Gespräch mit Joseph Weizenbaum – Teil 3

Am Mittwoch letzter Woche (05.03.08) ist der Hacker, Computerphilosoph und Gesellschaftsanalytiker Joseph Weizenbaum gestorben. Ich habe ihn 1998 besucht, um ihn für die Zeitschrift Psychologie Heute (Heft 12/98) zu interviewen. Ich veröffentliche das ausführliche Gespräch erneut, verteilt über vier Blogeinträge. Es hat wenig von seiner Aktualität eingebüßt, obwohl es entstanden ist, bevor Internet, Handy und Laptop zu wirklichen Massenphänomen wurden. Zeitlos also das Gespräch, trotz der rasanten Entwicklungen gerade in diesem Bereich und ein Zeichen dafür, wie werthaltig Weizenbaums Betrachtungen sind.

Teil 2 11.03.08, Fortsetzung:

Zettmann: Wenn keine Computerkabinette, was soll die Schule dann leisten?

Weizenbaum: Die Grundfrage überhaupt ist die danach, was die Schule in unserer Gesellschaft für Funktionen hat. Wenn man das irgendwie beantwortet hat, kann man sich fragen, wie man die Prioritäten gestaltet. Ich bin völlig überzeugt, daß die erste Aufgabe der Schule ist, den Kindern ihre eigene Sprache beizubringen, so daß sie klar und korrekt Ideen artikulieren können, daß sie Sprechen und Schreiben können, daß sie kritisch Lesen und Hören können, daß all das gelehrt wird, was die Sprache verlangt.
Ich glaube, unsere Alltagssprache ist die Sprache unseres Denkens und unserer Wahrnehmung. Sie ist unsere Beschreibung der Welt und unsere Geschichte. Die Sprache ist für das intelligente Leben genauso wichtig wie die Sprache der Mathematik für die Physik unabdingbar ist. Und jetzt schauen sie sich um, wie es in den westlichen Ländern um die Sprache bestellt ist. Die amerikanische Regierung sagt uns, daß ein Drittel unserer Jugend funktional analphabetisch ist. Das nenne ich eine Katastrophe, eine Art Selbstmord für das Land. Nicht daß Geld die Lösung wäre, aber vielleicht wäre es besser, das Geld für kleinere Klassen, für mehr Deutsch- bzw. Englischlehrer und -lehrerinnen auszugeben anstatt für Computer, die zudem auch noch falsch benutzt werden.

Z: Vielleicht könnte aber doch die Beschäftigung mit dem Computer und mit dem, was der Computer an Projektionsfeld und Phantasieraum aufmacht, wieder ein wenig Lebendigkeit, Spaß und die Lust am Lernen zurück in die Schulen bringen bspw. weil Themen aufgegriffen werden, die Jugendliche interessieren, und welche die herkömmliche Schule nicht vermitteln werden können, weil das Interesse der Schülerinnen nicht geweckt werden kann..

W: Wenn das so ist, und ich glaube es ist so, daß die Kinder die Schule nicht mögen…. In Amerika betrachten viele Kinder die Schule als minimale Sicherheitsverwahrung, als Gefängnis, zu dem sie verurteilt sind bis zu einem gewissen Alter, das stimmt – aber dann ist es doch zuallererst notwendig sich zu fragen, warum das so ist. Hinter der Idee, die Kinder könnten durch Computer motivierter werden und daß es Spaß machen kann, ist auch die Idee, daß Spaß ein wichtiger Bestandteil der Schulerziehung ist. Ein Engländer hat mal gesagt, es spielt keine Rolle, was man Kindern lehrt, so lange sie es hassen. Ich bin da nicht ganz dabei.
Wirkliches Lernen, Begreifen, Verstehen – nicht nur in der Schule, sondern auch im Leben – geht nicht mühelos. Es ist sogar die Mühe, die dazu führt, daß das Gelernte verinnerlicht wird. Wenn ich ein Buch lese, dann muß ich die Charaktere, den Hintergrund, die Landschaft und die Häuser alles selbst herstellen. Das ist ganz anderes als Fernsehen, das mir alles vorgefertigt präsentiert. Ich muß also die Geschichte selber in mir entstehen lassen und später kann ich mich erinnern, daß ich als 11jähriger „Onkel Toms Hütte“ gelesen habe – und daß ich geweint habe. Es ist für mich über 60 Jahre her, daß ich das gelesen habe, aber daran erinnere ich mich. An den Film, wenn ich einen gesehen habe, erinnere ich mich überhaupt nicht. Ich mußte mir keine Mühe machen. Und deswegen ist das Fernsehen so langweilig.

Was ich mit meiner Argumentation zum Ausdruck bringen will, ist, daß die Leute, die über solche Sachen nachdenken ein wenig tiefer ansetzen, unter die Oberfläche gehen.
Wenn es wirklich so ist, daß Kinder die Schule nicht mögen, daß sie lieber mit einem Computer „reden“ als mit einem Lehrer, daß sie lieber zu Hause bleiben oder wo auch immer, statt die Schule zu besuchen, dann muß man zuerst fragen, warum und wie läßt sich das verbessern. Es ist durchaus möglich, daß der Computer in manchen Fällen helfen könnte, die Situation zu verbessern, aber mit dem Computer anzufangen, ist nicht vernünftig. Zu sehr klingt mir das danach, der Computer könnte eine Lösung sein, die sich auf allen Gebieten ihre Probleme sucht.

Z: Mit dem Computer können wir Arbeiten, Lernen, Spielen, mit anderen Menschen kommunizieren und uns informieren. Der universale Apparat vermag immer weitere Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vollbringen. Wie konnte es zum großen Erfolg des Computers kommen?

W: Die meisten Computer sind heutzutage versteckt, die sehen wir gar nicht. Wenn heute ein Auto nicht mehr funktioniert, kann es passieren, daß er den einen Chip rausnimmt und gegen einen anderen ersetzt. Und dann fährt das Auto wieder. Der Computer ist erfolgreich in Bereichen, von denen die wenigsten wissen. Lokomotiven werden gesteuert. Dennoch beruhen die Erfolge bspw. der Astronomie auf den Errungenschaften jener Forscher, die bis zur Erfindung des Computers Gleichungen mit der Hand ausgerechnet. haben, nicht auf den Leistungen moderner Rechenmaschinen heute. Manchmal macht der Computer sogar möglich, was ohne ihn nicht möglich gewesen wäre.

Einsichtig ist, daß der Erfolg der Maschine darauf beruht, daß sie Dinge erledigt, die früher sehr viel schwerer zu bewerkstelligen gewesen sind oder eben gar nicht möglich. Zum Beispiel einfache Sachen, wie in einem sehr hohen Gebäude Funktion und Sicherheit der Fahrstühle zu überwachen. Es ist ein sehr erfolgreiches Gerät.

Z: Der Erfolg führt uns in das Dilemma, daß der Computer menschliche Tätigkeiten und damit Fähigkeiten und Fertigkeiten entweder entwertet oder gänzlich abschafft.

Teil 1: 10.03.08
Teil 2: 11.03.08