und auch mal einen Empfang wahr- nehmen muss, beginnt sie, sein öffentliches Ansehen zu schwächen. Zunächst leitet sie ihm Informationen nicht weiter, die sie telefonisch aufnimmt. Dann ist sie unpünktlich, wenn sie mit ihm zur Übergabe des Kindes verabredet ist. Schließlich treibt sie es so weit, dass sie verschwindet, wenn sie das Kind betreuen soll. Damit macht sie es ihm unmo?glich, seine Termine wahrzunehmen. Er gilt plötzlich als unzuverla?ssig, ja als unhöflich und überfordert. All seine Versuche, sich zu erklären, schlagen fehl. Denn er vermittelt immer den Eindruck, er wolle die Verantwortung auf seine Frau abwälzen.

Sie beruft sich auf Missverständnisse und anders lautende Absprachen. Sie wirft ihm seinerseits vor, seine Termine nicht zu halten, ständig unterwegs zu sein und sich nicht um sie zu kümmern. Nach außen sehen ihre Handlungen nicht nach einer mutwilligen Inszenierung aus. Im Effekt wirken sie aber so, denn den Schaden muss ihr Mann tragen. Selbst ihr Ehemann wird sich zunehmend unsicher, ob er nicht doch den Überblick verliert. Dem Paar ge- lingt es nicht, die Differenzen zu klären und zu einer Lösung zu finden, die das weitere Zusammenleben ermöglicht. Die Wahrnehmungsunterschiede sind nicht zu überbrücken: Sie habe sich nichts vorzuwerfen. Sie reagiert sehr wütend, als er nachfragt, ob sie in irgendeiner Weise neidisch auf sein Leben sei. Wie er denn auf die Idee käme und was er sich überhaupt einbilde. Eine Trennung lässt sich nicht mehr vermeiden.

Die Absicht hinter dem missgünstigen Verhalten müssen wir in der Regel vor uns selbst verbergen. Deswegen streiten wir ab, vorsätzlich so gehandelt zu haben. Zur Rede gestellt, weichen wir aus: „Das wollte ich nicht. Das ist mir so nicht klar gewesen. Das habe ich nicht so gemeint.“ Im Wissen um die Schwächen des Partners, seine wunden Punkte oder einfach nur seinen Tagesablauf verfügen wir über eine gewisse Macht. Diese setzen wir ein, wenn wir eine vermeintliche oder eine tatsächliche Verletzung korrigieren wollen: Ohne uns dessen immer bewusst zu sein, stabilisieren wir bei Gelegenheit den eigenen beschädigten Selbstwert, indem wir den Selbstwert des Partners zu beschädigen trachten.

Wie die Ehefrau im erwähnten Beispiel ertragen wir die Zurücksetzung nicht, gehen in die Offensive – und drehen den Spieß um. Wir setzen den Beneideten zurück – durch Schweigen, Vorwürfe, Kritteleien, durch gezielte Ablenkungsmanöver oder aktive Beschädigung.

Doch wie sollen wir dafür Worte finden, wenn wir uns so sehr schämen? Woher soll die Sprache kommen, die wir brauchen, um unsere Gefühle mitzuteilen? Wie sollen wir darüber reden, wenn wir – wiederum aus Scham – vor uns selbst verbergen (müssen), wie missgünstig wir handeln? Angesichts von Mangel, Zurücksetzung, Versagen und Scham, den Weg der Offenheit zu gehen, scheint eine schwer zu bewältigende Herausforderung.

Die wichtigste Voraussetzung, um zu neuer Offenheit miteinander zu finden, ist eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen den Partnern. Ohne Vertrauen werden wir uns nicht aus der Deckung wagen und unser Innenleben preisgeben. Keiner darf das Gefühl haben, sich mit den eventuell bloßgelegten Schwächen auszuliefern. Neben einem fruchtbaren Gesprächsklima in einer geschützten Umgebung brauchen wir für einen solchen Weg vor allem Zeit und Ruhe: einen Spaziergang im Wald, im Park, an einem See. Die Ortswahl ist am Ende nur abhängig von dem einen Ziel: Ins Gespräch zu kommen.

Zur guten Atmosphäre gehört auch, dass keine Termine nachdrängen und uns beschränken. Auch die Kinder sollten uns nicht unterbrechen und unsere Aufmerksamkeit beanspruchen. Damit erst schaffen wir den Raum, den wir angesichts des Konflikts brauchen. Nur so gelingt es uns langfristig, die einzelnen Schichten des Konflikts abzutragen und zu neuer Nähe zu finden. Nur so lassen sich Achtung und Respekt voreinander wiederherstellen.

Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft

Die Frage, ob es erlaubt ist, neidisch zu sein, und wie wir mit den Gefühlen angemessen umgehen, hat eine lange kulturhistorische Tradition. Schon in den antiken Tragödien von Aischylos, Euripides oder Pindar spielt der Neid eine wichtige Rolle. So erzählt Aischylos in seinem Drama Agamemnon von der Heimkehr des Troja-Eroberers und seiner Furcht, durch seine exponierte Stellung den Neid der Irdischen auf sich zu ziehen. Diese empfinden im Anblick seines Triumphes doppeltes Unglück: Einerseits müssen sie damit fertig werden, nicht so erfolgreich zu sein, andererseits haben sie mit anzusehen, wie der Erfolgreiche gefeiert wird.

Die Götter betrachten Agamemnons Bedenken, den Sieg auszukosten, mit Wohlwollen. Sie selbst nämlich reagieren dann neidisch, wenn die Menschen in anmaßender Selbstgefälligkeit Grenzen übertreten, die sie ihnen zuvor auferlegt haben. Missachtet der Mensch die ihm eigene Schwäche und maßt sich an, den Göttern gleichen zu wollen, reagieren sie mit „Abstandsneid“, wie der Psychologe Rolf Haubl diese Form des Neids nennt. Wer selbstgerecht handelt, um einen unangemessenen Vorteil daraus zu ziehen, wird dafür bestraft, um die göttliche Ordnung nicht zu gefährden.

Wie offen die griechische Demokratie dem Neid einen Platz einräumt, belegt auch die Volksversammlung: Sie beschäftigt sich einmal jährlich mit der Frage, ob ein Scherbengericht stattfinden solle. Dadurch kann ein Bürger, dessen Macht und Einfluss dem Wahlvolk zu groß zu werden schien, aus der Stadt verbannt werden. Entscheiden sich die Athener für eine solche Abstimmung, ritzen sie den Namen des zu verbannenden Kandidaten in die Scherben ein. Ein Areal auf dem Marktplatz nimmt die Scherben auf. Die einfache Mehrheit entscheidet. Das Scherbengericht entstand zunächst als eine Sicherheitsmaßnahme gegen zu großen politischen und sozialen Einfluss. In der weiteren Entwicklung dient es allerdings auch dem politischen Intrigenspiel. Gegner einer bestimmten Politik konnten auf diese Weise aus der Stadt gewiesen werden.

Des Volkes Strafe traf auch jene, die durch ihre Art zu leben den Neid der anderen wecken. Da konnte auch ein guter moralischer Ruf mit Verbannung belegt werden: Der Politiker Aristides ging einem Analphabeten zur Hand, der ihn bat, den Namen Aristides auf die Scherbe zu ritzen. Auf die Frage, ob jener Aristides ihm etwas getan habe, antwortet der Athener, er kenne ihn nicht einmal. Allerdings ärgere es ihn, dass Aristides überall als „der Gerechte“ gelte. Gerecht, wie man ihn eben nannte, ritzte Aristides seinen eigenen Namen in die Scherbe und reichte sie dem Mann.

Solchen Auswüchsen schiebt die christliche Religion einen Riegel vor: In unserem Schweigen und unserer Scham über den Neid spiegelt sich auch sein schlechtes gesellschaftliches Image wider. Wie zur Abschreckung sind schon in der Genesis die Kinder von Adam und Eva, die Brüder Abel und Kain, neidisch miteinander verstrickt. Beide bringen Gott ein Opfer dar. Doch Gott akzeptiert nur Abels Opfer und ignoriert Kains. In seiner Wut über diese Ungerechtigkeit erschlägt Kain seinen Bruder. Zur Strafe wird er mit dem Kainsmal auf der Stirn gebrandmarkt, damit alle ihn als Neider und Brudermörder erkennen können.

Der strafende Gott etabliert sich im Zuge von Kains Tat als neidlos und gerecht: Gott neidet Kain nicht, dass er sich göttliche Rechte angemaßt hat. Er neidet ihm nicht, dass Kain sich über den Abstand zwischen göttlicher Autorität und menschlicher Existenz hinweggesetzt hat. Er rächt sich nicht an Kain für das Übertreten dieser Grenzen, wie die griechischen Götter es noch getan haben. Und er lässt Kain das Leben, um seine Tat eigenhändig zu sühnen. Damit grenzt sich die Religion der Christen von den alten griechischen Mythen ab. Während die griechischen Götter noch voller Neid auf die Menschen herabschauen, ist der Christengott ohne Neid.

Die Gebote neun und zehn der „Zehn Gebote“ meißeln den Anspruch an die Menschen in Stein: Niemand dürfe seines Nächsten Hab und Gut begehren. Damit wird eine Orientierungshilfe geschaffen, auf der die christliche Wertegemeinschaft beruht, unter anderem getragen von der Hoffnung auf weitgehend neidfreie zwischenmenschliche Beziehungen. Später, im 6. Jahrhundert unter Papst Gregor I., findet der Neid als eine der sieben Todsünden Aufnahme in den offiziellen Negativkanon der Kirche. Seither gilt Neid als die Sünde wider des Nächsten Glück. Weil Neid als Quelle des Hasses, der Intrige und der Verleumdung ausgemacht war, wird er mit er ewigen Verdammnis belegt.

Literatur:
Rakoczy, T.: Böser Blick, Macht des Auges und Neid der Götter. Eine Untersuchung zur Kraft des Blickes in der griechischen Literatur, Tübingen: Narr 1996.
Haubl, R.: Neidisch sind immer nur die anderen. Über die Unfähigkeit, zufrieden zu sein, München: Beck 2001.

Auszug aus: Zimmermann T (2004). Schön für dich… Neid und Konkurrenz in der Liebesbeziehung. mvg-Verlag, Frankfurt/M.

Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid – geächtet durch die Gemeinschaft

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal

Wie verbreitet der Neid im individuellen Erleben auch ist, so verpönt und geächtet ist er gesellschaftlich: Wenn wir unseren Partner beneiden, begehen wir nach christlichem Verständnis eine Todsünde. Auch der Neid auf die Geschwister, die Kollegen, die vermeintlich privilegierten Beamten und überhaupt alle, die von irgendetwas mehr haben als wir selbst, gilt als Sünde.

Wer sich nicht auf die religiöse Metaphorik einlassen mag, wird seinen Neid dennoch nicht offener zur Schau stellen. Vielmehr liegt über unserem gesamten Sozialisationsprozess eine Art Neidverbot. Nie bestärken uns die Eltern, indem sie sagen: „Schön, dass du wieder so neidisch auf den Teller deines Bruder gestarrt hast.“ Nie erhält jemand soziale Anerkennung, der zugibt, heute wieder besonders neidisch auf seine Mitmenschen zu sein.

Bis heute lehnen wir den Neid ab, fürchten und verachten ihn, weil wir aus eigener Erfahrung das Bedrohungspotenzial kennen, das in ihm steckt. Neid geht in diesem Sinne nicht einfach zur Tagesordnung über, denn das neidische Gefu?hl lässt sich allenfalls kurzfristig besänftigen: „Invidia festos dies non agit.“ Schon die Römer wussten, dass Neid keine Feiertage kennt. Dabei entfesselt das Gefühl eine negative Kraft, die kein wie auch immer Beneideter gern auf sich ziehen möchte.

Da sich der Neid prinzipiell auf alles und jeden richten kann, hilft nur eine Art gesellschaftliches Neid-Tabu, die potenzielle Bedrohung durch den Neider wenn schon nicht auszuschalten, so doch zumindest klein zu halten. Wie der Soziologe Helmut Schoeck in seinem Standardwerk „Der Neid. Die Urgeschichte des Bösen“ herausarbeitet, stellt das Neid-Tabu sogar eine Art Entwicklungsvoraussetzung dar: Extrem neidische Gesellschaften hemmen den eigenen Fortschritt, weil individuelle Unterschiede zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern nicht toleriert werden.

Angesichts des ausschließlich negativen Leumundes tut jeder gut daran, seinen Neid möglichst für sich zu behalten. Schnell sprechen Kommentatoren abschätzig von Sozialneid, wenn hohe Managergehälter kritisiert werden. Auch die Befürworter einer Erbschafts- und Vermögenssteuer setzen sich dem Vorwurf aus, dem sozialen Neid eines Teils der Bevölkerung das Wort zu reden. Allein weil das dem Neid weiteren Vorschub leiste, könne ein solcher Vorschlag nicht gutgeheißen werden.

Nur die Werbeindustrie bricht das Tabu zu ihren Gunsten. Sie verwendet das Neidmotiv hin und wieder als Sujet, um ein Produkt begehrenswert zu machen. Allerdings kann das in der Wirklichkeit zu heftigen Neidattacken bei den Benachteiligten führen. Auf Schulhöfen, Spielplätzen oder in öffentlichen Parks wird mancher Jugendliche Opfer eines neidmotivierten Überfalls, der auf Markenkleidung oder -schuhe abzielt.

Manchmal lässt die Öffentlichkeit einen Neider davonkommen, ohne ihn öffentlich für den Neid abzustrafen: So geschehen als vor der WM 2006 der zweite Torhüter der deutschen Fußballnationalmannschaft, Jens Lehmann, öffentlich Oliver Kahn, die damalige Nummer 1, herausforderte mit der Behauptung, eigentlich sei er selbst der bessere Mann zwischen den Pfosten. Nicht dem ewigen Kahn, nein ihm, Lehmann, stehe es endlich zu, als die Nummer 1 aufzulaufen. Obwohl die Klage des zweiten Mannes tagelang die Gazetten beherrschte, nahm kein Berichterstatter das Wort „Neid“ in den Mund. Dabei ließ sich Lehmann in seinem Neidimpuls sogar dazu hinreißen, Kahns moralische Integrität öffentlich zu hinterfragen. Das schlimme N-Wort tauchte selbst dann noch nirgendwo auf.

Dies ist ein Beispiel dafür, wie einer, der dauernd zu kurz kommt, beziehungsweise in der zweiten Reihe ausharren muss, die Offensive sucht. Seine Not ist dabei so groß, dass er die eigene moralische Integrität aufs Spiel setzt, um sein Ziel zu erreichen. Lehmanns Strategie ist aufgegangen: Zur WM im eigenen Land stand er zwischen den Pfosten.

Trotz aller Ablehnung gibt es ohne Zweifel so etwas wie entschuldbaren Neid (John Rawls) – dann nämlich, wenn der Neider gegen eine als ungerecht empfundene Benachteiligung aufbegehrt. Zumal sich der Neid sicherlich in der menschlichen Entwicklung nicht so lange gehalten hätte, hätte er die gesellschaftliche Entwicklung nur gebremst. Natürlich bedrohen die Rollen brechenden Autonomiekräfte, die der Neid freisetzt, die Entwürfe einer geordneten und überschaubaren Welt. Gerade diese geordneten Welten werden von den Mächtigen besonders geliebt, denn sie sichern ihnen ja die Herrschaft. Um den Neid als Störenfried der gerade herrschenden Ordnung zu zähmen, reicht es aber völlig aus, ihn zur Todsünde zu erklären. Damit wird der Neid als Regung verdammt, die den Abgründen der menschlichen Seele entspringt.

Das macht den Neid zum Schmuddelkind unter den Gefühlen. Zu Recht oder nicht, wir verurteilen den Neider für seinen schiefen Blick auf Besitz, Hab und Gut, auf Erfolg und Leistung seiner Mitmenschen. Wo jedoch kein Neid sein darf, können auch die krassesten Unterschiede in der Verteilung von Ressourcen und Reichtümern nicht öffentlich debattiert werden. Und dann auch noch Konkurrenz und neidische Gefühle in den eigenen vier Wänden, zwischen Männern und Frauen?

Die öffentliche Ablehnung, das Etikett der Sünde, die negativen Reaktionen – all das sind natürlich keine Einladungen, sich zu seinem Neid zu bekennen. Doch Neid ist nicht per se schlecht oder gar moralisch verwerflich. Er entsteht, wenn ein sozialer Vergleich zu den eigenen Ungunsten ausfällt: Wie bin ich? Wie ist mein Partner? Wo stehe ich mit meinem Leben? Wo steht mein Partner mit seinem Leben? Wieso hat er das, was ich nicht habe?
Wir erwarten vom Neider, entweder seinen Gefühlen zu entsagen oder uns nicht damit zu behelligen. Damit reduzieren wir die Bedrohung, die vom Neid ausgeht. Außerdem verhindern wir ein schlechtes Gewissen, ein Gefühl, uns schuldig zu fühlen, wenn wir haben, was der Neider begehrt. Der Neider jedenfalls braucht Mut, das Mitteilungsverbot zu brechen und dem Partner den Neid zu offenbaren.

Schoeck, H.: Der Neid. Die Urgeschichte des Bösen, München/Wien: Herbig 1980

Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Heute vor 28 Jahren…

… habe ich die Seiten gewechselt und bin in der Nacht vom 18. auf den 19. März vom Osten in den Westen „rübergemacht“. Morgens angekommen auf dem Hauptbahnhof von Frankfurt am Main nach einem sehr tränenreichen Abschied abends um 22.37 Uhr auf dem Bahnhof Dresden-Neustadt, umgestiegen und weitergefahren ins Aufnahmelager in Gießen. Die eindrücklichste Erinnerung ist das Zugtelefon im Intercity, von dem aus ich den ersten Kontakt zu einem Bekannten im Saarland herstellen konnte. Als 21-jähriger Ossi kannte ich öffentliche Telefonzellen, aber eine Sprechverbindung bei Tempo 180? Sensationell.

Und ansonsten?

Ankunft in Gießen. Anmeldung, um dann alsbald frische Personaldokumente entgegenzunehmen. Begrüßungsgeld. Ein kurzes Gespräch mit der Hauptstelle für Befragungswesen, denen ich mit der gleichen Skepsis begegnete wie zuvor den Befragenden auf der anderen Seite. Einmal Einkleiden von Kopf bis Fuß mit (preiswerten), heute würde ich sagen Discounter-, Westklamotten. Nach zwei Tagen Abreise zu meiner vorläufigen Station in der Nähe von Karlsruhe.

Ich kann nicht behaupten, ich hätte mich gefreut, im Westen angekommen zu sein. Klar, alles war bunt, die Supermärkte, die Buch- und die Plattenläden waren grell und übervoll. Aber vermisst habe ich die Freunde und Freundinnen, die zurückgeblieben sind in diesem seltsamen, bizarren Land DDR, das mich ausgespuckt hatte – ohne Rückfahrkarte.

Die Sehnsucht blieb erhalten. Viermal habe ich in den folgenden Jahren versucht, von West-Berlin aus in die DDR einzureisen. Jeder mißlungene Versuch ist in meiner Stasi-Akte dokumentiert, die auch nach meiner Ausreise sauber weitergeführt wurde. Die Einreise gelungen ist mir erstmals am 13.11.1989.

Wenn die Kassenärztin Kasse macht

Immer wieder kommt es vor, dass niedergelassene ÄrztInnen ihre PatientInnen dazu drängen, eine Leistung in Anspruch zu nehmen, für die dann eine Privatrechnung ausgestellt wird.

Da sind zum einen individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), gerne angeboten von UrologInnen (PSA-Test zur Früherkennung von Prostata-Krebs bei beschwerde-freien Männern mittleren Alters), AugenärztInnen (Augeninnendruck-Messung zur Früherkennung des Grünen Stars). Auch ein 3D-Farbfoto des Embryos im Bauch der werdenden Mutter ist eine solche Leistung – im Angebot in Frauenarzt-Praxen.

Ärztliche Waren dieser Art können angeboten werden. PatientInnen zahlen ja auch für Reiki-Heiler, HeilpraktikerInnen oder OsteopathInnen.

Nur ließe sich von einer funktionierenden, weil vertrauensvollen Arzt-Patient-Beziehung erwarten, dass Sinn und Unsinn beim Namen genannt werden. Dann wüssten PatientInnen, dass diese Untersuchungen nicht ohne Grund so nicht im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen stehen: Hätten Männer Beschwerden bspw. beim Wasserlassen, wird der PSA-Test von der Kasse bezahlt. Doch warum sollte die Kasse bei Beschwerdefreiheit zahlen?

Der Augeninnendruck kann in Kombination mit anderen Untersuchungen (Sehnerv, Gesichtsfeld) ein sinnvoller diagnostischer Parameter sein. Aber für sich genommen ist die Messung nur Geldschneiderei. Schließlich: Die Krankenkassen zahlen das 2D-Schwarzweiß-Ultraschall-Foto des Embryos. Wer dennoch ein buntes Bildchen des Nachwuchses in 3D haben möchte, der möge es extra bezahlen, sagen die Kassen zurecht. Wer aber 3D bezahlt, ohne darüber aufgeklärt sein, dass es das 2D-Bild inklusive gibt, wird über den Tisch gezogen.

Genauso verhält es sich bei einer so genannten „Komfortsprechstunde“ oder auch „Selbstzahlersprechstunde“. Hier verticken KassenärztInnen ihre Zeit an GKV-PatientInnen für 40, 50 oder 60 Euro, denen sie zuvor gesagt haben, dass sie reguläre, kostenfreie Termine erst in sechs Wochen wieder anbieten können. Das mag am Budget und sämtlichen anderen Ungerechtigkeiten liegen, die das KV-System den ambulanten ÄrztInnen auferlegt. Dafür bei Kassen-PatientInnen zu kassieren, ist dreist. Schnellerer Zugang zum Arzt für Kohle – das ist Abzocke von Schutzbefohlenen.

Um zu wissen, woran wir bei alledem sind, lohnt es sich, ins Sozialgesetzbuch 5 zu schauen. Dort steht in § 128, Satz 5a: „Vertragsärzte, die unzulässige Zuwendungen fordern oder annehmen oder Versicherte zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflussen, verstoßen gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten.“

PolitikerInnen sollten diesen Geschäftsmodellen bald dicke Riegel vorschieben. PatientInnen sollten hellhörig werden, wenn ÄrztInnen etwas verkaufen wollen – und nicht sofort einem Geschäft zustimmen, in das sie mit süßer Stimme hineingelockt werden.

Mit dem Neid leben?

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dassselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz

Den Neid, der aus dem Vergleich mit dem Partner resultiert, blenden wir gern aus. Dabei hilft uns der romantisierende Blick auf unsere Zweisamkeit, der durch solche Ungereimtheiten nicht getrübt werden soll. Alles, was dem Ideal des verschmolzenen Paares widerspricht, wollen wir möglichst nicht wahrnehmen. Mit dem Neid einhergehende Disharmonie und feindselige Gefühle zögen Irritationen nach sich und schafften unerträglichen Abstand zwischen den Liebenden. Um den Konflikt nicht austragen zu müssen, betonen wir das romantische „Wir“ gegenüber dem autonomen „Ich“. Deswegen vermeiden wir möglichst, den Neid und die damit verbundenen Gefühle der Zurücksetzung und der Scham zu thematisieren.

Den Neid nicht anzusprechen ist auch noch einer anderen Erkenntnis geschuldet: Wenn ein Vergleich zu den eigenen Ungunsten ausfällt und der aufkommende Neid auf einen Mangel zurückzuführen ist, hilft in der Regel auch das Gespräch nicht, diesen Mangel zu beheben. Wer sich nicht attraktiv findet oder eher zurückhaltender Natur ist, ändert daran nichts, wenn er darüber redet, der Partner ihn attraktiv findet bzw. dazu auffordert, stärker aus sich heraus zu gehen. Ein Gespräch kann sogar das Gegenteil bewirken, weil es eventuell Verletzungen aktualisiert, denen wir uns nicht fortwährend aussetzen wollen.

Um uns jedoch von unserem Neid auf den Liebespartner nicht beherrschen zu lassen, ist es gleichwohl sinnvoll, offensiv mit der eigenen Befindlichkeit umzugehen.

  • Spornt der Neid uns an, unsere Leistung zu verbessern, so wie Holger mit Hilfe seiner Frau seine Skifahrkünste ausbaute?
  • Nehmen wir den Neid als Hinweis darauf, welches unser Bedürfnisse innerhalb der Beziehung zu kurz kommt?
  • Oder macht uns der Neid nachdenklich hinsichtlich unserer Ziele und Wünsche?

Der Neid, den wir spüren, kann hilfreich sein, von manchen Begehrlichkeiten Abschied zu nehmen. Er kann helfen zu erkennen, dass sich manches im Leben eben nicht erreichen lässt. Als Neid besänftigend erweist sich auch, die Vergleichsdimension zu wechseln: Ein Mann, der seiner Frau das vertrauensvolle Verhältnis zum Kind neidet, tut gut daran, sein eigenes, von der Frau unabhängiges vertrauensvolles Verhältnis mit dem Kind aufzubauen. Dann lässt sich auch die Verschiedenheit besser aushalten.

Damit wir in Liebesbeziehungen spielerisch miteinander wetteifern können, sollten wir die Konkurrenz nicht voreinander verstecken: Nicht die Tatsache, dass wir uns miteinander vergleichen und miteinander konkurrieren, schürt das Misstrauen. Wir misstrauen uns erst, wenn wir uns heimlich vergleichen, wenn wir im Verborgenen bilanzieren und wenn das Gefühl aufkeimt, der andere wolle uns übervorteilen.

Nicht der Vergleich ist schlecht und auch nicht der daraus resultierende Neid, sondern die Art und Weise, wie wir den Ausgang des Vergleichs für uns interpretieren. Offenbar ist es um unserer Selbsterhaltung und unseres Selbstwerts willen kaum möglich, einen Vergleich zu unseren Ungunsten nicht persönlich zu nehmen. Dem können wir eine positive Wendung geben, wenn der Neid uns anspornt und dazu anregt, uns verändern. Darüber hinaus lassen sich aus unseren neidischen Gefühlen weitere wichtige Erkenntnisse ableiten, denn der Neid

  • gibt wichtige Hinweise darauf, wohin wir uns gern entwickeln möchten,
  • macht deutlich, dass wir auch in einer Partnerschaft autonome Wesen sind,
  • erinnert uns an eigene Bedürfnisse,
  • zwingt uns, die Frage zu beantworten, was wir wirklich wollen.

Gelingt es uns wie Tine und Holger, die positiv-herausfordernde Seite des Neids in den Mittelpunkt zu rücken, stehen für beide Partner alle Möglichkeiten offen, aneinander zu wachsen. Nur der unerkannte, unbenannte, verborgene Neid gefährdet den Zusammenhalt. Nur jener Neid, der uns feindselig auf unseren Partner reagieren lässt, ohne dass wir bereit sind, dafür die Verantwortung zu übernehmen, bedroht unsere Partnerschaft – so wie Heike sich von Reimund getrennt hat, als sie sich immer weiter in die Enge getrieben sah. Offen ausgetragene Konkurrenz belebt die Liebe – so wie Mandy und Mike einander wieder näher kamen, nachdem Mandy anfing, Mike nicht länger für die Lösung ihrer Probleme verantwortlich zu machen.

Neid in unseren Liebesbeziehungen fordert uns heraus, nichts unversucht zu lassen, sich selbst zu verbessern und sich weiter zu entwickeln. Dem Handballer Stefan Kretzschmar ist dieser Schritt gelungen: Mit seiner maßgeblichen Beteiligung gewann die deutsche Nationalmannschaft bei den Olympischen Sommerspielen 2004 in Athen die Silbermedaille.

Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Das romantische Liebesideal

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren
Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?

Das romantische Liebesideal entsteht gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Zuge der Französischen Revolution beginnt das „Zeitalter der Aufklärung“. Monarchien und Fürstenhäuser brechen zusammen. Das Bürgertum steigt zu einer ernst zu nehmenden gesellschaftlichen Macht auf. Die neue Zeit offenbart den Bürgern neue Wahlfreiheiten. Dichtkunst und Literatur werden von den Romantikern des „Sturm und Drang“ beherrscht, die als erste die neuen Freiheiten insbesondere als die Freiheit von emotionalen Zwängen feiern.

Karl Lenz nennt in seinem Buch „Soziologie der Zweierbeziehung“ folgende Merkmale, die an das romantische Liebesideal geknüpft sind:

  • Liebe und Sexualität gehören zusammen.
  • Die bürgerliche Ehe ist die einzig adäquate Form, die Liebe zum Ausdruck zu bringen.
  • Die romantische Liebe erfährt durch die Elternschaft ihre höchste Vollendung.
  • Das Gefühl entsteht, wenn die Person auftaucht, für die diese Liebe bestimmt ist; jede Beziehungsanbahnung und sämtliche Erhaltungsbemühungen sind verwerflich.
  • Es gibt nur die eine, die einzig wahre Liebe mit dem einen Menschen.
  • Diese Liebe gibt die Chance, in seiner Einzigartigkeit anerkannt zu werden, verbunden mit sehr hoher Glückserwartung an die Beziehung.
  • Erst eine wechselseitig erwiderte Liebe wird zur „wahren“ Liebe.

Die romantischen Liebesvorstellungen verdrängen den pragmatischen Entwurf, den die Menschen bis dahin gelebt haben: In einer Ehe sollten sich die Eheleute ergänzen. Sie sollten eine sozialökonomische Schicksalsgemeinschaft gründen, in der sie zum gegenseitigen Vorteil Hab und Gut miteinander teilten. Diesen Vorteil sollten sie nutzen, einer möglichst großen Zahl von Kindern das Überleben zu sichern.

Doch die bürgerlichen Romantiker verachten diesen pragmatischen Entwurf und machen die emotionale Verbundenheit zwischen den Partnern zum entscheidenden Kriterium. Die „wahre“ Liebe zwischen zwei Auserwählten begründet einen „Bund fürs Leben“. In freier Wahl gibt nun das mächtige Liebesgefühl den Ausschlag, wer für wen bestimmt ist. Dabei erfüllt der Partner oder die Partnerin sämtliche Wünsche, befriedigt alle Bedürfnisse und stillt die Sehnsucht, mit dem einen Wesen zu verschmelzen, das genauso denkt und fühlt und handelt.

Literatur: Lenz, K.: Soziologie der Zweierbeziehung. Eine Einführung, Opladen: Westdeutscher Verlag 1998.

Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleider
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben