Private Krankenversicherer verlieren vor Verfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer wichtigen Entscheidung die Verfassungsbeschwerde der privaten Krankenversicherer gegen das letzte Gesundheitsreformgesetz im wesentlichen abgewiesen:

(Zitat BVerfG)
1. Die Einführung des Basistarifs durch die Gesundheitsreform 2007 zur Sicherstellung eines lebenslangen, umfassenden Schutzes der Mitglieder der privaten Krankenversicherung ist verfassungsgemäß.

2. Der Gesetzgeber durfte zur Erleichterung des Versicherungswechsels und zur Verbesserung des Wettbewerbs in der privaten Krankenversicherung die teilweise Portabilität der Alterungsrückstellungen vorsehen.

3. Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenkasse darf auf ein dreijähriges Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze ausgedehnt werden.

4. Den Gesetzgeber trifft eine Beobachtungspflicht im Hinblick auf die Folgen der Reform für die Versicherungsunternehmen und die bei Ihnen Versicherten.

Das Urteil ist interessant, denn es schreibt den PKVen in die Bücher, dass ihr Geschäftsmodell nicht nur für die gesunden Versicherten ist, denen Sie Zugang zu ihrem System gewähren (via Risikoprüfung). Mit dem Basistarif entfällt die Risikoprüfung als Schutzwall gegen eventuell teurere, weil bereits kranke Versicherte. Die PKV darf sich also vor der Verantwortung gegenüber diesen Leuten nicht drücken.

Lug und Trug in der Wissenschaft

Ich arbeite als Wissenschaftler vor allem mit biomedizinischen Daten. Und ich lese Aufsätze, die ihrerseits meist quantitative Daten enthalten. Zudem analysiere ich selbst Daten, die in anderen Aufsätzen stehen und fasse sie zusammen.

Eine Meta-Analyse in PLoS Online nimmt sich nun der Frage an, wie verbreitet das Fälschen, das Erfinden und Zurechtbiegen von Ergebnissen in der Wissenschaft ist. Dazu verwendet die Autorin 21 Studien mit Befragungsdaten.

Im Schnitt rund zwei Prozent der befragten Forscherinnen und Forscher räumen ein, schon einmal an der Manipulation von Daten beteiligt zu sein. Zwölf der Studien erkundigen sich danach, ob die Befragten von anderen Forschern wissen, die betrogen haben. Das wollen zwischen 5 und 33 Prozent schon einmal beobachtet haben.

Diese zweite Zahl wirkt allerdings künstlich aufgebläht und damit gewichtiger als sie eigentlich ist. Wahrscheinlich ein Phänomen abhängiger Daten: Wenn in einer Abteilung zehn Leute nach wissenschaftlichem Fehlverhalten gefragt werden, antworten drei, ja, davon wüssten sie etwas. Alle drei gehen mit ihren Angaben in die Gesamtzählung ein, meinen aber womöglich ein und dasselbe Fehlverhalten von ein und derselben Person. Ihre Angaben sind also abhängig – und blähen das Gesamtergebnis auf.

Hepatitis B: Angstkampagne für mehr Umsatz

Auf dem Ärztetag in Mainz rufen die (Fach)-Ärzte vernehmlich entweder nach mehr Geld für sich oder nach einer Leistungseinschränkung für gesetzliche Versicherte. So weit so normal.

Ganz unnormal finde ich, was ich heute im U-Bahnhof Osterstraße großflächig plakatiert gesehen habe, aus Anlass des Welt-Hepatitis-Tages: Ein Paar, entkleidet und durchs Schlüsselloch fotografiert. Bildunterschrift: „Das Virus wartet, wo man es nicht erwartet. Hepatitis B? Am besten testen.“

Pharma-Kampagne
Angstkampagne Hepatitis B

Auf der einen Seite trommeln die Leistungsanbieter (Ärzte) für ihre Honorare und drohen ansonsten im Gegenzug mit schlechter Medizin, wenn ihren Forderungen nicht nachgekommen wird. Auf der anderen Seite zielen solche Kampagnen darauf, dem System neue Kunden zuzuführen. Die zahlen dann einen Test aus eigener Tasche, der ihnen die Angst nimmt, die erst durch die Anzeige erzeugt wurde.

Der Patient wird in die Zange genommen, verunsichert und soll dafür auch noch zusätzliches Geld ins System einspeisen. Wie fies und gemein ist das denn? Und wer legt diesen Leuten demnächst mal das Handwerk, die nur unterwegs sind, die Leute zu melken? Und das auch noch im Namen von Prävention und Gesundheitsfürsorge.

Mich widert das an.

Ersatzkassen gegen Zwang bei Hausarztmodellen

Nun melden sich die Krankenkassen zu Wort, um die Absicht der Regierung zu kritisieren, die Kassen zu zwingen, hausärztliche Versorgung anzubieten, Fristen dafür zu setzen und den Kassen bestimmte Vertragspartner (Hausarztverbände) dafür aufzunötigen.

Den Anfang macht der Verband der Ersatzkassen, Dachorganisation so großer Läden wie Barmer, DAK und Techniker-Krankenkasse: Hausärztliche Versorgung mit Augenmaß stärken, Wahlgeschenke an Hausärzte belasten Versicherte.

Dabei wiederholt der Verband die bekannten Argumente: zu teuer, ohne Nutzen, die Qualität der Versorgung würde sich nicht verbessern. Am Ende müssten die Patienten teure Geschenke für die Hausärzte bezahlen. Das ist ziemlich unverfroren, denn es wäre eben die Aufgabe der Kassen, die Verträge so zu gestalten, dass die Versorgung der Patienten sich verbessern würde.

Ein Eindruck aus den letzten Jahren bleibt: Das Selbstverständnis der Krankenkassen sollte sich wandeln. Aus Beitragsverwaltern sollten – angestoßen durch politische Entscheidungen – Gestalter auf dem Gesundheitsmarkt werden. Aus Behördenapparaten sollten unternehmerisch agierende Organisationen werden. Doch mit diesem Systemwandel sind einige Kassen offenbar heillos überfordert. Es braucht wohl noch ein paar Jahre bis die Kassen tatsächlich begreifen, welche Chancen sie haben, die Versorgung ihrer Patienten deutlich zu verbessern.

Solche Abwehrschlachten wie die gegen die hausärztliche Versorgung sind Nachbeben aus einer untergegangenen Patienten-Verwaltungsepoche, die allerdings noch lange wirksam sein können.

Koalition will Kassen zu Hausarztverträgen zwingen

Heute berichtet die Süddeutsche Zeitung, die Koalition aus SPD und CDU werde endlich bei den Verträgen zur Hausarztzentrierten Versorgung aktiv.

Zur Erinnerung: Seit 01.04.2007 besteht eine Pflicht der Gesetzlichen Krankenkassen, ihren Versicherten Hausarztzentrierte Versorgung anzubieten. Nur wenige Kassen sind dieser Pflicht bisher nachgekommen.

Ich habe wegen dieser Frage mit den Kundentelefonen verschiedener Krankenkassen gesprochen, um nach meinen Möglichkeiten zu fragen, hausärztliche Versorgung angeboten zu bekommen. Die Antworten bewegten sich zwischen lächerlich und plausibel, wirkten aber wie aufeinander abgestimmt, als hätten die Kassen Sprachregelungen getroffen.

1. Der Gesetzgeber habe ja nicht ins Gesetz hineingeschrieben, bis wann die Krankenkassen die Pflicht erfüllen müssten, ihren Versicherten Hausarztmodelle anzubieten. Dem soll jetzt ein Riegel vorgeschoben und ein verbindliches Datum entgegengesetzt werden: 30.06.2009.

2. Es gäbe keinerlei Belege, dass die Versorgung sich durch Hausarztmodelle verbessern würde. Vielmehr wäre diese Angebote mit höheren Kosten für die Kassen verbunden. Diesem Argument habe ich mich schon hier gewidmet. Wer die Hausarztmodell nicht will, führt sie mit großem Widerstand ein, ändert nichts an den Rahmenbedingungen der Versorgung, vergütet die zusätzlichen Leistungen der Hausärzte kaum und redet sie öffentlich so schlecht wie DAK-Chef Rebscher.

Auch fragwürdige Vertragsgestaltung wie bei der Barmer Ersatzkasse, deren Hausarztmodell vom Bundessozialgericht ausgebremst wurde, trägt dazu bei, den Ruf der hausärztlichen Versorgung in der Öffentlichkeit zu beschädigen. Deswegen laufen die Verträge nun aus.

3. Wir sind eine überregional tätige Kasse. Wir bieten unseren Kunden hausärztliche Versorgung an, leider nur nicht in ihrer Region. Nun ja…

Rühmliche, mutige Ausnahme in dieser Misere ist gegenwärtig ein Verbund aus AOK-Baden-Württemberg, dem Ärzteverband Medi und dem Hausärzteverband Ba-Wü. Deren Hausarztmodell startete am 01.07.08 mit der Einschreibung von Patienten. Hier werden neue Wege in Vergütung und Angebot an die Patienten beschritten.

Wie hoch steigen die Kassenbeiträge für den Gesundheitsfonds?

Die Frage, ob die Kassenbeiträge zum Ende des Jahres 2008 deutlich steigen, habe ich schon Anfang des Jahres mit einem deutlichen “selbstverständlich” beantwortet.

Das Institut für Gesundheitsökonomik in München errechnete zu Beginn des Jahres für die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft einen Beitragssatz von 15,5%. Herr Lauterbach und seine Experten sehen den Beitrag zwischen 15 und 15,4%.

Am kommenden Montag steht in den Wirtschaftsmeldungen des SPIEGEL (S. 60) die vermeintliche Exklusiv-Nachricht, die AOK sähe den zukünftigen einheitlichen Beitragssatz bei 15,6%. Wie hat es die AOK geschafft, die SPIEGEL-Leute von der Exklusivität dieser Meldung zu überzeugen?

Denn es reicht, ein paar Minuten die Zahlen auf der Seite des Deutschen Ärzteblattes zusammen zu suchen, und ich weiß, um wie viele Zehntelprozentpunkte der Kassenbeitrag steigen muss, damit alle Finanzzusagen auch erfüllt werden können: 2,5 Milliarden Euro für ambulant tätige Ärzte, 1,5 Milliarden für die Krankenhäuser, 1,5 Milliarden für Mehrausgaben bei Arzneimitteln – und schon bin ich bei fünfeinhalb Milliarden. Macht allein schon 0,55%, denn jede Milliarde steht für ein Zehntel Beitragssatzpunkt.

Berechne ich Risiken ein, kalkuliere ich eine Schwankungsreserve, die für den Fonds vorgesehen ist, steigt der Milliardenbedarf weiter. Ziehe ich ein paar Milliarden Mehreinnahmen der Kassen ab, weil es mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gibt und die letzten Lohnrunden einige Erhöhungen gebracht haben, kann ich problemlos von 0,7% notwendiger Beitragssatzsteigerung ausgehen. Und ich lande bei der Zahl der AOK: 15,6%, ausgehend von gegenwärtig Beitragsdurchschnitt von 14,9%.

Soviel dazu, wie Meldungen mit Nachrichtenwert entstehen. Die AOK wird sich freuen, dass sie exklusiv im SPIEGEL erwähnt wird.

Wenn die politisch Verantwortlichen im November den neuen einheitlichen Beitragssatz unters Volk bringen, werden sie vor allem daran zu denken haben, dass die Krankenkassen nicht unterfinanziert in den Gesundheitsfonds starten. Lieber den Versicherten und den Arbeitgebern erneut mehr Geld aus der Tasche ziehen und im Wahljahr Ruhe haben, als wirklich eine Reform der Strukturen und Abläufe und der Finanzierung des Systems zu wagen, welche die halbe Republik auf die Barrikaden brächte. Auf diese Weise steigen die Kassenbeiträge bereits seit 30 Jahren unerbittlich – allen bisherigen Gesundheitsreformen zum Trotz.

Neues Pflegegesetz – was sind Pflegestützpunkte?

Nach § 92c SGB XI sind die Pflege- und Krankenkassen aufgefordert, Pflegestützpunkte einzurichten, sofern die zuständige oberste Landesbehörde es so bestimmt.

Diese Pflegestützpunkte sollen:

1. umfassend und unabhängig über alle vorgesehenen Sozialleistungen und die sonstigen Hilfsangebote beraten und informieren, egal ob sie vom jeweiligen Land, der Kommune oder dem Bund angeboten werden.

2. alle für die wohnortnahe Versorgung und Betreuung in Betracht kommenden gesundheitsfördernden, präventiven, kurativen, rehabilitativen und sonstigen medizinischen sowie pflegerischen und sozialen Hilfs- und Unterstützungsangebote koordinieren. Sie sollen den Bedürftigen bei der Inanspruchnahme der Leistungen unterstützen.

3. die pflegerischen und sozialen Versorgungs- und Betreuungsangebote aufeinander abstimmen und vernetzen.

Seit Ende 2007 laufen Modellprojekte, die das Gesundheitsministerium finanziert, und die vom Kuratorium Deutsche Altershilfe begleitet werden. Einen Zuwendungsbescheid für einen Pilot-Pflegestützpunkt bekamen: Mönchengladbach, Moers (beide NRW), Flensburg (Schleswig-Holstein), Hettstedt (Sachsen-Anhalt), St. Wendel (Saarland), Ingelheim (Rheinland-Pfalz), Nürnberg (Bayern), Hannover (Niedersachsen), Marburg-Biedenkopf (Hessen), Wismar (Meck-Pomm), Denkendorf/Landkreis Esslingen (Ba-Wü), Jena (Thüringen), Plauen (Sachsen), Erkner (Brandenburg), Berlin, Hamburg.

Ein erster Zwischenbericht (pdf) des Kuratoriums ist erschienen. Die Mehrheit der Pflegestützpunkte nützt bereits vorhandene, stützpunktähnliche Angebote und baut sie aus. Die Koordination der beteiligten Leistungsanbieter ist aufwändig. Die Dienstleister müssen sich erst mit der Stützpunktidee vertraut machen. Sie beharren dabei auf den eigenen Sichtweisen und Kompetenzen und müssen gleichzeitig einen Konsens mit den anderen Stützpunktpartnern finden.

Trotz der vom Bund finanzierten Pilotprojekte ist noch unklar, welche Wege die einzelnen Bundesländer gehen. Rheinland-Pfalz hat sich entschieden und wird bis Ende des Jahres 135 vorhandene Beratungs- und Koordinierungsstellen in Pflegestützpunkte umwandeln.

In Sachsen-Anhalt gibt es Kritik: Der Kreisseniorenrat von Mansfeld-Südharz lehnt Pflegestützpunkte ab. Schon die Bezeichnung sei irreführend, denn dort werde niemand gepflegt, sondern nur eine neue Bürokratie aufgebaut.

Neues Pflegegesetz – ab morgen gültig

Hier noch einmal zum Auffrischen meine Mini-Serie zum neuen Pflegegesetz, das ab 01.07.2008 gilt:

Neues Pflegegesetz auf dem Weg – Eckpunkte der Reform (17.10.2007)

Neues Pflegegesetz – was haben Demenzkranke davon? (09.04.2008)

Neues Pflegegesetz – was haben pflegende Angehörige davon? (13.04.2008)

Neues Pflegegesetz – was ändert sich für Pflegeheime? (15.05.08)

Zu den umstrittensten Neuerungen gehören Pflegestützpunkte und das Bewertungssystem für die Qualität von Pflegeheimen. Die (wohnortnahen) Pflegestützpunkte sollen von den Bundesländern initiiert und von den Pflegekassen betrieben werden. Doch noch sind keineswegs alle Länder bereit, die neue Struktur auf den Weg zu bringen. Unklar ist bspw., wie die Kooperation zwischen neuen und alten Strukturen der wohnortnahen Hilfen aussehen soll, welche Angebote bestehen, welche Konzepte sinnvoll und vor allem angesichts knapp bemessener Mittel umsetzbar sind.

Richtig spannend wird das Thema Qualitätsbewertung von Pflegeheimen. Allein die Frage, was abgebildet und damit zwischen den Einrichtungen verglichen werden soll, dürfte manche Debatte auslösen: Das Essen? Das Unterhaltungsangebot? Die durchschnittliche Überlebensdauer nach Heimeinweisung? Welche Indikatoren taugen? Und wie fließen sie in ein Bewertungssystem ein, egal ob eines mit Sternen oder eines mit Ampelfarben. Ende des Jahres sollen sich die Spitzenverbände der Pflegekassen, der Einrichtungsträger, der Sozialhilfeträger und einige andere mehr, die an diesem Geschäft Anteil haben, einig geworden sein.

Fachsimpeln über den Tod

Eine Patientin (85) sagte heute zu mir: “Ich habe es satt zu leben. Jeden Morgen wache ich auf und hoffe, heute ist es vorbei.”

Die Patientin ist gesund, sehr mobil, selbstständig, aktiv – aber sie hat von alledem genug. Sie ist es leid zu leben. Und sie leidet am desolaten Zustand der Welt, wie sie sagt. So greifbar ihr Lebensüberdruss ist, so wenig liegt ihr die Idee nahe, selber Hand an sich zu legen. Hat sie alles abgehakt.

Ich verwickle sie dennoch in ein Gespräch darüber und sage: “Na ja, Sie nehmen Medikamente gegen Bluthochdruck. Wenn Sie die wegließen, könnten Sie ihre Chancen auf einen Schlaganfall vergrößern.”

Sie antwortet: “Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Auch meine Freundinnen weisen mich darauf hin. Warum ich denn dann gesund bleiben wolle, wenn ich nicht mehr leben möchte… Aber es ist ja nicht sicher, dass der Schlaganfall gleich zum Tode führt. Da bleibe ich lieber gesund.”

So wie ich sie erlebe, findet die Patientin das Leben gar nicht so schlecht. Sie hat ja einen durchaus selbstironischen Zugang dazu, zumal sie schon seit fünf Jahren nicht mehr leben will. Sie fürchtet sich aber offenbar davor, irgendwann leiden zu müssen. Sie fürchtet die Abhängigkeit und das Siechtum. Ein schneller Tod über Nacht würde dieses Problem lösen.

Am Ende stellt sich die Frage: Wie gesund darf ich höchstens, wie krank muss ich mindestens sein, damit der Tod mich ereilt?

Lebensqualität bei ALS

Im Deutschen Ärzteblatt erschien vor kurzem eine Studie zur Lebensqualität von Menschen mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS), einer degenerativen Muskelerkrankung. Im Endzustand der Erkrankung kann der menschliche Körper keinerlei Eigenbewegung mehr ausführen. Die Patienten müssen künstlich beatmet werden. Das Hirn ist vollständig eingeschlossen, locked-in.

Ich habe anlässlich des Filmstarts von “Schmetterling und Taucherglocke” Ende März eine Interviewserie mit Niels Birbaumer (Locked-In-Syndrom – das eingeschlossene Hirn) veröffentlicht, der ALS seit Jahren erforscht und auch an der aktuellen Studie beteiligt war.

Das zentrale Ergebnis: Die Lebensqualität aus der Innensicht der Betroffenen ist nicht schlechter als die anderer Menschen auch. Sie sind auch nicht depressiver.

Allerdings geben natürlich nur die Leute Auskunft, die sich bspw. durch eine Beatmungsmaschine am Leben erhalten lassen. Die anderen sind entweder bereits verstorben bzw. verweigern sich der sicherlich anstrengenden Befragung. Die Verzerrung in der Auswahl der Patienten könnte eine Ursache dafür sein, dass die Betroffenen ihre Lebensqualität und ihre Stimmung als ganz gut einschätzen.

Die Studie gebietet es dennoch, innezuhalten und sich vor vorschnellen Einschätzungen über das Befinden von Schwerstkranken zu hüten, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Gefühle ohne weiteres mitzuteilen.

Auch Menschen mit Demenz erleben wir als kaum noch zugänglich. Auch sie sind in einem bestimmten Stadium der Krankheit nicht mehr in der Lage, Mitteilungen über ihr Innenleben zu machen. Das sollten wir Außenstehenden aber nicht dahingehend interpretieren, dass in diesem Inneren nichts mehr oder nur noch Schreckliches stattfindet bzw. diejenigen sowieso nichts mehr mitkriegen.

Respekt und Würde sind nicht teilbar!