Nach der Flucht ist vor der Trennung

Gastbeitrag von Nicola Wessinghage. Text veröffentlicht im Weblog InKladde am 26. Nov. 2015.

Ali Hassan und sein Neffe Hussam Hamad aus Syrien haben Ende August die Flucht nach Deutschland geschafft. Warum es ihnen bis jetzt noch nicht vergönnt ist, wirklich in Hamburg anzukommen.

Leider ist es ja vermutlich nur einer von vielen Fällen, in denen die deutsche Bürokratie in der aktuellen Flüchtlingskrise unglaubliche Geschichten schreibt. Umso wichtiger, sie zu erzählen und die ganze Absurdität im Konkreten zu zeigen.

Es ist die Geschichte des 32jährigen Ali Hassan und seines neunjährigen Neffen Hussam Hamad. Ende August kamen die beiden aus Syrien nach Deutschland. Registriert wurden sie am 14. September in der Erstaufnahme Asyl/Flüchtlinge in der Harburger Poststraße. Hier erfuhren sie, was geschehen sollte: Die Hamburger Behörden wollten sie trennen. Nach dem aktuellen Quotensystem wiesen die Behörden Ali Hassan Friedland in Niedersachsen zu. Sein Neffe Hussam dagegen ist in den Augen der Ausländerbehörde ein unbegleiteter Minderjähriger – mit diesem Status sollte er in Hamburg bleiben.

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Fotos: NDR Hamburg Journal

Was die Behörde sagt:

“Herr Ali Hassan hat keinen Anspruch auf eine Zuweisung nach Hamburg… Da Hussam nicht von einem Erziehungsberechtigten begleitet worden ist, gilt er als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling.”

Eine Abweichung vom Quotensystem und damit die Erlaubnis, dass Ali Hassan in Hamburg bleiben kann, will die Behörde bis heute nicht gewähren.

Hilfe in der Notsituation

Einem engagierten Menschen, Fathi Abu Toboul vom Verein “Deutsch-Jordanische Gesellschaft”, ist es zu verdanken, dass zumindest die Trennung der beiden bis heute verhindert werden konnte. Fathi beriet die beiden und empfahl Ali, die Unterschrift unter dem Asylantrag zunächst zu verweigern. Die NDR-Journalistin Lara Straatmann berichtete über Ali und Hussam im NDR-Hamburg-Journal. Durch den Beitrag wurde eine Hamburgerin auf das Schicksal der beiden aufmerksam, die Onkel und Neffe spontan bei sich zuhause aufnahm. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, um sie dem Zugriff der Behörden zu entziehen und damit ihre Trennung zu verhindern. Inzwischen leben die beiden in einem Zimmer in einem Hamburger Wohnprojekt.

Allen Beteiligten war klar, dass das, was die Behörden vorhatten, auf jeden Fall verhindert werden musste: Die beiden durften nicht getrennt werden, auch nicht für einen einzigen Tag.

Fathi, der Betreuer, sagt:

„Sie haben alles überlebt, sie haben es geschafft, nach Deutschland zu kommen – und jetzt sollen sie hier getrennt werden!“

Traumatisiert durch Erlebnisse in Syrien

Man muss nicht die ganze Geschichte der beiden kennen, um zu ahnen, was eine Trennung für Hussam bedeuten würde, was sie in ihm anrichten würde. Durch die Flucht aus Syrien und die Erlebnisse in seiner Heimat ist er bereits traumatisiert. Es ist nicht auszudenken, wie er es erleben würde, wenn man ihm seinen Onkel nimmt.

Ali sagt:

„Ich habe seiner Mutter versprochen, immer auf ihn aufzupassen. Seine Schwestern sind noch in Damaskus. Wir waren wochenlang zu Fuß unterwegs. Deutschland hilft doch den Syrern – warum das? Ich kann ihn doch nicht alleine lassen!“

Hussams Vater ist vor etwa zwei Jahren bei einem Bombenangriff auf das Flüchtlingslager Jarmuk in Damaskus ums Leben gekommen. Auch sein Onkel Ali lebte dort seit seiner Geburt, seine Eltern waren aus Palästina nach Syrien geflüchtet. Das Lager ist nacheinander von Assads Truppen und dem IS belagert worden, die Süddeutsche schreibt von „der Hölle auf Erden“.

Nach dem NDR-Beitrag und einem weiteren Bericht auf RTL-Nord sah es zunächst so aus, als würden die Behörden Einsicht zeigen. Ali konnte ein beglaubigtes Schreiben von Hussams Mutter vorweisen, die ihm die Vormundschaft überträgt. Es sollte sich nur noch um Tage handeln, so dachte Fathi, dachte die Frau, die sie aufgenommen hatte, dachten die Bewohner des Wohnprojekts, die ein freies Zimmer angeboten hatten, um die restlichen Tage bis zur endgültigen Entscheidung zu überbrücken

So dachten aber vor allem Ali und Hussam. Für sie bedeutet die offizielle Anerkennung als Flüchtlinge alles: Sie brauchen sie, um Papiere zu bekommen, Leistungen beziehen zu können, um offiziell krankenversichert zu sein. Sie brauchen den Flüchtlingsstatus aber vor allem, um einen Antrag stellen zu können auf den Nachzug ihrer Familienangehörigen: Hussams Mutter, seine Geschwister und Alis Ehefrau, die ebenfalls in Jarmuk lebt. Alle sind in dem Lager großen Gefahren ausgesetzt, jeden Tag riskieren sie ihr Leben bei weiteren Angriffen. Hussams Mutter ist tief verzweifelt darüber, nach dem Tod ihres Mannes nun auch noch von ihrem Sohn getrennt zu sein.

Quälendes Warten

Inzwischen warten Ali und Hussam und die Menschen, die sich hier in Deutschland um sie sorgen, schon über zwei Monate. Tagtäglich fragen sich die beiden und ihre Unterstützer/innen sich, warum nichts passiert. Weder wurden zwei Eingaben an die Bürgerschaft bearbeitet, die Fathi Abu Toboul und eine der Hamburger Wohnungsgeberinnen verfasst hatten. Noch gab es Rückmeldungen zu den Anträgen auf Krankenkassen- und Sozialleistungen.

Erste Schritte zur Integration

Das einzige, was in Hamburg funktioniert: Hussam geht seit Mitte Oktober in eine Aufnahmeklasse an einer Grundschule. Er macht sehr gute Fortschritte in Deutsch, seine Lehrerin ist begeistert von ihm und will sich ebenfalls dafür stark machen, dass er mit seinem Onkel in der Stadt bleiben kann. Hussam spielt Schach und Karten mit den Kindern, die in dem Haus wohnen, in dem er nun seit Wochen mit seinem Onkel lebt. An Halloween ist er verkleidet mit ihnen durchs Viertel gezogen. Die Bewohner sorgen gemeinsam dafür, dass die beiden das bekommen, was sie zum Leben brauchen, dass sie gesundheitlich versorgt werden. Ali Hassan litt wochenlang unter heftigem Zahnschmerzen. Ohne irgendeinen Nachweis in der Hand war es ein großer Aufwand, einen Arzt zu finden, der ihn behandeln wollte.

Gemeinsam mit Fathi und der ersten Wohnungsgeberin bündeln nun die Unterstützer/innen aus dem Wohnprojekt ihre Kräfte dafür, dass Ali und Hussam endlich offiziell in Hamburg leben dürfen – zusammen. Alle Beteiligten sehen, wie belastend die Situation für die beiden ist, wie sehr vor allem Ali das Warten lähmt und er immer mehr daran verzweifelt, nichts unternehmen zu können.

Ali sagt:

“Ich bin mein ganzes Leben lang ein Flüchtling gewesen. Hier fühle ich mich wie ein Flüchtling zweiter Klasse. Jeden Tag, an dem ich wach werde, hoffe ich, dass er bald vorbei geht – bis endlich etwas geschieht. Die Zeit läuft und nichts ändert sich für uns. Es ist so gut, dass wir hier aufgenommen wurden und Hilfe erhalten, aber warum ist das notwendig? Warum dürfen wir hier nicht leben wie alle anderen Flüchtlinge auch?”

Hussam sagt:

“Ich fühle mich sicher hier, ich gehe zur Schule, ich habe sogar schon Freunde gefunden. Aber ich vermisse meine Mutter und Geschwister sehr. Ich habe große Angst, dass ihnen etwas passiert. Ich wünsche mir sehr, dass sie auch nach Deutschland kommen können!”

Fathi sagt:

“Die Menschen in Deutschland engagieren sich sehr dafür, dass die Flüchtlinge hier gut aufgenommen werden. Die Hilfsbereitschaft der Menschen ist sehr beeindruckend. Aber die Behörden machen das kaputt, wenn sie in Fällen wie bei Ali und Hussam nur die Bürokratie regieren lassen.”

Eine Bewohnerin des Hauses sagt:

“Bei allem Verständnis für die hohe Belastung in den Behörden: Wie kann man nur auf die Idee kommen, diese beiden Menschen zu trennen? Warum gibt es keinen Widerstand bei den Mitarbeitern gegen eine Regelung, die so etwas vorsieht? In diesen Tagen ist Bürokratieabbau mehr denn je gefragt. Wir erwarten von den Behörden, dass sie hier die Menschen sehen und nicht die Vorschriften. Sie hätten sogar rechtliche Grundlagen dafür*.
Wir werden nicht zulassen, dass man die beiden trennt. Wir möchten nicht länger unsere Kraft dafür verschwenden, GEGEN eine irrsinnige Regelung anzugehen. Wir möchten uns endlich DAFÜR engagieren, dass diese beiden Menschen hier richtig ankommen können und ihre Familie hoffentlich bald nachziehen wird.“

*Inzwischen gibt es neben einer UN-Kinderrechtskonvention, die für Vertragsstaaten den Schutz der Familie vorsieht, auch ein Gesetz, das zum 1.11. erlassen worden ist: In § 42a (5) heißt es dort:

„Hält sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland auf, hat das Jugendamt auf eine Zusammenführung des Kindes oder des Jugendlichen mit dieser Person hinzuwirken, wenn dies dem Kindeswohl entspricht.“

Absurderweise haben viele Menschen im Augenblick die Sorge, dass nicht das Zusammenbleiben, sondern im Gegenteil die Trennung das ist, worauf die Ausländerbehörde „hinwirkt“.

Zwischen Vereinbarkeitslüge und verlogenener Betroffenheit

Die beiden ZEIT-Redakteure Marc Brost und Heinrich Wefing haben Anfang 2014 im eigenen Haus ein Befindlichkeits-Essay veröffentlichen dürfen, das Mitleid erweckt – wegen der Rührseligkeit der Autoren und der Zwangsherrschaft, die ZEIT-Chefs über ihre Mitarbeiter ausüben müssen, wenn man den Berichten der beiden glauben mag. Von der Hölle (zwischen Kindern, Familie und Job) ist in dem Essay die Rede – und von der Vereinbarkeitslüge.

Immerhin erlauben es die bösen ZEIT-Chefs den durch sie geschundenen Männern, sich auf der eigenen Firmenseite über dieses Chefs-Zwangssystem zu beklagen. Beeindruckend. Das würde mir das UKE sicherlich nicht gönnen.

Jetzt befeuern Brost und Wefing die Vereinbarkeitsdebatte mit einem Buch, das mit dem Essay von vor einem Jahr eröffnet wird und genauso betitelt ist: „Geht alles gar nicht“. Die Autoren setzen den Diskurs fort („Jetzt reden die Väter“), den die Journalistinnen Susanne Garsoffky und Britta Sembach im letzten Herbst aus weiblicher Sicht vorangebracht hatten: „Die Alles-ist-möglich-Lüge“.

Leider haben die Brost und Wefing ihren Essay nicht wirklich ausgebaut, sondern nur ein bisschen aufgeblasen. Zum Buch hochgejazzt wird die Klageschrift mit Interviews, die zum Ziel haben, die These der Autoren zu stützen. Es wird gar nicht erst der Versuch unternommen, jemanden zu finden, der die These widerlegt.

Mich erstaunt, wie trotzig erwachsene Männer darauf beharren können, nichts ändern zu wollen – an den eigenen Ansprüchen und Erwartungen, an der Arbeitslast, an der Unvereinbarkeit im Allgemeinen und im Besonderen, nichts. Konsequenterweise sind diese Männer auch felsenfest überzeugt, gar nichts ändern zu können. Dafür sollen die anderen sorgen. Es braucht „gesellschaftliche Veränderungen, politische Reformen, ein Umdenken in den Unternehmen“.

Halt. Stopp. Wie war das mit dem Unternehmen, für das die beiden arbeiten? Spätestens hier offenbart sich die Pose der Autoren, die einer ehrlichen Haltung im Weg steht: Waren sie zunächst betroffen, sind sie spätestens bei ihrem Forderungskatalog verlogen. Brost und Wefing sind eben nicht bereit, selber einen ersten Schritt zu gehen. Job Sharing, Teilzeit, Verzicht hier oder da, um etwas anderes zu gewinnen? Verzicht auf ein Smartphone auf dem Spielplatz? Geht alles gar nicht.

Der Arbeitgeber ist offensichtlich eher stolz und veröffentlicht nun auch einen Auszug aus dem Buch. In den Chefetagen des Verlags scheint sich niemand wirklich angesprochen zu fühlen, wenn es im Buch um „die Chefs“ und die „Unternehmen“ geht, die dafür sorgen, dass das Leben der Väter zur Qual wird. Und die gequälten Väter? – Haben sich ihren Text in den vergangenen 12 Monaten (nebenberuflich) abgerungen – natürlich wieder zu Lasten der Familie, wie der Danksagung am Ende des Buches zu entnehmen ist, nicht etwa zu Lasten ihres Engagements bei DIE ZEIT.

PS.: Lange bevor beide Bücher erschienen sind, empfahl die Bloggerin und Unternehmerin Nicola Wessinghage sich vom Alles-ist-möglich-Mythos zu verabschieden. Folgerichtig setzt sich Wessinghage in ihrem Blog mit beiden Büchern auseinander: Mit den Männern und mit den Frauen.

Kinder-Tourette

In der Psychiatrie ist das Tourette-Syndrom gut beschrieben, wenn auch noch nicht wirklich gut erklärt: Unwillkürliche, also nicht steuerbare, motorische und/oder verbale Verhaltensweisen, so genannten Tics oder Ticks.

Als Vater zweier Kinder im Alter von vier und sechs Jahren muss ich mich mit akuten Durchbrüchen des Phänomens herumschlagen: „F*** dich“ ist der frischeste Einwurf, neu importiert in die Familie vom Erstklässler. „Du blöder-Sch***ß-K**k-Papa“ ist ein der liebsten Wendungen des Vierjährigen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie er das gerne hätte. Für mich ist das Kinder-Tourette, weil ich dann den Kindern gar nicht böse sein kann, wenn sie mich mit Fäusten bearbeiten, treten, die Türen so knallen oder auch sonst die Kontrolle über Worte und Bewegungen nicht mehr ausüben können.

Zum Glück ist Kinder-Tourette so vergänglich wie ein Gewitter, in gewisser Weise ist es ja ein neuronales Gewitter, direkt zwischen den Ohren. Das Gewitter kann zwar kürzer oder länger dauern, aber danach kommt klare, gereinigte Luft und oftmals Sonnenschein – Ruhe und Frieden.

Fuck off, Halloween!

In den letzten Jahren habe ich eine veritable Allergie gegen Süßigkeiten-bettelnde, klingel-rutschend-marodierende Kinder bekommen, die Halloween ausnutzen, ihren sowieso übermäßigen Zuckerkonsum weiter zu erhöhen – und zwar ohne Gegenleistung!

Einfach im Schreckgespenstkostüm an der Tür stehen, Sturm klingeln und die Hand aufhalten. Nicht nur, dass diese Kinder einen belästigen, wenn sie bis 20 Uhr abends auf die Türklingel drücken – sie versetzen auch noch den Zweieinhalbjährigen in Angst, der sich ängstlich, mit massiv erhöhter Herzschlagfrequenz, an mich drückt und wissen will, was all diese Gestalten vor der Tür wollen und warum sie an unserer Wohnungstür herumlärmen.

Allein der Erpresser-Spruch „Süßes, sonst gibt’s Saures“, geht mir so gegen den Strich, dass ich die Kinderhorden am liebsten eigenhändig die Treppe runterstürzen würde. Zum Glück steht dem meine hart arbeitende Impulskontrolle im Wege. Welche bescheuerten und verantwortungslosen Eltern bringen ihren Kindern diesen Schwachsinn bei? Welche Eltern lassen es ihren Sprößlingen durchgehen, wildfremde Menschen am Sonntag Abend zu nötigen, ihnen Süßigkeiten rauszurücken?

Zu befürchten ist nämlich, ein Teil dieser Halloween-Hooligans findet Gefallen an solcherart Erpressung – und macht daraus ein Geschäftsmodell (auf dem Schulhof, in der Seitenstraße, auf dem Spielplatz). Oder aber sie werden sowieso von Leuten geschickt, die wissen, wie das Schutzgeldgeschäft funktioniert, und die dem Nachwuchs (spielerisch, versteht sich) die Chance geben wollen, eigene Erfahrungen zu sammeln…

Kindliches Sprachspiel 17

Mein großer Sohn (Anfang nächsten Jahres wird er 5) spielt für sich momentan gerne Fußballspiele nach: Er rennt durchs Kinderzimmer, kickt einen Wasserball und ruft: „Bayern München gegen Borussia Dortmund“ oder „Mainz 05 gegen Hannover 96“. Dazu zählt er ein paar Spielernamen auf, die sich den Ball zuspielen, so wie er es bei der Bundesligakonferenz im Radio aufschnappt.

Wie stark das kindliche Erleben durch diese medialen Einflüsse vermittelt wird, machen zwei Beobachtungen deutlich:

1. Michael Ballack und Simon Rolfes spielen in seinen nachempfundenen Leverkusen-Partien eine zentrale Rolle, obwohl beide seit Monaten verletzt sind und beide die das Kind prägende WM2010 nicht gespielt haben. Ja, das Kind hat keinen von beiden je Fußball spielen sehen (im Gegensatz zu Özil, Khedira, Forlan, Messi und all den anderen). Aber immer wieder wird von den Erwachsenen oder eben im Radio über sie geredet. So hat es Ballack ganz ohne Leistungsnachweis zum Lieblingsspieler des Kindes geschafft.

2. Die Informationen, die auf das Kind einströmen, vermischen sich – und der Junge baut sie neu zusammen: Vor wenigen Tagen spielte er „Stuttgart 21 gegen Schalke 04“, :-).

Schulreform in Hamburg – was bleibt?

Ein bisschen wehmütig bin ich doch wegen der verpassten Chance für mehr Gemeinsamkeit in den ersten sechs Schuljahren. Auch wenn ich darüber in meiner ersten Reaktion am Sonntag hinweg gegangen bin.

Und mein Kopfschütteln über die tief verwurzelten und weit verbreiteten Ängste der Eltern aus den Gut- bis Bestensverdienermilieus hält an: Angst vor Abstieg der eigenen Kinder, Angst vor Veränderung, Angst vor Entwicklung, Angst vor Konkurrenz, wenn Bedürftige besser gefördert werden.

Dennoch bleiben vom neuen Schulgesetz ein paar wichtige Neuerungen. Und die haben es nicht minder in sich, wenn Sie gut umgesetzt werden – und könnten dem Hamburger Schulwesen durchaus ein neues Gesicht verpassen, auch ohne das Aushängeschild Primarschule und dem längeren gemeinsamen Lernen. Wir werden sehen, ob die Reformbefürworter, die es ja in den gut situierteren Stadtteilen auch gab, nun ihre Kinder auf den Stadtteilschulen Abitur machen lassen…

Was also bleibt (laut Massnahmenkatalog der Schulbehörde)?

– Haupt-, Real- und Gesamtschulen werden zu Stadtteilschulen zusammengeführt
– kleinere Klassen (maximal 23 Köpfe, in manchen Stadtteilen nur 19)
– mehr Lehrkräfte werden eingestellt
– Lehrkräfte sollen verstärkt in Teams arbeiten
– ein Lehrerfortbildungsprogramm soll die Lehrkräfte besser befähigen, Unterrichtsmethoden wie Gruppenarbeit, Lernwerkstätten, Wochenpläne anwenden zu können
– ein verbindliches Gespräch in jedem Schulhalbjahr über den Leistungsstand der Kinder, das alle drei Seiten (Lehrkräfte, Eltern, Kinder) einbezieht
– keine Wiederholung von Klassen
– Kinder mit Behinderungen können eine allgemeine Schule besuchen

Wenn all die Maßnahmen umgesetzt werden und fruchten, besteht durchaus Hoffnung, dass meine Kinder (im Moment erst 2 und 4 Jahre alt) von einem verbesserten Schulsystem profitieren. Und wie gesagt: In den Stadtteilschulen können die Schülerinnen und Schüler, wenn es denn sein soll, 13 Jahre gemeinsam lernen!

Wie die Schulbehörde Ihrer eigene Kampagne vertreten sehen will, ist in diesem Ausschreibungstext (PDF) nachzulesen, der ebenfalls noch einmal die Eckpunkte und Ziele der Reform zusammenfasst.

Schulreform in Hamburg gescheitert

Leider ist der Versuch gescheitert, in Hamburg eine sechsjährige, gemeinsame Grundschule einzuführen. Die Initiative gegen die Schulreform „Wir wollen lernen“ hat sich durchgesetzt und das nötige Quorum von mindestens 247000 Stimmen erreicht.

Gratulation!

Ich habe mich zwar für die Primarschule ausgesprochen, aber ich nehme das Ergebnis sportlich. Es gibt so oder so ziemlich viel zu tun, die Qualität der Hamburger Schulen zu verbessern, egal ob mit einer vier- oder einer sechsjährigen Grundschule. Ich glaube schon gar nicht, wohl und wehe unserer Kinder hinge von der Schulstruktur ab. Viel wichtiger sind die Lehrerinnen und Lehrer – und was die daraus machen. Leider scheinen nur deren wenige den Schülerinnen und Schülern, so wie sie nun mal sind, dauerhaft gerecht zu werden. Deswegen: Das Defizit liegt nicht so sehr in der Struktur als vielmehr in der Ausbildung der Lehrkräfte.

Die Bezahlung tut noch das Übrige: Je jünger die Kinder, desto schlechter die Gehälter. Am miesesten werden die Leute in der Krippe vergütet, obwohl wir hier in Hamburg schon heute 400 Euro für einen Krippenplatz bezahlen. Dann kommen die schlecht bezahlten Grundschullehrerinnen, dann die privilegierten Gymnasialkräfte. Kein Wunder, dass sich jene Männer und Frauen, die eine Chance für sich sehen, in die höheren Gehaltsklassen zu kommen, die Krippen, Kitas und Grundschulen links liegen lassen und eben ans Gymnasium gehen. Für die Allerkleinsten bleiben all die anderen, denen der Zugang zu höherer (Aus)-Bildung verschlossen ist.

So finanz- und ausbildungshierarchisch aufgestellt ist das deutsche Bildungssystem – und daran hätte auch eine Primarschule nullkommanix geändert. Also: So richtig gibt es keinen Grund, ihr eine Träne nachzuweinen.

Pro Schulreform Hamburg

Bei allen Schwierigkeiten, die uns Eltern mit der Schulreform in Zukunft erwarten, bei all der organisatorisch-logistischen Herausforderung, die damit verbunden ist: Eine Weiterentwicklung des Schulsystems ist dringend geboten, inkl. des längeren gemeinsamen Lernens.

Heute in zwei Monaten ist der Tag der Entscheidung!

Hier ein paar Links zu den Pro-Schulreform-Kampagnen:

Behörde für Schule und Berufsbildung
PRO Schulreform Hamburg e.V.
Chancen für alle – Hamburger Allianz für Bildung e. V. – Die Schulverbesserer

Spontanheilung beim Kind

Als Angestellter im Gesundheitswesen weiß ich wie wichtig es ist, möglichst jeden offiziellen Arztkontakt zu vermeiden – aus finanziellen Gründen für die Solidargemeinschaft und aus gesundheitlichen Gründen für den eigenen Körper. Denn wo viel untersucht wird, wird naturgemäß auch viel Krankheit gefunden. Und das ist nicht in meinem Interesse.

Der jüngere meiner Söhne (2 Jahre alt) hat dieses Prinzip wohl bereits verinnerlicht: Er stürzte gestern mit dem Laufrad, fuhr damit noch nach Hause. Allerdings benutzte er beim Abendessen seinen linken Arm nicht mehr. Auch nach Aufforderung wollte er ihn nicht heben, sich nicht damit abstützen, etc. Als er heute morgen aufwachte, lag der Arm noch immer schlaff neben ihm.

Ausgekugelt? Verrenkt? Verstaucht?

Zunächst schüttelte er den Kopf als ich ihn bat, den Arm zu heben. Er schüttelte auch den Kopf, als ich ihn fragte, ob ihm etwas weh täte. Dann kam mir die rettende Idee: „Dann müssen wir eben zur Ärztin, Frau R., gehen, wenn du den Arm nicht bewegen kannst.“

Er guckte kurz und streckte dann ohne weiteres Zögern den Arm in die Höhe. Seitdem sind keine weiteren Beschwerden augenfällig geworden.