Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge
Teil 10: Neid trägt viele Kleiderc
Teil 11: Aus der Sprachlosigkeit finden, wenn Neid die Stimmung trübt
Teil 12: Fragen zum eigenen Neid, die sich zu stellen lohnen
Teil 13: Produktiver Umgang mit Neid erwünscht
Teil 14: Neid in sozialen Beziehungen – kulturelle und psychologische Grundlagen
Teil 15: Neid: Wie Tradition und Innovation sich blockieren
Nein, ohne den sozialen Vergeich geht es nicht. Der amerikanische Sozialpsychologe Festinger hat in den 1950er-Jahren eine Theorie des sozialen Vergleichs entwickelt. Diese Theorie basiert auf drei Annahmen:
- Wir möchten unsere Meinungen und Fähigkeiten bewerten, indem wir uns ein Bild davon machen, ob wir richtig liegen.
- Wenn uns objektive Vergleichsmaßstäbe fehlen, ziehen wir die Meinungen und Fähigkeiten anderer Personen für die Bewertung heran.
- Wir vergleichen uns nur mit jenen, deren Abstand zu unseren eigenen Meinungen und Fähigkeiten nicht allzu groß sind.
Da uns in den meisten Bereichen objektive Vergleichsmaßstäbe für eine Bewertung fehlen, ist die Neigung sehr groß, uns mit anderen zu vergleichen. Was wichtig und richtig ist für uns, wie wir dastehen in der Welt und wie selbstbewusst wir sein dürfen, legen wir auf der Grundlage eines Vergleiches fest, bei dem wir entweder gut oder schlecht abschneiden. Gerade Einstellungen zur Welt, zum Leben, zu Besitz, zu sich selbst oder auch Bewertungen von Fähigkeiten und gesellschaftlichen Entwicklungen hängen stark von Vergleichen mit Menschen ab, die für uns bedeutsam sind.
Natürlich werden wir die Informationen, wie wir unsere Bewertungen einzuordnen haben, nicht bei denen holen, die komplett konträre Anschauungen vertreten: Ein Befürworter des Schwangerschaftsabbruchs wird die eigenen ethischen Einschätzungen nicht auf der Basis der Einschätzungen eines strikten Abtreibungsgegners bewerten. Ein Elternpaar wird das emotionale Verhältnis zu den eigenen Kindern intern vergleichen (eine große Quelle für Neid!), aber auch den externen Vergleich suchen – allerdings mit einem Paar, das ebenfalls Kinder hat, nicht mit einem kinderlosen Paar. Das kinderlose Paar wird zum Vergleich erst dann herangezogen, wenn es beispielsweise um die Kostenseite des Kinderkriegens geht.
Neben dem Bedürfnis, unsere Meinungen und Fähigkeiten zu bewerten, lässt sich ein weiterer Grund erkennen, sich sozial zu vergleichen: Unsere soziale Identität beruht auf sozialem Vergleich. Identität entsteht im Kindesalter neben der früh entwickelten Fähigkeit, „ich“ zu sagen, auf der Basis verschiedener Zugehörigkeiten: zu einer Sprachgemeinschaft, zu einer ethnischen Gemeinschaft, zu den Jungen oder den Mädchen, zu einem Fußballverein, zu einer Glaubensgemeinschaft. Gefühle der Zugehörigkeit und damit der Identität entwickeln sich durch einfache Feststellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, die auf Vergleichen beruhen. Bin ich so wie dieser oder wie jener? Ich habe etwas, das der andere nicht hat! Ich sehe etwas an mir, das ich bei anderen nicht sehe! Mir fehlt etwas, das ich bei anderen sehe! Wenn der eine redet, verstehe ich, wenn der andere redet, verstehe ich nicht.
Durch das dauernde Erkennen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten, durch das immerwährende Vergleichen, wachsen Kinder in die Gemeinschaften hinein, zu denen sie sich zugehörig fühlen. Auf diese Weise stiften die Vergleiche Identität. Manche ihrer Anteile bleiben starr (die Gemeinschaft der Muttersprachler, die ethnische Zugehörigkeit, bis auf wenige Ausnahmen: das Geschlecht), manche Anteile können sich verändern (der Fußballverein, die Mode, der Glauben). Da es auch konkurrierende Gemeinschaften gibt und Vergleiche, die uneindeutig ausgehen, verläuft die Identitätsbildung selten reibungsfrei und komplikationslos.
Teil 17: Sozialer Vergleich bildet Identität
Teil 18: Neid braucht Beziehung – und auch nicht