Versorgung durch den Hausarzt nach §73b SGB 5

Aus den Reihen der CDU-Gesundheitspolitiker (Spahn und Koschorrek) ist in den letzten Tagen zu vernehmen, dass sie für die Abschaffung der geschiedsten Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung plädieren. Noch ist diese Idee nicht offiziell im Sparmaßnahmenkatalog gelandet – und vermutlich wird sie das auch nicht, weil die CSU schon Widerstand angekündigt hat.

Dennoch bietet es sich an, darauf hinzuweisen, wie wenig manche Politiker verstanden haben, wie notwendig solche Veränderungen im deutschen Gesundheitssystem sind, wie sie die Hausärztverträge nach §73b darstellen:

  • Stichwort Einzelleistungsvergütung nach EBM als Steckenpferd und Existenzsicherung der KVen – dagegen stehen die pauschalen Vergütungen in den HA-Verträgen. Das ist ein erster Schritt, die sprechende Medizin zurück in die Praxen zu bringen, denn befreit vom Gedanken an mögliche Abrechnungsziffern, sind womöglich neue Dynamiken zwischen Hausärztin und Patientin möglich.
  • Unterrepräsentanz der Hausärzte in den Vertreterversammlungen der KVen – deswegen haben die Hausärzt/innen angefangen, Ihre Belange in die eigenen Hände zu nehmen.
  • Durch diese andere Art der Vergütung besteht erstmals die Möglichkeit, aus dem Hamsterrad auszusteigen, dass die Hausärzte zwingt, immer mehr Patienten einzubestellen, um für diese immer weniger Vergütung zu erlösen. Die hohe Arztkontaktrate in Deutschland ist doch ein Symptom eines absurden Systems, das wir hinter uns lassen müssen. Diese Verträge sind ein erster Schritt, etwas mehr Vernunft ins Versorgungsspiel zu bringen.
  • Eindämmen der Selbstüberweisung durch die Patienten: Patienten, die meinen, sie wüssten schon selber, welchen Facharzt sie brauchen, liegen damit meist nicht richtig. Zumal Studien (schon vor zehn Jahren und mehr) zeigten, dass dieselbe Patientengruppe mit unspezifischen Symptomen beim Rheumatologen eine Fibromyalgie und beim Gastroenterologen eben einen Reizdarm angedichtet bekommt (Aaron LA, Buchwald D 2001: A Review of the Evidence for Overlap among unexplained Clinical Conditions. Ann Intern Med. 134: 868 – 881. Aktuell: Lahmann, Henningsen, Noll-Hussong, Dinkel 2010: Somatoforme Störungen, Psychother Psych Med 2010; 60: 227–236)
  • Wenn es denn politisch gewollt ist, die hausärztliche Versorgung zu erhalten, dann müssen die strukturellen Bedingungen der Arbeit eines Hausarztes oder einer Hausärztin verbessert werden, die Vergütung ist wichtig, aber sicherlich nicht die zentrale Hürde dafür, den Facharzttitel AfA zu erwerben und sich niederzulassen.

Niemand, schon gar nicht die Hausärzte, die ein politisches Rollback fürchten, sollten die politischen Vorstöße falsch verstehen: Hier geht es nicht darum, etwas einzusparen. Die Verträge nach §73b unterliegen der Gesamtbereinigung und entziehen nur dem KV-System das Geld, das ansonsten über die üblichen Ausschüttungsmechanismen verteilt würde.

Bei solchen Vorstößen geht es vielmehr darum, einen drohenden Macht- und Bedeutungsverlust abzuwenden – und eine dringend notwendige Renovierung des Systems, bei dem es Gewinner und Verlierer geben wird, zu unterlaufen. Willfährige Politiker verkleiden das dann in einen Sparvorschlag. Dass mit der hausarztzentrierten Versorgung keine Monopole geschaffen wurden, kann man schon daran sehen, dass bspw. die KV Meck-Pomm gemeinsam mit dem Hausärzteverband Meck-Pomm die Verträge abwickelt. Den KVen steht es ja frei, eigene Verträge nach §73b abzuschließen, wenn Gemeinschaften von Leistungserbringern, die auch hausärztlich tätig sein können (nach §73 Satz 1a), sie dazu ermächtigen.

Allerdings kommt der meiste Widerstand nicht einmal von der KV-Seite. Die gesetzlichen Krankenkassen blockieren und verlangsamen diese Entwicklung, seit §73b 2004 das erste Mal ins SGB 5 geschrieben wurde. Beispielsweise werden bei der TK (meine Versicherung, Vertragsstart für mich als Versichertem laut Auskunft Call-Center 01.01.11) keinerlei Anreize mehr für die Patientenseite in Aussicht gestellt. Ja, die TK weist in Ihrem Informationsblatt explizit darauf hin, entgegen landläufiger Meinung sei es eben nicht der Fall sei, dass die Praxisgebühr im Hausarzt-Vertrag entfiele. D.h., die Kassen werden zwar vom Gesetzgeber gezwungen, solche Verträge zu machen, aber gerade die großen Kassen werden sie nicht offensiv bewerben bzw. werden sie ihren Versicherten nicht schmackhaft machen. Nach dem Motto: Wenn keiner die Hausarztzentrierte Versorgung (HAZV) in Anspruch nimmt, lässt sich am Ende gut argumentieren, die Patienten wollten das ja gar nicht.

Und da bin ich bei Bertelsmann und dieser seltsamen Studie von 2008, die von interessierten Kreisen leider immer noch gegen die Hausarzt-Modelle ins Feld geführt wird. Ich verweise auf einen früheren Eintrag im Weblog, in dem ich mich mit dieser Art von „Untersuchung“ beschäftigt habe: Hausarztmodelle teuer und ohne Nutzen – und an dieser Stelle vermisse ich als statistisch-methodisch arbeitender Wissenschaftler schmerzlich ein Korrekturverfahren für politischen Bias, :-).

Private Krankenversicherer verlieren vor Verfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer wichtigen Entscheidung die Verfassungsbeschwerde der privaten Krankenversicherer gegen das letzte Gesundheitsreformgesetz im wesentlichen abgewiesen:

(Zitat BVerfG)
1. Die Einführung des Basistarifs durch die Gesundheitsreform 2007 zur Sicherstellung eines lebenslangen, umfassenden Schutzes der Mitglieder der privaten Krankenversicherung ist verfassungsgemäß.

2. Der Gesetzgeber durfte zur Erleichterung des Versicherungswechsels und zur Verbesserung des Wettbewerbs in der privaten Krankenversicherung die teilweise Portabilität der Alterungsrückstellungen vorsehen.

3. Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenkasse darf auf ein dreijähriges Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze ausgedehnt werden.

4. Den Gesetzgeber trifft eine Beobachtungspflicht im Hinblick auf die Folgen der Reform für die Versicherungsunternehmen und die bei Ihnen Versicherten.

Das Urteil ist interessant, denn es schreibt den PKVen in die Bücher, dass ihr Geschäftsmodell nicht nur für die gesunden Versicherten ist, denen Sie Zugang zu ihrem System gewähren (via Risikoprüfung). Mit dem Basistarif entfällt die Risikoprüfung als Schutzwall gegen eventuell teurere, weil bereits kranke Versicherte. Die PKV darf sich also vor der Verantwortung gegenüber diesen Leuten nicht drücken.

Gesundheitsreform 2007 – Teil 2

Fortsetzung vom 02.02.07

– Wahltarife: Ab 01.04.2007 haben Versicherte die Möglichkeit, in der GKV verschiedene Wahltarife in Anspruch zu nehmen. Da zahlt dann einer keinen Zusatz-Beitrag, weil er einen Selbstbehalt-Tarif wählt. Ein anderer zahlt den Höchstsatz, weil er sich partout nicht weniger riskant verhalten möchte. Der Endpunkt einer solchen Entwicklung sind radikal individualisierte Tarife. Damit wäre dann auch das Ende der Solidargemeinschaft erreicht.

– Leistungsausweitungen: In der Kinderheilkunde, in der Geriatrie/Gerontologie/Demenzversorgung und in der Palliativmedizin soll das Leistungsspektrum deutlich ausgeweitet werden. So werden empfohlene Impfungen Pflichtleistungen der Kassen. Es wird den Rechtsanspruch auf häusliche Krankenpflege und auf rehabilitative Maßnahmen geben.

Was immer die Abgeordneten beschlossen haben, die Buchmacher nehmen Wetten entgegen, wie viel davon nach 2009 wirklich umgesetzt (sein) wird. Sowohl die CDU als auch die SPD bekennen öffentlich, der Beschluss sei eine Grundlage für die weitere Entwicklung des eigenen Modells (Kopfpauschale vs. Bürgerversicherung) – vorausgesetzt, die nächsten Wahlen ergeben eine eigene Mehrheit.

Dieses Eingeständnis spricht für sich: Die Politiker tun so, als reformierten sie. Dabei kaufen sie sich nur Zeit, bis sich das Mehrheits-Klima wieder zu ihren Gunsten verändert. Gibt es etwa Probleme im Gesundheitssystem? War da was? Hat das Publikum etwas davon verstanden? Wissen die Politiker, worüber sie abgestimmt haben?

Gesundheitsreform 2007 – Teil 1

Was immer die Abgeordneten heute im Bundestag meinen, beschlossen zu haben – der Eingriff in das sozialstaatliche System, wie wir es kennen, ist massiv. Über mögliche Folgen gehen die Meinungen weit auseinander.

Verabschiedet haben die Parlamentarier das GKV-WSG, das Gesetzliche Krankenversicherungs-Wettbewerbs-Stärkungsgesetz. Mit diesem Gesetz werden erstmals alle Menschen in Deutschland krankenversichert sein. Jene, die bis heute durch das Netz fallen, werden zurückgeholt ins System. Es gibt zudem den Krankenkassen in Form von Wahltarifen mehr wettbewerbliche Elemente an die Hand.
Zukünftig werden die Finanzströme neu geregelt und die Verwaltungsstrukturen der Krankenkassen sollen sich verschlanken.

Weitere Elemente des Beschlusses:

– Der Gesundheitsfonds, ab 01.01.2009. Alle Beiträge der Versicherten fließen zunächst in einen großen Topf. Aus diesem Topf erhält jede Kasse einen nach Alter, Geschlecht und Krankheitsstatus gewichteten Anteil pro Patient. Reichen einer Kasse die Mittel aus dem Fonds nicht aus, um Kosten deckend zu arbeiten, darf sie bei ihren Mitgliedern einen zusätzlichen Beitrag erheben. Die Arbeitgeberseite braucht diesen Extra-Obulus nicht an die Kasse zu entrichten. Die Versicherten tragen allein das Risiko eventuell steigender Kosten.

– Den Krankenkassen wird etwas Gestaltungsmacht genommen. Sie dürfen nicht mehr selber festlegen, welchen Beitrag sie erheben. Den legt zum 01.01.2009 der Gesetzgeber fest. Innerhalb dieses Rahmens allerdings haben die Kassen mehr Gestaltungsfreiheit (siehe Wahltarife).

Alle Kassen werden versuchen, einen Zusatzbeitrag zu vermeiden. Deswegen werden sie sich eng an ihren Pflichtleistungskatalog halten. Darüber hinaus gehende Angebote werden mittels Zusatzversicherungen finanziert.

Morgen geht’s weiter.

gesundheitspolitik als theater

wie schlecht muss politik sein, wenn sie für ihre inszenierung soviel donner und getöse braucht?

im heutigen akt bringen die beteiligten gutachten zur zukünftigen be- und entlastung einzelner bundesländer durch den gesundheitsfond gegeneinander in stellung. gutachten im übrigen, von denen kenner der materie sagen, sie seien eh für die tonne, weil NIEMAND in der republik über zuverlässige daten verfügt, die derlei prognosen überhaupt erlaubten.

das hektische fingerzeigen quer durch die republik (csu auf die ministerin schmidt, spd auf die cdu/csu-ministerpräsidenten) auf die vermeintlich bösen buben und mädels im stück, lenkt von der tatsache ab, dass hier am ende eine hand die andere wäscht: gibst du mir ein bisschen mehr markt im gesundheitssystem (sagt die cdu), gebe ich dir ein bisschen mehr dirigismus und kontrolle! gibst du mir ein bisschen mehr zentralgewalt (sagt die spd), gebe ich dir ein wenig mehr wettbewerb und konkurrenz. so viel einmütiges politikverständnis war selten in der republik. und alle welt denkt, die beiden würden sich streiten…

brauchen wir nun eine reform des gesundheitssystems oder müssen wir zuerst reformierte politiker ins amt wählen? oder müssen wir sie ins amt putschen?