Kampagne gegen IQWiG und Sawicki?

Seit der „Dienst für Gesellschaftspolitik“ in seiner Ausgabe 47/07 behauptet hat, IQWiG-Chef Peter Sawicki bevorteile über die Auftragserteilung des IQWiG seine eigenen Seilschaften, gärt es in Berlin rund um das Gesundheitsministerium und die gemeinsame Selbstverwaltung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Sind die Vorwürfe belastbar? Oder handelt es sich um den miesen Versuch, über einen Pharma-Industrie gesponsorten Nachrichtendienst, ein ungeliebtes Institut und dessen gehassten Chef zu diskreditieren?

Bald nach Erscheinen des Textes beschäftigt sich der Stiftungsvorstand des IQWiG mit den Vorwürfen. Es kommt zu einer Meldung ans Ministerium und dessen Chefin Frau Schmidt. Der G-BA beschließt daraufhin, die externe Auftragsvergabe des IQWiG gutachterlich prüfen zu lassen.

Inzwischen haben das Ärzteblatt, die Berliner Zeitung und die Ärztezeitung das Thema aufbereitet. Laut Ärzteblatt begrüßt Sawicki die Prüfung: „Ich begrüße es sehr, wenn ein externer Gutachter unsere Vergabeverfahren der vergangenen Jahre prüft. Bisher versichere nur ich, dass es darin keine Unregelmäßigkeiten gibt. Aber ein externes Gutachten würde diese Vorwürfe endgültig aus der Welt schaffen.

Fortsetzung folgt.

Immer mehr MVZ

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind fachübergreifende, ambulante Versorgungsangebote, 2004 in §95 des fünften Sozialgesetzbuches aufgenommen. Deren Träger sind Zusammenschlüsse niedergelassener Ärzte, Krankenhäuser oder Managementgesellschaften. Neueste Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) belegen ein ungebrochenes Wachstum dieser neuen Versorgungsform: Inzwischen gibt es in Deutschland 880 MVZ. In denen arbeiten rund 3600 Ärzte, davon etwa zwei Drittel angestellt. MVZ beschäftigen also etwa 2,7% aller im ambulanten Bereich praktiziererenden Ärzte.

Das klingt zunächst nicht nach viel. Wenn aber dem Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) gelingt, was er in der Region Kassel beabsichtigt, könnten irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft auch die Krankenkassen selbst MVZ betreiben – und die Niedergelassenen hätten einen wirklich mächtigen Konkurrenten am Hals: Testlauf für den Kassenarzt (FTD 18.10.2007).

Es bleibt spannend im deutschen Gesundheitssystem…

DAK-Motivationstest online

Ich habe in den vergangenen Wochen einen Motivationstest für das Internet-Angebot der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) entwickelt. Zentrale Frage: Wie ist die Motivation des Testanwenders, ein bestimmtes, gesundheitsbezogenes Ziel (bspw. Rauchen abgewöhnen, mehr Bewegung) zu erreichen?

Der Testablauf: 11 Fragen zu Zielbindung, Handlungskontrolle und Problemlösen erfassen die Motivationslage.

Testauswertung: Die Rückmeldung liegt möglichst nah an den jeweiligen Benutzereingaben – und variiert abhängig vom Antwortprofil. Ich versuche also nicht wie üblich, vorgestanzte Textblöcke auszugeben. Vielmehr ist die Ausgabe so gestaltet, dass sie die Eingaben ernst nehmen und spiegeln.

Probiert den Test aus – und meldet mir zurück, wie er gefällt. Könnt Ihr mit der Test-Auswertung etwas anfangen? Hat der Test einen Nutzen?

Schreibt mir an motivation-at-zettmann-punkt-de!

Armut macht krank…

Um dieser wissenschaftlichen Binsenweisheit einmal gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, veröffentlichten Anfang der Woche mehr als 230 wissenschaftliche Zeitschriften (z.B. Dt. Ärzteblatt, JAMA, The Academy of Sciences for the Developing World Newsletter) in einer „Global Theme Issue on Poverty and Human Development“ über 750 Fachaufsätze zu Armut und menschlicher Entwicklung.

Im Zentrum stehen dabei die gesundheitlichen Auswirkungen von Phänomenen wie bspw. Fehlernährung, mangelnder Hygiene oder Bildungsmangel, die eng an Armut gekoppelt sind.

Die Projektleitung hat das „Kollegium der Wissenschaftsredakteure„. Auf dessen Seiten findet sich eine Liste aller themenbezogenen Veröffentlichungen.

Mangel auf Kuba bessert die Gesundheit

Einen sehr interessanten Aufsatz zum Zusammenhang von Wirtschaftskrise und Gesundheitsstatus veröffentlichte vor kurzem das American Journal of Epidemiology: Impact of Energy Intake, Physical Activity, and Population-wide Weight Loss on Cardiovascular Disease and Diabetes Mortality in Cuba, 1980–2005.

Im Zuge der Wirtschaftskrise (1989-2000) nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion reduzierte sich die Kalorienaufnahme der kubanischen Bevölkerung. Weil das Öl knapp wurd, nahm gleichzeitig die körperliche Aktivität zu. Das führte im zweiten Teil der 1990er Jahre zu einer deutlichen Reduzierung des Körpergewichts. Die Diabetes-Sterblichkeit verringerte sich dramatisch – und auch die Sterblichkeitsziffern für Herzerkrankungen und Schlaganfall veränderten sich positiv.

Die Ergebnisse zeigen, dass eine Reduktion der Energiezufuhr gesundheitsrelevante Effekte hat. Zwar verzichteten die Kubaner nicht freiwillig auf die Kalorien, und auch die vermehrte körperliche Aktivität (Fahrrad fahren, Gehen) wurde ihnen abgenötigt. Dennoch wird dadurch sichtbar, welche langfristigen Effekte präventive Maßnahmen haben.

Niemand sollte allerdings die falschen Schlüsse ziehen und nun eine Beschränkung der verfügbaren Kalorienmengen fordern, um das Risiko für Herzerkrankungen und Diabetes positiv zu beeinflussen. Die Zwangskrise einer ganzen Volkswirtschaft führt zu einer Reduktion der Energiezufuhr in allen Bevölkerungsteilen, also auch bei jenen, die möglicherweise sowieso schon mangelernährt sind. Das Risiko für Kinder und Alte wächst, unter dem Mangel zu leiden. Die Studie weist das für die Alten nach. Deren Gesamtsterblichkeit ging im untersuchten Zeitraum leicht in die Höhe.

Gleichwohl stellt sich die Frage, wie sinnvoll bevölkerungsbezogene Präventionskampagnen unter Freiwilligkeitsbedingungen sind. Alle wissen, was Sie tun müssten, aber es gibt keine Möglichkeiten, die Verhaltensänderungen zu erzwingen. Zumal die Studie ein weiteres Ergebnis liefert: Ab dem Jahr 2000 bessert sich die kubanische Wirtschaftslage – und die Diabetes- und Herzkreislauf-Sterberaten steigen wieder.

Neues Pflegegesetz auf dem Weg

Heute verabschiedete das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz, pdf). Laut dem federführenden Bundesministerium für Gesundheit enthält die Gesetzesinitiative folgende Eckpunkte:

1. Stärkung der ambulanten Versorgung nach persönlichem Bedarf
2. Ausgestaltung der finanziellen Leistungen
3. Einführung einer Pflegezeit für Beschäftigte
4. Stärkung von Prävention und Rehabilitation in der Pflege
5. Ausbau der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Transparenz
6. Unterstützung des generationsübergreifenden bürgerschaftlichen Engagements
7. Abbau von Schnittstellenproblemen
8. Förderung der Wirtschaftlichkeit und Entbürokratisierung
9. Stärkung der Eigenvorsorge und Anpassung der privaten Pflegepflichtversicherung an die Regeln des GKV-WSG
10. Finanzierung: Die Beitragssätze werden ab 01.07.2008 um 0,25% steigen, von jetzt 1,7% auf 1,95% (mit Kindern), ohne Kinder von jetzt 1,95% auf 2,2%.

Update, 09.04.08: Neues Pflegegesetz – Was haben Demenzkranke davon?
Update, 13.04.08: Neues Pflegegesetz – Was haben pflegende Angehörige davon?

Industrie impft STIKO

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat im März diesen Jahres empfohlen, Mädchen zwischen 12 und 17 gegen Humane Papillomaviren (HPV) zu impfen. Die Schutzimpfung (vor dem ersten Geschlechtsverkehr), soll das Risiko verringern, viele Jahre später Gebärmutterhalskrebs zu entwickeln. In Deutschland sterben jährlich rund 1700 Frauen an diesem Krebs.

Die Empfehlung ist medizinisch umstritten, im besten Fall. Wie das Verbraucher-Magazin „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ berichtet, beruht die Zulassung des Wirkstoffes auf vorläufigen Daten. Inwieweit die Impfung tatsächlich gegen den Krebs schützt, weiß niemand, denn darüber liegen keinerlei Daten vor. Sowieso kann der Impfstoff nur gegen vier von mehr als 100 Warzenviren immunisieren. Deswegen betont auch ein Werbefilmchen des Herstellers, dass die üblichen Vorsorgeuntersuchungen weiterhin notwendig seien. Es bleibt also die Frage: Warum eine solche Impfung? Für alle! Und welche unrühmliche Rolle spielt die STIKO dabei?

Die Substanz wird als Hoffnungsträger verkauft, die erstmals einen Krebs durch Impfung verhindert. Das geschieht mit einer massiven Angstkampagne, wie der Beitrag in der TAZ vom 07.08.07 für die Stadt Bremen belegt. Schließlich scheint die Industrie manchen HPV-Impf-Befürworter in Ihrem Sinne geimpft zu haben:

Vier Monate vor der Markteinführung des Impfstoffes nahm der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission einen mit 10000 Euro dotierten Preis an (Pressemitteilung, PDF) – für seine Verdienste um die Förderung des Impfgedankens. Sponsor des Preises: HPV-Impfstoff-Hersteller Sanofi Pasteur MSD. Selbstverständlich hatten die Preisverleihung an den STIKO-Chef und die Impfempfehlung der STIKO nichts miteinander zu tun. Aber wer einen solchen Preis bekommt, muss sich natürlich verpflichtet sehen, den Impfgedanken bei einer so passenden Gelegenheit wie der Anti-Warzenviren-Spritze weiter zu fördern…

Andere Medien berichteten ebenfalls: Das ARD-Verbrauchermagazin PlusMinus sendete diesen Beitrag. Die Süddeutsche Zeitung bezog auf Ihrer Wissensseite Stellung.

Milchzahnkaries

Zwei medizinische Fachverbände der Kinder- und Jugendmedizin streiten sich. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGK) und die Deutsche Akademie für Kinder und Jugendmedizin (DAKJ) sind uneins darüber, wie Karies bei Milchzähnen effektiv verhindert werden kann.

Eine Fachgesellschaft (DGK) behauptet, die Verwendung Fluorid-haltiger Zahnpasten ab dem ersten Zahn sei zielführend. Die andere Fachgesellschaft (DAKJ) wiederum hält Zahnpasta in erster Linie für ein kosmetisches Mittel. Das dürfe Säuglingen und Kleinkindern nicht zugeführt werden, denn sie das schluckten meiste davon herunter. Stattdessen sollten Eltern ohne Zahnpaste putzen und das Fluorid per Tablette zuführen.

Und jetzt? Wofür soll ich mich entscheiden? Welche Fachgesellschaft hat recht? Welcher Weg ist der richtige? Weiter mit Pasten hantieren oder gegen Tabletten eintauschen? Ich weiß nur noch nicht, wie das Fluorid der Tablette an die Zähne kommen soll, um dort die Karies zu verhindern. Beim Putzen mit Paste schluckt das Kind zwar den größten Teil, aber das Fluorid landet zunächst an den Zähnen. Bleibt  die Frage: Sind alle anderen Bestandteile der verschluckten Zahnpaste im Dauergebrauch unschädlich bzw. unbedenklich einzunehmen?

Ich singe also weiter mein Zahnputzlied und wechsle demnächst mal die Paste…

Demenz – Unterversorgung mit Medikamenten

Heute, zum Weltalzheimertag, nutzen wieder all jene die Gunst der Stunde, die die Öffentlichkeit glauben machen wollen, Alzheimer-Patienten seien unterversorgt. So wiederholt die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie in schöner Regelmäßigkeit, nur soundso viele Patienten mit Alzheimer bekämen die adäquate (und sie meinen damit, medikamentöse) Therapie. In diesem Beitrag in der Ärztezeitung wird mit einem Anteil von 50% aller ambulant versorgten Alzheimer-Patienten hantiert.

Pharmaindustrieerzeugtes Geschwafel wird nicht intelligent, wenn es andauernd wiederholt wird. Niemand von denjenigen, die Webseiten wie alois.de, alzheimerinfo.de oder medizinnews.de betreiben, setzt sich dem Risiko aus, seriös zu argumentieren. Dann würden deren jämmerliche Zahlengebäude nämlich zerplatzen wie Seifenblasen. Es ist grob beleidigend für jeden Behandler im Feld, wenn er mit Nonsens-Studien konfrontiert wird, die angeblich belegen, wie unterversorgt (mit Medikamenten) Demenz-Patienten sind.

Die Beweiskette: Es gibt eine Million (wahlweise 650000) Alzheimer-Fälle in Deutschland. In den Verordnungsstatistiken werden allerdings nur Antidementiva-Tagesdosen für einen Teil dieser Patienten ausgewiesen. Deswegen ist daraus der Schluss zu ziehen, der große Rest der Leute sei unterversorgt… Ein Beispiel dafür, wie solche Fiktionen produziert werden, liefert der Gesundheitsökonom Reinhard Rychlik im Auftrag des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller.

Als ob es nicht mindestens ein halbes Dutzend Gründe gäbe, die Medikamente einem alten, wahrscheinlich auch an anderen Erkrankungen leidenden Menschen nicht zu verordnen: Patienten sprechen nicht auf die Behandlung an. Patienten sind bereits in schwerem Stadium der Erkrankung. Patienten brechen die Therapie ab, weil die Nebenwirkungen zu heftig sind. Patienten sind gar nicht in der GKV versichert – und tauchen deswegen in den Verordnungsstatistiken nicht auf. Patienten weigern sich, die Medikamente zu nehmen bzw. sich überhaupt behandeln zu lassen. Von all dem abgesehen: Auch die Zweifel am Nachweis der Wirksamkeit sind keineswegs ausgeräumt.

Die insgesamt dürftige Beweisführung wird uns nun seit mehreren Jahren immer wieder aufgetischt. Gehaltvoller sind die Beiträge nicht geworden, aber die These prägt sich ein – zumal es dieser Tage sehr en vogue ist, den schlimmen Versorgungsstand von Alzheimer-Patienten zu beklagen.