Das eingeschlossene Hirn – Teil 2

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts von „Schmetterling und Taucherglocke“ (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Teil 1

Zettmann: Sie verwenden langsame kortikale Potentiale (LKP), um den Patienten Kontrolle über Hirnaktivitäten zu ermöglichen. Was sind das für Ströme und warum eignen sie sich besonders, von vollständig Gelähmten kontrolliert zu werden?

Birbaumer: Langsame kortikale Potentiale sind relativ langsame elektrische Veränderungen der obersten Hirnrindenschichten. Ich habe diese Potentiale immer untersucht, weil sie die Grundlage der Erregungsbereitschaft der Nervenzellen darstellen. Mich hat früher interessiert, was passiert, wenn ein bestimmter Teil des Gehirns in einen solchen Mobilisierungs- bzw. Erregungszustand versetzt wird, wie wirkt sich das auf Verhalten aus, denn jedes Verhalten läßt sich auf einen Zustand der Erregungserhöhung in bestimmten Hirnarealen zurückführen. Die langsamen Hirnpotentiale sind wahrscheinlich die physiologische Basis dieses Mobilisationszustandes der Nervenzellen. Zudem korrelieren sie sehr gut mit Verhalten, und als Psychologen sind wir ja stets daran interessiert, Maße zu finden, die mit Verhalten gut zusammenhängen. Die LKPs hängen nun mit Aufmerksamkeitszuwendung oder -abwendung, mit Mobilisierung für Bewegungen, mit Mobilisierung für Gedanken oder für Gefühle eng zusammen.

Z: Kommt diese Erregungsvielfalt zustande, weil es sich bei den LKPs um ein ausgedehntes System handelt, das sich in vielen Hirnregionen finden läßt?

Birbaumer: Genau, es ist ein relativ unspezifisches System, das sich in vielen Hirnregionen registrieren läßt. Jedesmal, wenn ein bestimmte Hirnregion in einen Zustand der erhöhten oder erniedrigten Erregung gelangt, sehen sie eine elektrische Negativierung oder Positivierung im Gehirn. Die können sie im EEG (Elektroenzephalogramm) oder im MEG (Magnetoenzephalogramm) relativ problemlos messen, wenngleich es nicht so einfach ist, wie das normale EEG, denn es gibt ein paar technische Schwierigkeiten, welche die meisten Leute nicht beherrschen, darum gibt es wenige Leute, die sich damit befassen.
Langsame Hirnpotentiale sind keineswegs meine Entdeckung, sie werden bereits seit 70, 80 Jahren nachgewiesen. Weil diese Potentiale so gut mit Verhalten korrelieren, lag es nahe, sie zu konditionieren. Es lag nah, herauszufinden, was passiert mit unserem Verhalten, unserem Denken, wenn wir diese Potentiale verändern. Veränderbar sind die LKPs auf verschiedene Weise: Pharmakologisch, durch Darbietung bestimmter Reize oder durch selbstkontrollierende Veränderung. Selbstkontrolle ist nur über operantes Konditionieren zu erzielen. Deswegen konditionieren wir diese Potentiale, in dem wir die Patienten dafür belohnen, dass sie sie produzieren, systematisch über viele Sitzungen. Wenn die Patienten diese Selbstkontrolle erlernt haben, können sie selbst bestimmte Hirnareale entweder erregen oder hemmen, lokal einen bestimmten Teil des Gehirns. Damit kann man Verhalten verändern oder epileptische Anfälle verhindern. Jetzt möchten wir, dass man das nutzt, um Menschen, die vollständig eingeschlossen sind, gelähmt sind, Patienten, die in einer Art Komazustand sind, doch zu erlauben, wieder mit ihrer Umgebung zu kommunizieren.

Z: Was ist unter kortikaler Negativierung und kortikaler Positivierung zu verstehen?

Birbaumer: Im Gehirn entsteht eine Negativierung dann, wenn die Zellen depolarisiert werden, d.h. wenn die Ladung der Zellmembran so verschoben wird, dass die Zelle ladungsbereit ist. Diese Ladungsbereitschaft der Zelle äußert sich in einer Negativierung, und wenn die Zelle ihre Ladungsbereitschaft verhindert, wenn sie in einen Zustand der Passivität oder der Hemmung verfällt, dann verändert sie sich hin zu einer Positivierung. Diesen Zustand der Erregungsbereitschaft und Erregungshemmung kann ich nun für ein Areal etwa in einem Umkreis von 1 cm im EEG und im MEG bis auf wenige Millimeter genau messen. Da unsere Patienten entweder zu Hause oder auf Intensivstationen liegen, brauchen wir portable Geräte, deswegen können wir das MEG dort nicht verwenden, auch wenn dies wegen der höheren Genauigkeit viel besser wäre.
Mit einer Negativierung sind also die Zellen erregungsbereit, und wenn dann ein Gedanke oder eine Bewegung ausgeführt werden soll, dann wird sie besser ausgeführt, wenn die Zelle negativ ist. Wenn sie positiv ist, wird es schlechter. Das Verhalten, also die Verhaltensbereitschaft und die Verhaltenseffizienz hängen davon ab, ob die Areale, die mein Verhalten steuern, negativ geladen sind. Wenn sie das sind, dann wird die Effizienz dieses Zellsystems, zu feuern und das Verhalten zu bewirken, besser. Wobei das für die Experimente mit den Gelähmten überhaupt keine Rolle spielt, weil wir von denen nur ein Signal aus dem Hirn erkennen wollen, das stimmt, das jedesmal funktioniert. Und dafür ist es uns egal, ob das positiv ist oder negativ.

Z: Wie lassen sich die Hirnpotentiale unter Kontrolle bringen? Welches Setting haben Sie, um operant zu kondtionieren?

Birbaumer: Das ist immer gleich. Die Patienten schauen auf den Bildschirm und sehen dort ihre langsamen Hirnpotentiale im Abstand von 2 bis 8 Sekunden in Form einer Rakete oder in Form eines Balles oder auch eines freundlichen Computers. Die Patienten sehen das über den Bildschirm laufen. Der Computer weist an, mach das Hirn negativ für 2 Sekunden, und der Patient muß eine Negativierung produzieren.

Z: Wie geschieht das?

Birbaumer: Ganz genau wissen wir das nicht. Jeder Mensch entwickelt dafür seine eigene Strategie. Jeder Mensch erzählt ihnen da eine eigene Geschichte, wie er das macht. Uns interessiert nur, dass es funktioniert. Die Patienten beobachten also die LKPs auf dem Bildschirm. Wenn das Potential eine bestimmte Höhe erreicht hat, dann fliegen der Ball oder die Rakete entweder in ein Tor oder der Bildschirm leuchtet auf oder das Gesicht lacht. Richtig Skinnerianisch.
Oder aber, wenn sie eine Positivierung produzieren sollen, dann erscheint bspw. ein B, wenn die Negativierung als A erscheint. Die Aufgabe ist dann, in zwei Sekunden eine Positivierung zu erzeugen. Und wenn der Mensch innerhalb von 2 Sekunden 5 Millionstel Volt positiv erreicht, bekommt er eine der genannten Belohnungen. Das wiederholt sich pro Sitzung etwa 150 mal. Dann wird der Bildschirm abgeschaltet und der Computer gibt nur noch aus, im Wechsel ein negatives und ein positives Signal zu erzeugen, ohne Belohnung und ohne Rückmeldung, so dass die Patienten das auch ohne diese Hilfen können. Meistens können sie es ohne Feedback sogar besser. Am Anfang braucht man das Feedback aber, um ein Gefühl zu bekommen, wie man die Potentiale kontrolliert. Die individuelle Strategie der Kontrolle muß zuerst gefunden werden.

Z: Wann hatten sie die Idee, auf diese Weise das Problem völlig fehlender Motorik zu umgehen?

Fortsetzung: Teil 3

Locked-In-Syndrom – das eingeschlossene Hirn

Heute startet der Film „Schmetterling und Taucherglocke„, Regie Julian Schnabel. Der Film nimmt sehr konsequent die Perspektive eines Menschen ein, der an einem so genannten Locked-In-Syndrom leidet: Sämtliche Muskeln (hier: bis auf ein Augenlid) sind gelähmt (nun ja, im Film hängt der Schauspieler nicht an einer Herz-Lungen-Maschine…). Kommunikation ist, wenn überhaupt, nur noch sehr eingeschränkt möglich.

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Zettmann: Mit Hilfe einer Biofeedback-Anordnung und eines leistungsstarken PC stellen Sie Patienten und Patientinnen, deren Motorik durch chronisch-degenerative Nervenerkrankungen komplett ausgefallen ist, deren Gehirn aber weiterhin Informationen verarbeitet, ein von Ihnen so genanntes Gedankenübersetzungsgerät zur Verfügung, mit dem diese Menschen wieder mit der Außenwelt kommunizieren können. Wie können Sie erfahren, dass ein Gelähmter eingeschlossen ist, wenn Sie nicht mit demjenigen kommunizieren können?

Birbaumer: Im Prinzip gar nicht, außer es steht ein System zur Verfügung, mit dem sich diagnostizieren läßt, inwieweit die Informationsverarbeitung des Patienten funktioniert. Wir testen gerade ein System, das zunehmend komplizierte Reize darbietet und die Hirnaktivität ableitet. Aus der Form der Hirnaktivität läßt sich erschließen, ob diese komplexen Reize noch verarbeitet werden. Das beginnt mit einfachen Tönen, die sich abwechseln, über den Namen des Patienten zu Sätzen, die syntaktische und semantische Fehler enthalten. So wird eine Hierarchie der Reize dargeboten. Das System leitet die Hirnaktivität ab und hinterher kann man sagen, inwieweit die Patienten die Informationen verstehen. Für diese Diagnose brauche ich dann kein willentliches Signal von den Patienten mehr. Anschließend kann das Training mit dem Gedankenübersetzungsgerät beginnen.

Z: Sie vergleichen also die bekannten Reiz-Reaktionen eines nicht-geschädigten Hirns mit den gemessenen Werten eines Patienten?

Birbaumer: Genau, die Normalwerte sind als kartographiert, die Potentialformeln sind bekannt. Mich wundert, dass das noch niemand gemacht hat. Wir haben die Literatur gesucht, aber keine gefunden. Technisch möglich ist das seit 30 Jahren.

Z: Für welche hirnorganischen Syndrome ist die Anwendung geeignet?

Birbaumer: Unser Gerät erfordert ein intaktes Großhirn. Bei Patienten mit apallischem Syndrom ist das nicht der Fall. Allerdings ist die gesamte Definition des apallischen Syndroms problematisch. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass sich jemand in einem apallischen Syndrom befindet. Es kann also sein, dass ein Mensch als Apalliker behandelt wird, weil angenommen wird, dass die Gehirnrinde nicht mehr funktioniert. In diesem Zustand kann man natürlich leben, aber für diejenigen ist unser Gerät nicht geeignet.
Es gibt jedoch pseudo-komatische oder auch echte komatische Zustände, bei denen Teile der Hirnrinde intakt sind, der Patient aber nur deswegen nicht kommunizieren kann, weil alle Muskeln gelähmt sind, weil die ganze Motorik weg ist. Dann werden diese Leute häufig als im Koma liegend bezeichnet, aber man ist dann immer wieder überrascht, wenn die Leute nach Jahren aus dem Koma aufwachen, welche Geschichten die dann erzählen. In einzelnen Fällen geschieht es, dass Patienten als Apalliker diagnostiziert werden, obwohl sie sich in einem Lock-In Zustand befinden, in Wirklichkeit also intellektuell völlig intakt sind.
Das Gerät wird somit auch für diese Patientengruppe entwickelt, aber primär für Patienten, die an chronischen neurologischen Erkrankungen leiden, die im Endzustand zu einem Locked-In-Syndrom führen – und das werden heutzutage immer mehr, weil die Patienten mit den verfügbaren lebenserhaltenden Maßnahmen am Leben erhalten werden können. Krankheiten wie die amyotrophe Lateralsklerose oder verschiedene Muskeldystrophien führen im Endzustand zu völliger Lähmung, einschließlich der Augenmuskeln. Die Leute müssen künstlich ernährt und beatmet werden, sind aber intellektuell völlig intakt. Sie können denken, sehen, hören, fühlen – sie können nur nichts wiedergeben, nicht einmal mit den Augen blinzeln.
Solange wir irgendwo im Körper noch einen Muskel finden, bevorzugen wir den Muskel gegenüber dem Gehirn als Signalgeber, weil die Muskeln in der Regel viel zuverlässiger arbeiten. Aber bei unseren Patienten funktionieren die nicht mehr gut. Wir sehen sie zu einem Zeitpunkt, wo die Muskeln noch funktionieren, da kommunizieren wir über die Augenmuskeln mit ihnen. Aber wir sehen bei Patienten, die schon viele Jahre künstlich beatmet und ernährt werden, dass nach kurzer Zeit die Muskeln so fehlerhaft werden, dass wir darüber auch nicht mehr kommunizieren können. Auch wenn sie noch Kontrolle haben, ermüden sie so schnell, so dass wir dann aufs Gehirn schalten müssen.

Z: Sie verwenden langsame kortikale Potentiale (LKP), um den Patienten Kontrolle über Hirnaktivitäten zu ermöglichen. Was sind das für Ströme und warum eignen sie sich besonders, von vollständig Gelähmten kontrolliert zu werden?

Teil 2

Dementia Fair Congress

Ich halte am kommenden Freitag auf dem 2. Dementia Fair Congress (DFC) einen Vortrag. Thema: „Wenn der Doktor zum Test kommt…“

Ich berichte (ganz subjektiv und tendenziell ziemlich unwissenschaftlich) von meinen Erfahrungen und Erlebnissen in den Gesprächen mit alten und sehr alten Menschen (zwischen 80 und 95), die ich täglich besuche, um mich mit ihnen über ihr Gedächtnis zu unterhalten. Ich nutze endlich mal die Gelegenheit, über diejenigen zu sprechen, die ansonsten in Gruppenunterschieden, Prozentangaben und diagnostischen Kategorien verschwinden.

Ein paar Bonmots habe ich schon preisgegeben:

Begehrt bis ins hohe Alter
Telefonieren mit 90
Hintersinn am Ende eines langen Lebens
„Herr Doktor, krieg ich den nun den Alzheimer?“
Hochbetagt und eitel

Scientific misconduct

After pondering on pseudoscience I stumbled across a debate recently emerging in some science blogs (Tiefes Leben, pharyngula, partial immortalization).

The bloggers discuss a paper on biochemical stuff (I am not familiar with at all), published in the journal Proteomics (2008 Jan 23, DOI: 10.1002/pmic.200700695). They questioned its title, its abstract and all the rest of its content. They tore it apart, smashed it to pieces, made fun of the „mighty creator“ the authors refer to explaining their „evidence“.

Finally, pharyngula got an email response by one of the authors feeling sorry. Because of all the mistakes he had requested the editorial board of Proteomics to retract the paper. In the meantime though, even a charge of plagiarism (pdf) has evolved.

The bloggers ask some very important questions: What went wrong in the review process? How come this creationist crap has made it into a so-called peer-reviewed science journal? Is it possible to distinguish the good from the bad and the fraudulent by just reading the title and the abstract?

Right now I just have an answer to the latter question: It’s almost impossible so at least in research papers on medical subjects, either randomized controlled trials, observational studies or any other design. They enclose difficult methodological issues and statistical decision making. As a result, these papers are prone to (intended?) inconsistencies between the nice abstract and the incorporated empirical evidence.

Wenn Frau Schavan Forschungsgeld verteilt…

Letzte Woche verkündete Forschungsministerin Schavan, der Bund wolle ein Art Nationales Demenzzentrum gründen.

Die Initiative beruht auf einer Ankündigung aus dem vergangenen Jahr, ein Institut ins Leben zu rufen, das die Betreuung und Versorgung der Demenzkranken im Land stärkt. Es sollte die Krankheitsursachen, Möglichkeiten der Prävention und Früherkennung, die Entwicklung wirksamer Therapien und die Untersuchung der psychosozialen Folgen von Demenzen erforschen. Frau Schavan damals: „Es geht auch um die besten Formen der Pflege und Versorgung. Die Forschung für den Menschen steht im Mittelpunkt.“

Und was ist in der vergangenen Woche daraus geworden? Ein umgetauftes Zentrum für sämtliche neurodegenerativen Erkrankungen. Eine Kommission, die ausschließlich aus Grundlagenforschern und einer Pflegewissenschaftlerin besetzt ist. Faktisch eine Kungelrunde, die (vor)-ausgewählte Forschungseinrichtungen einlädt, die 60 Millionen Euro jährlich unter sich zu verteilen.

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) kritisiert die Pläne der Ministerin:

„Grundlagenforschung ist fraglos nötig und die auserwählten Wissenschaftler sicherlich qualifiziert. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Konzeption des Instituts einseitig ausgerichtet ist. Die Grundlagenforschung kann auf absehbare Zeit weder den heute Erkrankten, noch ihren Angehörigen bzw. denjenigen nutzen, die jeden Tag die Last der Versorgung tragen. Zur Lösung dieser alltäglichen Versorgungsprobleme, die gleichwertig auf der Agenda des Instituts stehen muss, kann die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder jedoch schon deswegen nicht beitragen, weil sie damit keine Erfahrungen hat.“

Leider macht das ganze Verfahren (Ankündigung, Entscheidung über Vergabe innerhalb der kommenden vier Wochen, Einladungen an vorab informierte medizinische Fakultäten, die Kommissionsbesetzung) den schlechten Eindruck, für Frau Schavan und die auserwählten Wissenschaftler stünde das Labor im Mittelpunkt, keineswegs aber der Mensch.

Forschungszentrum für Demenz und Parkinson

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung plant ein „Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen“. Es soll innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft entstehen. Die Forschung zu Erkrankungen wie Demenz und Parkinson soll in einem neuen Helmholtz-Zentrum gebündelt werden.

Zu den Aufgaben ein Zitat aus der Pressemitteilung: „Schwerpunkte sind die Erforschung von Krankheitsursachen, Möglichkeiten der Prävention und Früherkennung, die Entwicklung wirksamer Therapien und die besten Formen der Pflege und Versorgung.“ 50 bis 60 Millionen Euro sollen jährlich zusätzlich dafür bereit gestellt werden.

Kampagne gegen IQWiG und Sawicki?

Seit der „Dienst für Gesellschaftspolitik“ in seiner Ausgabe 47/07 behauptet hat, IQWiG-Chef Peter Sawicki bevorteile über die Auftragserteilung des IQWiG seine eigenen Seilschaften, gärt es in Berlin rund um das Gesundheitsministerium und die gemeinsame Selbstverwaltung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Sind die Vorwürfe belastbar? Oder handelt es sich um den miesen Versuch, über einen Pharma-Industrie gesponsorten Nachrichtendienst, ein ungeliebtes Institut und dessen gehassten Chef zu diskreditieren?

Bald nach Erscheinen des Textes beschäftigt sich der Stiftungsvorstand des IQWiG mit den Vorwürfen. Es kommt zu einer Meldung ans Ministerium und dessen Chefin Frau Schmidt. Der G-BA beschließt daraufhin, die externe Auftragsvergabe des IQWiG gutachterlich prüfen zu lassen.

Inzwischen haben das Ärzteblatt, die Berliner Zeitung und die Ärztezeitung das Thema aufbereitet. Laut Ärzteblatt begrüßt Sawicki die Prüfung: „Ich begrüße es sehr, wenn ein externer Gutachter unsere Vergabeverfahren der vergangenen Jahre prüft. Bisher versichere nur ich, dass es darin keine Unregelmäßigkeiten gibt. Aber ein externes Gutachten würde diese Vorwürfe endgültig aus der Welt schaffen.

Fortsetzung folgt.

Industrie impft STIKO

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat im März diesen Jahres empfohlen, Mädchen zwischen 12 und 17 gegen Humane Papillomaviren (HPV) zu impfen. Die Schutzimpfung (vor dem ersten Geschlechtsverkehr), soll das Risiko verringern, viele Jahre später Gebärmutterhalskrebs zu entwickeln. In Deutschland sterben jährlich rund 1700 Frauen an diesem Krebs.

Die Empfehlung ist medizinisch umstritten, im besten Fall. Wie das Verbraucher-Magazin „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ berichtet, beruht die Zulassung des Wirkstoffes auf vorläufigen Daten. Inwieweit die Impfung tatsächlich gegen den Krebs schützt, weiß niemand, denn darüber liegen keinerlei Daten vor. Sowieso kann der Impfstoff nur gegen vier von mehr als 100 Warzenviren immunisieren. Deswegen betont auch ein Werbefilmchen des Herstellers, dass die üblichen Vorsorgeuntersuchungen weiterhin notwendig seien. Es bleibt also die Frage: Warum eine solche Impfung? Für alle! Und welche unrühmliche Rolle spielt die STIKO dabei?

Die Substanz wird als Hoffnungsträger verkauft, die erstmals einen Krebs durch Impfung verhindert. Das geschieht mit einer massiven Angstkampagne, wie der Beitrag in der TAZ vom 07.08.07 für die Stadt Bremen belegt. Schließlich scheint die Industrie manchen HPV-Impf-Befürworter in Ihrem Sinne geimpft zu haben:

Vier Monate vor der Markteinführung des Impfstoffes nahm der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission einen mit 10000 Euro dotierten Preis an (Pressemitteilung, PDF) – für seine Verdienste um die Förderung des Impfgedankens. Sponsor des Preises: HPV-Impfstoff-Hersteller Sanofi Pasteur MSD. Selbstverständlich hatten die Preisverleihung an den STIKO-Chef und die Impfempfehlung der STIKO nichts miteinander zu tun. Aber wer einen solchen Preis bekommt, muss sich natürlich verpflichtet sehen, den Impfgedanken bei einer so passenden Gelegenheit wie der Anti-Warzenviren-Spritze weiter zu fördern…

Andere Medien berichteten ebenfalls: Das ARD-Verbrauchermagazin PlusMinus sendete diesen Beitrag. Die Süddeutsche Zeitung bezog auf Ihrer Wissensseite Stellung.

Demenz – Unterversorgung mit Medikamenten

Heute, zum Weltalzheimertag, nutzen wieder all jene die Gunst der Stunde, die die Öffentlichkeit glauben machen wollen, Alzheimer-Patienten seien unterversorgt. So wiederholt die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie in schöner Regelmäßigkeit, nur soundso viele Patienten mit Alzheimer bekämen die adäquate (und sie meinen damit, medikamentöse) Therapie. In diesem Beitrag in der Ärztezeitung wird mit einem Anteil von 50% aller ambulant versorgten Alzheimer-Patienten hantiert.

Pharmaindustrieerzeugtes Geschwafel wird nicht intelligent, wenn es andauernd wiederholt wird. Niemand von denjenigen, die Webseiten wie alois.de, alzheimerinfo.de oder medizinnews.de betreiben, setzt sich dem Risiko aus, seriös zu argumentieren. Dann würden deren jämmerliche Zahlengebäude nämlich zerplatzen wie Seifenblasen. Es ist grob beleidigend für jeden Behandler im Feld, wenn er mit Nonsens-Studien konfrontiert wird, die angeblich belegen, wie unterversorgt (mit Medikamenten) Demenz-Patienten sind.

Die Beweiskette: Es gibt eine Million (wahlweise 650000) Alzheimer-Fälle in Deutschland. In den Verordnungsstatistiken werden allerdings nur Antidementiva-Tagesdosen für einen Teil dieser Patienten ausgewiesen. Deswegen ist daraus der Schluss zu ziehen, der große Rest der Leute sei unterversorgt… Ein Beispiel dafür, wie solche Fiktionen produziert werden, liefert der Gesundheitsökonom Reinhard Rychlik im Auftrag des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller.

Als ob es nicht mindestens ein halbes Dutzend Gründe gäbe, die Medikamente einem alten, wahrscheinlich auch an anderen Erkrankungen leidenden Menschen nicht zu verordnen: Patienten sprechen nicht auf die Behandlung an. Patienten sind bereits in schwerem Stadium der Erkrankung. Patienten brechen die Therapie ab, weil die Nebenwirkungen zu heftig sind. Patienten sind gar nicht in der GKV versichert – und tauchen deswegen in den Verordnungsstatistiken nicht auf. Patienten weigern sich, die Medikamente zu nehmen bzw. sich überhaupt behandeln zu lassen. Von all dem abgesehen: Auch die Zweifel am Nachweis der Wirksamkeit sind keineswegs ausgeräumt.

Die insgesamt dürftige Beweisführung wird uns nun seit mehreren Jahren immer wieder aufgetischt. Gehaltvoller sind die Beiträge nicht geworden, aber die These prägt sich ein – zumal es dieser Tage sehr en vogue ist, den schlimmen Versorgungsstand von Alzheimer-Patienten zu beklagen.

Karl Lauterbach verhöhnt?

Nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss vergangene Woche beschlossen hat, dass zukünftig Vorsorgeleistungen nicht verpflichtend von den Patienten in Anspruch genommen werden müssen, geht Karl Lauterbach, Gesundheitsökonom und SPD-Abgeordneter im Bundestag in die mediale Offensive. Dem Kölner Stadtanzeiger gibt er zu Protokoll: „Das ist eine Verhöhnung des Gesetzgebers.

Lauterbach hält es für eine Zumutung, dass der GBA sich über die Wünsche des Gesetzgebers hinweg setzt. Der hatte nämlich in § 62 SGB V verfügt, chronisch Kranken zukünftig nur dann die ermäßigte Zuzahlung (1% der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt) zu gewähren, wenn diese regelmäßig Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch nehmen. Weil der GBA nun allenfalls eine Beratung für verpflichtend erklärt, kippt das Gremium sehr zu meinem Vergnügen die beabsichtigte Bestrafung (2% Zuzahlung für chronisch Kranke statt 1%).

Beim Zahnersatz gilt diese (Vorsorge)-Regelung ja schon lange. So argumentieren auch Lauterbach & Co.: Regelmäßige Kontrollen dokumentieren den Zahnstatus und führen zu rechtzeitiger Behandlung. Im körpermedizinischen Bereich stellt sich das allerdings schnell als unangemessener staatlicher Körperkontrollzwang heraus. Zum einen sind die Tests wenig aussagekräftig und wenig verlässlich. Zum anderen sind viele Grenzwerte äußerst umstritten wie erst die jüngste Debatte um den Body-Mass-Index und die fetten Deutschen zeigt.

Fazit: Herr Lauterbach mag sich verhöhnt fühlen. Doch dem exzessiven Körperkontrollbegehren des Gesetzgebers einen Riegel vorzuschieben, ist nur zu begrüßen. So wie ich nämlich keinen Präventionsstaat im Bereich der Sicherheitspolitik möchte, kann ich auch in der Gesundheitspolitik gern auf diese Art staatlicher Organisation verzichten. Und warte nun gespannt darauf, ob Ulla Schmidt der GBA-Richtlinie zustimmen wird.