Neid zwischen den Geschlechtern

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

In den letzten 50 Jahren sind die starren Rollenmodelle, die früher Männer- und Frauenwelten streng voneinander trennten, aufgebrochen und einer neuen Flexibilität gewichen. Frauen ergreifen gesellschaftliche Macht und Mitsprache. Sie suchen sich Berufe, in denen sie Erfüllung finden. Sie entscheiden sich für Kinder oder gegen sie. Sie machen Karriere oder gehen bewusst einen Weg abseits vom Stress der Arbeitswelt. Manche sind beruflich erfolgreich und ziehen Kinder groß. Nachdem sie über Generationen benachteiligt waren, begrüßen die Frauen nun die neuen Entwicklungschancen – auch wenn zwischenzeitlich Ernüchterung über einige Beharrungskräfte eingetreten ist.

Anders die Männer: Sie verlieren durch den Umbruch der Geschlechterverhältnisse an Ansehen, Einfluss und Macht. Während die meisten Frauen ihre Lebensmöglichkeiten erweitern, sehen viele Männer diese Chance noch nicht. Sie müssen auf Privilegien verzichten und haben Schwierigkeiten, die neuen Aufgaben in der Kindererziehung und im Haushalt auch als neue Chancen zu sehen. Vielen Männern fällt es schwer, in der Begleitung und Betreuung ihrer Kinder im frühen Lebensalter und in der damit verbundenen häuslichen Arbeit eine hinreichende Herausforderung zu sehen. Vielmehr erfahren sie sich in einer solchen Situation als von der Welt abgekoppelt, in ihrer Entwicklung benachteiligt und strukturell unterfordert. Männer sehen sich also verstärkt mit jenen Erfahrungen konfrontiert, die sie den Frauen bisher quasi-natürlich zugeschrieben haben.

Wie jede andere Veränderung führt also auch dieser Umbruch zunächst dazu, dass vertraute Ordnungen und Muster, an denen es sich so leicht orientieren lässt, verloren gehen, ohne dass sofort neue Orientierungsmöglichkeiten zur Hand sind. In einer solchen Übergangszeit entstehen insbesondere in jenen Bereichen Konflikte, in denen einer der Beteiligten gezwungen ist, die eigene Vorteilsnahme aufzugeben: Dies trifft die Männer in Beruf und Karriere und die Frauen im Hinblick auf Kinderbetreuung und -erziehung. Der in der Beziehung stattfindende Vergleich mündet schnell in Argwohn und Misstrauen, denn der Vorteil des einen erweist sich eben schnell als der Nachteil des anderen.

Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen
Teil 31: Gebärneid – Frauen können Leben geben
Teil 32: Sexuelle Macht und sexuelle Potenz
Teil 33: Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit
Teil 34: Weiblicher Neid auf Männer
Teil 35: Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?

Neid in Partnerschaften: Literatur

Liebe kann alte, innere Konflikte aktivieren

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Die Liebesbeziehung schafft sowohl innere als auch zwischenmenschliche Konflikte, die in anderen Beziehungen kaum je eine Rolle spielen. So auch beim Neid: Die Erinnerungen an frühere Benachteiligungen können sich reaktivieren. Wir können uns genauso zu kurz gekommen fühlen wie früher oder genauso idealisiert. All den Neid, den wir zwischen den Eltern erlebt haben, den Neid zwischen den Geschwistern und den Neid aus allen anderen sozialen Beziehungen tragen wir auch in die Beziehung mit dem geliebten Menschen. Er wird unser Projektionsfeld. Wir werden an ihm unsere neidische Seite entwickeln. Oder wir werden ganz unbeabsichtigt seinen Neid auf uns zu wecken …

Welche Seite konkret in uns zum Schwingen gebracht wird, hängt sehr entscheidend von der Partnerwahl ab:

  • Verlieben wir uns in einen Partner, der unsere Entwicklung fördert?
  • Oder verlieben wir uns in einen Partner, der sich auf unsere Kosten profilieren möchte?
  • Suchen wir die Nähe zu einem Menschen, der in uns das Gefühl wiederauferstehen lässt, benachteiligt zu sein, zu kurz zu kommen?
  • Suchen wir die Nähe zu einem Menschen, der uns herausfordert?
  • Ermöglicht uns unser Partner, unsere Lebensentwürfe in die Partnerschaft einzubringen?

In Liebesbeziehungen kommen wir einander so nahe wie in keiner anderen Beziehung. Wir zeigen uns im konkreten und im übertragenen Sinne nackt. Sich dieser Offenheit hinzugeben, erfordert Mut und Vertrauen. Nicht immer ist uns schon bei der Partnerwahl klar, ob unser Mut und unser Vertrauen gerechtfertigt sein werden. Spätestens wenn im Laufe der Beziehungsentwicklung frühere Verletzungen aufbrechen und alte Erinnerungen wachgerufen werden, zeigt sich, wie berechtigt es anfänglich war, dem Partner einen Vertrauensvorschuss zu geben: Nutzt der andere unsere Schwächen zum eigenen Vorteil oder steht unser Partner auf unserer Seite?

Wie viel Vertrauen möglich ist, zeigt sich daran, wie interessiert unser Partner an unseren früheren Erfahrungen ist, wie ausgeprägt die gemeinsame Bereitschaft ist, sich über die eigene Vergangenheit mitzuteilen, und ob wir spüren, dass uns etwas verborgen beziehungsweise vorenthalten wird. Wenn es uns gelingt, die zwangsläufig in der Beziehungen auftauchenden, emotionsgeladenen Erinnerungen, Befürchtungen, Ängste und Unsicherheiten in das gemeinsame Erleben zu integrieren, schaffen wir auch die Voraussetzung dafür, mit unserem Neid und unserer Konkurrenz angemessen umzugehen.

Teil 28: Neid zwischen den Geschlechtern
Teil 29: Wie umgehen mit den neuen Lebenswirklichkeiten in Partnerschaften?
Teil 30: Männlicher Neid auf Frauen
Teil 31: Gebärneid – Frauen können Leben geben
Teil 32: Sexuelle Macht und sexuelle Potenz
Teil 33: Weibliche Kommunikationskultur, Sozialkompetenz, Bindungsfähigkeit
Teil 34: Weiblicher Neid auf Männer
Teil 35: Neidisch auf die gesellschaftliche Macht der Männer?

Neid in Partnerschaften: Literatur

Biographische Erfahrungen beeinflussen die Beziehung

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Liebesbeziehungen bringen unsere guten und unsere schlechten Seiten zum Schwingen – ob wir wollen oder nicht. Anfänglich bemühen wir uns, nur unsere Schokoladenseite zu zeigen. Wir sind charmant, verführerisch, aufmerksam und zuvorkommend. Wir bewundern am anderen Schönheit, Klugheit, Liebreiz, Talente, Können oder beruflichen Erfolg, Lebensfreude und Genussfähigkeit. Sind wir verliebt, bekommen wir glänzende Augen, wenn wir unserem Partner begegnen – und umgekehrt. Beide versuchen wir, unsere Schwächen als möglichst unbedeutend darzustellen und lange einen positiven Eindruck zu hinterlassen.

Doch auf Dauer bleibt es nicht aus, dass wir uns auch einmal daneben benehmen, den anderen verletzen, von unserer eigenen Vergangenheit oder der des Partners eingeholt werden. Beide bringen wir nämlich unsere prall gefüllten sozialen Rucksäcke mit hinein in unsere Partnerschaft: Die Nähe zu einem Menschen, dem wir uns öffnen, dem wir Einblick in unser Innenleben gewähren, setzt Gefühle und Erinnerungen frei, die sich oft nicht mehr steuern lassen. Uns schießen Bilder vergangener Beziehungen durch den Kopf. Wir erinnern uns, was uns gefallen und was uns missfallen hat. Die alten Beziehungen fließen als subtile Maßstäbe in die Erwartungen an die neue Partnerschaft ein: Das, was gut war, wollen wir aktuell möglichst wiederholen. Das, was schlecht war, wollen wir aktuell möglichst vermeiden.

Leider handelt es sich dabei sehr häufig nicht um einen Prozess, dem wir uns aktiv stellen. Vielmehr scheinen die Dinge mit uns zu geschehen: Plötzlich wiederholen sich Situationen, in die wir geraten. Uns irritieren dieselben Komplimente, die wir bereits aus anderen Beziehungen kennen. Alte Erinnerungen kommen uns in die Quere. Wir fühlen uns geliebt wie früher. Oder wir fühlen uns abgelehnt wie früher. Wir sehen in unserem Partner plötzlich Züge des eigenen Vaters oder der eigenen Mutter. Die Nähe zu einem anderen Menschen sorgt auch dafür, dass Ängste vor Verlust, vor Nähe, vor Selbstaufgabe uns beschäftigen und manchmal auch belasten.

Neid in Partnerschaften: Literatur

Gleichberechtigte Beziehungen – neue Probleme

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Verlieben wir uns in einen anderen Menschen, so werden wir nicht selten mit den beschriebenen Dilemmata konfrontiert: Konkurrierende Lebensentwürfe, widerstreitende Interessen und unausgesprochene Ängste können unser Beziehungserleben beeinflussen. All das regt uns dann zu dem Vergleich an, wer mehr von der Beziehung hat, wer mehr investiert, wer die Kosten trägt, wer mehr gewinnt. Gelingt es uns nicht, die gemeinsamen Interessen zu stärken und beiden die Möglichkeit zu geben, sich in der Beziehung zu entfalten, so entwickeln sich schnell Fluchttendenzen.

Und diese führen entweder zum frühzeitigen Ende der Beziehung, denn die Liebe beruht keineswegs mehr darauf, alles bedingungslos zu akzeptieren. Oder wir verstricken uns in einer selbstquälerischen Auseinandersetzung, in der wir erst mühsam offen legen müssen, was uns motiviert, was wir wollen, welchen gemeinsamen Weg wir sehen. Zwei kompromisslose Selbstverwirklicher jedenfalls verfangen sich im Stillstand und verlieren die Gefühle füreinander. Auf diese Weise an den eigenen Entwürfen festzuhalten, ausgelöst und immer wieder verführt durch die bunte Vielfalt der Lebensmöglichkeiten, blockiert den Weg zum eigentlichen Ziel: erfüllender Zweisamkeit. Zwar bleibt die Sehnsucht danach, doch unsere Selbstbezogenheit verhindert es, dass wir sie auch erreichen.

Wir schaffen den Nährboden für neidische Gefühle, für Rivalität und das Aufrechnen von Verdiensten, wenn es uns nicht gelingt,

  • dafür zu sorgen, dass beide Partner die Chance haben, ihre eigenen Entwürfe in die Beziehung einzubringen und einen Teil davon umzusetzen;
  • zu akzeptieren, dass es unmöglich ist, in der Zweierbeziehung alle eigenen Ideen, Entwürfe und Pläne umzusetzen;
  • uns kompromissfähig und versöhnlich zu verhalten;
  • zwischenzeitliche Ungleichheiten, die sich nicht verhindern lassen, durch langfristige Pläne, Überlegungen und Strategien auszugleichen;
  • die Bedürfnisse des anderen ähnlich schätzen zu lernen wie die eigenen Bedürfnisse;
  • uns regelmäßig darüber auszutauschen, wie wir den anderen dabei unterstützen können, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.

Wir machen es uns nicht leicht, wenn wir versuchen, dem Spannungsbogen zwischen Selbstverwirklichung und Selbstaufgabe zugleich gerecht zu werden. Wahrscheinlich haben wir aber keine andere Wahl. Diesen Ansprüchen zu genügen, erfordert die Fähigkeit zum Kompromiss, die Bereitschaft zu verzichten und den Mut zur Flexibilität. Und sie erfordert die Einsicht, dass Liebe und Partnerschaft nur dem gelingen, der

  • die Verschiedenheit des anderen anerkennt,
  • dessen Lebensentwürfe genauso ernst nimmt wie die eigenen,
  • einen eigenen Beitrag leistet, dass die Lebensentwürfe des anderen gelingen,?
  • es zudem aushält, dass die Zeit-, Genuss- und Entwicklungsbudgets nicht zu allen Zeiten der Beziehung gerecht und gleich verteilt sind.

Neid in Partnerschaften: Literatur

Paar-Vignette 4: Bindung und Freiheit

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung
Paar-Vignette 1: Egoismus und Altruismus
Paar-Vignette 2: Selbstbehauptung und Rücksichtnahme
Paar-Vignette 3: Kooperation und Abgrenzung

Bindung und Freiheit

In diesem Dilemma wirkt die Spannung, wie unabhängig wir in der Beziehung bleiben möchten und wie viel Abhängigkeit wir zuzulassen bereit sind. Das Paar setzt sich dabei der Frage aus, wie verbindlich die gemeinsam geschaffene Welt ist. Lassen wir uns darauf ein, tatsächlich eine gemeinsame Welt zu bauen, und verwirklichen uns darin? Oder errichten wir zwei Teilwelten, die sich nur an wenigen Stellen berühren, aber ansonsten ihre eigenen Kreise ziehen? Sind in diesem Dilemma die Gewichte sehr unterschiedlich verteilt, so liegt darin ein großes Konfliktpotenzial.

Vignette 4: Ein Paar, seit sechs Jahren zusammen, kein Kind, sie Bauzeichnerin, er Architekt; beide wollen ein Kind, sie ist dennoch hin und her gerissen.

Er: „Ich möchte endlich ein Kind.“
Sie: „Ich ja auch, aber ich finde, wir sollten erst einmal zusammenziehen.“
Er: „Dann lass uns endlich eine Wohnung suchen.“
Sie: „Das sollten wir, aber das löst nicht alle Probleme.“
Er: „Was heißt das?“
Sie: „Mir geht es manchmal nicht gut bei dem Gedanken, mein jetziges Leben aufzugeben.“
Er: „Denkst du denn nie daran, was du dadurch auch gewinnst?“
Sie: „Kurzfristig fallen für mich nur Verluste an. Das ist nicht fair.“

Sie fürchtet, massiv benachteiligt zu werden, ihre berufliche Anbindung zu verlieren, sich von ihm abhängig zu machen, ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Sie sieht realistisch, dass sie weit mehr investieren muss als er, obwohl beide ein Kind haben wollen. Der eventuelle Gewinn durch das Kind liegt noch in der Zukunft, der Abschied vom vertrauten Leben jedoch ist unmittelbar spürbar. Deswegen zögert sie. Deswegen behagt ihr die die Aussicht nicht, in die Mutterrolle gedrängt zu werden: Sie sieht sich zwangsläufig an das Kind gebunden, während er weiterhin die meisten Freiheiten genießen kann. Allein diese Rollenungleichheit macht sie neidisch auf ihn und die Männer an und für sich: Die Biologie erspart es ihnen, sich diese existenziellen Fragen stellen zu müssen.

Sie vermag dem Dilemma nur zu entkommen, indem sie sich von dem Vergleich mit ihm abkoppelt. Sie muss für sich entscheiden, was sie will – unabhängig davon, dass sie mit ihrem weiblichen Schicksal hadert, das Kind austragen zu müssen. Dazu gibt es schlicht keine Alternative – außer auf den Kinderwunsch zu verzichten. Er kann nichts dafür, dass sie eine Frau ist. Ihr bleibt die Möglichkeit, mit ihm verbindliche Arrangements treffen, wie sich ihr gemeinsames Leben gestaltet, wenn das Kind da ist. Nur auf diese Weise versetzt sie sich in die Lage, die eigenen Freiheiten wieder auszuweiten – und verringert ihren Neid auf seine privilegierte Stellung in der Welt.

Neid in Partnerschaften: Literatur

Paar-Vignette 3: Kooperation und Abgrenzung

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung
Paar-Vignette 1: Egoismus und Altruismus
Paar-Vignette 2: Selbstbehauptung und Rücksichtnahme

Kooperation und Abgrenzung

Dieses Dilemma entzündet sich an der Frage, ob sich das eigene Potenzial besser mit oder besser ohne den Partner verwirklichen lässt. Kooperation bringt dabei mehr Vor- als Nachteile, wenn das Paar sowieso gemeinsame Ziele anstrebt. Das Paar bewältigt so viele Aufgaben, dass es müßig wäre, ständig die jeweiligen Kosten und Verdienste gegenzurechnen. Beginnt einer, sich übervorteilt zu fühlen, so droht das Gleichgewicht zu kippen. Willi (2002, S.40): „Das Übervorteilen bringt zwar einen Anfangserfolg, sekundär schädigt es beide, weil die subtile Vertrauensbasis der Kooperation zusammenbricht.“

Vignette 3: Ein Paar, seit fünf Jahren zusammen, kein Kind, sie Fotografin, er arbeitsloser Physiker.

Sie: „Könntest du demnächst mal die Fensterrahmen im Bad streichen?“
Er: „Manchmal komme ich mir vor wie dein Angestellter.“
Sie: „Dir wird doch kein Zacken aus der Krone fallen, wenn du deine viele Freizeit in unsere Wohnung investierst.“
Er: „Und was habe ich davon?“
Sie: „Soll ich dich auch noch dafür bezahlen? Soweit kommt es noch!“
Er: „So habe ich das nicht gemeint. Aber irgendwie nervt es, dass du mich immer wieder für deine Zwecke einspannst. Ich finde nicht, dass das Badfenster gestrichen werden muss.“

Die Arbeitslosigkeit nagt sehr an seinem Selbstwertgefühl und verschiebt das Gleichgewicht innerhalb der Beziehung. Sie sieht für sich die Chance, seine freien Ressourcen anzuzapfen – während er sich unterlegen fühlt und mit neidischem Blick ihre Selbstständigkeit, ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit beäugt. Sie ist sich sicher, ihn zu unterstützen, damit er nicht versauert, während sie unbeirrt ihre Kreise zieht. So bemerkt sie nicht, wie sehr sie sich nach und nach von ihm entfernt. Eine Lösung gibt es nur, wenn es ihm gelingt, sein Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen. Sich passiv gegen ihre Übermacht zu wehren, verstärkt die aufkommende Krise nur weiter. Er muss den Zirkel der Forderungen und der Forderungsabwehr durchbrechen – eben damit, dass er selbst wieder von sich fordert, eigene Ziele und einen Weg für sich zu suchen.

Paar-Vignette 4: Bindung und Freiheit

Neid in Partnerschaften: Literatur

Paar-Vignette 2: Selbstbehauptung und Rücksichtnahme

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung
Paar-Vignette 1: Egoismus und Altruismus

Selbstbehauptung und Rücksichtnahme

In diesem Dilemma steckt die widersprüchliche Aufgabe, sich gegen den Partner durchzusetzen, aber auch seine Ansprüche zu berücksichtigen. Unser eigenes Ziel auf Kosten des anderen zu erreichen, demotiviert unseren Partner und führt dazu, dass er sich herausgefordert fühlt, es uns heimzuzahlen. Führen jedoch Diskussionen zu keiner Veränderung der Situation, so wird derjenige, der den Kürzeren zieht, irgendwann aufgeben. Es entsteht ein Muster, bei dem einer bestimmt, wo es in der Beziehung langgeht, und der andere das hinnimmt.

Vignette 2: Ein Paar, seit zehn Jahren zusammen, ein Kind, sie Verwaltungsangestellte, er Versicherungsvertreter. Für Konfliktstoff sorgen die Aufgabe, das Kind aus dem Kindergarten abzuholen, und das gemeinsame Auto.

Sie: „Dann gib mir doch das Auto, wenn ich den Kleinen abhole. Es nervt mich, immer den Bus nehmen zu müssen.“
Er: „Du weißt, dass ich das Auto brauche.“
Sie: „Es ist unser Auto. Ich habe genauso ein Recht darauf wie du.“
Er: „Aber ich brauche es mehr als du.“
Sie: „Wie kommst du denn darauf? Du könntest genauso gut den Bus nehmen.“
Er: „Das kommt gar nicht in Frage.“
Sie: „Dann holst du eben den Kleinen jeden Tag ab. Das ist doch ein faires Angebot.“
Er: „Du weißt so gut wie ich, dass ich ihn nicht jeden Tag abholen kann.“
Sie: „Ich muss ständig auf dich Rücksicht nehmen, aber du machst immer, was du willst. Das ist ungerecht.“

Dieses Paar gerät über die Frage in Streit, wer auf wen zugehen soll. Dabei zeigt sich der Freund sehr uneinsichtig. Die Freundin redet gegen eine Wand und kann Wut und Trauer kaum noch unterdrücken. Doch so weit ist sie schon: Sie lässt ihn ihre Tränen nicht mehr sehen. Zumal ihm dazu nur verächtliche Worte einfielen. Weil ihr Freund sich offenkundig ohne Rücksicht auf sie nur um die eigenen Interessen kümmert, ist sie zunehmend schlecht gelaunt, hilflos, wie gelähmt. In der Konkurrenz zu ihrem Freund beginnt sie, das Kind gegen seinen Vater in Stellung zu bringen. Sie weint sich bei ihm aus, sucht bei ihm emotionale Unterstützung, schimpft in seiner Gegenwart auf den Vater. Sie entwickelt Bestrafungsphantasien, denn er dürfe damit nicht durchkommen.

Ihr Neid auf ihn und seinen Selbstbehauptungsehrgeiz lähmt sie sehr – und sie weiß noch keinen Weg aus dem Konflikt. Soll sie ihm sagen, wie sehr sie ihn für seine Art bewundert, sich gegen sie durchzusetzen? Soll sie ihn fragen, ob er bereit wäre, mal eine Viertelstunde sie zu sein? In einem Rollenspiel? Was wäre, wenn sie das Kind abholte, dann aber nicht nach Hause, sondern zu ihrer Mutter führe – und ihn aufforderte, er solle sich überlegen, wozu er sie wirklich in seinem Leben haben wolle.

Das kommt ihr wie ein guter Plan vor: ihn zu fragen, was er eigentlich mit ihr will, wenn er am Ende sowieso nur das tut, was ihm passt, und von ihr keine Notiz nimmt.

Paar-Vignette 3: Kooperation und Abgrenzung
Paar-Vignette 4: Bindung und Freiheit

Neid in Partnerschaften: Literatur

Paar-Vignette 1: Egoismus und Altruismus

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Möchten wir auch in einer Liebesbeziehung die eigenen Entwürfe verwirklichen, so stoßen wir schnell auf Schwierigkeiten. Jürg Willi (2002, S.40) beschreibt eine Reihe von Zwickmühlen, denen wir uns gegenübersehen. Diese Gegensätze liegen möglichen Missverständnissen, Zurücksetzungen und Konflikten zugrunde. Aus ihnen resultieren wiederum Paardynamiken, die zu Neid zwischen den Partnern führen können.

Egoismus und Altruismus

Im Dilemma von Eigennutz und Selbstlosigkeit drückt sich die Spannung zwischen dem Einsatz für die eigenen Ziele und der Rücksicht auf die Ziele des Partners aus. Wir alle hoffen, uns in der Beziehung entfalten zu können und unser Potenzial für uns selbst zu nutzen. Doch es liegt in unserem Interesse, der Selbstentfaltung des Partners ebenfalls solchen Raum zu geben. Schieflagen entstehen, wenn die Aufgabenverteilung in der Beziehung nur einem Partner nutzt, während der andere keine Chance sieht, die eigenen Interessen zu verfolgen.

Vignette 1: Ein Paar, seit 25 Jahren verheiratet, drei Kinder, sie Hausfrau, er leitender Angestellter, er belegt zum wiederholten Mal eine Weiterbildung in einer anderen Stadt.

Sie: „Ich habe mich jahrelang abgerackert, die Kinder aus dem Gröbsten gebracht und dir den Rücken freigehalten. Jetzt bin ich mal dran!“
Er: „Warum bist du plötzlich so aggressiv?“
Sie: „Weil ich von dir nur immer vertröstet werde.“
Er: „Ich will nur noch diesen einen Kurs belegen … Dann …“
Sie: „Weißt du, wie oft ich das schon von dir gehört habe? Zu oft. Ich werde nicht länger in meiner Ecke bleiben. Ich muss mal was für mich tun. Nicht immer nur für dich oder die Kinder.“

Diese Frau erträgt es nicht länger, immer wieder ausgebootet und in die zweite Reihe verwiesen zu werden. Sie kann das böse N-Wort nicht aussprechen, aber der Neid auf ihren Ehemann, gerade auch der Neid darauf, so gut für die eigenen Interessen zu sorgen, lässt sie nicht länger schweigen. Sie aktiviert endlich ihre Kampfeslust und fügt sich nicht länger in das, was ihr Mann offensichtlich zu ihrem Schicksal erkoren hat: immer nur nach ihm zum Zuge zu kommen.

Paar-Vignette 2: Selbstbehauptung und Rücksichtnahme
Paar-Vignette 3: Kooperation und Abgrenzung
Paar-Vignette 4: Bindung und Freiheit

Neid in Partnerschaften: Literatur

Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte
Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt

Selbstverwirklichung in Beruf und Partnerschaft entwickelt sich zu einem zentralen Kriterium für die eigene partnerschaftliche Zufriedenheit. Darüber hinaus koppelt die Schwangerschaftsverhütung durch die Pille das Sexualleben endgültig von der Fortpflanzung ab. Damit etabliert sich ein neues, an Lust und Befriedigung orientiertes Sexualleben. Eine liberalisierte Sexualmoral gesteht auch den Frauen ein eigenständiges sexuelles Erleben zu. Die Vielfalt partnerschaftlicher Lebensformen wächst. Scheidungen werden zum normalen Mittel, nicht funktionierende Partnerschaften aufzulösen. Das bekannte romantische Liebesideal, das eine freie Wahl des Partners schon immer propagiert, wirkt nunmehr im Untergrund unserer emotionalen Traumfabriken, während an der Oberfläche unserer Beziehungswirklichkeiten eine neue Bedürfnis- und Befriedigungskultur Einzug hält.

Diese neuen Freiheiten sind durchaus nicht immer leicht verdaulich. In den letzten Jahrzehnten in den Industriegesellschaften aufgewachsen, entwickeln wir bezüglich des eigenen Lebensentwurfs häufig widerstreitende Bedürfnisse und Interessen: Ein Teil von uns sehnt sich nach Geborgenheit, nach einem vertrauten Lebenspartner und dem Ende der Einsamkeit. Ein anderer Teil von uns entwirft Pläne für das eigene Fortkommen, die berufliche Entwicklung, die nächsten Reiseziele, den vortrefflichsten Sparplan.

Selbstverwirklichung als Möglichkeit, die eigenen Talente optimal zu entfalten, ist ein hohes Gut geworden. Gleichwohl bleibt die Liebessehnsucht, wie auch immer romantisch vermittelt, bestehen. Die Zahl der Partnerschaften ist keineswegs kleiner geworden, nur weil die Zahl der geschlossenen Ehen gesunken ist. Die Erwartungen an die Partnerschaft sind gestiegen und mit ihnen das Risiko, damit zu scheitern.

Vielleicht auch deswegen denken wir zuerst einmal an uns selbst. Wir entwerfen zunächst Lebens- und Zukunftspläne für das eigene Wohlergehen. In diese Entwürfe geht die Vielfalt der Optionen ein, von denen wir überzeugt sind, dass sie den eigenen Sehnsüchten und unseren Möglichkeiten entsprechen: Schulbildung, berufliche Ausbildung, Studium, Sammeln von Welterfahrung, Reisen, Kinder nicht vor 30, erst einmal das Leben genießen.

Lassen wir uns auf eine Beziehung ein, so ist es erforderlich, aus dieser erprobten Selbstsicht in die Beziehungsperspektive zu wechseln. Dort mit dem geliebten Menschen einen gemeinsamen Beziehungsentwurf zu leben, gehört nicht zu den einfachsten Dingen, die wir uns vornehmen. Deswegen kommt es nicht selten vor, dass wir uns zwar in einer Beziehung sehen, aber dennoch nur den eigenen Lebensentwurf verfolgen – häufig in Konkurrenz zu unserem Partner und häufig neidisch, wenn es dem Partner gelingt, den eigenen Lebensentwurf scheinbar besser zu verwirklichen als wir den unsrigen.

Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Neid in Partnerschaften: Literatur

So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt…

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Exkurs: Neid im Tierreich – Ein Versuch mit Kapuziner-Affen von Frans de Waal
Teil 19: Anlässe für Neid in Liebesbeziehungen
Teil 20: Beinflussbare und nicht-beeinflussbare Neidanlässe
Exkurs: Neid und Eifersucht – nahe Verwandte
Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern

In den letzten 50 Jahren veränderten sich auch die Paarbeziehungen mit großer Dynamik. Während bis in die 1960er-Jahre hinein die bürgerliche Normehe dominiert und ein steter Quell von Benachteiligung und Diskriminierung der Frauen bleibt, gewinnen am Ende des Jahrzehnts neue Lebens- und Liebesformen zunehmend die Oberhand. Der Paartherapeut Jürg Willi fasst diese Veränderungen in seinem Buch Psychologie der Liebe in drei Entwicklungslinien zusammen (siehe Tabelle), die unsere Partnerschaften seither prägen: Willi erkennt eine Trendwende im Sexualleben, eine Trendwende in der Struktur von Partnerschaften und eine Trendwende in den Geschlechterrollen.

Trendwenden in Partnerbeziehungen nach 1968 (nach J. Willi, 2002, S.59)

  Sexualleben Struktur der Partnerschaft Geschlechterrollen
vor 1968 Angst vor unerwünschter Schwangerschaft restriktive Sexualmoral Monogamie, gestützt durch kirchliche Moral und Gesetz, Scheidung als persönliches Scheitern definierte komplementäre Rollen für Mann und Frau
nach 1968 Befreiung der Gefühle
Pille, liberalisierte Abtreibung, die Frau entscheidet über Kinderzahl; liberalisierte Sexualmoral, hedonistische Leitbilder, liberalisierte sexuelle Treue
Antiautoritäre Bewegung
Konsensual-Paare, Zunahme von Scheidungen und Wiederverheiratungen
Scheidung als Emanzipation
Feminismus
bessere Bildung und Ausbildung der Frauen; Erwerbstätigkeit der Frauen, finanzielle Unabhängigkeit
nach 1985 Sexualleben integriert mit Zärtlichkeit, Intimität und Konstanz der Beziehung; die neue Treue Liebe als Voraussetzung des Zusammenlebens, einvernehmliche Scheidungen Bedeutungsverlust der Geschlechterrollen, Berufskarriere von Frauen, auswärtige Kinderbetreuung, living apart together

In der gesellschaftlichen Umbruchphase verwischen Geschlechterdifferenzen, und alte Rollenvorstellungen verlieren ihre Gültigkeit. Früher ergänzten sich Männer und Frauen zu einer funktionierenden, sozialökonomischen Einheit: Er leistete die Erwerbsarbeit und brachte den für die Familie notwendigen Verdienst mit nach Haus. Sie leistete die Hausarbeit, stellte das Essen auf den Tisch, nährte und kleidete die Kinder – und erhielt dafür aus seiner Lohntüte das so genannte Haushaltsgeld.

Durch die Verschiebung der Kräfte und die Neuorientierung des weiblichen Selbstverständnisses ist in den letzten Jahrzehnten jedoch eine neue Geschlechterrivalität entstanden. Dadurch geraten bisher erprobte Beziehungsgleichgewichte durcheinander. Plötzlich ergänzen Männer und Frauen sich nicht mehr nur, sondern wetteifern um dieselben (knappen) Ressourcen: den beruflichen Erfolg, das Einkommen, die Freizeit, die Aufmerksamkeit im sozialen Umfeld, das Vertrauen der Kinder. Die Konkurrenzsituation sorgt zunächst auch für Unsicherheit, denn gerade die Männer wissen häufig noch nicht, wie sie mit den neuen Ansprüchen der Frauen umgehen sollen – zumal sie relativ schlecht auf die neue Rollenverteilung vorbereitet sind.

Willi, J.: Psychologie der Liebe. Persönliche Entwicklung durch Partnerbeziehungen, Stuttgart: Klett-Cotta 2002

Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung

Neid in Partnerschaften: Literatur