Lehrbuch Allgemeinmedizin erschienen

Dieser Tage ist ein neues Lehrwerk für das Fach Allgemeinmedizin erschienen. Da ich in einer allgemeinmedizinischen Abteilung arbeite, dessen Chef Mitherausgebender des Werkes ist, hatte ich die Gelegenheit, zwei Kapitel beizutragen.

In Kapitel 9 stelle ich gemeinsam mit Martin Scherer das Gesundheitssystem in Deutschland dar – mit speziellem Blick auf die ambulante, und darunter die hausärztliche Versorgung. Von Strukturmerkmalen über die Selbstverwaltung der beteiligten Akteur:innen (Kassenärztliche Vereinigung KV; Gemeinsamer Bundesausschuss G-BA) bis zu hausarztzentrierten Versorgungsmodellen spannen wir den Bogen

In Kapitel 10 geht es um die konkrete Anwendung von Maßnahmen und Methoden, die das Selbstmanagement fördern helfen. Meine Kollegin Sarah Porzelt und ich beschreiben Interventionen, die im Alltag einer hausärztlichen Praxis hilfreich sein können: Vom Ansatz, motivierend Gespräche zu führen, über die 5 A’s (Ask, Advise, Agree, Assist, Arrange) bis zur Anwendung von Zielerreichungsskalen.

Insgesamt bringt das gewichtige Werk 2,75 kg auf die Waage, enthält 932 Druckseiten in insgesamt 112 Kapiteln. Allein das Register umfasst 27 Seiten. Der allgemeinmedizinische Hauptteil verlässt die klassische Darstellung von Erkrankungen entlang von Organssystemen. Vielmehr rücken hier Leitsymptome, oftmals zunächst unspezifische Beschwerden ins Zentrum, die häufige Beratungsanlässe in der allgemeinmedizinisch-internistisch-hausärztlichen Versorgung sind: Halsschmerzen, Beinschmerzen, Schluckbeschwerden, Hautirritationen – oder ein auffälliges Labor wie es bei erhöhten Leberwerten der Fall ist.

Das Lehrbuch kostet €119, und ist bei den einschlägigen Buchhändlern zu beziehen, um die Ecke genauso wie auf der Verlagswebseite.

Wird Gesundheitsminister Gröhe nach der Europa-Wahl abgelöst?

Der Staatssekretär im Gesundheitsminsterium, Karl-Josef Laumann, hat vergangene Woche der Ärztezeitung ein Interview gegeben. Das ist zunächst nicht weiter ungewöhnlich, wäre die Fragestellung und das Setting nicht so, dass der Leser denkt: Wieso macht das nicht der Hermann Gröhe, der verantwortliche Ressortleiter, der Bundesgesundheitsminister?

Das Interview nämlich thematisiert die große Gesetzesreform im Pflegebereich, die von der GroKo gerade geplant wird – und es wäre die genuine Aufgabe des Ministers öffentlich dazu Stellung zu nehmen. Klar, Laumann ist auch der Beauftragte der Regierung für Pflege und Patientenrechte. Aber das Interview macht deutlich: Hier redet einer, der bereits Arbeits-, Gesundheits- und Sozialminister war (NRW 2005-2010) und der offenbar bereit ist, auch auf Bundesebene höhere Aufgaben zu übernehmen: „Dass ich in diesen Prozess (der Pflegereform, Z.) sehr gut eingebunden bin, sehen Sie alleine schon daran, dass es keine Besprechung zum Thema Pflege gibt, an dem mein Team und ich nicht beteiligt sind.“

Wenn der Staatssekretär solche Sätze sagt, welche Rolle spielt dann der Minister Gröhe (noch)? Ist er bereits beurlaubt? Oder bestätigen sich hier Meinungsbilder, die sich in der Selbstverwaltung der Gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung) herumsprechen, der Minister werde vom eigenen Haus quasi rausgemobbt, geschnitten, blockiert, behindert – weil die Ministeriumsmitarbeiter finden, dass er völlig fehlbesetzt sei – ein Eindruck, den ein Außenstehender, der sich mit der Materie ein wenig auskennt, durchaus auch haben kann.

Das Interview, das Thema und die Art und Weise, wie Laumann Stellung nimmt, und das Hörensagen aus dem Ministerium, sprechen sehr dafür, dass der Staatssekretär der kommende Mann an der Spitze des Ministeriums sein könnte. Aktuell braucht die Bundeskanzlerin bis zur Europa-Wahl im Mai jedoch Ruhe. Außerdem hat Gröhe als vorheriger Generalsekretär einen guten Stand in der Partei und kann also nicht schnöde beiseite geräumt werden.

Doch nach der Europa-Wahl gibt es sicherlich einen Posten in Europa, auf den er weggelobt werden kann. Wetten, dass…?

Regierungskommission, Kopfpauschale, Selbstverwaltung

Heute trifft sich die Regierungskommission Gesundheitswesen das erste Mal. 8 Ministerinnen und Minister, bei 15 Ministerien inklusive Kanzleramt mehr als die Hälfte der Regierung, werfen ihr Gewicht in die Waagschale, um das Gesundheitssystem voranzubringen.

Als Begleitmusik zu diesem Treffen veröffentlichte die Märkische Allgemeine vor ein paar Tagen einige Zahlen, die in der aktuell aufgeheizten Debatte sogleich auf fruchtbaren Boden fallen: 29 Euro pro Kopf als Einstieg in den Systemwechsel sollen von Röslers Ministerium angeblich geplant sein. Als Ausgleich soll der Extrabeitrag von 0,9 Prozent wegfallen, der im Moment von den Arbeitnehmern alleine getragen wird – seitdem die damalige rotgrüne Regierungsmehrheit diesen Sonderbeitrag 2004 beschlossen hat.

Wenn dies tatsächlich die angedachte Richtung ist, dann wird klar: Hier soll kein Versicherter entlastet werden. Hier wird zunächst einmal tief in die Tasche gegriffen. Eine Kopfpauschale in dieser Höhe würde (bei rund 50 Millionen vollversicherten Mitgliedern in der GKV) gigantische 17,5 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds spülen. Die Entlastung von 0,9 Prozent dagegen bringt den Versicherten – entsprechend der Faustregel 1 Prozent Beitrag = 10 Milliarden Euro – genau diese Summe. Netto werden die Versicherten also mit 7,5 Milliarden zur Kasse gebeten.

Aber wer weiß, vielleicht streicht das Ministerium ja noch andere Zuzahlungen, die momentan anfallen (Medikamente, Krankenhausaufenthalte, Praxisgebühr). Gleichwohl: Eine (von Kritikern befürchtete) Entlastung von Besserverdienenden ist auf diese Weise nicht mehr in Sicht. Allerdings ist auch nicht klar, woher die benötigten 5 Milliarden Euro Sozialausgleich kommen sollen.

Die Regierungskommission wird Herrn Röslers Konzept lauschen. Er wird zähneknirschendes Wohlwollen ernten und heute abend in den Nachrichten zitiert werden, er selber sei ganz entspannt und ganz froh und alles sei auf einen guten Weg gebracht – oder so ähnlich. Bis zur Wahl in NRW im Mai wird sowieso nix beschlussreif.

Und das zahlende Publikum? Sitzt da, ist genervt und resigniert. Und das System schüttet weiter Geld ohne Ende an diejenigen aus, die behaupten, uns immer gesünder machen zu wollen. An die, die unser Geld verwalten und entscheiden, wie viel davon in ihren Taschen bleibt, an die „Vampire in der Blutbank“, wie der SPIEGEL (32/2005) die Selbstverwaltung im Gesundheitssystem einmal nannte.

Wahrscheinlich müssen wir als zahlendes Publikum genau da aktiv werden: Diese Form der Selbstverwaltung in Frage zu stellen.

Update 18.03.2010
Laut Ärzteblatt sagt Minister Rösler zu den angeblichen Überlegungen, eine 29 Euro-Kopfpauschale einzuführen: „Das ist ausdrücklich nicht mein Modell.“