Am Mittwoch letzter Woche (05.03.08) ist der Hacker, Computerphilosoph und Gesellschaftsanalytiker Joseph Weizenbaum gestorben. Ich habe ihn 1998 besucht, um ihn für die Zeitschrift Psychologie Heute (Heft 12/98) zu interviewen. Ich veröffentliche das ausführliche Gespräch erneut, verteilt über vier Blogeinträge. Es hat wenig von seiner Aktualität eingebüßt, obwohl es entstanden ist, bevor Internet, Handy und Laptop zu wirklichen Massenphänomen wurden. Zeitlos also das Gespräch, trotz der rasanten Entwicklungen gerade in diesem Bereich und ein Zeichen dafür, wie werthaltig Weizenbaums Betrachtungen sind.
Zettmann: Reichen Versprechungen aus, eine neue Technologie zu rechtfertigen – so wie es heute in der Informations- und der Biotechnologie geschieht?.
Weizenbaum: Hätte man am Anfang des Jahrhunderts vorhersagen sagen können, wie viele Menschen durch das Automobil getötet werden, hätten wir dann Autos gebaut? Doch niemand hat daran gedacht, diese Frage zu stellen. Ich glaube, der größte Fehler des Jahrhunderts ist die Atomkraft. Ich erinnere, daß das TIME-Magazin einen Artikel über die Atombombe veröffentlichte. Sie erklärten wie die Technik funktioniert. Damals erklärten die Fachleute, ein Stückchen Uran von der Große einer Erbse (engl. the size of a pea) reiche aus, die „Queen Mary“ dreimal um die Erde fahren zu lassen. Zudem würde es jetzt möglich, damit Kraftwerke zu bauen und die Elektrizität wäre so billig, daß es sich nicht lohnen würde, dafür Geld zu nehmen. Das Messen des Stromverbrauchs wäre teurer als die zu erwartenden Einnahmen. Durch Atomenergie würde die Elektrizität umsonst sein… Das ist ein Beispiel, wie verfehlt Versprechungen sein können. Das läßt sich an anderen Techniken wiederholen. Ein zweiter Aspekt ist, daß sich niemand die Mühe machte, auszurechnen, wie lange die Atomkraftwerke in Betrieb bleiben und wieviel es dann kosten wird, die wieder abzubauen. Abfall wurde nicht kalkuliert, so wie beim Auto nicht an Folgekosten gedacht wurde.
Z: Es scheint noch nie erkenntnisleitend gewesen zu sein, an die unangenehmen Folgen des eigenen Handelns zu denken.
W: Genau dafür gibt es sehr viele Beispiele. Viele der Leute, die an der Atombombe gearbeitet haben, dachten, das wäre eine Waffe, die den Krieg unmöglich macht. Daran sieht man, wie wir träumen. Bis heute wird behauptet, die Atombombe hätte den Krieg wirklich unmöglich gemacht. Jetzt haben wir über 50 Jahre Frieden. Allerdings kam es seit 1945 zu Dutzenden von kriegerischen Auseinandersetzungen. Die vom Frieden durch die Bombe träumten, meinten ja Krieg in Europa. Aber auch da gingen sie fehl, bspw. am Balkan. Eine andere Facette davon sind die Nebenwirkungen großer Entwicklungen. Die Nebenwirkungen der Technologien werden viel bedeutsamer als die eigentlich beabsichtigten Wirkungen. Auch das sehen sie beim Auto: Nebenwirkungen wie die Zupflasterung der halben Welt, mögliche klimatische Veränderungen durch Emissionen usw. Wenn die, wie wir sie kennen, überlebt, werden die Kinder in zwei-, dreihundert Jahren in der Schule lernen, daß es einmal, zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr viel Erdöl auf der Erde gab, und es 150 Jahre später aufgebraucht war. Ohne die geringste Vorsicht haben wir das alles verbrannt, als ob es umsonst wäre und immer erneuert werden könnte. Zu den Nebenwirkungen zählen auch die Kriege im mittleren Osten, ein großer Teil der Weltpolitik hängt von ölstrategischen Überlegungen ab usw. Es wird den Kindern schwer verständlich erscheinen.
Z: Auf den Beipackzetteln von Medikamenten steht die Empfehlung, Arzt oder Apotheker nach den Nebenwirkungen zu fragen. Wen befrage ich zu den Nebenwirkungen des Computers?
W: Natürlich dient der Beipackzettel in erster Linie dazu, die Patienten vor ungewollten Folgen zu schützen. Doch auch Contergan lag ein Zettel bei. Danach konnte die Industrie fragen: Und haben sie ihren Arzt gefragt? In diesem Sinn ist der Zettel eine Lüge. Denn entweder wissen die Ärzte oder Apotheker nicht, oder das Wissen darüber ist gar nicht in der Welt, weil die entsprechenden Experimente nicht gemacht oder nicht richtig durchdacht wurden. So ähnlich ist es mit dem Computer: Man fragt IBM. Und IBM sagt ihnen, was sie Angenehmes hören wollen. Zudem existieren Berater. Die werden oft dann gerufen, wenn es in einer Firma Meinungsverschiedenheiten gibt. Der soll eine unabhängige Meinung zu den avisierten Problemen haben. Dann versucht also der Berater herauszufinden, wie sich die Verhältnisse in der Firma gestalten. Die ihn bezahlen, brauchen eine bestimmte Antwort. Und die liefert er dann. Aber es fehlt kritisches Denken. Und ich glaube, in vielen Fällen ist der Berater nur ein Feigenblatt. Deswegen bin ich davon überzeugt, daß es die Pflicht des Informatikers selbst ist, selbstkritisch zu sein, selbst zu denken, und ehrlich zu sagen, was sie können und was sie nicht können. Wenn sie sich die Reklame der Computerindustrie in den letzten 40 Jahren betrachten, dann sehen sie Versprechungen und nochmals Versprechungen und ganz besonders, wie schön morgen alles sein wird. Zwar haben wir heute noch unsere Schwierigkeiten, aber der neue Rechner, der dann alles kann, entsteht bereits am Zeichenbrett, den haben wir gerade in der Entwicklung. Ich glaube, wir haben eine *therapeutische* Entwicklung in der Computerindustrie. Immer mehr Computer stehen in den Wohnungen der Menschen. Zum ersten Mal sehen ganz einfache Leute, wie schwierig es ist, mit dem Computer umzugehen. Das ist eben kein Kühlschrank, der kühlt, wenn man den Stecker in die Wand steckt. Der Computer erfordert eine große Menge an technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten und braucht technische Wartung.
Z: Auch das wird uns seit Jahren versprochen: Den Computer, leicht zu handhaben wie ein Toaster und multifunktional wie früher nur ein Großrechner.