Die aktuellen Ereignisse in Tibet rufen alte Bilder in mir wach: Vor fast 21 Jahren, am chinesischen Nationalfeiertag 1987 (01. Oktober) erlebte ich einen ähnlichen Ausbruch von Verzweiflung, Wut und Frustration gegen eine übermächtige chinesische Herrschaft, wie sie sich dieser Tage wieder in Lhasa Bahn bricht: Tagsüber brennende Polizeiautos und Polizeistationen, Barrikaden auf den Straßen. Demonstranten. Später hallten Schüsse durch die Nacht.
Ausländer bekamen in ihren Hotels die Nachricht zugestellt, sich nicht auf den Straßen zu bewegen. Für unsere Sicherheit hätten die Behörden nicht mehr garantieren können, ließen sie uns wissen. Am Morgen danach war Lhasa „befriedet“. Totenruhe. Patroullierende Soldaten. Anspannung. Unsicherheit. Die Provinz wurde danach abgeriegelt, allerdings nur oneway: Ausländer, die da waren, durften (auch für uns damals irritierend) bleiben. Nur hinein führte kein Weg.
Es wundert mich nicht, wenn ich heute im Fernsehen Tibeter sehe, die ausgerechnet die Fassade der Bank of China zerlegen. Das Symbol der Fremdherrschaft, Finanzier einer sicherlich auch in Tibet rasanten Wirtschaftsentwicklung, die allerdings die Tibeter zu Fremden im eigenen Haus macht. Die Chinesen haben längst die Mehrheit übernommen. Zu DDR-Zeiten kursierte der Witz, wie China einen (Bruder)-Krieg gegen die Sowjetunion gewinnen könnte: Sie schicken einfach ein paar Hunderttausend Leute in russische Kriegsgefangenschaft… Auf diese Weise gewann China den unerklärten, schleichenden Krieg gegen Tibet und seine Bewohner. Die Partei schickte zehntausende Han-Chinesen auf das Hochplateau. Sie bevölkern die Städte und Dörfer und sind die Chefs im Land.
Dass Frust, Wut und Verzweiflung sich immer wieder entladen müssen, haben sich die Chinesen selber zuzuschreiben. Niemand muss die teilweise seltsamen Rituale und religiösen Gepflogenheiten der Tibeter gut finden, um den chinesischen Umgang mit diesem Volk arrogant, rassistisch, unwürdig und unentschuldbar zu nennen. Wenn der Dalai Lama heute vom kulturellem Völkermord spricht, kommt er der Wirklichkeit im Himalaya dieser Tage beängstigend nahe.