Datenspuren

Ich verweigere Kundenkarten jeglicher Art, stehe nicht im Telefonbuch und nehme nie an Gewinnspielen teil. Ich bin gegen Vorratsdatenspeicherung und gegen Online-Durchsuchungen meiner Festplatte. Ich lehne biometrische Pässe und Ausweispapiere ab und halte Wahlmaschinen für demokratie-gefährdend bzw. wie ein holländischer Sicherheitsexperte es nannte: „Eine Nicht-Lösung für ein nicht-existierendes Problem“.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich trete hier nicht als IT-Verächter auf. Ja, ich vertraue sogar der Technik, die ich selber gebrauche (na ja, meistens). Aber ich vertraue den Leuten nicht, in deren Händen die große Verantwortung für die Großtechnik liegt. Die wirkmächtige, jedoch wenig durchdachte, wenig transparente Digitalisierung des Alltags (Überwachungskameras, Mautsystem, elektronische Patientenakte usw.) nervt. Hier paaren sich in den Köpfen der Entscheider rücksichtslose Fortschrittsgläubigkeit mit wahnhaften Kontrollbestrebungen.

Und trotzdem stelle ich täglich im Netz meine Gesinnung zur Schau… Ein Widerspruch?

Kaum. Warum sollte es mein Ziel sein, meine Datenspuren zu verwischen, wenn ich sie selber gestalten kann? Ich will ja gerade welche hinterlassen. Wenn schon Informationen von mir abgeschöpft werden, steht es mir frei, den Informationspool mit meinen Selbstsichten zu erweitern und zu bereichern. Hier allerdings speise/(schleuse?) ich Daten freiwillig in ein soziales Netzwerk. Dort zwingen mich die Großtechniken, Datenspuren in verschiedenen (intransparenten) Ablagesystemen zu hinterlassen. Ich als Zusammengesammelter jedenfalls ahne nicht, wer gerade was über mich durch welchen statistischen Wolf dreht – und welches Risikoprofil sich dabei entfaltet. Wobei ich natürlich hoffe, dass verhaltensaufällig und hochgefährlich herauskommt…

Maske vs. Hill

Kommentar von Harald Schmidt heute in der Sendung zum Boxkampf am kommenden Samstag: „Ich versteh ehrlich gesagt nicht, warum da so ein wahnsinniger Hype drum gemacht wird. Ich meine, was ist besonderes dran? Ein arbeitsloser Ossi geht auf einen Schwarzen los.“

Heute in der Kita…

Das Kind nestelte an seinen Schuhbändern, während ich ihm die Jacke überziehen wollte. Ich sagte laut: „Na ja, diese Schuhe kannst du ja doch nicht allein ausziehen.“ Bei seinen Hausschuhen mit Zugband und ohne Schnürsenkel funktioniert das schon bestens. In diesem Moment hörte ich die Stimme seiner Kita-Betreuerin in meinem Rücken, die mir trocken zur Kenntnis gab: „Hast du eine Ahnung, was das Kind alles schon kann!“ Keine zehn Sekunden später war das Schuhband offen und der Schuh ausgezogen… Und ich staunte nicht schlecht.

Ich bin nun darauf vorbereitet, dass mir das Kind demnächst häufiger solche Aha-Erlebnisse beschert.

Bloggen für Carl Auer

Gerne habe ich die Einladung des Carl-Auer-Verlages angenommen, ab dem heutigen Montag die Systemische Kehrwoche zu übernehmen.

Bloggen ist ja eine gute Möglichkeit, recht schnell eine Öffentlichkeit zu erreichen, wie sie a) durch herkömmlichen Medien mit so wenig Aufwand kaum erreichbar wäre und die b) durch Vernetzung rasch an Größe gewinnen (kann). Die Blogosphäre (die Gesamtheit aller Weblogs) umfasst laut des Zähl-, Such- und Vernetzungsangebots Technorati inzwischen etwa 70 Millionen Online-Journale. Täglich kommen rund 100000 hinzu. Den Geheimdienst, der darüber den Überblick behalten wird, möchte ich gerne kennen lernen – auch wenn Bloggen bspw. in Ägypten ziemlich gefährlich sein kann. Hier in unseren Breiten, im täglichen medialen Hupkonzert um die Aufmerksamkeit unserer Hirne, hat das Bloggen ja deutlich weniger Einfluss. Aber dieser reicht immerhin bis nach China: Ein chinesisches Gericht versucht nämlich einen Blogger aus Berlin zu verklagen.

Doch soviel Staub werde ich in dieser Kehrwoche wohl nicht aufwirbeln…

Auer-Blog-Gastautor

Ab morgen, Montag, den 26.03.2007, werde ich für sieben Tage das Weblog „Systemische Kehrwoche“ des Carl-Auer-Verlages in Heidelberg befüllen.

Nebenbei will ich Herrn Puchmayer gern den Gefallen tun und einen Link auf sein Weblog einrichten.

Und was gibt’s ansonsten zu melden? Der Sohn geht erstmals auf eigenen Beinen durch den Flur, wackelig noch, aber frei. Und er sagt: „Papa“ sowie „Wauwau“. Papa noch nicht so ganz klar in meine Richtung, aber immerhin – und Wauwau? Na ja, alle nicht-Menschen sind Wauwau: Hunde, Tauben, andere Vögel, Katzen, Mäuse, egal ob in echt oder als Abbildung beispielsweise auf der Hundefutterdose.

Faszinierend sind auch seine Umarmungen: Er wirft sich einem an den Hals und klopft mir dabei mit der linken Hand auf die Schulter. Er scheint seine Umgebung sehr genau zu studieren.

Vergebung für den Eislauftrainer?

Nachdem ich „Gnade für Terroristen“ gefordert habe und bereits ein paar Tage später den Terroristen wieder in Ungnade („Klartext oder Erlösergebrabbel?„) fallen ließ, stellen sich seit einiger Zeit bei einem anderen, der sich auf seine Weise schuldig gemacht hat, ähnlich gelagerte Fragen: Verzeihen? Vergeben? Vergessen?

Der Chemnitzer Eiskunstlauftrainer Ingo Steuer hat zwischen 1985 und 1989 mit der Stasi kooperiert und dafür ein paar Tausender Ostmark eingesackt. Heute ist er immer noch nicht bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Da ist er sich mit Herrn Klar einig, der ja nur deswegen so gehandelt hat, weil ihn das böse kapitalistische System dazu gezwungen hat. Auch Steuer war ein Opfer des Systems, das ihn zwang, um seines sportlichen Talents willen als Stasi-Mann zu agieren.

Von Anfang an handelt Steuer radikal karrieristisch. Er räumt alle Hindernisse aus dem Weg, die seinen Zielen im Wege stehen, im Zweifelsfall durch Korruption, aber auch durch schlichtes Lügen: Er antwortete „Nein“ auf die Frage nach früheren Stasi-Kontakten, als er von der Bundeswehr eingestellt werden wollte. Er tut alles, was in seiner Macht steht, um heute seine Schäfchen ins Trockene zu bringen bzw. seinen Traum vom Eislaufen und vom Trainer-Sein zu erfüllen.

Darf ein eingestandenermaßen korrumpierbarer, opportunistischer Charakter Vorbild für die Jugend sein? Oder darf eine gewisse moralische Integrität erwartet werden von einem, der Jugendliche mit Staatsgeldern trainiert? Wo unterscheidet sich ein Trainer Springstein, der dopt und damit Körperverletzung begeht, von einem Trainer Steuer, der lügt, sich rechtfertigt, keinerlei Einsehen signalisiert? Der eine dopt seine Sportler, der andere konfrontiert sie mit seinem zweifelhaften Charakter: Für meine Karriere gehe ich mit jedem ins Bett, auch mit der Stasi.

Bei Verfehlungen moralischer Art, die nicht justiziabel sind, darf zumindest auf nachträgliche Einsicht gehofft werden. Wer aber weiterhin allein die Umstände für die eigenen Verfehlungen verantwortlich macht, darf auch die Erfolge nicht nur für sich allein verbuchen. Steuers Siege in den 1990er Jahren sind auch späte Siege der Stasi. Die Stasi hat Steuer gemacht. Sie hat den erfolgreichen Eislaufkünstler Ingo Steuer erfunden. Wenn Steuer sich heute so groß aufblasen muß („Wenn ich aufs Eis gehe, denke ich, dass ich der beste Trainer der Welt bin“), dann auch, weil er weiß, welch kleiner Wicht er heute wäre, wenn er damals nicht so mächtige Gönner gehabt hätte.

Durchhalteparole

Einer meiner Gesprächspartner (84), dessen Hüftprothese nicht so sitzt, wie sie eigentlich sollte, weil 1943 eine Granate rund um das Hüftgelenk ihre Splitter hinterließ, kommentierte seine Beschwerden mit dem künstlichen Gelenk heute so: „Haben mich die Russen nicht kaputt gekriegt, schaffen es die Ärzte in Deutschland auch nicht.“