Das eingeschlossene Hirn – Teil 2

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts von „Schmetterling und Taucherglocke“ (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Teil 1

Zettmann: Sie verwenden langsame kortikale Potentiale (LKP), um den Patienten Kontrolle über Hirnaktivitäten zu ermöglichen. Was sind das für Ströme und warum eignen sie sich besonders, von vollständig Gelähmten kontrolliert zu werden?

Birbaumer: Langsame kortikale Potentiale sind relativ langsame elektrische Veränderungen der obersten Hirnrindenschichten. Ich habe diese Potentiale immer untersucht, weil sie die Grundlage der Erregungsbereitschaft der Nervenzellen darstellen. Mich hat früher interessiert, was passiert, wenn ein bestimmter Teil des Gehirns in einen solchen Mobilisierungs- bzw. Erregungszustand versetzt wird, wie wirkt sich das auf Verhalten aus, denn jedes Verhalten läßt sich auf einen Zustand der Erregungserhöhung in bestimmten Hirnarealen zurückführen. Die langsamen Hirnpotentiale sind wahrscheinlich die physiologische Basis dieses Mobilisationszustandes der Nervenzellen. Zudem korrelieren sie sehr gut mit Verhalten, und als Psychologen sind wir ja stets daran interessiert, Maße zu finden, die mit Verhalten gut zusammenhängen. Die LKPs hängen nun mit Aufmerksamkeitszuwendung oder -abwendung, mit Mobilisierung für Bewegungen, mit Mobilisierung für Gedanken oder für Gefühle eng zusammen.

Z: Kommt diese Erregungsvielfalt zustande, weil es sich bei den LKPs um ein ausgedehntes System handelt, das sich in vielen Hirnregionen finden läßt?

Birbaumer: Genau, es ist ein relativ unspezifisches System, das sich in vielen Hirnregionen registrieren läßt. Jedesmal, wenn ein bestimmte Hirnregion in einen Zustand der erhöhten oder erniedrigten Erregung gelangt, sehen sie eine elektrische Negativierung oder Positivierung im Gehirn. Die können sie im EEG (Elektroenzephalogramm) oder im MEG (Magnetoenzephalogramm) relativ problemlos messen, wenngleich es nicht so einfach ist, wie das normale EEG, denn es gibt ein paar technische Schwierigkeiten, welche die meisten Leute nicht beherrschen, darum gibt es wenige Leute, die sich damit befassen.
Langsame Hirnpotentiale sind keineswegs meine Entdeckung, sie werden bereits seit 70, 80 Jahren nachgewiesen. Weil diese Potentiale so gut mit Verhalten korrelieren, lag es nahe, sie zu konditionieren. Es lag nah, herauszufinden, was passiert mit unserem Verhalten, unserem Denken, wenn wir diese Potentiale verändern. Veränderbar sind die LKPs auf verschiedene Weise: Pharmakologisch, durch Darbietung bestimmter Reize oder durch selbstkontrollierende Veränderung. Selbstkontrolle ist nur über operantes Konditionieren zu erzielen. Deswegen konditionieren wir diese Potentiale, in dem wir die Patienten dafür belohnen, dass sie sie produzieren, systematisch über viele Sitzungen. Wenn die Patienten diese Selbstkontrolle erlernt haben, können sie selbst bestimmte Hirnareale entweder erregen oder hemmen, lokal einen bestimmten Teil des Gehirns. Damit kann man Verhalten verändern oder epileptische Anfälle verhindern. Jetzt möchten wir, dass man das nutzt, um Menschen, die vollständig eingeschlossen sind, gelähmt sind, Patienten, die in einer Art Komazustand sind, doch zu erlauben, wieder mit ihrer Umgebung zu kommunizieren.

Z: Was ist unter kortikaler Negativierung und kortikaler Positivierung zu verstehen?

Birbaumer: Im Gehirn entsteht eine Negativierung dann, wenn die Zellen depolarisiert werden, d.h. wenn die Ladung der Zellmembran so verschoben wird, dass die Zelle ladungsbereit ist. Diese Ladungsbereitschaft der Zelle äußert sich in einer Negativierung, und wenn die Zelle ihre Ladungsbereitschaft verhindert, wenn sie in einen Zustand der Passivität oder der Hemmung verfällt, dann verändert sie sich hin zu einer Positivierung. Diesen Zustand der Erregungsbereitschaft und Erregungshemmung kann ich nun für ein Areal etwa in einem Umkreis von 1 cm im EEG und im MEG bis auf wenige Millimeter genau messen. Da unsere Patienten entweder zu Hause oder auf Intensivstationen liegen, brauchen wir portable Geräte, deswegen können wir das MEG dort nicht verwenden, auch wenn dies wegen der höheren Genauigkeit viel besser wäre.
Mit einer Negativierung sind also die Zellen erregungsbereit, und wenn dann ein Gedanke oder eine Bewegung ausgeführt werden soll, dann wird sie besser ausgeführt, wenn die Zelle negativ ist. Wenn sie positiv ist, wird es schlechter. Das Verhalten, also die Verhaltensbereitschaft und die Verhaltenseffizienz hängen davon ab, ob die Areale, die mein Verhalten steuern, negativ geladen sind. Wenn sie das sind, dann wird die Effizienz dieses Zellsystems, zu feuern und das Verhalten zu bewirken, besser. Wobei das für die Experimente mit den Gelähmten überhaupt keine Rolle spielt, weil wir von denen nur ein Signal aus dem Hirn erkennen wollen, das stimmt, das jedesmal funktioniert. Und dafür ist es uns egal, ob das positiv ist oder negativ.

Z: Wie lassen sich die Hirnpotentiale unter Kontrolle bringen? Welches Setting haben Sie, um operant zu kondtionieren?

Birbaumer: Das ist immer gleich. Die Patienten schauen auf den Bildschirm und sehen dort ihre langsamen Hirnpotentiale im Abstand von 2 bis 8 Sekunden in Form einer Rakete oder in Form eines Balles oder auch eines freundlichen Computers. Die Patienten sehen das über den Bildschirm laufen. Der Computer weist an, mach das Hirn negativ für 2 Sekunden, und der Patient muß eine Negativierung produzieren.

Z: Wie geschieht das?

Birbaumer: Ganz genau wissen wir das nicht. Jeder Mensch entwickelt dafür seine eigene Strategie. Jeder Mensch erzählt ihnen da eine eigene Geschichte, wie er das macht. Uns interessiert nur, dass es funktioniert. Die Patienten beobachten also die LKPs auf dem Bildschirm. Wenn das Potential eine bestimmte Höhe erreicht hat, dann fliegen der Ball oder die Rakete entweder in ein Tor oder der Bildschirm leuchtet auf oder das Gesicht lacht. Richtig Skinnerianisch.
Oder aber, wenn sie eine Positivierung produzieren sollen, dann erscheint bspw. ein B, wenn die Negativierung als A erscheint. Die Aufgabe ist dann, in zwei Sekunden eine Positivierung zu erzeugen. Und wenn der Mensch innerhalb von 2 Sekunden 5 Millionstel Volt positiv erreicht, bekommt er eine der genannten Belohnungen. Das wiederholt sich pro Sitzung etwa 150 mal. Dann wird der Bildschirm abgeschaltet und der Computer gibt nur noch aus, im Wechsel ein negatives und ein positives Signal zu erzeugen, ohne Belohnung und ohne Rückmeldung, so dass die Patienten das auch ohne diese Hilfen können. Meistens können sie es ohne Feedback sogar besser. Am Anfang braucht man das Feedback aber, um ein Gefühl zu bekommen, wie man die Potentiale kontrolliert. Die individuelle Strategie der Kontrolle muß zuerst gefunden werden.

Z: Wann hatten sie die Idee, auf diese Weise das Problem völlig fehlender Motorik zu umgehen?

Fortsetzung: Teil 3

Locked-In-Syndrom – das eingeschlossene Hirn

Heute startet der Film „Schmetterling und Taucherglocke„, Regie Julian Schnabel. Der Film nimmt sehr konsequent die Perspektive eines Menschen ein, der an einem so genannten Locked-In-Syndrom leidet: Sämtliche Muskeln (hier: bis auf ein Augenlid) sind gelähmt (nun ja, im Film hängt der Schauspieler nicht an einer Herz-Lungen-Maschine…). Kommunikation ist, wenn überhaupt, nur noch sehr eingeschränkt möglich.

Ende der 1990er Jahre entwickelte der Tübinger Psychologe Niels Birbaumer ein computergestütztes Gedankenübersetzungsgerät. Das Gerät eröffnete Menschen mit dem Locked-In-Syndrom die Möglichkeit, wieder mit der Außenwelt zu kommunizieren, zu schreiben, das Licht im Zimmer an und aus zu schalten. Aus Anlass des Filmstarts (wieder)-veröffentliche ich ein Gespräch mit Birbaumer (Psychologie Heute 11/98) über die Neuroprothese, die dahinter stehende Lerntheorie und den Konstruktivismus.

Zettmann: Mit Hilfe einer Biofeedback-Anordnung und eines leistungsstarken PC stellen Sie Patienten und Patientinnen, deren Motorik durch chronisch-degenerative Nervenerkrankungen komplett ausgefallen ist, deren Gehirn aber weiterhin Informationen verarbeitet, ein von Ihnen so genanntes Gedankenübersetzungsgerät zur Verfügung, mit dem diese Menschen wieder mit der Außenwelt kommunizieren können. Wie können Sie erfahren, dass ein Gelähmter eingeschlossen ist, wenn Sie nicht mit demjenigen kommunizieren können?

Birbaumer: Im Prinzip gar nicht, außer es steht ein System zur Verfügung, mit dem sich diagnostizieren läßt, inwieweit die Informationsverarbeitung des Patienten funktioniert. Wir testen gerade ein System, das zunehmend komplizierte Reize darbietet und die Hirnaktivität ableitet. Aus der Form der Hirnaktivität läßt sich erschließen, ob diese komplexen Reize noch verarbeitet werden. Das beginnt mit einfachen Tönen, die sich abwechseln, über den Namen des Patienten zu Sätzen, die syntaktische und semantische Fehler enthalten. So wird eine Hierarchie der Reize dargeboten. Das System leitet die Hirnaktivität ab und hinterher kann man sagen, inwieweit die Patienten die Informationen verstehen. Für diese Diagnose brauche ich dann kein willentliches Signal von den Patienten mehr. Anschließend kann das Training mit dem Gedankenübersetzungsgerät beginnen.

Z: Sie vergleichen also die bekannten Reiz-Reaktionen eines nicht-geschädigten Hirns mit den gemessenen Werten eines Patienten?

Birbaumer: Genau, die Normalwerte sind als kartographiert, die Potentialformeln sind bekannt. Mich wundert, dass das noch niemand gemacht hat. Wir haben die Literatur gesucht, aber keine gefunden. Technisch möglich ist das seit 30 Jahren.

Z: Für welche hirnorganischen Syndrome ist die Anwendung geeignet?

Birbaumer: Unser Gerät erfordert ein intaktes Großhirn. Bei Patienten mit apallischem Syndrom ist das nicht der Fall. Allerdings ist die gesamte Definition des apallischen Syndroms problematisch. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass sich jemand in einem apallischen Syndrom befindet. Es kann also sein, dass ein Mensch als Apalliker behandelt wird, weil angenommen wird, dass die Gehirnrinde nicht mehr funktioniert. In diesem Zustand kann man natürlich leben, aber für diejenigen ist unser Gerät nicht geeignet.
Es gibt jedoch pseudo-komatische oder auch echte komatische Zustände, bei denen Teile der Hirnrinde intakt sind, der Patient aber nur deswegen nicht kommunizieren kann, weil alle Muskeln gelähmt sind, weil die ganze Motorik weg ist. Dann werden diese Leute häufig als im Koma liegend bezeichnet, aber man ist dann immer wieder überrascht, wenn die Leute nach Jahren aus dem Koma aufwachen, welche Geschichten die dann erzählen. In einzelnen Fällen geschieht es, dass Patienten als Apalliker diagnostiziert werden, obwohl sie sich in einem Lock-In Zustand befinden, in Wirklichkeit also intellektuell völlig intakt sind.
Das Gerät wird somit auch für diese Patientengruppe entwickelt, aber primär für Patienten, die an chronischen neurologischen Erkrankungen leiden, die im Endzustand zu einem Locked-In-Syndrom führen – und das werden heutzutage immer mehr, weil die Patienten mit den verfügbaren lebenserhaltenden Maßnahmen am Leben erhalten werden können. Krankheiten wie die amyotrophe Lateralsklerose oder verschiedene Muskeldystrophien führen im Endzustand zu völliger Lähmung, einschließlich der Augenmuskeln. Die Leute müssen künstlich ernährt und beatmet werden, sind aber intellektuell völlig intakt. Sie können denken, sehen, hören, fühlen – sie können nur nichts wiedergeben, nicht einmal mit den Augen blinzeln.
Solange wir irgendwo im Körper noch einen Muskel finden, bevorzugen wir den Muskel gegenüber dem Gehirn als Signalgeber, weil die Muskeln in der Regel viel zuverlässiger arbeiten. Aber bei unseren Patienten funktionieren die nicht mehr gut. Wir sehen sie zu einem Zeitpunkt, wo die Muskeln noch funktionieren, da kommunizieren wir über die Augenmuskeln mit ihnen. Aber wir sehen bei Patienten, die schon viele Jahre künstlich beatmet und ernährt werden, dass nach kurzer Zeit die Muskeln so fehlerhaft werden, dass wir darüber auch nicht mehr kommunizieren können. Auch wenn sie noch Kontrolle haben, ermüden sie so schnell, so dass wir dann aufs Gehirn schalten müssen.

Z: Sie verwenden langsame kortikale Potentiale (LKP), um den Patienten Kontrolle über Hirnaktivitäten zu ermöglichen. Was sind das für Ströme und warum eignen sie sich besonders, von vollständig Gelähmten kontrolliert zu werden?

Teil 2

Was kostet es, Medikamente zu vermarkten?

Die Ausgaben für die Vermarktung von Arzneimitteln sind immer mal wieder Anlass für Dispute zwischen den Medikamentenherstellern und deren Kritikern. Die Unternehmen behaupten, keineswegs gäben sie für das Marketing mehr aus als für Forschung und Entwicklung. Die Kritiker hingegen werfen der Industrie vor, alle direkten und indirekten Vermarktungskosten überstiegen die Forschungsetats sehr deutlich.

In einer frischen Bestandsaufnahme (Gagnon MA, Lexchin J (2008) The Cost of Pushing Pills: A New Estimate of Pharmaceutical Promotion Expenditures in the United States. PLoS Med 5(1): e1) unternehmen zwei kanadische Autoren den Versuch, die Arzneimittel-Vermarktungskosten in den USA für das Jahr 2004 zu schätzen. Sie vergleichen die Angaben zweier Marktforschungsunternehmen (IMS Health Care und CAM). Dabei befragt IMS Health vor allem die Hersteller, während die CAM-Daten auf einer Mischung basieren: Befragungen von Ärzten und interne Industrie-Daten.

Zu den Vermarktungskosten gehören verschenkte Medikamentenpackungen, die Gehälter und Provisionen der Pharmareferenten, Anzeigen- und Direktvertriebskosten, Tagungsunterstützungen, die Finanzierung von Anwendungsbeobachtungen. Die IMS-Zahl von rund 27,7 Mrd. US-Dollar Vermarktungskosten im Jahr 2004 ist die offizielle Zahl der Industrie. In dieser Höhe bewegt sich auch der Aufwand für Forschung und Entwicklung. Die Zahl stützt also das Argument, keineswegs würden mehr Ausgaben in die Vermarktung als in die Erforschung von Arzneimitteln gesteckt.

Die CAM-Zahl liegt bei etwa 33 Mrd. US-Dollar. Allerdings weist CAM auf so genannte „unmonitored promotion“ hin, deren Höhe auf weitere 14,4 Mrd. Dollar geschätzt wird. Dazu gehören ethisch bedenkliche Formen der Vermarktung wie der gezielte Hinweis auf einen möglichen Off-Label-Use, also die Empfehlung, das Medikament jenseits der Zulassungsindikation zu verwenden. Das wird ergänzt durch Vermarktung in Zeitschriften, die nicht von CAM erfasst werden, durch untertreibende Angaben der befragten Ärzte, durch Nichterfassung bestimmter Arzt-Gruppen. Die Autoren kommen zu dem Schluß, dass 2004 in den USA etwa 57,5 Mrd. US-Dollar in den Marketing-Budgets der Industrie drinsteckten – fast zweimal so viel wie in den Entwicklungsetats.

Insgesamt handelt es sich bei den Vermarktungskosten um eine schwer fassbare Größe. Aber der PLoS-Beitrag macht sehr anschaulich, welche Angaben unbedingt in eine solche Rechnung hinein gehören – und er unterläuft die Strategie der Hersteller, die tatsächlichen Vermarktungskosten gering zu rechnen oder ganz zu verschleiern.

Pflegeversicherung reformiert

Der Bundestag hat heute mit der Mehrheit von CDU und SPD das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (pdf) verabschiedet:

Zentrale Elemente (laut Gesetzesvorlage):

– Schaffung von Pflegestützpunkten
– Individualanspruch auf umfassende Pflegeberatung (Fallmanagement)
– Verbesserung der Rahmenbedingungen insbesondere für neue Wohnformen durch gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen
– erweiterte Einsatzmöglichkeiten für Einzelpflegekräfte
– schrittweise Anhebung der ambulanten und stationären Leistungen
– Ausweitung der Leistungen für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz und Einbeziehung von Menschen der so genannten Pflegestufe 0
– Verbesserung der Leistungen zur Tages- und Nachtpflege
– Leistungsdynamisierung
– Erhöhung der Fördermittel zum weiteren Ausbau niedrigschwelliger Betreuungsangebote sowie für ehrenamtliche Strukturen und die Selbsthilfe im Pflegebereich
– Einführung einer Pflegezeit für Beschäftigte
– Stärkung von Prävention und Rehabilitation in der Pflege
– Ausbau der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Transparenz
– Unterstützung des generationsübergreifenden bürgerschaftlichen Engagements
– Abbau von Schnittstellenproblemen, Förderung der Wirtschaftlichkeit und Entbürokratisierung
– Stärkung der Eigenvorsorge
– Anhebung des Beitragssatzes um 0,25 Prozentpunkte
– Portabilität der Alterungsrückstellungen auch im Bereich der privaten Pflege-Pflichtversicherung.

Fristverlängerung für GKV-Ausstieg der Hausärzte

Der Bayerische Hausärzteverband hat die Frist für den kollektiven Ausstieg seiner Mitglieder aus dem Vertragsarztsystem um 3 Monate bis Ende Juni 2008 verlängert. Verbandschef Wolfgang Hoppenthaller bestätigte die Verlängerung der Ausstiegsfrist. Ob der kollektive Ausstieg (mindestens 70 Prozent der Kollegen müssten in jedem Regierungsbezirk ihre Zulassungen zurückgeben) gelingt, ist sehr ungewiss. Viele Kollegen fürchten um ihre Existenz.

Hintergrund: Gegenwärtig sind niedergelassene Ärzte Zwangsmitglieder ihrer regionalen kassenärztlichen Vereinigung (KV). Diese verteilt die Zulassungen und handelt die Honorare mit den Kassen aus. Nur aufgrund dieser Zulassungen sind die Vertragsärzte berechtigt, die Behandlung gesetzlich versicherter Patienten mit der KV abzurechnen. Geben die Hausärzte ihre Zulassungen zurück, entfällt ihr Honoraranspruch.

Die Kollegen hoffen allerdings zweierlei: 1. Anschließend direkt mit den Krankenkassen ihre Honorare abrechnen zu können – was die Kassen jedoch ablehnen. 2. Die Hausärzte wollen ein eigenes Verhandlungsmandat mit den Kassen erzwingen, an der KV vorbei, von der sie sich nicht angemessen vertreten fühlen.

Nach all den vollmundigen Ankündigungen ob des Ausstiegs wirkt die Fristverlängerung wie das Eingeständnis, zunächst gescheitert zu sein. Wie viel mehr Hausärzte das dazu motiviert, ihre Praxis aufs Spiel zu setzen, ist völlig offen. Mißlingt die Rebellion, wird sicherlich der Antidepressiva-Konsum unter den Hausärzten zunehmen.

Was bisher geschah:

Hausarzt-Harakiri? (31.01.08)
Versammlung der Hausärzte in Nürnberg am 30.01.08 (Video)
Hausarztversammlung empfiehlt GKV-Ausstieg (12.01.08)
Hausärzte raus aus der GKV? (09.07.07)

Gift gegen Gaga-Gesundheitsfonds

Die Baustelle Gesundheitsfonds verleitet den bunten Gesundheits-Hund der SPD, Karl Lauterbach, Bilder von anderen sinnentleerten Baumaßnahmen zu entwerfen: Er diktierte der Süddeutschen Zeitung in den Block: „Der Fonds ist so überflüssig wie eine Autobahnbrücke ohne Autobahn.“

Allerdings: Wenn Herr Lauterbach sich äußert, ist das gut fürs Publikum, aber die Spieler im System betrachten Aussagen des Gesundheitsökonomen doch recht skeptisch. Einerseits wegen seiner konsequenten Wissenschaftler-Haltung, die mit einer gewissen Sperrigkeit in der Argumentation verbunden ist. Andererseits wegen seiner (vermeintlichen?!) Nähe zu Ulla Schmidt, als deren enger Berater er immer wieder dargestellt wird.

Am Ende ist es jedoch der Chor der Stimmen, der anschwillt, und den Fonds immer schwerer vermittelbar macht: DAK-Chef Rebscher äußerte sich Anfang Februar gegenüber DPA: Der Gesundheitsfonds sei eine „staatliche Beitragseinzugsstelle“. Er solle letztlich nur verdecken, „dass die paritätische Finanzierung der Gesetzlichen Krankenkassen weiter ausgehöhlt und der Arbeitgeber auf Dauer von der Dynamik steigender Ausgaben für die Gesundheitsversorgung abgekoppelt wird“.

Der Hinweis von Rebscher auf die zukünftig noch ungleichere Lastenverteilung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist wichtig, weil er bisher noch kaum bei den Beitragszahlern angekommen ist.

Die Kommunalwahl in Bayern vom vergangenen Sonntag nun leistet ihren Beitrag, den Gesundheitsfonds ernsthaft zu gefährden. Die CSU ist deutlich beunruhigt, dass ihr der Fonds (unter anderem) die Landtagswahl im September verhageln könnte. Deswegen kommt es zu Absetzbewegungen. Bei Reuters ist von CSU-Landesgruppenchef Ramsauer zu lesen: „Der zum Januar 2009 geplante Gesundheitsfonds zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen könne nur dann pünktlich starten, wenn dafür die Voraussetzungen stimmten.“

Und darum ist es schlecht bestellt – zumal Bayern (gemeinsam mit Baden-Württemberg) zu den Verlierern gehört: In beiden Ländern verdienen die Arbeitnehmer mehr. Die Kassen bekommen deswegen höhere Beiträge. Bisher kam dieses Beitragsplus nur deren Versicherten zu Gute. Nun müssen diese Mehreinnahmen zunächst in den großen Pott eingebracht werden.

Wie lange werden die Befürworter des Gesundheitsfonds (Kanzlerin, SPD-Spitze) standhalten, wenn die (unabsehbaren und/oder gefühlten) Risiken des Fonds zunehmend die Wahrnehmung der Öffentlichkeit bestimmen?

Wer im übrigen als Wahlbürger daran mitwirken will, die Einführung des Fonds noch einmal zu überdenken bzw. sogar zu stoppen, kann sich an den Petitionsausschuss des Bundestages wenden: Petition gegen die Einführung des Gesundheitsfonds.

Dementia Fair Congress

Ich halte am kommenden Freitag auf dem 2. Dementia Fair Congress (DFC) einen Vortrag. Thema: „Wenn der Doktor zum Test kommt…“

Ich berichte (ganz subjektiv und tendenziell ziemlich unwissenschaftlich) von meinen Erfahrungen und Erlebnissen in den Gesprächen mit alten und sehr alten Menschen (zwischen 80 und 95), die ich täglich besuche, um mich mit ihnen über ihr Gedächtnis zu unterhalten. Ich nutze endlich mal die Gelegenheit, über diejenigen zu sprechen, die ansonsten in Gruppenunterschieden, Prozentangaben und diagnostischen Kategorien verschwinden.

Ein paar Bonmots habe ich schon preisgegeben:

Begehrt bis ins hohe Alter
Telefonieren mit 90
Hintersinn am Ende eines langen Lebens
„Herr Doktor, krieg ich den nun den Alzheimer?“
Hochbetagt und eitel

Pseudoscience

A little debate in the German Blogosphere (kamenin, Wissenswerkstatt, Kritische Masse, Plazeboalarm, zettmann) inspires me to render some associations on pseudoscience.

The debate was fueled by the wonderful piece of „silly research“ written by Sam Shuster (Sex, aggression, and humour: responses to unicycling) made available to the broader scientific community via the British Medical Journal.

The arguments circle around the reception of Shusters work by science journalists, especially in the printed press. Did they miss the point? And why? Why didn’t they recognize the piece as silly and purposefully beyond any scientific standard? Eventually, the debate touches broader questions: What is good science, what is mock or pseudoscience? And: Is it possible to distinguish one from another?

A recent study in the BMJ investigated „Financial ties and concordance between results and conclusions in meta-analyses“ on antihypertensive drugs. The authors concluded „that financial ties to one drug company are not associated with favourable results but are associated with favourable conclusions“. Journalists love conclusions to be conveyed on to the public. The pharmaceutical companies and their writers do know that for sure. So they push up the results a bit. How’d one recognize whether the interpretation of a single study is pushed up or not? Would scientists see through this all the time?

Besides that you can layout the design of a drug trial to serve your purpose: „Assessing therapeutic efficacy in a progressive disease: a study of donepezil in Alzheimer’s disease„, the AWARE-study is a good example for that. Get a group of Alzheimer patients. Let them take Donepezil for 24 weeks. Then decide whether the treatment was successful or not. Send the successful patients home, exclude them from the trial. Randomise the remaining (so far unsuccessful) patients into a drug and a placebo group. Get the result: Patients in the drug group do benefit or remain stable, patients in the placebo group do decline. (Remember: All patients were getting the drug for 24 weeks prior to randomisation. So they were used to the drug. After randomisation the placebo patients were deprived of the drug – and performed worse. No wonder, as the study uses an CNS-active agent!). Then have your apologists communicate the argument into the world „that you’d miss the late responders if you terminate treatment to early“. Good science? Bad science? Pseudoscience?

Finally another example. This time I was involved myself being charged as a pseudoscientist by another researcher: A story in DER SPIEGEL and a corresponding review on the treatment evidence of cholinesterase inhibitors on Alzheimer’s disease carried out by our research group in the Department of Primary Medical Care has sparked a fierce discussion inside the scientific community and beyond. One part of the scientific community hailed and welcomed our work. Others were not amused. Some professors argued: „Why did you target just the old and weak?“ Others said: „Why us, the psychiatrists? The cardiologists don’t do any better regarding the quality of their evidence.“ The most angry statement condemned our paper as pseudoscience: The kind of irresponsible pseudoscience demonstrated in this paper only fuels this perverse zeitgeist (refusing patients available treatment – annotation by the author).

Once again: What is good or bad science? What is mock or pseudoscience? I think, it’s very hard to distinguish, even for scientists themselves, let alone science journalists. Reducing the answer to some criteria like objectivity-intersubjectivity, replicability, explicity or taxonomy does make it easier (at times). It seperates the wheat from the chaff (at times). Sometimes it’s really easy to decide what a smart paper you’ve just read (as it is the case with Shusters observations). Sometimes it is impossible to figure out what’s between the lines because concealment and camouflage are techniques professionally used in the scientific community and in the research papers published. Hence even reviewers and publishers have difficulties to separate the good from the bad and the fraudulent.

Barmer Hausarztvertrag unzulässig

Das Bundessozialgericht in Kassel hat den Hausarztvertrag der Barmer Ersatzkasse für unzulässig erklärt (Aktenzeichen B 6 KA 27/07 R). Die enge Kooperation zwischen einem Hausarzt und einer Hausapotheke erfülle die Voraussetzungen für eine integrierte Versorgung nach §140 SGB V nicht: „Das System mag seine Vorteile haben, auch für die Versicherten. Eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche sieht der Senat aber nicht.“ (dpa-Meldung via arbeitsrecht.de)

Eine solche Zusammenarbeit ist notwendig, um kassenseitig 1% der Gesamtvergütung einbehalten zu können, um sie im Rahmen eines integrierten Versorgungsvertrages an die beteiligten Ärzte und Apotheken auszuschütten.

Gegen die Ersatzkasse geklagt hatte die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Thüringen. Das Landessozialgericht in Thüringen hatte zuvor zugunsten der KV entschieden.

Die Reaktion der Barmer Ersatzkasse ist hier nachzulesen. Die Stellungnahme des Deutschen Apothekerverbandes findet sich hier.

Wenn Frau Schavan Forschungsgeld verteilt…

Letzte Woche verkündete Forschungsministerin Schavan, der Bund wolle ein Art Nationales Demenzzentrum gründen.

Die Initiative beruht auf einer Ankündigung aus dem vergangenen Jahr, ein Institut ins Leben zu rufen, das die Betreuung und Versorgung der Demenzkranken im Land stärkt. Es sollte die Krankheitsursachen, Möglichkeiten der Prävention und Früherkennung, die Entwicklung wirksamer Therapien und die Untersuchung der psychosozialen Folgen von Demenzen erforschen. Frau Schavan damals: „Es geht auch um die besten Formen der Pflege und Versorgung. Die Forschung für den Menschen steht im Mittelpunkt.“

Und was ist in der vergangenen Woche daraus geworden? Ein umgetauftes Zentrum für sämtliche neurodegenerativen Erkrankungen. Eine Kommission, die ausschließlich aus Grundlagenforschern und einer Pflegewissenschaftlerin besetzt ist. Faktisch eine Kungelrunde, die (vor)-ausgewählte Forschungseinrichtungen einlädt, die 60 Millionen Euro jährlich unter sich zu verteilen.

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) kritisiert die Pläne der Ministerin:

„Grundlagenforschung ist fraglos nötig und die auserwählten Wissenschaftler sicherlich qualifiziert. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Konzeption des Instituts einseitig ausgerichtet ist. Die Grundlagenforschung kann auf absehbare Zeit weder den heute Erkrankten, noch ihren Angehörigen bzw. denjenigen nutzen, die jeden Tag die Last der Versorgung tragen. Zur Lösung dieser alltäglichen Versorgungsprobleme, die gleichwertig auf der Agenda des Instituts stehen muss, kann die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder jedoch schon deswegen nicht beitragen, weil sie damit keine Erfahrungen hat.“

Leider macht das ganze Verfahren (Ankündigung, Entscheidung über Vergabe innerhalb der kommenden vier Wochen, Einladungen an vorab informierte medizinische Fakultäten, die Kommissionsbesetzung) den schlechten Eindruck, für Frau Schavan und die auserwählten Wissenschaftler stünde das Labor im Mittelpunkt, keineswegs aber der Mensch.