Wer liebt, der neidet nicht?

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Die Schwimmerin Franziska van Almsick und der Handballer Stefan Kretzschmar waren mehrere Jahre (2000-2004) ein Liebespaar. Den einen galten sie als Traumpaar des Sports, den anderen taugten sie als Beispiel, wie zwei Menschen in einer Beziehung gleichzeitig erfolgreich sein können, ohne sich dabei im Wege zu stehen. Dann überraschte der Handballer die Öffentlichkeit jedoch mit einem Bekenntnis: „Wenn ich mir nur das Sportliche ansehe, dann packt mich der blanke Neid“, sagte Kretzschmar in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ und spielte damit auf die beruflichen Leistungen seiner Partnerin an.

Der Handballer Kretzschmar neidisch auf die Schwimmerin van Almsick? Ein Liebender neidisch auf die geliebte Freundin? Für die meisten von uns ist es zunächst schwer nachzuvollziehen, warum ausgerechnet in einer Liebesbeziehung neidische Gefühle entstehen sollten. Vielmehr sind wir davon überzeugt, dass wir als Liebende stets an das Wohl des anderen denken, füreinander da sind, gemeinsame Interessen verfolgen.

Liebende ergänzen einander, wachsen miteinander, entwickeln sich. Die Liebe ist der Kitt, der alles verbindet. Konkurrierende Interessen gibt es nicht. Stattdessen teilt das Paar gemeinsame Ziele und ist motiviert, es sich und dem anderen möglichst gut gehen zu lassen.

Das hinter diesem Konzept stehende romantische Liebesideal machen wir bewusst oder unbewusst zur Grundlage unserer Partnerschaften. Aus dieser Perspektive scheint es unsinnig, Liebe und Neid in einem Atemzug zu nennen. Dennoch hat der Neid des Liebenden Kretzschmar einen ganz plausiblen Hintergrund: Van Almsick gewann schon mehrere Silber- und Bronzemedaillen bei Olympia. Kretzschmars Traum von einer Medaille blieb hingegen unerfüllt.

Was Kretzschmar widerfährt, ist ganz alltäglich. Immer wieder geraten wir in Situationen, in denen wir unsere eigene Situation mit der eines anderen Menschen vergleichen: So beneidet mancher Ehemann und Vater die Frau an seiner Seite wegen ihres vertrauten Verhältnisses zu den Kindern. Aber er vermag darüber nicht zu sprechen. Stattdessen verkleidet er seine Gefühle mit einem Satz wie diesen: „Musst du die Kinder immer in Schutz nehmen? Kein Wunder, dass sie zuerst zu dir kommen, wenn sie was ausgefressen haben.“

In einem anderen Fall kritisiert eine Frau ihren Freund im Wettstreit um den besseren Diäterfolg: „Du hast dir schon so viel weggejoggt. Jetzt könntest du wirklich mal wieder anfangen, normal zu essen.“ Sie neidet ihm die sichtbare Gewichtsabnahme, weil die Kur bei ihr nicht so schnell angeschlagen hat wie bei ihm. Obwohl also genau das eintritt, weshalb beide die Diät beschlossen haben, gelingt es ihr nicht, sich über die Fortschritte des Freundes zu freuen. Genauso wenig sieht sie sich in der Lage, statt über sein Gewicht über ihren Neid zu sprechen. Dazu müsste sie sich den Neid selbst eingestehen.

Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Neid und Konkurrenz bei Paaren

Vor zehn Jahren erschien im mvg-verlag mein Ratgeber: „Schön für dich… – Neid und Konkurrenz in der Liebesbeziehung.“

Aus diesem Grund (wieder)-veröffentliche ich das Manuskript, das seitdem in selten benutzten Ordnern auf meinem Rechner liegt oder Teile davon an anderen Stellen des Netzes versunken sind.

Titelbild Neid und Konkurrenz

 

Für das Buch habe ich insgesamt 10 Interviews mit Paaren durchgeführt, die bereit waren, über Neid, Missgunst, den damit verbundenen Ansporn und die Entwicklungsmöglichkeiten zu sprechen. Unter den Paaren sind Freunde und Bekannte, aber auch unbekannte Fremde, die sich auf eine Anzeige hin gemeldet haben oder durch Freunde und Bekannte auf mein Neid-Projekt aufmerksam gemacht wurden. Alle Namen in den folgenden Texten sind selbstverständlich verändert.

Neid ist eine Emotion, die jede kennt, ein Gefühlszustand, der jedem vertraut ist: Ein anderer genießt einen Vorteil, Erfolg oder Gewinn, den wir selbst gern verbucht hätten. Besonders schwierig wird es, wenn der Beneidete der eigene Partner oder die Partnerin ist, denn Neid und Liebe scheinen sich auszuschließen. Kein Paar sieht sich gern mit diesem Gefühl konfrontiert. Die Konkurrenz unter Liebenden wird stattdessen gerne verschwiegen und aus der Kommunikation des Paares ausgeblendet.

Ein Gefühl wie Neid braucht uns aber nicht zu beschämen. Als Reaktion auf einen Vergleich, der zu unseren Ungunsten ausgeht, ist das völlig normal. Besser ist es, den Neid einzugestehen und nach Alternativen zu suchen, um unsere (unerfüllten) Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse zu erkennen. Erst dann können wir nach Möglichkeiten suchen, solche Wünsche umzusetzen. Am Ende geht es darum, sich selber nicht mehr beachteiligt oder zurückgesetzt zu fühlen.

Wie es bei Paaren zu Neid und Konkurrenz kommt und welche Möglichkeiten es gibt, darauf zu reagieren, erzähle ich in den folgenden Blogeinträgen. Teil 2 beginnt mit der Schwimmerin Franziska van Almsick und dem Handballer Stefan Kretzschmar, dem Traumpaar aller Sportenthusiasten in den 00er Jahren… Wer liebt, der neidet nicht?

Teil 2: Wer liebt, der neidet nicht?
Teil 3: Wenn zwei dasselbe begehren
Teil 4: Der soziale Vergleich liegt dem Neid zugrunde
Teil 5: Beruflicher Erfolg, beruflicher Misserfolg – Vergleich macht neidisch
Teil 6: Männer und Frauen – die neue Konkurrenz
Teil 7: Mit dem Neid leben?
Exkurs: Das romantische Liebesideal
Teil 8: Neid – geächtet durch die Gemeinschaft
Exkurs: Neid in griechischer Mythologie und christlicher Religion
Teil 9: Neid – beschädigter Selbstwert als Hintergrund
Exkurs: Schneewittchen und die sieben Zwerge

Neid in Partnerschaften: Literaturangaben

Verband der Krankenkassen beklagt Diagnose-Doku der niedergelassenen ÄrztInnen

Dieser Tage gab es Zoff zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Krankenkassen-Spitzenverband. Die einen rechneten vor, wie viele ÄrztInnen in der ambulanten Versorgung fehlen, die anderen präsentierten u.a. Zahlen, wie viele ÄrztInnen zuviel am Tropf der GKV hängen.

Über den Zahlenspielen blieb eher verborgen, dass die GKV noch einen weiteren Stein gegen die niedergelassenen ÄrztInnen geworfen hat, indem der Verband die Qualität der Abrechnungsdiagnosen beklagt:

„Es ist völlig inakzeptabel, wenn Diagnosen übertrieben aufgeschrieben werden, um mehr Honorar für die Ärzteschaft herauszuholen. Es hat sich gezeigt, dass die von den Ärzten selbst aufgeschriebenen Diagnosen keine geeignete Basis für die Steigerung der ärztlichen Vergütung sind. Hier muss der Gesetzgeber neue Bedingungen schaffen.“

Oha. Hier wirft ein Verband mit Steinen, dessen Mitgliedsunternehmen, die Gesetzlichen Krankenkassen, selber im Glashaus sitzen. Waren es nicht die Krankenkassen, die zur Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches (vulgo: Morbi-RSA) 2009 niedergelassenen ÄrztInnen Briefe geschrieben haben, damit diese die abzurechnenden Diagnosen besser, genauer, also morbi-RSA-günstiger für Kassen kodieren? Wird nicht den Kassen auch immer wieder Upcoding vorgeworfen? Beklagt nicht das Bundesversicherungsamt immer wieder Versuche der Kassen, die Zahlen zu verbessern, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu kriegen?

Den niedergelassenen ÄrztInnen vorzuwerfen, sie würden ein fehlsteuerndes Anreizsystem zu ihren Gunsten einsetzen, ist unredlich, denn das ökonomische Rational dahinter gilt für die Kassen genauso: Wer schlecht kodiert, verliert. Der Morbi-RSA ist sehr komplex und kann sowohl von den Niedergelassenen als auch von den Krankenkassen zur Optimierung der Erlöse genutzt werden. Als Mittel zur politischen Auseinandersetzung ist der Ausgleichstopf denkbar ungeeignet.

Zum Weiterlesen seien ein paar Aufsätze empfohlen, die den Morbi-RSA bewerten:

Gaßner M et. al (2010). Sind die Diagnosezahlen nach Einführung des morbiditäts­orientierten Risikostrukturausgleichs angestiegen? – Gesellschaft und Sozialpolitik (pdf).

Göpffahrt D (2012). Zweites Jahr Morbi-RSA – Stabilität und Bestätigung – Gesellschaft und Sozialpolitik (pdf).

Schäfer T (2013). Stichproben nach § 42 RSAV. Gutachten im Auftrag des Bundesversicherungsamtes (pdf).

Zu viele oder zu wenige Haus- und FachärztInnen?

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) streiten sich wieder einmal darüber, ob es zu viele oder zu wenige niedergelassene Haus- und FachärztInnen in Deutschland gibt.

Auslöser ist ein Bericht der BILD-Zeitung, der sich auf KBV-Zahlen beruft und behauptet, es seien fast 4600 Arztsitze nicht besetzt, 2600 hausärztliche und 2000 spezialistische Sitze.

Bizarr daran ist zunächst einmal, dass diese Zahlen auf der KBV-Webseite nicht zu finden sind. Statt nun die Zahlen näher zu erläutern, veröffentlicht die Presseabteilung der KBV das Statement des KBV-Vorsitzenden mit dem Zitat, das er der BILD-Zeitung autorisiert hat.

Naturgemäß hat die GKV eine andere Sicht auf die Dinge: Einfach nur mehr Ärzte löst keine Versorgungsprobleme.

Das stimmt genauso, wie es stimmt, was Herr Köhler von der KBV sagt: In den kommenden Jahren werden viele Tausend niedergelassene ÄrzteInnen ihren Kassensitz zurückgeben – und sehr viele davon werden es schwer haben, eine Nachfolgeregelung zu organisieren.

Betrachte ich beide Seiten der Versorgungs-Medaille haben beide Recht: Auf der einen Seite fehlen in vielen Orten ÄrztInnen – und das inzwischen nicht mehr nur auf dem Land, auch in Hamburg-Steilshoop, in Hamburg-Horn oder Hamburg-Fischbek-Neugraben. Auf der anderen Seite bildet das Land genügend ÄrztInnen aus. Sie sind nur nicht bereit, sich auf das Risiko der ambulanten Versorgung einzulassen. Außerdem haben heutige ÄrztInnen andere Vorstellungen vom eigenen Leben, andere Ideen zur Arbeitszeit und dazu, wie sie Familie und Beruf vereinbaren wollen. Doch statt darüber ins Gespräch zu kommen, rasselt die KBV noch weiter mit dem Säbel:

„Wenn die Krankenkassen es nicht als das wichtigste Ziel ansehen, ihren Versicherten die bestmögliche Versorgung zu bieten, dann gehören sie abgeschafft.“

Was steckt hinter einer solchen Äußerung? Will die KBV eine staatliche Kostenträgerschaft für alle? Oder will sie ein teures Privatversicherungssystem, weil hier die Honorare (noch) mehr oder weniger ungedeckelt abgerechnet werden können? Oder ist das einfach krude Lobby-Arbeit, um die Politik vor sich herzutreiben? Auf Kriegskurs mit den Versicherern zu gehen, hält auf jeden Fall die eigenen Reihen zusammen – und lenkt den Blick weg von den eigenen Versäumnissen.

Klug ist auf jeden Fall anders.

Teil 2 der Auseinandersetzung zwischen Niedergelassenen und GKV-Spitzenverband.