Paar-Vignette 4: Bindung und Freiheit

Teil 1: Neid und Konkurrenz bei Paaren

Teil 21: Wie kommt der Neid in die Liebesbeziehung?
Teil 22: Die neue Konkurrenz zwischen den Geschlechtern
Teil 23: So haben sich Liebesbeziehungen gewandelt
Teil 24: Frauen haben ein neues Rollenverständnis in der Liebesbeziehung
Paar-Vignette 1: Egoismus und Altruismus
Paar-Vignette 2: Selbstbehauptung und Rücksichtnahme
Paar-Vignette 3: Kooperation und Abgrenzung

Bindung und Freiheit

In diesem Dilemma wirkt die Spannung, wie unabhängig wir in der Beziehung bleiben möchten und wie viel Abhängigkeit wir zuzulassen bereit sind. Das Paar setzt sich dabei der Frage aus, wie verbindlich die gemeinsam geschaffene Welt ist. Lassen wir uns darauf ein, tatsächlich eine gemeinsame Welt zu bauen, und verwirklichen uns darin? Oder errichten wir zwei Teilwelten, die sich nur an wenigen Stellen berühren, aber ansonsten ihre eigenen Kreise ziehen? Sind in diesem Dilemma die Gewichte sehr unterschiedlich verteilt, so liegt darin ein großes Konfliktpotenzial.

Vignette 4: Ein Paar, seit sechs Jahren zusammen, kein Kind, sie Bauzeichnerin, er Architekt; beide wollen ein Kind, sie ist dennoch hin und her gerissen.

Er: „Ich möchte endlich ein Kind.“
Sie: „Ich ja auch, aber ich finde, wir sollten erst einmal zusammenziehen.“
Er: „Dann lass uns endlich eine Wohnung suchen.“
Sie: „Das sollten wir, aber das löst nicht alle Probleme.“
Er: „Was heißt das?“
Sie: „Mir geht es manchmal nicht gut bei dem Gedanken, mein jetziges Leben aufzugeben.“
Er: „Denkst du denn nie daran, was du dadurch auch gewinnst?“
Sie: „Kurzfristig fallen für mich nur Verluste an. Das ist nicht fair.“

Sie fürchtet, massiv benachteiligt zu werden, ihre berufliche Anbindung zu verlieren, sich von ihm abhängig zu machen, ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Sie sieht realistisch, dass sie weit mehr investieren muss als er, obwohl beide ein Kind haben wollen. Der eventuelle Gewinn durch das Kind liegt noch in der Zukunft, der Abschied vom vertrauten Leben jedoch ist unmittelbar spürbar. Deswegen zögert sie. Deswegen behagt ihr die die Aussicht nicht, in die Mutterrolle gedrängt zu werden: Sie sieht sich zwangsläufig an das Kind gebunden, während er weiterhin die meisten Freiheiten genießen kann. Allein diese Rollenungleichheit macht sie neidisch auf ihn und die Männer an und für sich: Die Biologie erspart es ihnen, sich diese existenziellen Fragen stellen zu müssen.

Sie vermag dem Dilemma nur zu entkommen, indem sie sich von dem Vergleich mit ihm abkoppelt. Sie muss für sich entscheiden, was sie will – unabhängig davon, dass sie mit ihrem weiblichen Schicksal hadert, das Kind austragen zu müssen. Dazu gibt es schlicht keine Alternative – außer auf den Kinderwunsch zu verzichten. Er kann nichts dafür, dass sie eine Frau ist. Ihr bleibt die Möglichkeit, mit ihm verbindliche Arrangements treffen, wie sich ihr gemeinsames Leben gestaltet, wenn das Kind da ist. Nur auf diese Weise versetzt sie sich in die Lage, die eigenen Freiheiten wieder auszuweiten – und verringert ihren Neid auf seine privilegierte Stellung in der Welt.

Neid in Partnerschaften: Literatur