Minister Bahr im Lobby-Modus

Endlich haben wir mal wieder etwas von Gesundheitsminister Daniel Bahr gehört. Und der hat gleich einen richtigen Treffer gelandet.

Er hat der Rhein-Zeitung gesagt, er wolle, „dass alle Menschen selbst entscheiden können, wie und wo sie sich versichern wollen. Das ist meine Vision. Notwendig ist, dass jeder die Grundleistung versichert hat„.

Nun ja, Herr Bahr, mit Visionen ist das so eine Sache…

Das was uns hier vom amtierenden Minister so locker und leicht als Wahlfreiheit untergejubelt wird, ist weder wünschenswert für die Versorgung der Kranken noch umsetzbar, ohne die Krankenversorgung für viele schlechter zu stellen.

Es wäre der endgültige Abschied von einem solidarischen Gesundheitssystem. Es würden junge und gesunde Menschen mit gutem Erwerbseinkommen mittels Lockvogeltarifen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in eine private Police gelockt. In der GKV verblieben dann Rentnerinnen, Hartz4-Bezieherinnen, die Niedrigeinkommensklassen und die Kranken, die den Risikocheck der privaten Krankenversicherung (PKV) nicht bestehen – und deren Tarife entsprechend unbezahlbar wären.

Wahrscheinlich fänden sich ein paar Versicherte, die von der Bahr-Idee profitierten. Die eigentlichen Gewinner wären aber die privaten Versicherungsträger. Interessanterweise gilt Bahr als FDP-Fachpolitiker für das Gesundheitssystem. Das erscheint mir jedoch als ein Widerspruch: Entweder der Minister argumentiert dann wider besseren Wissens oder er hat am Ende doch keine Ahnung.

Schon manches Mal ist Bahr als Lobbyist für die Versicherungswirtschaft aufgefallen. Da wäre eine (private) Pflegetagegeldversicherung (Pflege-Bahr), die der Staat mit €5 monatlich bezuschusst, wenn der Versicherte €10 im Monat einsetzt und in Pflegestufe 3 mindestens €600 erhielte. Oder hier in einem Interview auf der PKV-Verbandsseite, wo er sein Programm bereits 2009 offenlegt: „Unser Ziel ist der private Krankenversicherungsschutz mit sozialer Absicherung für alle.“

Damit wollen Bahr und die FDP das Solidarsystems abschaffen. Wer das nicht will, kann durch eine klare Wahlentscheidung am 22.09. solche Pläne blockieren.

Aufstand der Hausärzte

Es steht gerade (wieder einmal) schlecht um den Ruf der Hausärzte in diesem Land: Von TAZ über FAZ bis zum unsäglichen Beitrag von Report Mainz prangern einige Journalisten sie diese Woche als unfähige, gierhalsige Abzocker an, die ihre Patienten instrumentalisieren, um die eigenen Interessen durchzusetzen.

Dabei übersehen die gesundheitspolitischen Kommentatoren, dass sie sich selber von den Lobbyisten der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) instrumentalisieren lassen und dem PR-Gesäusel des FDP-Ministers auf den Leim gehen, wenn sie behaupten, die Hausärzte gehörten doch sowieso zu den besonders Privilegierten, denen man allenfalls die Honorarzuwächse kürzen möchte, der Zuwachs an sich aber gar nicht in Frage gestellt würde.

Wie sehr hier brutaler, gesundheitsökonomischer Verteilungskampf inszeniert wird, bei der ärztliche Standesverbände, Kassenärztlichen Vereinigungen und (vor allen anderen) die Ersatzkassen um die Marktführerin BarmerGEK und die Pleitekandidatin DAK in seltener Eintracht gesundheitspolitisch geisterfahren, um sinnvolle Reformen im System zu blockieren, entgeht den hausarztkritischen Betrachtern in der schreibenden Zunft komplett.

Mit einigem Aufwand proben die Hausärzte nun den Aufstand: Röslerol & co werden in Stellung gebracht – allein die Botschaft ist schwer zu vermitteln.

Die Feinheiten des Versorgungssystems zwischen Kollektiv- und Selektivvertrag, die Honorarkämpfe zwischen Allgemein- und Gebietsärzten, die ungleichen Machtverhältnisse in den Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung, die Weigerung der großen Krankenkassen, Ihrer gesetzlichen Pflicht zur hausarztzentrierten Versorgung nachzukommen, der Nachwuchsmangel in der hausärztlichen Medizin, den selbst Herr Rösler einräumt – all das geht unter im Geklingel der Worte um Geld und Angst.

Die Ängste der Allgemeinärzte vor dem Existenz- und Bedeutungsverlust und die mit der jetzigen Kampagne erneuerten Ängste wegen eines möglichen Zusammenbruchs der wohnortnahen Versorgung, dem Wegbrechen der Versorgung insbesondere alter, chronischer kranker Menschen bis hin zur Warnung vor dem Verlust von Menschenleben, die der Geschäftsführer des Hausärzteverbandes, Eberhard Mehl, unter die Leute bringt.

Am Ende bleibt leider der fatale Eindruck: Nicht der Erhalt sinnvoller Reformstrukturen und ein weiterer Ausbau einer neuen Versorgungsqualität ist das Ziel der Allgemeinmediziner, sondern die bloße Besitzstandswahrung. Breite gesellschaftliche Unterstützung für ein womöglich berechtigtes Anliegen kommt auf diese Weise leider nicht zustande.

Regierungskommission, Kopfpauschale, Selbstverwaltung

Heute trifft sich die Regierungskommission Gesundheitswesen das erste Mal. 8 Ministerinnen und Minister, bei 15 Ministerien inklusive Kanzleramt mehr als die Hälfte der Regierung, werfen ihr Gewicht in die Waagschale, um das Gesundheitssystem voranzubringen.

Als Begleitmusik zu diesem Treffen veröffentlichte die Märkische Allgemeine vor ein paar Tagen einige Zahlen, die in der aktuell aufgeheizten Debatte sogleich auf fruchtbaren Boden fallen: 29 Euro pro Kopf als Einstieg in den Systemwechsel sollen von Röslers Ministerium angeblich geplant sein. Als Ausgleich soll der Extrabeitrag von 0,9 Prozent wegfallen, der im Moment von den Arbeitnehmern alleine getragen wird – seitdem die damalige rotgrüne Regierungsmehrheit diesen Sonderbeitrag 2004 beschlossen hat.

Wenn dies tatsächlich die angedachte Richtung ist, dann wird klar: Hier soll kein Versicherter entlastet werden. Hier wird zunächst einmal tief in die Tasche gegriffen. Eine Kopfpauschale in dieser Höhe würde (bei rund 50 Millionen vollversicherten Mitgliedern in der GKV) gigantische 17,5 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds spülen. Die Entlastung von 0,9 Prozent dagegen bringt den Versicherten – entsprechend der Faustregel 1 Prozent Beitrag = 10 Milliarden Euro – genau diese Summe. Netto werden die Versicherten also mit 7,5 Milliarden zur Kasse gebeten.

Aber wer weiß, vielleicht streicht das Ministerium ja noch andere Zuzahlungen, die momentan anfallen (Medikamente, Krankenhausaufenthalte, Praxisgebühr). Gleichwohl: Eine (von Kritikern befürchtete) Entlastung von Besserverdienenden ist auf diese Weise nicht mehr in Sicht. Allerdings ist auch nicht klar, woher die benötigten 5 Milliarden Euro Sozialausgleich kommen sollen.

Die Regierungskommission wird Herrn Röslers Konzept lauschen. Er wird zähneknirschendes Wohlwollen ernten und heute abend in den Nachrichten zitiert werden, er selber sei ganz entspannt und ganz froh und alles sei auf einen guten Weg gebracht – oder so ähnlich. Bis zur Wahl in NRW im Mai wird sowieso nix beschlussreif.

Und das zahlende Publikum? Sitzt da, ist genervt und resigniert. Und das System schüttet weiter Geld ohne Ende an diejenigen aus, die behaupten, uns immer gesünder machen zu wollen. An die, die unser Geld verwalten und entscheiden, wie viel davon in ihren Taschen bleibt, an die „Vampire in der Blutbank“, wie der SPIEGEL (32/2005) die Selbstverwaltung im Gesundheitssystem einmal nannte.

Wahrscheinlich müssen wir als zahlendes Publikum genau da aktiv werden: Diese Form der Selbstverwaltung in Frage zu stellen.

Update 18.03.2010
Laut Ärzteblatt sagt Minister Rösler zu den angeblichen Überlegungen, eine 29 Euro-Kopfpauschale einzuführen: „Das ist ausdrücklich nicht mein Modell.“

Regierungskommission Gesundheitswesen

Die Bundesregierung hat am vergangenen Mittwoch beschlossen, eine „Regierungskommission zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung des Gesundheitswesens“ einzusetzen.

In der Kommission sitzt das halbe Kabinett:

Der Bundesminister für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler (Vorsitzender)
Der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière
Die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble
Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle
Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen.
Die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner
Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder

Was soll das? Was will uns die Regierung damit bedeuten? Warum ist der Innenminister dabei, wenn es um die Finanzierung des Gesundheitssystems geht? Was steht denn dann bei so einem Treffen (1. Sitzung am 17.03.10) auf der Tagesordnung?

Ich wette, alle werden nach dem ersten Treffen erklären, sich für ein solidarisches Gesundheitssystem einzusetzen. Den Rest kann sich der Interessierte dann denken: Die einen wollen das jetztige Beitragssystem erhalten, die anderen wollen auf eine Gesundheitsprämie aka Kopfpauschale aka Kopfprämie umstellen. Die CDU/CSU sichert sich eine 5:3-Mehrheit in der Kommission.

Politischer Stillstand, hochkarätig inszeniert, Potemkinsche Dörfer vom Feinsten, Deutschland 2010.